Richard Wagner an Minna Planer, geschrieben am 10. Mai 1835 in Leipzig, gesendet nach Magdeburg.
Wer jetzt erwartet, dass hier eine Antwort Minnas folgt, muss leider enttäuscht werden. Briefe von Minnas Hand haben Seltenheitswert, weil Wagner beziehungsweise seine zweite Frau Cosima später nicht nur von fast allen Briefadressaten die Originale zurückverlangten, sondern erhaltene Briefe je nach Inhalt teils unter Verschluss hielten oder im Wortsinn entsorgt haben. Was über den jüngeren Wagner dennoch ans Licht der Öffentlichkeit kam – und das sind eben auch seine Briefe an seine erste Frau Minna –, ist wesentlich der englischen Wagnerianerin Mary Burrell (1850–1898) zu danken, die akribisch an einer Wagner-Biographie arbeitete und genug Geld hatte, um dafür unter anderem von der inzwischen verheirateten Minna-Tochter Natalie Bilz auch Original-Material anzukaufen. Burrells ambitioniertes Buchprojekt kam über den Zeitraum von Wagners ersten zwanzig Lebensjahren und einen nur fragmentarischen ersten Band nicht hinaus – eine allerdings schon von ihrer Größe, Exklusivität und Druckqualität her unglaubliche Publikation! Schade, dass Mary Burrell viel zu früh starb. Dank ihrer Sammelwut rettete sie insgesamt 840 Originaldokumente für die Nachwelt, hier davon der ebenfalls erhaltene Brief Nr. 2 Wagners an Minna:
Sag’, mein Engel, ist das recht von Dir? Wie ein Durstender auf den Trank habe ich auf ein paar Zeilen von Dir gewartet! Geh, geh, – – das ist nicht recht, – Du hättest mir wol durch ein paar Worte wissen lassen können, ob Du mich noch liebst, woran ich so oft zweifle. Ich bin hier nur halb oder gar nicht, ich bin immer unruhig, aufgeregt! – und voll einer Ungeduld, die gränzenlos ist, – so daß ich mich nur wundre, ich doch noch im Ganzen so ruhig an Dich schreiben kann. Es wird lange dauern ehe es mir hier nur im mindesten behagt, und es ist sonderbar, daß mir doch der ganze Trubel, die Unordnung, kurz der ganze erbärmliche Zustand in Magdeburg in Deiner Nähe viel angenehmer vorkommt, als dieses schlendrige Dahinleben hier ohne Interesse und Liebe. – Ach, komme nur bald hier durch, – Du glaubst nicht, wie ich mich nach Dir sehne! Ich gehe immer mit Rührung durch die grimmaische Gasse[1], da ist ein Laden, über dem Dein Name steht; – und gestern früh laufe ich ganz unglücklich durch’s Rosenthal[2], – da begegnet mir ein Mensch, den ich früher wol kannte, aber nie beachtet hatte; – als ich ihn sah, fiel es mir aber ein, daß er Planer heiße, und ich habe ihm die Hand gedrückt, und bin fast eine halbe Stunde mit ihm gegangen. Ich glaube Dich oft zu sehen, aber immer bist Du es nicht, – – o, so schreib’ doch! – – Sieh, ich liebe Dich so, und Du mich gar nicht, – gar nicht! O Gott, wenn ich mir denken sollte, daß Du mich schon vergessen hättest, – ach, wenn ich Grund haben sollte, eifersüchtig zu sein, dann würde ich nicht mehr die Löffel, sondern mich selbst zerbrechen. O sieh, Minna, – wenn Du nie früher etwas empfandest, und hättest jetzt wirklich für mich gefühlt, – so halte dieß Gefühl, magst Du es Liebe oder sonst wie nennen, – halte es fest, halte es fest, und vergiß nie, daß Dich diese Empfindung mehr veredelt, als alle Eitelkeiten der Convenienz, – halte Dich fest an sie, und gieb sie nie auf! – Und solltest Du, was Gott verhüte, – gegen mich erkalten, – so laß doch nie die Wärme in Dir untergehen, und liebst Du je wieder, so liebe von Herzen. – Ach, was habe ich da gesagt, – ich spreche von Erkalten, von einer andern Liebe, – ach, wie sollte ich denn das ertragen! – Aber sieh, – sieh! – So weit kommt es, wenn Du nicht an mich schreibst, – wenn ich nichts von Dir höre, und nur immer grübeln u. argwöhnen muß! Schreib’, schreib! –
