Fortsetzung Nr. 4 und Schluss des Briefs an Minna Planer, den Wagner am 23. Mai in Berlin begonnen und erst am 27. Mai 1836 nach Königsberg abgeschickt hat.
Den 27sten: Heute muß wol ein Brief kommen; – o mein Gott, wie peinlich! Gestern las ich in der Königsberger Zeitung vom 21sten: „Dem Theaterfreunde die freudige Nachricht, daß Fräulein Planer, die liebenswürdige Schauspielerin, die von Magdeburg für die hiesige Bühne gewonnen ist, hier eingetroffen.“ Ach, diese Nachricht hat mich höchst unangenehm berührt. Ich sehe Dich schon fern, fern von mir, als das Eigenthum fremder, roher Menschen betrachtet, Du kommst mir gleich gar nicht mehr wie meine Minna vor. Ich sehe, wie sich Alle Deiner freuen, u. misgönne Allen diese Freude, ich will mich ja nur allein Deiner freuen! Du hast jetzt einen schlimmen Stand bei mir, Minna; – vielleicht, wenn es Dir mit dem besten Willen nicht möglich sein sollte, mir augenblicklich das Königsberger Engagement zu verschaffen, werde ich nun doch argwöhnisch, u. glaube, Du wolltest mich nicht bei Dir haben. Du wirst Dir am Ende recht gefallen, u. vergißt mich, denkst nicht mehr an mich! – – Nein, Minna, – das ist wohl nicht möglich, das kann ja wohl gar nicht mehr sein, daß wir uns noch vergessen könnten? Was will ich denn? Verzeih’ mir, – nicht wahr, das ist nun nicht mehr möglich, – das geht ganz und gar nicht mehr! – Nicht wahr, nicht wahr? Du liebst mich ja, Du bist mir wenigstens herzlich gut; – u. dafür danke ich Dir Zeit meines Lebens! – Mein Engel! –
Nach Tisch: Heute Mittag erhielt ich Deinen Brief. Der Eindruck, den er auf mich machte, war zu stark, als daß er mich nicht auf eine Zeit lang sprachlos gemacht hätte. Ich bin selbst jetzt noch zu sehr erschüttert u. bewegt, um Alles ganz beantworten, u. mich ganz aussprechen zu können; – ich will es thun, wenn ruhiger bin. – Ein Geschöpf so zu lieben, nein anzubeten, wie ich Dich liebe u. anbete, – zu wissen, wie warm sie mich wieder liebt, u. doch noch einer längeren Trennung entgegensehen zu müssen, – das ist mehr als hart, das ist schrecklich. O, mein süßes, wonniges Weib, – mein Alles, mein Alles! – Du bist mir mehr, als Du fassen u. ahnen kannst, – ein Brief, wie der Deinige, den ich in den Händen halte, ist mir mehr als eine Welt; – oh ich könnte rasen vor Liebe zu Dir! – Meine Minna, – unsre Liebe muß belohnt werden, u., glaube mir, eine Treue wie die unsre, ist in diesen Tagen selten. Nun, so bauen wir denn auf den Himmel, auf den Himmel, den wir in unserm Herzen tragen, er muß uns glücklich, – glücklich machen! – Standhaftigkeit, festen Muth, festes unwandelbares Vertrauen zu uns, u. Fluch u. Schande in alle Ewigkeit, wer die Treue bricht! Harre aus, mein Kind, – habe nur einen Gedanken, Deinen Richard, mit all seinem Gram, seinem Schmerz u. seiner Liebe, u. sei eingedenk des Schwur’s, den wir unter heißen Thränen wechselten, als wir uns gelobten, nie, nie im Leben uns zu verlassen, voll Muth Alles zu tragen, nie in Treue u. Glauben zu wanken! – Nun, helf uns Gott, also Treue u. Glauben, – feste Treue, feste Glauben, – dieß sei unser Wahlspruch, u. nun muthig den Schmerz ertragen, – möge er mir auch den Schlaf meiner Nächte rauben, ich werde jeden wachen Moment mit Deinem süßen Bilde beleben, u. will dann nicht mehr schlafen, – es ist erquickender, an Dich zu denken. – – Ich bleibe nun solange in Berlin, bis Du mich mit der Freuden-Nachricht aus meiner Verbannung erlösest, daß ich zu Dir eilen darf. Ich weiß, – wie ich Dir schon schrieb, – gewiß, daß Schuberth[1] zum