Minna-Briefe-Kalender (5)

Noch­mals Ri­chard Wag­ner an Theo­dor Apel, ge­schrie­ben am 26. und 27. Ok­to­ber 1835 in Mag­de­burg, ge­sen­det nach Leipzig.

Du wirst Dich wol wun­dern, daß Du noch kei­ne Ant­wort auf Dei­ne bei­den letz­ten Brie­fe von mir er­hal­ten; – ich hat­te Dir schon au­gen­blick­lich eine ge­schrie­ben, mit ei­ner Ein­la­ge von F. Men­dels­ohn-Bar­thol­dy,[1] und hat­te mir schon Wachs-Lein­wand be­stellt, um ihm durch Dich eine Mas­se Com­po­si­tio­nen von mir zu­zu­schi­cken; – den schon ver­sie­gel­ten Brief sollst Du be­kom­men, wenn Du ein­mal hier bist. – Ich bin ganz and­rer Mei­nung ge­wor­den, u. habe Dir nichts ge­schickt, denn ich neh­me für jetzt gänz­lich Ab­schied von dem Con­zert­saal. Das könn­te mir auch noch feh­len, Dei­nem Ra­the zu fol­gen, u. eine schön­ge­ar­bei­te­te Ou­ver­tü­re nach Leip­zig schi­cken; ich mag kein An­hang sein; u. Dein Rüh­men von Men­dels­ohn bringt mich voll­ends ganz da­von ab. Adieu, Du ge­die­ge­ne Herr­lich­keit, ich gebe mich den Flit­tern der Büh­ne hin; ich bin jetzt nur noch Opern­kom­po­nist, u. nur auf mei­ne Oper[2], an der ich jetzt wie­der flei­ßig ar­bei­te, wer­fe ich mich mit Leib, See­le u. Hoff­nung. – Ich habe jetzt mei­ne gan­ze Lust an der Pra­xis, – sie hat mir in der kur­zen Zeit, daß ich wie­der hier bin, schon man­chen schö­nen Lohn ge­bracht. Die hie­si­ge Oper ist jetzt ganz mein Werk, u. ich habe jetzt durch ei­nen glück­li­chen Blick ein paar jun­ge Ta­len­te an das Licht ge­zo­gen, die noch ein­mal der Thea­ter­welt et­was er­zäh­len sol­len. Wer hat­te an Minna’s Schwes­ter[3] ge­dacht, die in Braun­schweig ganz un­be­deu­tend da­stand? Ich en­ga­gi­re das Mäd­chen mit ih­rer schö­nen Alt-Stim­me, u. habe ihr jetzt den Ro­meo[4] ein­stu­dirt; – eine sol­che Sen­sa­ti­on, wie sie, hat wol noch sel­ten eine An­fän­ge­rin ge­macht; – die Leu­te wa­ren wie ra­send; die Oper muß­te gleich bei ei­nem bre­chend vol­len Hau­se wie­der­holt wer­den, u. der Lär­men war ähn­lich wie bei der De­vri­ent[5]; – ei­nen klei­nen Ten­oris­ten Schrei­ber[6] habe ich eben­falls so her­aus­ge­sucht u. bil­de ihn zum größ­ten Dank des Pu­bli­kums aus. Das macht Freu­de! Und das al­les ist mein Werk! – Höre Du, ich wer­de jetzt als Di­ri­gent auch stolz. Mei­ne Opern ge­hen prompt u. exact; wir stud­iren neue Opern – Jes­son­da[7] (für hier ganz neu!) - Nor­ma[8], Le­s­tocq[9], al­les soll jetzt frisch hin­ter ein­an­der weg­ge­hen. Dazu kommt jetzt uns­re bei­spiel­lo­se Ord­nung im Ge­schäft; – die Ga­gen wer­den auf dem Punkt rich­tig ge­zahlt; – al­les ist gut, – gut! Und ich bin un­um­schränk­ter Herr­scher über die Oper, das macht mir auch Freu­de! Viel­leicht lief’re ich et­was ähn­li­ches, wie Men­dels­ohn, – aber ich bin nur in Mag­de­burg, er in Leip­zig, – das ist der Un­ter­schied. – Nun es soll schon wei­ter­gehn! – Ich füh­le fri­sche Spann­kraft in mir! – Ich rei­ße mich gar nicht um Leip­zig, – ich ste­he jetzt im Be­griff, mir et­was ganz an­de­res zu er­öff­nen, – nähm­lich Ber­lin, wo ich mein Lie­bes­ver­bot zu­erst auf­zu­füh­ren ge­den­ke;[10] – ein an­der­mal mehr da­von; – Nur so­viel, ich seh­ne mich gar nicht nach euch u. Eu­rem Ruhm.

