Ein Opern-Revolutionär erklärt sich in Bamberg

Un­ser Mit­glied Mar­tin Köhl hat für den Frän­ki­schen Tag über das Künst­ler­ge­spräch mit Jay Scheib und Nick-Mar­tin Ster­nitz­ke am 7. Juli im Ku­fa­saal be­rich­tet – und für un­se­re Home­page na­tür­lich auch.

„Parsifal“-Regisseur Jay Scheib bei der Ge­sprächs­ma­ti­nee – Fo­tos: Ro­land Gröber

Wenn die Re­gis­seu­re und Künst­ler der Wag­ner-Fest­spie­le schon Wo­chen vor Be­ginn der Opern­auf­füh­run­gen auf dem Grü­nen Hü­gel in der Re­gi­on prä­sent sind, muss man das aus­nut­zen. Der rüh­ri­ge Ri­chard-Wag­ner-Ver­band Bam­berg tut ge­nau das, und des­halb sah man mit be­rech­tig­ter Neu­gier auf das Tref­fen mit Jay Scheib, dem In­sze­na­tor des „Par­si­fal“ von 2023. Der in Bos­ton leh­ren­de Ame­ri­ka­ner ist ein sehr zu­ge­wand­ter Mensch, der bei der Ar­beit für sei­ne freund­li­che Büh­nen­at­mo­sphä­re be­kannt ist – kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit an­ge­sichts der über­gro­ßen Egos, die dort bis­wei­len ihr Un­we­sen treiben.

Jay Scheib (links) und Nick-Mar­tin Ster­nitz­ke im Ge­spräch – Foto: Ul­ri­ke Müller

Ray Scheib be­ruft sich auf die Tech­nik von Ro­bert Wilson 
Nach ein we­nig Vor­ge­plän­kel zu Fra­gen der Fi­nan­zie­rung von Oper und Mu­si­cal und zu Jay Scheibs mu­si­ka­li­schen Prä­gun­gen – u.a. Mi­les Da­vis, John Col­tra­ne, Pat­ti Smith und das Kro­nos Quar­tett – ging es bald zur Sa­che, und das hieß: zum „Parsifal“-Vorspiel. Der Re­gis­seur war da­von zu­nächst rein ge­fühls­mä­ßig in­spi­riert, ent­deck­te dann aber bald des­sen kla­re, fast ma­the­ma­ti­sche Pro­por­tio­nen. Und na­tür­lich die be­rüch­tig­ten Län­gen in die­sem Rie­se­no­pus. Wie da­mit um­ge­hen? Scheib ver­wies auf Ro­bert Wil­sons Zeit­lu­pen­tech­nik und das Be­stre­ben, nach Ges­ten und Ak­ti­vi­tä­ten zu su­chen, die den Län­gen kor­re­spon­die­ren können.

Die Idee zur AR-Bril­le stammt von Ka­tha­ri­na Wagner 
Na­tür­lich kam bald die Spra­che auf die AR-Bril­len (Aug­men­ted Rea­li­ty) und de­ren Ge­ne­se. Die Idee stamm­te von Ka­tha­ri­na Wag­ner sel­ber, es kam also dar­auf an, sich un­be­küm­mert dar­auf ein­zu­las­sen. Die Vor­aus­set­zun­gen schie­nen gut an­ge­sichts ei­nes sehr dunk­len Thea­ter­raums, die­ses Bay­reu­ther „Qua­si-Ki­nos“, in dem ja auch nichts vom Or­ches­ter zu se­hen ist. Da­durch und auf­grund der Zeit­um­stän­de, in de­nen die­se In­sze­nie­rung ge­bo­ren wur­de, gin­gen die Vor­stel­lun­gen schnell in eine dys­to­pi­sche Rich­tung. Es war die Zeit von Co­vid, vom Mord an Ge­or­ge Floyd und an­de­rer Verwundungen.

