Richard Wagner an Minna Planer, geschrieben am 23. Mai 1836 in Berlin, gesendet nach Königsberg.
Gestern war mein Geburtstag, – das war ein übler garstiger Tag. Keinen, keinen theilnehmenden Menschen! Ach Minna, es ist doch recht elend, – ich wüßte nicht, was aus mir werden sollte,[1] wenn mir der Himmel meine Vereinigung mit Dir noch lange vorenthalten sollte. Ich bin stumpf für Alles, mein Inneres verzehrt sich, u. ich sehe mehr als jemals ein, – nur ein glückliches Leben mit Dir kann mir meine Kraft wiedergeben; – dann auch erst, fühle ich, werde ich kräftig u. glücklich als Mann handeln u. wirken können. Jede Hoffnung, die mir einzeln winkt, existirt für mich gar nicht. – Mein Kind, – ich las eben Deine sämmtlichen Briefe der Reihe nach durch, u. freue mich wie ein Seeliger über unsre Liebe; – wie hat sie sich entfaltet, u. immer inniger, fester geschlossen! Es rührt mich bis in das innerste Mark. Sieh, meine Minna, ich kann jetzt wieder schmachten, so jugendlich u. sehnsüchtig, wie vor einem Jahre; – so heiß, so jung ist noch meine Liebe. Und welch’ eine Liebe! Welch’ ein Paar hat sich mehr bewährt als wir? Mitten unter den niederdrückendsten Drangsalen des Leben’s, fast erliegend der Last der niedrigsten Bekümmernisse, schmachten wir u. lieben wir uns, als ob uns das Leben gar nichts anginge. Meine Liebe zu Dir ist so kräftig u. kräftiger als sie je gewesen. Ist das nicht schön? – Und was haben wir erlebt? Sind wir denn blos ein Liebespaar; sind wir denn nicht geprüfter u. inniger verschmolzen als manches Ehepaar? Nun denn, wir wollen es durchkämpfen, wir wollen ein Beispiel geben, was wahre Liebe ist u. vermag! – – Letzthin sah ich im Opernhaus Fidelio[2]; – Schwabe[3] saß neben mir. Bei der Stelle, als Leonore ihren Florestan gerettet hat u. ihn umarmt,[4] stürzten mir die heißen Thränen aus den Augen. – Schw: glaubte, daß mich das Spiel so ergriffen hätte; oh, aber was war Alles in mir vorgegangen! Wie diese Leonore, dachte ich, ließe wol auch deine Minna für dich ihr Leben, oder es würde ihr gewiß kein Leiden, kein Drangsal groß genug sein, um dich, wüßte sie dich im Verderben, zu retten, – u. diese Minna solltest du verlassen, wie einige kalte Menschen es wünschen? – Ein Weib, das mir überall hin standhaft u. liebend folgen würde? Und nicht wahr, meine Minna, das würdest Du? Ich weiß es, Du würdest es, – Du hast es mir bewiesen, – u. ich? – Was will ich denn, – sind wir denn nur noch zu trennen, – sind wir denn nicht schon vereinigt, welch ein Band ist denn fester als Unseres? Giebt es ein festeres als das, welches Leiden u. Theilnahme knüpft? Es hat uns vereint, Du bist mein Weib!
[1] Hier erleben wir gerade Wilhelm Richard ERIK Wagner.
[2] Oper von Ludwig van Beethoven.
[3] Schwabe, vermutlich Louis, ein Magdeburger Kaufmann und Verehrer Minnas, wohnte Breiter Weg 38 und war ein Nachbar Wagners, der sich 1835/36 drei Treppen hoch im Haus Breiter Weg 34 eingemietet hatte. Im Mai 1836 war Schwabe in Berlin und logierte im gleichen Gasthaus, in dem Mitte des Monats auch Wagner abstieg.
[4] Hauptrollen in „Fidelio“.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; Astrid Eberlein/Wolf Hobohm: Wie wird man ein Genie? Richard Wagner und Magdeburg, 2010.
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