Den 27sten. Ich wur­de ges­tern un­ter­bro­chen. – Es ist merk­wür­dig; Du zielst in Dei­nen letz­ten Brie­fen eben­falls auf eine Re­stau­ra­ti­on für uns­re mo­der­nen Be­grif­fe hin; die mo­der­nen Zu­stän­de der Lie­be u.s.w. kon­ve­ni­ren Dir nicht mehr, u. ha­ben Dir viel­leicht nie kon­ve­nirt; mei­ne jet­zi­ge bür­ger­li­che Stel­lung drückt mich wol auch et­was her­ab, u. ich könn­te fast so schwach sein, mich man­chen ver­jähr­ten Be­grif­fen wie­der zu un­ter­wer­fen; al­lein mei­ne un­er­schüt­ter­li­che An­sicht über den jet­zi­gen Stand­punkt der Kunst, übt auch auf mei­ne bür­ger­li­chen An­sich­ten noch die er­re­gends­te Ge­walt aus. So mit mei­ner Mu­sik; – nun und nim­mer­mehr wer­de ich wie­der uns­rem Deutscht­hum hul­di­gen,[11] u. eure gan­ze Leip­zi­ger Klas­si­sche GLOIRE ist nicht im Stan­de, mich dar­auf zu­rück­zu­füh­ren. Wir ha­ben zu viel un­ge­sun­des Zeug in uns­ren Ma­gen ge­pfropft. Es schien mir recht pas­send zu sein, mich jetzt ein­mal wie­der mit ei­nem deut­schen Werk zu be­schäf­ti­gen; – ich stud­ire jetzt die Jes­son­da ein, u. wie stie­be ich wie­der vor je­dem Re­stau­ra­ti­ons-Ge­dan­ken ab! Die Oper er­füllt mich wie­der mit ei­nem voll­kom­me­nen Ekel; der wei­che Bel­li­ni ist ein wah­rer Her­cu­les ge­gen die­sen gro­ßen, lan­gen, ge­lehrt sen­ti­men­ta­len Spohr; – Es fiel mir letzt­hin ein­mal ein, eine Ou­ver­tü­re zu Ro­meo u. Ju­lia zu kom­po­niren; – ich über­leg­te mir die An­la­ge, u. soll­te man es glau­ben? – kam ganz von selbst auf die An­la­ge der Bellini’schen – so fa­den u. ab­ge­schmack­ten Ou­ver­tü­re zu­rück, mit sei­nem kampf­ähn­li­chen CRESCENDO. –
Die Haas[12] ist sehr krank, – sie soll schwan­ger sein, u. wird wol him­meln[13]. – Ma­che Dir über Min­na kei­ne zu gro­ßen Gril­len, – ich über­las­se Al­les dem Ge­schick. Sie liebt mich, u. ihre Lie­be ist mir jetzt viel werth; – sie ist jetzt mein Cen­tral­punkt, gie­bt mir Con­sis­tenz u. Wär­me; – ich kann ihr nicht ent­sa­gen. Ich weiß nur so­viel, lie­ber Theo­dor, daß Du das Süße ei­nes sol­chen Ver­hält­nis­ses noch gar nicht kennst; es ist nichts Ge­mei­nes, Un­wür­di­ges oder Er­schlaf­fen­des da­bei; un­ser Epi­kuräis­mus[14] ist rein u. kräf­tig; – nicht die er­bärm­li­chen Ne­ben­ver­hält­nis­se; – wir lie­ben uns, u. glau­ben uns, das Ueb­ri­ge über­las­sen wir dem Ge­schick; – das kennst Du nun nicht, u. so