Minna-Briefe-Kalender (10)

Ri­chard Wag­ner aus Mag­de­burg an Min­na Pla­ner, zeit­wei­lig in Ber­lin, Brief vom 7. No­vem­ber 1835.

Mei­ne süs­se Braut,
Ich habe mir nun ein­mal vor­ge­nom­men, Dir nicht mehr zu zür­nen; – sonst – wel­ches Recht hät­te ich dazu nach man­chen Punk­ten Dei­nes gest­ri­gen Brie­fes? – Vor Al­lem nur da­von: – Du schreibst: – „Ich kann nicht wie­der nach Magd: – münd­lich will ich Dir sa­gen, war­um?“ – Dar­aus geht klar her­vor, daß es schon hier Dein fes­ter Vor­satz war, nicht wie­der zu­rück­zu­keh­ren, u. daß Du noch and­re Grün­de dazu hast, die Du mir noch nicht ver­traut, u. die Dich auch wahr­schein­lich nur be­stimmt, die­se Rol­len­ka­ba­le[1], die sich bald aus­ge­gli­chen ha­ben wür­de, zum Vor­wand zu neh­men. Welch’ ein Ver­bre­chen hast Du so­mit ge­gen mich be­gan­gen? Je­den­falls hast Du mich hin­ter­gan­gen u. ge­täuscht! Als ich erst Diens­tag Mit­tag durch ei­nen Zu­fall er­fuhr, daß Du ei­nen völ­li­gen Bruch mit der Di­rek­ti­on vor­hät­test, hat­test Du schon Al­les be­schlos­sen, ohne mich, Dei­nen Bräu­ti­gam, zu Ra­the zu zie­hen; – als ich nun jetzt, lei­der zu spät, von dem fürch­ter­lichs­ten Schmerz ge­trie­ben, in Dich drang, mir zu ge­ste­hen, wie al­les stün­de, was Dei­ne Ab­sicht ist, wel­ches Dei­ne Grün­de sei­en, – ant­wor­te­test Du mir mit nichts, als mit ei­nem ver­le­ge­nen Lä­cheln! – O, es ist ab­scheu­lich! – Du hast also noch an­de­re Grün­de? Du willst mir sie münd­lich mitt­hei­len? – Wie Du das an­fan­gen willst, ver­ste­he ich nicht, wenn Du auf Dei­nem Sin­ne be­harrst! – Ich for­de­re sie also hier­mit mit al­ler Stren­ge schrift­lich von Dir. Auch die­se Grün­de müs­sen zu be­sei­ti­gen sein, wenn es gilt, uns schnell zu vereinigen. –
Du schreibst, Dein Blei­ben in Ber­lin kön­ne nach Dei­ner Mei­nung uns­re Ver­bin­dung doch am Ende be­schleu­ni­gen. – Min­na, willst Du Dich täu­schen, oder täu­schest Du Dich wirk­lich? Für’s ers­te wer­den Dir mei­ne letz­ten Brie­fe schon klar be­wie­sen ha­ben, daß Du mit Dei­nem gänz­li­chen Au­ßen­blei­ben, – nach al­le­dem, was ich Dir in je­nen Brie­fen ge­bo­ten habe, – mir die völ­li­ge Un­wahr­heit Dei­ner Lie­be be­ur­kun­den wür­dest; – für’s zwei­te: wel­che Be­schleu­ni­gung wür­de da­durch mög­lich? Ich be­grei­fe Dich nicht. Ber­lin ist nicht der Ort für uns, denn für mich ist jetzt nichts dort zu hof­fen; ich be­grei­fe nicht, wel­che Stel­le ich dort ein­neh­men soll­te? Ich kann mir noch gar nicht den­ken, wel­ches Ziel Du Dir über­haupt mit Ber­lin ge­steckt, u. wel­chen Aus­weg Du so für uns­re Ver­bin­dung fin­den willst. – Thei­le mir doch Dei­ne An­sicht dar­über mit, – denn ich möch­te nur we­nigs­tens wis­sen, ob Du denn über­haupt mit dem Ber­li­ner En­ga­ge­ment noch ei­nen Ge­dan­ken an uns­re Hei­rath verbindest!
Du schreibst, – auch Du wür­dest ohne mich nicht le­ben kön­nen; – Du hät­test mir ja Dein Le­ben ge­ge­ben, wenn ich es ge­wollt, – aber was Dei­ne Ehre be­tref­fe u.s.w. Mein Kind, wie stimmt denn dies zu­sam­men? Du kannst nicht ohne mich le­ben, u. fliehst mich auf das Un­ge­wis­se hin? – Dein Le­ben willst Du mir op­fern, aber nicht Dei­ne thea­tra­li­sche CAR­RI­È­RE, die ich mit Fü­ßen tre­te, ehe sie uns tren­nen soll­te. Ich schwö­re Dir, Min­na, ich ach­te Dei­nes Büh­nen­le­bens nicht im Ge­rings­ten, u. ehe ich ihm uns­re Lie­be auf­op­fe­re, neh­me ich Dich lie­ber auf der Stel­le ganz vom Thea­ter, hei­ra­the Dich auf dem Fleck mit 600 Tha­ler Ge­halt, dem ich jetzt noch auf ei­ni­ge Jah­re 200 Tha­ler zu­schie­ßen kann, und will mir lie­ber ne­ben­bei durch Ar­bei­ten al­ler Art so viel ver­die­nen, daß ich mich al­lein auf 1000 Tha­ler ste­he; das Ueb­ri­ge wird Gott ge­ben, ich will Dich lie­ber im Schwei­ße mei­nes An­ge­sich­tes selbst er­näh­ren, ehe ich Dich um die­ser nichts­wür­di­gen Thea­ter­wirt­schaft von mir las­se. – Dieß sei Dir ge­schwo­ren. Du schreibst: – wenn ich Dich ver­lie­ße, hät­te ich Dein Schick­sal auf mei­nem Ge­wis­sen; – u. ich sage Dir, – wohl­an, lege Dein Schick­sal ganz in mei­ne Hän­den u. ich will es treu auf mein Ge­wis­sen neh­men. – Du schreibst: Blei­be Du mir nur gut u. treu, was küm­mert mich al­les and­re? – O, küm­mert Dich nicht al­les and­re mehr als ich, wür­dest Du mich sonst um sol­cher Nich­tig­kei­ten wil­len verlassen?
Sieh, lie­be Braut, so könn­te ich Dir Dein gan­zes Sin­nen u. Han­deln als wi­der­sin­nig u. grund­los darthun, – aber Du ach­test hier­bei selbst die Stim­me der Ver­nunft nicht! – O er­kenn­test Du jetzt die rast­lo­se Kraft u. Aus­dau­er mei­ner Lie­be, das Eis müß­te Dir schmel­zen, Du müß­test Dich un­be­dingt in mei­ne Arme wer­fen! – Ich wer­de jetzt ge­gen die Mut­ter[2] ganz of­fen u. frei, u. sie scheint es selbst zu füh­len, wie un­mög­lich es sei, daß ich eine Tren­nung von Dir er­trü­ge! – Oeff­ne Dein Herz, Min­na; – u. wenn nicht, so will ich Dich zwin­gen[3]; – bei Gott, ich kom­me nach Ber­lin, u. rei­ße Dich mit Ge­walt fort; u. soll­te sie Dich schmer­zen, so sage daß Du mich nicht mehr liebst, um mir selbst den To­des­stoß zu ge­ben! – – Mäd­chen, Mäd­chen, – so ward noch kei­ne ge­liebt, wie Du! Ich be­wei­se sie Dir jetzt durch mei­ne rast­lo­sen, kräf­ti­gen An­er­bie­ten für uns­re Ver­bin­dung; – ver­schmähst Du sie, so sollst Du die Ge­walt mei­ner Lie­be noch an­ders er­fah­ren.[4]
Dieß schwört
Dein
Richard.