Wie steht es mit Dir, wie steht es mit Euch? Ich fürchte, schlimm genug; – was gedenkst Du anzufangen, bleibt es bei Deinem letzten Plan? – Ich habe bis jetzt noch keine passende Gelegenheit gefunden, der Haas[3] wegen mit Ringelhardt[4] zu sprechen, vielleicht geschieht es heute, ich werde ihr dann sogleich schreiben.[5] Du brauchst ihr übrigens unsre Briefe nicht zu zeigen, – und dies nicht etwa der Briefe selbst wegen, sondern wegen des gänzlichen Mistrauens was ich jetzt gegen die Haas bekommen habe; – ich habe hier durch Apel[6] einige Äußerungen von ihr erfahren, die mich veranlassen, Dich zu bitten, ihr ebenfalls Dein Vertrauen zu entziehen. Sie thut mir leid! – Leb’ wol, Du geliebtes Mädchen, grüße von mir, was Du des Grußes werth hältst; – sag’ auch der Wittwe Dähnert[7], daß ich an sie dächte, – nicht weil ich sie leiden kann, sondern weil sie mich lieb hatte. – Ich küsse Dich tausendmal, aber gieb die Küsse ja keinem Andern wieder, – hörst Du? – ja keinem Andern, – nein, nein! – Sondern spare, bis Du mich wieder siehst. Ach, wie muß ich jetzt dafür büßen, daß ich oft so ungenügsam war; – ich bin ganz allein, ganz allein! – Leb’ wohl, leb’ wohl, – ich drücke Dich an mich, als ob ich vergehen sollte! Adieu! Adieu!
Dein
Richard.
[1] Grimmaische Gasse = Hauptstraße des östlichen Stadtviertels von Leipzig, benannt nach dem 1421 erstmals erwähnten Grimmaischen Tor, dem Richtungstor nach der Stadt Grimma. Das Tor wurde 1835 abgebrochen und auf dem freigewordenen Gelände das „Café Francais“ errichtet.
[2] Das Rosental ist eine der beliebtesten historischen Parkanlagen in Leipzig. August der Starke, der ab 1694 in Sachsen regierte, wollte sich an dieser Stelle ein Lustschloss errichten lassen, was jedoch von Leipzigs Stadtvätern trickreich verhindert wurde.
[3] Haas, Mathilde (1803–1837), Schauspielerin am Magdeburger Theater ab 1835 und Geliebte von Wagnerfreund Heinrich Laube, welcher auch Vater ihrer 1830 geborenen Tochter Cornelia ist.
[4] Ringelhardt, Friedrich Sebald (1785–1855), Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor, darunter von 1831 bis 1844 am Leipziger Theater.
[5] Dazu war kein Nachweis zu ermitteln.
[6] Apel, Theodor (1811–1867), mit Wagner seit dem gemeinsamen Besuch der Leipziger Nikolaischule eng befreundet und auch sein Reisebegleiter nach Teplitz im Sommer 1834.
[7] Witwe Dähnert, möglicherweise Zimmervermieterin in Magdeburg. Komisch, bei Witwe Dähnert dachte ich sofort an Wilhelm Buschs Witwe Bolte. Apropos: Später wird Minna Wagner als ständige Strohwitwe ebenfalls Zimmer vermieten, um über die Runden zu kommen.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; Forschungsinstitut für Musiktheater Thurnau: Das Wagner-Lexikon, 2012; https://www.leipzig.de/
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