Herbst wieder nach Riga geht, – (schreibe mir jedoch ja gleich, wenn Du mit Bestimmtheit das Gegentheil erfahren solltest.) Ist es nun keine Möglichkeit, daß ich eher zu Dir kommen könnte, so warte ich hier, bis Gläser[2] seinen Urlaub antritt, nehme dann einstweilen seine Stelle ein, u. führe meine Oper auf. Dann aber erlöse mich, denn ich weiß jetzt noch nicht, wo ich die Kraft hernehmen soll, bis dahin unsre Trennung zu ertragen. Ist es aber nur eine einzige Möglichkeit, daß ich noch früher nach Königsberg kommen kann, – oh, so nimm ja keine Rücksicht u. rufe mich schnell, schnell zu Dir. Wie ich mich bis dahin, wo ich hier etwas einnehmen kann, durchhelfen, – wie ich schon sobald Gottschalks[3] befriedigen will, ist mir in diesem Augenblick noch unmöglich, Dir anzugeben, – daß es aber möglich gemacht werden muß, ist natürlich. Wie ich mich bis jetzt durchgeschlagen u. gewürgt habe, wird Dir wol schon daraus begreiflich geworden sein, daß ich Dir sowol den vorigen als auch diesen Brief unfrankirt zuschicken mußte. Aber sieh, alles Elend läßt eine feste Hoffnung ertragen; – ich murre nicht meinethalb, sondern nur Deinethalb über das Schicksal; – daß ich Dich in Entbehrung u. Noth gestürzt habe, rührt mich bis in das Mark meiner Seele. Mein armes, armes Weib, – was leidest Du nicht meinetwegen! Wenn ich es Dir nicht vergelten können sollte, so nehme mich Gott nur gleich von der Erde, denn dann bin ich Deiner unwürdig! – – Ach, sieh, ich weine wieder und werde kleinmüthig, – all umfasse Deine Kniee, – mach’ es möglich, biete Alles auf, strenge Alles an, um mich bald nach K., zu Dir, zu Dir zu bringen, – ich trage es nicht, ich kann es nicht tragen, – ich fürchte im Ernst eine Gemüthskrankheit, ich halte es nicht aus, ich muß zu Dir. Möge mir hier Ehre, Ruhm, Gold u. Pracht winken, ich sinke unter der Last zusammen, – denn das mußt Du wissen, Mädchen, so liebte noch Niemand wie ich, so ward noch Niemand geliebt wie Du!! Die Gewalt meiner Liebe greift immer weiter um sich, u. sieh, schon ist kein Theil meines Wesen’s, was nicht helle, reine Liebe zu Dir wäre. Wär ich glücklicher, so könntest Du stolz sein, denn dann wärst Du die Glücklichste auf Erden. – O, warum muß ich Dir zurufen, Leb wohl! Warum kann ich nicht Dich küssen, bis ich vergehe! –
Dein
Richard.
Karl[4] der gute Junge, der herzlich weinte, als er von mir Abschied nahm, ist einen Tag nach mir von Magdeburg abgereist.
[1] Schubert, Louis (1806–1850), Dirigent am Königsberger Theater 1836/37.
[2] Glaeser, Franz (1798–1861), böhmischer Komponist und Dirigent, von 1830 bis 1842 Kapellmeister am Königstädter Theater.
[3] Gottschalks sind mitnichten die langjährigen Bayreuth-Besucher Thea und Thomas, sondern Heymann Gottschalck, Lotterie-Unter-Kollekteur aus der Weinfaßstraße 8 in Magdeburg, und dessen Frau, von Wagner als „vertrauensvolle Jüdin“ beschrieben. Madame Gottschalck hatte in Zusammenhang mit dem Gastspiel von Wilhelmine Schröder-Devrient Anfang Mai 1836 vermutlich sehr viele Kleingläubiger Wagners ausbezahlt, was für ihn ein wichtiger Aufschub war. Ob er später, nach mehreren Mahnungen und Aufschüben, seine Gesamtschuld bei den Gottschalcks beglichen hat, ist nicht erforscht.
[4] Über Karl, den guten Jungen, schweigen sich die verfügbaren Quellen hartnäckig aus.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; Astrid Eberlein/Wolf Hobohm: Wie wird man ein Genie? Richard Wagner und Magdeburg, 2010; https://de.wikipedia.org/
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