kann man auch nur mit ei­ner Schau­spie­le­rin le­ben; – die­se Hin­weg­set­zung über die Bür­ger­lich­keit, kann man nir­gends an­ders fin­den, als da, wo der gan­ze Bo­den fan­tas­ti­sche Will­kühr u. poë­ti­sche Li­zenz ist. – Ich habe eine net­te, freund­li­che Stu­be 3 Trep­pen hoch auf dem Brei­ten Weg, dem Bal­di­ni[15] gra­de ge­gen­über, – ei­nen tüch­ti­gen Flü­gel habe ich wohl­feil be­kom­men, u. so­mit wär’ Al­les gut, wenn ich nicht wirk­lich in ei­ner gräß­li­chen Be­schrän­kung le­ben müß­te; – ich mur­re gra­de nicht dar­über, – aber wenn ich be­den­ken soll­te, daß Al­les dieß nicht im Stan­de sein soll­te, mei­ne letz­te Ver­gan­gen­heit zu süh­nen, – so möch­te ich wüt­hen. Du kannst den­ken, wie spar­sam ich lebe, wenn ich jetzt mo­nat­lich 30 Tha­ler ab­zah­le; das ist nicht bit­ter; – u. höre ein­mal, da Du mir ein­mal eine Be­rech­nung auf Hel­ler u. Pfen­nig ge­macht hast, so lass’ mich nur ja auch nicht die­sen ers­ten sit­zen; – ich rech­ne stark dar­auf, so bin ich ban­kerott; – u. höre ein­mal, wenn es noch ein we­nig mehr wird, so wer­de ich Dir des­halb ge­wiß nicht gram, – kannst mir’s glau­ben! Nun, wir wol­len se­hen, was ab­fällt, – zu­viel kann’s nicht wer­den. Was ich jetzt für ein Le­ben füh­re, – nein! Die­se So­li­di­tät ist grän­zen­los, ich krie­che hier ein himm­li­sches Re­nom­mée: die Sa­che hat sei­nen Ha­cken, – aber wenn ich nur da­mit zu et­was kom­me, so ist mir’s schon recht. – Bin ich nicht recht zahm ge­wor­den, – u. ein gu­ter Di­ri­gent bin ich auch, – Sak­ker­ment, Du, – dar­auf bil­de ich mir jetzt et­was ein; – lass’ mich nur erst mit ei­ner Oper et­was be­kannt wer­den, dann soll mir’s nicht feh­len! – Nun, so schreib! u. nimm mir nichts übel, – Du weißt, ich bin ein Esel! Adieu! Adieu! Mein Theodor!
Dein
Richard.

[1] Men­dels­sohn Bar­thol­dy, Fe­lix (1809–1847), Kom­po­nist, Di­ri­gent und ab 1835 Ge­wand­haus­ka­pell­meis­ter in Leip­zig, dem Wag­ner in der Hoff­nung auf ent­spre­chen­de Auf­füh­run­gen et­li­che sei­ner frü­hen Kom­po­si­tio­nen zu­sand­te, dar­un­ter sei­ne Sym­pho­nie in C-Dur. Die hier er­wähn­te Ein­la­ge ist nicht mehr nach­weis­bar, sei­ne Aus­fäl­le in sei­ner spä­te­ren Schmäh­schrift „Das Ju­dent­hum in der Mu­sik“ von 1850 be­zie­hungs­wei­se 1869 auch und ge­ra­de ge­gen Men­dels­sohn Bar­thol­dy sind wi­der­lich und blei­ben unverzeihlich.
