Zum Wagnerkonzert in Bamberg vom 30. Mai hat auch unser Mitglied Andreas H. Hölscher, der regelmäßig für die Musikplattform O-Ton schreibt, eine Kritik verfasst.
Nach dem großartigen Erfolg des Konzertes Die Welt mit Wagner, in dem Kompositionen von Wagner, Mahler, Debussy und Strauss mit Texten und Videos in einer experimentellen Aufführung für alle Sinne dargebracht wurden, darf man auf den zweiten Teil der „Wagner-Trilogie“ in Bamberg gespannt sein. Auf dem Programm steht Der Ring ohne Worte, eine Art symphonische Dichtung der wichtigsten Leitmotive und Szenen aus Wagners Ring, in der Fassung des amerikanischen Dirigenten Lorin Maazel von 1987, in der Originalfassung in einer Länge von 70 Minuten. Maazel kam 1960 im Alter von 30 Jahren nach Bayreuth, um dort als erster Amerikaner den Lohengrin im Festspielhaus zu dirigieren. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Wieland Wagner beeinflusste ihn stark. Während einer Probe sagte Wagner zu Maazel: „Das Orchester – da findet alles statt – der Text hinter dem Text, das universale Unterbewusstsein, das Wagners Figuren aneinander bindet und an das Proto-Ego der Legende …“. Wieland Wagner war davon überzeugt, dass das Wagnersche Orchester die „ultimative Quelle“ sei. Maazel beschäftigte sich mehrere Jahre mit diesem Konzept, um es dann bei seinem ersten Ring-Dirigat 1965 an der Deutschen Oper Berlin umzusetzen. Erst jetzt lernte er die Tiefgründigkeit von Wieland Wagners Ansichten angemessen zu schätzen und verstand, dass „seine Orchestermusik der Ring selbst ist, verschlüsselt in Klängen. Entschlüsselt man ihn, so wird er zur Geschichte, wird Legende, Lied, Philosophie in unzähligen kosmischen Obertönen und menschlichen Untertönen.“ Als die Telarc ihn 1987 bat, ein orchestrales Destillat oder eine sinfonische Synthese des Rings von etwa 75 Minuten zu kompilieren, um die Magie dieser monumentalen Musikdramen einer neuen musikalisch sensiblen Zuhörerschaft nahezubringen, reagierte Maazel aufgeschlossen, denn da hatte er sich Wieland Wagners Ansichten über die orchestrale Bedeutung des Rings zutiefst zu eigen gemacht. Maazels Synthese ist frei fließend und ohne Unterbrechungen! Sie ist chronologisch, beginnend mit dem ersten Ton vom Rheingold und endend mit dem letzten Akkord der Götterdämmerung, wobei die meisten Motive des Rings in der einen oder anderen Form auftauchen.
Dabei stammt jeder Ton von Wagner selbst; es wurden keine verbindenden Passagen hinzugefügt und nichts wurde umkomponiert. Der Ring ohne Worte ist eine sinfonische Dichtung, ein orchestrales Destillat von exakt 70 Minuten aus einer Tetralogie, die aufgeführt in etwa 16 Stunden dauert. Richard Wagner selbst hatte im Winter 1862/1863 bei einer Konzertreise nach Wien einige Orchesterauszüge aus seinem Ring dirigiert, der natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig war, die Uraufführung war 1876 in Bayreuth. Wer die legendäre Aufnahme des Ring ohne Worte aus dem Jahre 1987 mit den Berliner Philharmonikern unter Lorin Maazel gehört hat oder sogar die DVD-Aufzeichnung aus der Berliner Philharmonie vom Oktober 2000 sein eigen nennen darf, der hat eine Vorstellung von den großen Spannungsbögen, die Maazel immer wieder aufbaut, und kennt die Emotionen, die diese Aufnahme auslösen. Das ist Wagner pur, vielleicht sogar eine der größten Verbeugungen vor dem Komponisten.
