Richard Wagner diesmal ausnahmsweise an Theodor Apel, geschrieben am 2. Oktober 1835 in Magdeburg, gesendet nach Leipzig.
Lieber Theodor[1], meinen Brief hast Du doch jedenfalls erhalten, u. zwar wahrscheinlich an demselben Tage, an dem ich den Deinigen erhielt; u. ich hoffe, daß dieser Umstand mehre Vorwürfe widerlegt oder wenigstens besänftigt haben wird. Ich bin hier in einen gräßlichen Strudel von Arbeit u. Plackerei gerathen; alle unsre Oper-Angelegenheiten waren mir auf den Nacken gewälzt; endlich haben wir gestern zum ersten Mal mit Zampa[2] losgedrückt, u. der Erfolg kann wirklich bedeutend genannt werden. Von dieser Seite habe ich also endlich etwas Ruhe; nach allen andern hin habe ich Festigkeit; nur nach einer hin werde ich wohl ein Schurke werden, – u. nur Dir allein theile ich mich darüber mit. Du kennst meine modernen Liebes-Gefühle[3] die mich zuerst an Minna knüpften; mein bürgerlicher Jammer hat das Moderne bald verjagt, u. es blieb nur noch die Liebe; – ich kam zum Stadium der Eifersucht, stieß mich an Minna’s Ruf, u. habe mich endlich zu meinem glücklichen Unglück überzeugt, daß Minna nie schlecht war u. ist; weiter nichts, – als: ich bin es überzeugt u. überwiesen. Dieses früher so kalte, unzugängliche, indifferente Geschöpf hat mir ihr gränzenloses Vertrauen geschenkt, – ich kenne jeden Zug ihres Lebens: – ich habe sie erwärmt bis auf das innerste Mark ihres Daseins, ich habe sie zum weichen hingebenden Weibe gemacht, – sie liebt mich bis zur Krankheit, ich bin ihr Despot geworden; – es tritt Niemand mehr über ihre Schwelle, den ich nicht will; sie opfert mir alles; sie ist auf der Bühne gegen sonst nicht mehr zu erkennen, sie hat Leben, Wärme, Gluth. Sie hat Barby’s[4] Hand um meinetwillen ausgeschlagen; ein Kerl wie Lauer[5] vergeht vor Platonismus, u. wird zum Dichter; je mehr sie meinen bürgerlichen Jammer erkannte, desto mehr fühlte sie sich an mich gezogen; – sie kennt nur noch einen Wunsch, nur noch ein Glück, – die Verbindung mit mir, – sie möchte es mit allen Opfern erkaufen. Sie ist zart dabei; sie sagte mir unter den heißesten Thränen: „Richard, sei ehrlich; – nähre keine Hoffnungen in mir, die Du vielleicht nicht gesonnen bist, zu erfüllen; – sage mir, daß mich Du liebst, mich aber nicht zum Weibe haben willst, so will ich meine schönsten Hoffnungen u. Wünsche als durch Deinen Willen unabänderlich vernichtet u. zerstört beklagen u. beweinen, u. nur allein in Deiner Liebe glücklich sein, so lange Du mir sie schenkst, – nie aber einem Andern meine Hand geben. Aber sieh, wenn Du jetzt diesen meinen Hoffnungen schmeichelst, u. mich darin bestärkst, so daß ich mich sicher in ihnen wähne, u. Du doch vielleicht jetzt selbst nicht einmal ernst daran denkst, so sündigst Du schrecklich!“ Und was denkst Du, daß ich erwiderte? Um das gute Mädchen nicht zu kränken, schwieg ich bejahend, und sie glaubt mir, während ich nur daran denke, wie ich sie am sichersten verrathe. Und ich freue mich noch über die Kraft meines Innern, daß ich ihr nie ernstlich Gehör gebe; – s’ist so eine Art von Schurkerei. – Ich genieße ihre Gunst völlig u. fast ausschweifend, u. fühle mich dabei immer kräftiger u. wohler; anstatt mich ihr Genuß sättigen u. ermüden sollte, knüpft er mich nur immer noch fester u. wärmer an sie. Was meinst Du? Wenn ich sie so recht absichtlich hintergangen haben werde, habe ich da nicht ein Meisterstück gemacht?[6] Oder soll ich ein Filister[7] werden? Ihr Leipziger werdet es entscheiden!
Diese Liebe mit ihrem Anfang und Ende wird eine Novelle werden, – ein moderner Zustand; – knüpfe das ganze Misere noch mit daran, nimm meinen ganzen Bildungsgang durch dasselbe mit dazu, so hast Du einen Roman.
Dein
Richard.
Adieu.
[1] Apel, Guido Theodor (1811–1867), Jugend- und Wanderfreund Wagners sowie Schriftsteller, für dessen Schauspiel „Columbus“ Wagner eine Theatermusik komponierte, von der nur die Ouvertüre erhalten ist. Die Uraufführung des Dramas fand am 16. Februar 1835 statt, die Ouvertüre erklang danach noch mehrfach in Konzerten. Wagner vertonte außerdem ein Gedicht Apels. Der Briefwechsel Wagners mit Apel ist der erste umfangreichere.
[2] „Zampa ou La Fiancée de marbre“ (deutsch: Zampa oder Die Marmorbraut), Opéra comique von Louis Joseph Ferdinand Hérold, den trotz seiner über zwanzig Opern heute keiner mehr kennt.
[3] Diese „modernen Liebesgefühle“ gründeten sich auf Wagners Lektüre von Wilhelm Heinses „Ardinghello“-Roman und vor allem Heinrich Laubes „Das junge Europa“.
[4] von Barby, Vorname unbekannt, laut Bd. 1 der Briefausgabe (Herausgeber im Auftrag der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth: Gertrud Strobel und Werner Wolf) ein Liebhaber Minnas in Magdeburg. Die Minna-Biografin Sibylle Zehle hat, da Wagner ihn in mindestens zwei Briefen namentlich erwähnte, versucht, den Mann zu identifizieren und hatte mehrere zur Auswahl. Später mehr davon!
[5] Lauer, Vorname unbekannt, ebenfalls ein Liebhaber Minnas in Magdeburg. Merkwürdigerweise gibt es in den frühen Bänden der Briefgesamtausgabe zwar, wenn es um reale Beziehungen geht, weibliche Geliebte, aber keine Liebhaberinnen. Wer weiß warum? Aber bitte keine Gendersternchen-Ergüsse!
[6] Dass Wagner zu dieser „modernen“ Auffassung der Liebe zumindest zu diesem Zeitpunkt seiner Beziehung zu Minna doch nicht fähig war, zeigen unschwer die kommenden Briefe an Minna und Apel.
[7] Der Ausdruck Philister bezeichnet abwertend jemanden, der Kunst und damit zusammenhängende ästhetische oder geistige Werte nicht schätzt oder verachtet, dabei aber unkritisch vorgefertigte, oft als bürgerlich bzw. spießbürgerlich bezeichnete Vorstellungen übernimmt und anwendet.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; Forschungsinstitut für Musiktheater Thurnau: Das Wagner-Lexikon, 2012; https://de.wikipedia.org/
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