Nick-Mar­tin Ster­nitz­ke – Foto: Ro­land Gröber

Das denkt Jay Scheib über den Gral von Wagner 
Dass die kon­zep­tu­el­len As­so­zia­tio­nen an­hand des Ma­te­ri­als der AR-Bril­le (sie ent­hält Ko­balt) so­gar zu Ge­dan­ken über die Aus­beu­tung in den kon­go­le­si­schen Mi­nen und den Ko­lo­nia­lis­mus führ­ten, war fast zwangs­läu­fig. Trotz­dem über­rasch­te die De­chif­frie­rung des Grals als ei­nes Ko­balt­kris­talls. Für Scheib ist der Gral Kraft­spen­der und En­er­gie­lie­fe­rant. Dass er am Ende zer­dep­pert wird, soll nur ein Zei­chen von Hoff­nungs­lo­sig­keit sein? Das las sich vor ei­nem Jahr bei den Ex­ege­ten der ers­ten Stun­de ganz an­ders: Er­lö­sung der Grals­rit­ter­schaft von ih­rem Irr­glau­ben, von As­ke­se und Ein­sam­keit, so der Tenor.

Als Gast­ge­schenk über­reich­te RWV-Vor­sit­zen­de Ul­ri­ke Mül­ler die ob­li­ga­to­ri­schen Wag­ner­köp­fe aus Scho­ko­la­de, Wag­ner­wein und his­to­ri­sche „Parsifal“-Bilder für den „Parsifal“-Regisseur. – Foto: Ro­land Gröber

Ein ske­let­tier­ter Fuchs im neu­en „Par­si­fal“
Wei­te­re The­men der RWV-Ver­an­stal­tung be­rühr­ten Fra­gen der Syn­chro­ni­sie­rung von AR-Bril­len und Mu­sik, der tech­ni­schen Gren­zen des Com­pu­tings und der Sym­bo­lik je­ner Fi­gu­ren aus der vir­tu­el­len Welt, die den Bril­len­trä­gern vor den Au­gen her­um­tan­zen. Ei­nig war man sich in der Fra­ge­run­de, dass es da­für kei­nen er­klä­ren­den Bei­pack­zet­tel ge­ben darf, doch zeig­te sich auch das Lei­den an ei­nem Über­maß ex­ege­ti­scher Rat­lo­sig­keit. Jay Scheib ließ sich ent­lo­cken, dass es heu­er noch ein we­nig mehr be­brill­te Sym­bo­lik ge­ben wer­de und man sich z.B. auf ei­nen ske­let­tier­ten Fuchs freu­en (oder är­gern) dür­fe. Auch die KI wer­de ver­mehrt eingesetzt.

Das kennt­nis­rei­che Pu­bli­kum im gut be­setz­ten Ku­fa­saal – Foto: Ro­land Gröber

Die Wag­ner-Fans aus Bam­berg ste­cken tief im Stoff 
Auf den Witz im Par­si­fal an­ge­spro­chen, kon­ter­te der Re­gis­seur prompt mit ei­nem Bei­spiel. Als der Grals­rit­ter­ge­nos­se Ga­wan sich un­ab­ge­mel­det auf die Su­che nach Heil­kräu­tern be­gibt, rügt Am­for­tas ihn mit den Wor­ten „Ohn’ Ur­laub? Möge das er süh­nen“. An den Fra­gen aus den Rei­hen der Wag­ne­ria­ner merkt man üb­ri­gens, dass die­se Spe­zi­es ein sehr kennt­nis­rei­ches Völk­chen ist. Ins­ge­samt eine recht auf­schluss­rei­che Matinee.

Erst­ver­öf­fent­li­chung auf www​.fraen​ki​scher​tag​.de so­wie in der FT-Druck­aus­ga­be vom 10. Juli 2024

Ul­ri­ke Mül­ler und Nick-Mar­tin Ster­nitz­ke beim Bam­berg-Sight­see­ing in der Neu­en Residenz
RWV-Schrift­füh­rer Ro­land Grö­ber (links) mit Jay Scheib im Dom – Foto: Ul­ri­ke Müller