In Bamberg hat man sich für den experimentellen zweiten Teil der Wagner-Trilogie dazu entschieden, von der Vorgabe Maazels abzuweichen und den Ring ohne Worte mit gelesenen Texten zu versehen. Insgesamt 17 Texte von ganz unterschiedlichen Autoren werden rezitiert, die alle einen Bezug zu Wagner oder dem Ring haben. Die Texte hat wieder Alex Ross zusammengestellt, der auch eine Einführung zu diesem Konzert gegeben hat, und dabei unter anderem aus Thomas Manns Novelle Wälsungenblut rezitierte, die dann später auch im Konzert nochmal zu hören ist. Die während des Ring ohne Worte zu Gehör gebrachten Texte stammen teils von Wagner selbst, aber auch von Schriftstellern wie Friedrich Nietzsche, George Bernard Shaw, T.S. Eliot, James Joyce und dem Politiker Walther Rathenau. Der renommierte Theaterschauspieler Jens Harzer, aktueller Träger des Iffland-Rings und damit Nachfolger und Erbe von Bruno Ganz, trägt die, manchmal nur wenige Sätze umfassenden Texte mit großer Eindringlichkeit, aber ohne Pathos und mit sehr viel Feingefühl für die Untertöne vor. Die Rezitationen an sich sind ein Erlebnis per se. Und die Bamberger Symphoniker unter der Leitung von Jakub Hrůša spielen das Ring-Destillat mit großer Leidenschaft. Die Musiker zeigen an diesem Abend wieder ihre Kompetenz in Sachen Wagner, von ganz wenigen Unsauberkeiten bei den Bläsern einmal abgesehen. Hrůša zieht alle Register, wechselt die Tempi, wenn nötig, geht ins feinste Piano oder schlägt ins stürmische Forte beim Ritt der Walküren oder bei Siegfrieds Rheinfahrt. Der Trauermarsch ist der emotionalste Moment des gesamten Ring-Destillats, der durch die Dichte des Geschehens noch intensiver nachwirkt, voller Spannung und Trauer, ohne jedoch in ein übersteigertes Pathos zu verfallen. Das Orchester folgt seinem präzisen Schlag, seinen Tempi-Wechsel und seinen Betonungen.
Im Finale erfolgt der letzte musikalische Höhepunkt. Als der Weltenbrand durch den über die Ufer tretenden Rhein gelöscht wird, bevor die Musik sich beruhigt und die Hoffnung auf eine neue Weltenordnung entstehen kann, macht Maazel in seiner Einspielung von 1987 eine winzige Pause von gut zwei Sekunden. Er nutzt diese Fermate, um Atem zu schöpfen, um den Effekt des Wandels von der Zerstörung zur Erneuerung aufzuzeigen. Der Übergang zur beruhigten Orchestermusik, mit der von Nike Wagner bezeichneten „Melodie der Lebensrettung“ steht symbolisch für die Erlösung, aber auch für die Vollendung des Gesamtkunstwerkes. Hrůša löst den Schluss anders und verzichtet auf die Fermate. Das ist schade, denn der Spannungsbogen kann so nicht gehalten werden. Und das ist an diesem Abend das Hauptproblem. Durch die Unterbrechungen für die Textzitate geht immer etwas an Spannung und musikalischer Dichte verloren. Das Konzept von Maazel passt einfach nicht zu dieser Aufführungspraxis. Sinnvoller wäre es gewesen, vor dem eigentlichen Konzert eine Dichterlesung zu machen, und dann den Ring wirklich ohne Worte zu spielen. Oder man wählt einige Szenen aus dem Ring, die in sich abgeschlossen sind, und rezitiert die Texte dann zwischen den Szenen. Aber diese sinfonische Dichtung heißt nicht umsonst Ring ohne Worte. Damit ist nicht nur gemeint, dass kein Gesang zu hören ist, auch das Rezitieren von Texten ist nicht vorgesehen, da das Stück als eine Einheit konzipiert ist. So bleibt ein etwas fader Nachgeschmack, dass der Ring ohne Worte dem Willen zur Innovation und experimenteller Aufführung zum Opfer fällt. Beide Elemente, die Musik und die Lesungen von Jens Harzer waren für sich genommen wunderbar, aber es passt nicht zusammen. Die meisten Zuschauer im diesmal sehr gut gefüllten Joseph-Keilberth-Saal stört das aber nicht, oder sie kennen die Originalversion nicht. Es gibt wie schon beim ersten Konzert Jubel und Ovationen für Jakub Hrůša und seine Bamberger Symphoniker, und auch Jens Harzer darf für seine ausdrucksvolle Lesung den verdienten Applaus entgegennehmen.
Am kommenden Samstag steht dann der Stummfilmklassiker Die Nibelungen: „Siegfried“ von Fritz Lang aus dem Jahre 1924 auf dem Programm, die Filmmusik dazu wird von den Bamberger Symphonikern live gespielt.
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