[2] Den Pro­sa­ent­wurf zu sei­ner zwei­ten Oper „Das Lie­bes­ver­bot“ hat­te Wag­ner im Juni 1834 auf­ge­zeich­net, als er mit Apel in Te­plitz war, das Text­buch be­gann er im Au­gust des­sel­ben Jah­res zu schrei­ben. Im Ja­nu­ar 1835 folg­ten Ar­bei­ten an der Or­ches­ter­skiz­ze, in­ner­halb ei­nes Jah­res war auch die Par­ti­tur fertig.
[3] Pla­ner, Ama­lie, spä­te­re von Meck, *1811, Schwes­ter von Min­na Pla­ner, Sän­ge­rin am Mag­de­bur­ger Thea­ter 1835/36 und von 1837 bis 39 am Ri­ga­er Theater.
[4] Haupt­rol­le in Vin­cen­zo Bel­li­nis „I Ca­pu­leti e i Montecchi“.
[5] Schrö­der-De­vri­ent, Wil­hel­mi­ne (1804–1860), die wohl be­deu­tends­te Sän­ger­dar­stel­le­rin des 19. Jahr­hun­derts, die für Wag­ner auch als Re­vo­lu­tio­nä­rin eine zen­tra­le In­spi­ra­ti­ons­quel­le war. Auf Ein­la­dung des jun­gen Mu­sik­di­rek­tors W. gas­tier­te sie am 2. Mai 1835 in Mag­de­burg (sie­he Abbildung).
[6] Schrei­ber, Vor­na­me un­be­kannt, 1835/36 zwei­ter Te­nor am Mag­de­bur­ger Thea­ter, spä­ter u.a. in Ber­lin und Schwe­rin, in Mag­de­burg zeit­wei­lig ver­lobt mit Ama­lie Planer.
[7] Oper von Lou­is Spohr.
[8] Oper von Vin­cen­zo Bellini.
[9] Oper von Da­ni­el-Fran­çois-Es­prit Auber.
[10] Die Be­mü­hun­gen Wag­ners um die Ur­auf­füh­rung sei­nes „Lie­bes­ver­bots“ in Ber­lin scheiterten.
[11] Wag­ner ver­trat zu die­sem Zeit­punkt den in Hein­rich Lau­bes Ro­man „Das jun­ge Eu­ro­pa“ ent­wi­ckel­ten Ge­dan­ken von ei­ner de­mo­kra­ti­schen eu­ro­päi­schen Uni­ver­sal­re­pu­blik und hat­te ver­sucht, das auch in sein „Lie­bes­ver­bot“ ein­flie­ßen zu las­sen, in­dem er Shake­speares Lust­spiel „Maß für Maß“ ent­spre­chend um­form­te und in sei­ner Mu­sik vor al­lem an fran­zö­si­sche und ita­lie­ni­sche Vor­bil­der wie Au­ber und Bel­li­ni anknüpfte.
[12] Haas, Mat­hil­de (1803–1837), Künst­ler­kol­le­gin von Min­na Pla­ner in Mag­de­burg im Rol­len­fach „An­stands­da­men und Mütter“.
[13] him­meln = zeit­ge­nös­si­sches Syn­onym für abtreiben.
[14] Hang zum Sinnesgenuss.
[15] Es han­delt sich mit­nich­ten um ein frü­hes ita­lie­ni­sches Re­stau­rant in Mag­de­burg: Bal­di­ni & Comp. be­sa­ßen im Haus Brei­ter Weg 165 eine Konditorei.

Quel­len: Di­gi­ta­le Bi­blio­thek Band 107: Ri­chard Wag­ner: Wer­ke, Schrif­ten und Brie­fe; Ri­chard Wag­ner: Sämt­li­che Brie­fe, Bd. 1, 1967; For­schungs­in­sti­tut für Mu­sik­thea­ter Thur­n­au: Das Wag­ner-Le­xi­kon, 2012; As­trid Eberlein/​Wolf Ho­bohm: Wie wird man ein Ge­nie? Ri­chard Wag­ner und Mag­de­burg, 2010; https://​de​.wi​ki​pe​dia​.org/

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