[1] Ach, nur der üb­li­che Zi­cken­krieg un­ter kon­kur­rie­ren­den Schau­spie­lerin­nern? Gab es nicht auch zu­hauf und auf al­len Ebe­nen der Thea­ter­hier­ar­chie über­grif­fi­ge Män­ner? Ganz ab­ge­se­hen da­von war sei­ne Ei­fer­sucht nicht un­be­grün­det. Für Min­na gab es de­fi­ni­tiv auch an­de­re und  aus­sichts­rei­cher er­schei­nen­de Heiratskandidaten.
[2] Pla­ner, Jo­han­na Chris­tia­na (1780–1856), Min­nas Mut­ter, leb­te zu die­ser Zeit in Magdeburg.
[3] Das wäre zu­min­dest eine Früh­form von Stalking.
[4] In Bay­ern könn­te Wag­ner ak­tu­ell für die wie­der­hol­te An­dro­hung ei­ner Straf­tat be­reits ohne rich­ter­li­chen Be­schluss wo­chen­lang im Ge­fäng­nis landen.

Quel­len: Di­gi­ta­le Bi­blio­thek Band 107: Ri­chard Wag­ner: Wer­ke, Schrif­ten und Brie­fe; Ri­chard Wag­ner: Sämt­li­che Brie­fe, Bd. 1.

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