Nochmal im Barockhimmel

Mein Bei­trag zur Opern­welt-Jah­res­um­fra­ge, die für das Co­ro­na-Jahr 2020 et­was an­ders aus­ge­fal­len ist als sonst.

„Da­mit ein Er­eig­nis Grö­ße habe“, schrieb Fried­rich Nietz­sche über Ri­chard Wag­ner in Bay­reuth, „muss zwei­er­lei zu­sam­men­kom­men: der gro­ße Sinn de­rer, die es voll­brin­gen, und der gro­ße Sinn de­rer, die es er­le­ben.“ Das Ver­blüf­fen­de an die­sem Satz ist, dass er sich nicht nur auf die ers­ten Fest­spie­le 1876 be­zie­hen lässt. Son­dern auch – und zwar aus­ge­rech­net im Co­ro­na-Som­mer 2020, wo erst­mals seit sieb­zig Jah­ren die Wag­ner-Fest­spie­le aus­fal­len muss­ten – auf eine wei­te­re Fest­spiel­grün­dung in der Fest­spiel­stadt. Was der Sän­ger, Re­gis­seur und In­ten­dant Max Ema­nu­el Cen­čić so­wie sei­ne Mit­strei­ter im künst­le­ri­schen, or­ga­ni­sa­to­ri­schen und Geld ge­ben­den Be­reich ge­leis­tet ha­ben, um Bay­reuth Ba­ro­que zu rea­li­sie­ren, kann gar nicht hoch ge­nug ge­rühmt wer­den. Denn un­ter ex­trem schwie­ri­gen Be­din­gun­gen ist ein Fes­ti­val ent­stan­den, das dem 1748 er­öff­ne­ten Mark­gräf­li­chen Opern­haus end­lich ge­nau das gibt, was dem jetzt vor­bild­lich re­stau­rier­ten ba­ro­cken Welt­kul­tur­er­be-Bau schon lan­ge ge­fehlt hat: ein äs­the­tisch, in­halt­lich und künst­le­risch über­zeu­gen­des Ver­an­stal­tungs­for­mat, bei dem das aus denk­mal­pfle­ge­ri­schen Grün­den fast nur noch mu­se­al ge­nutz­te Thea­ter mit bril­lan­ten Kon­zer­ten und span­nen­den Opern­aus­gra­bun­gen au­then­tisch be­lebt wird. An­stel­le von 450 Zu­schau­ern wa­ren beim De­büt zwar nur je­weils 200 zu­ge­las­sen, aber die fei­er­ten die lu­xu­ri­ös be­setz­ten Kon­zert-,  Ari­en- und Opern­aben­de fast ge­nau­so laut­stark, als wäre das Haus prop­pen­voll. Was mit Si­cher­heit nicht nur dar­an lag, dass das Pu­bli­kum nach dem ers­ten Lock­down ein­fach dank­bar war, wie­der Mu­sik, Ge­sang und Oper ganz real in ei­nem da­für ge­mach­ten Raum er­le­ben zu dür­fen. Ich wer­de nie ver­ges­sen, was sich bei mir schon in den ers­ten Sze­nen des pfif­fig im Kuba der 1920er-Jah­re in­sze­nier­ten Fa­mi­li­en­dra­mas „Car­lo il cal­vo“ von Ni­co­la An­to­nio Por­poras ein­stell­te: Wenn So­lis­ten von Welt­rang wie Fran­co Fa­gio­li, Ju­lia Lezhne­va und Bru­no de Sá hör­bar und sicht­lich Spaß ha­ben, eine ewig nicht mehr auf­ge­führ­te Oper mit neu­em Büh­nen­le­ben zu fül­len, dann geht ei­nem in die­sem höl­zer­nen Lo­gen­thea­ter, das den Klang der In­stru­men­te und kost­ba­ren Stim­men op­ti­mal auf­nimmt und wei­ter­trägt, ein­fach das Herz auf. Dass die Kar­ten­prei­se sich in der zwei­ten Co­ro­na-Sai­son mehr als ver­dop­pelt ha­ben, ist nach­voll­zieh­bar. Dass das Ba­rock­fest haut­nah auf die Wag­ner­fest­spie­le folgt und der oh­ne­hin er­schöpf­ten Ho­tel­le­rie und Gas­tro­no­mie kei­ne Pau­se gönnt, soll­te kor­ri­giert wer­den. Im­mer­hin ha­ben auch die heu­ti­gen Stadt­vä­ter und Spon­so­ren, wie da­mals vor fast 150 Jah­ren, er­kannt, dass Kul­tur ein wich­ti­ger Stand­ort-Fak­tor ist. Ob Bay­reuth Ba­ro­que da­mit je­ner Kunst zu­zu­ord­nen wäre, die Wag­ner ver­warf, weil „ihr wirk­li­ches We­sen die In­dus­trie, ihr mo­ra­li­scher Zweck der Geld­erwerb, ihr äs­the­ti­sches Vor­ge­ben die Un­ter­hal­tung der Ge­lang­weil­ten“ ist, kann je­der selbst ent­schei­den. Ich je­den­falls las­se mich auch künf­tig gern von Max Ema­nu­el Cen­čić und sei­nem Ba­rock­fes­ti­val beglücken.

Mei­ne Kor­rek­tur des al­ler­letz­ten Sat­zes wur­de lei­der über­se­hen, sie sei ger­ne nach­ge­reicht: Ich je­den­falls las­se mich auch künf­tig gern in die­sem Ba­rock­him­mel be­glü­cken – und zwar live, vor Ort, denn kei­ne Auf­zeich­nung kann den rea­len Zau­ber wiedergeben.

Ei­nen dem­zu­fol­ge un­zu­rei­chen­den, aber ge­wiss auch so schon schlicht­weg um­wer­fen­den Ein­druck gibt das Vi­deo des gro­ßen Lie­bes­du­etts mit Ju­lia Lezhne­va (Gil­dippe) und Fran­co Fa­gio­li (Adal­gi­so) in der vier­ten Sze­ne des 3. Akts von Por­poras „Car­lo il cal­vo“. Sieb­zehn un­glaub­li­che mu­si­ka­li­sche Minuten …

Die fast vier­stün­di­ge Ge­samt­auf­nah­me gibt’s auf BR-Klas­sik.

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