Richard Wagner aus Magdeburg an Theodor Apel in Leipzig, Brief vom 25. November 1835.
Herzlichen Dank, lieber Theodor, – u. dies weniger für die Sache selbst, als für die Art, mit der Du kurz u. zart solche Dinge abmachst, u. dann übergehst.
Aber, was zum Teufel, hast Du denn mit Deinen ewigen Krankheiten?[1] Ich behaupte, Du verbrauchst Deine Kräfte zu wenig. Krankheiten bleiben mir so ziemlich vom Halse, wenngleich es in meinem Innern recht oft nach einer Krankenstube roch. Du hättest mich die 14 Tage über sehen sollen, die Minna von mir entfernt war; – Du großer Gott, was hat mich das Mädchen, ohne daß sie es wirklich darauf abgelegt hat, gefesselt! Sie ist meinetwillen wieder zurückgekommen, trotzdem, daß ihr in Berlin ein brillantes Engagement angeboten wurde. Was meinst Du dazu? Mein Schwager Wolfram[2] war gleichzeitig mit ihr in Berlin, wohnte mit ihr in einem Gasthaus u. war ihr stündlicher Begleiter u. Beschützer; u. er, der durch meine Familie Anfangs schrecklich gegen sie eingenommen war, ist so von ihrer Liebe zu mir u. durch ihr musterhaftes Betragen umgewandelt worden, daß er mir schreibt: „bleibe ihr treu, – wenn es eine verdient, so verdient sie es!“ Sie hat Sensation in Berlin gemacht, mehr als 4 Parthien, die sich ihr augenblicklich darboten hat sie ausgeschlagen. O Teufel, das rührt einen! – Komm’ doch bald einmal zu uns, – Du triffst jetzt hier eine Oper zusammen, wie Du sie gewiß bald nicht besser antreffen wirst. Es ist eine wahre Freude! – Drei Sängerinnen zum Küssen: Mad. Pollert von Petersburg, ein junges, geistreiches Weib mit großen Augen, – eine himmlische Stimme, vollkommene Sängerin u. geniale Künstlerin; – die Fr. Limbach, 18 Jahre alt, – wunderschön, jundlich[3] volle Stimme; die Amalie Planer, mit einem pompösen Alt, einem prächtigen Vortrag – sie macht als Romeo ungeheures Furore. – Zwei Tenöre: Freymüller, der Abgott unseres Publikums, Stimme, Vortrag u. dramatisches Leben; – 2te: Schreiber, ein junges, wunderhübsches Kerlchen von 20 Jahren, mit einer schmelzenden hohen Tenorstimme. – Als Bassist ist Krug da, der früher in Leipzig war, u. sich jetzt erstaunlich vervollkommnet hat.[4] – Nun ich sage Dir, es ist eine wahre Pracht, u. wenn mein Entschluß nicht schon zu fest stünde, meine Oper zuerst in Berlin an der Königstadt[5] aufzuführen, so thät’ ich es gewiß hier, denn ich könnte sie hier vortrefflich besetzen.
Bringe mir Deine neuen Arbeiten mit, ich bin wirklich sehr gespannt auf ein Lustspiel u. einen Roman von Dir. – Ich bin jetzt über alle Begriffe fleißig, u. habe eigentlich nur noch 3 große Nummern an der Oper zu arbeiten. Ende Januar ist sie zur Aufführung bereit. – – Gieb mir bald etwas, schreibe, – wir wollen drüber einen Krawall machen. Laube[6] hat 2 neue Bücher geschrieben; unter anderen eine Novelle, – die Schauspielerin; – ich liebe Laube ganz unendlich, er ist ein Mensch, wie man ihn jetzt selten findet, – er hat Geist u. Herz; er ist ein liebenswürdiger Mann.
Wünsche gute Besserung, mein Alter; – rede ein wenig von mir, u. behalte mich lieb.
Dein
Richard.
[1] Tatsächlich sollte sich Apel ein halbes Jahr später bei einem Reitunfall eine schwere Gehirnerschütterung holen, an deren Folgen er erblindete. Der Briefwechsel mit Wagner brach deshalb ab. Nur noch einmal, im Herbst 1840 bat ihn Wagner aus Paris um finanzielle Unterstützung, im April 1842 begegneten sie sich zum letzten Mal.
[2] Wolfram, Heinrich (1800–1874), Sänger und Ehemann von Wagners Schwester Clara, der nach einem Zerwürfnis mit Theaterdirektor Bethmann gleichzeitig mit Minna Planer zu Gastspielen an das Königstädter Theater in Berlin ging. In einem Brief an seine in Magdeburg gebliebene Frau Clara hatte er sich zunächst negativ über Minnas Verhalten in Berlin geäußert. Daraufhin bat Wagner nach eigenen Schilderungen Wolfram in einem nicht nachweisbaren Brief um nähere Auskunft. Über die Antwort schreibt Wagner in seiner Autobiographie: „Er bekannte, Minna leichtsinnig angeklagt zu haben, bereute, auf müßiges Geschwätz, welches sich nach genauester Erkundigung als völlig grundlos erwiesen, eine Verleumdung begründet zu haben, und erklärte, nach näherer Bekanntschaft und Unterredung mit Minna sich von der Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit ihres Charakters auf das befriedigendste überzeugt zu haben, so daß er zu meiner möglichen Vereinigung mit dem braven Mädchen mir aus ganzem Herzen Glück wünsche.“
[3] Richtig: jugendlich
[4] Man beachte vor allem das Alter dieser Solisten: Die Älteren waren die Sopranistin Caroline Dressler-Pollert (*1810), der Tenor Ignaz Freymüller (*1810), die Altistin Amalie Planer (*1811) und der Bassist Heinrich Krug (*1812), der jugendliche Sopran Limbach war gerade mal 18 und der hohe Tenor Schreiber 20 Jahre alt. Heutzutage befänden sie sich alle noch in der Ausbildung, würden aber vielleicht auch besser singen.
[5] Das Königstädter Theater am Berliner Alexanderplatz war ein privat geführtes und finanziertes Volkstheater im Gegensatz zu den Hofbühnen der Stadt. Es wurde nach dem Vorbild der Pariser Boulevardtheater und der Wiener Vorstadttheater von Carl Theodor Ottmer erbaut und am 4. August 1824 von Karl Friedrich Cerf eröffnet, der es bis zu seinem Tod 1845 führte.
[6] Damals erschienen Heinrich Laubes Aufsätze „Moderne Charakteristiken“ in zwei Bänden sowie die Novelle „Die Schauspielerin“; erstere zählen zu den wichtigsten kritischen Beiträgen des „Jungen Deutschland“.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; Forschungsinstitut für Musiktheater Thurnau: Das Wagner-Lexikon, 2012; https://de.wikipedia.org/
Ähnliche Beiträge
- Minna-Briefe-Kalender (5) 5. Dezember 2022
- Minna-Briefe-Kalender (8) 8. Dezember 2022
- Minna-Briefe-Kalender (3) 3. Dezember 2022
- Minna-Briefe-Kalender (6) 6. Dezember 2022
- Minna-Briefe-Kalender (15) 15. Dezember 2022