Richard Wagner an Minna Planer, geschrieben am 4. November 1835 in Magdeburg, gesendet nach Berlin, wo sich Minna zeitweilig aufhielt.
Warum Minna Planer sich im November 1835 zeitweilig in Berlin aufhalten sollte, ist schnell erklärt. Nach Differenzen mit Heinrich Bethmann – der Magdeburger Theaterchef hatte ihr mehrere Rollen, die ihrem Fach als erste Liebhaberin zustanden, verweigert und an eine Kollegin vergeben, die gleichzeitig Ehefrau des Hausregisseurs war – wurde die für die Saison fest angestellte Minna vertragsbrüchig und setzte sich kurzerhand zu einem Gastspiel nach Berlin ab. Der heftig verliebte und durchaus nicht gut informierte Wagner war außer sich:
Früh halb 9 Uhr.
Minna, mein Zustand ist nicht zu beschreiben, Du bist fort, und mir ist das Herz gebrochen; ich sitze hier da, meiner Sinne kaum mächtig u. weine u. schluchze wie ein Kind. Heiliger Gott, was soll ich anfangen; wie u. worin soll ich Trost u. Ruhe finden! – Als ich Dich fortfahren sah, da brachen alle Gefühle u. Empfindungen schmerzvoll in mir los; der Morgennebel, in dem ich Dich dahinrollen sah, zitterte in meinen Thränen; Minna, Minna, – es wollte mir auf einmal schrecklich gewiß werden, dieser Wagen entrisse Dich mir für immer u. ewig. O Mädchen, Du begehst eine furchtbare Sünde, wenn Du es gewiß machst. Ich hänge an Dir mit hunderttausend Ketten, u. so ist es mir, als ob Du mir diese um den Hals würfest u. mich damit erwürgtest. – Minna, Minna, was hast Du aus mir gemacht! – Ich sitze nun auf meiner Stube, die Gedanken schwirren mir umher; – eine Leere, die gräßlich ist, – nichts als Thränen, Jammer u. Elend. – Wie ist es Dir wol jetzt? – Eine große schöne Stadt, – – – – oh – ich kann nicht weiter! –
Und doch, ich muß fortfahren, mir ist das Herz zu voll; das, was mich eben so tief erschüttert u. mir am Mark meiner Seele nagt, ist, daß Du die Wichtigkeit des jetzigen Wendepunktes unsres Geschickes so arg verkennst. Minna, sieh, wir leben noch in einem so zarten Alter unsrer Liebe; eine Mücke, die unsre Liebeslaunen durchkreuzt, regt uns schon empfindlich auf. Es löst mir schon alle Grundtiefen meiner Seele, wenn ich einer nur 12tägigen Trennung entgegensehe, – und, – gerechter Gott! – Du hältst eine Trennung auf ein ganzes halbes Jahr für etwas Leichtes, u. schlüpfest empfindungslos darüber hinweg; – Du machtest sie nicht einmal zum Gegenstande einer Verständigung unter uns! – Nun, wohlan, – was ich Dir schon dringend vorstellte, rufe ich Dir nochmals zurück: – Ich reiste im Mai dieses Jahres von Magdeburg hinweg, mit meiner tiefen Liebe zu Dir im Herzen. Ich fühlte mich nicht mehr frei, ich fühlte mich an Dich gefesselt; – die kurze Trennung machte mir es klar, daß ich nicht ohne Dich leben könnte; – wie war Dein Besitz zu erringen? Durch eine Heirath. Um dieß Ziel zu erreichen, war es nothwendig, meine ganze Lebenslaufbahn zu ändern, die ich für meinen Ruf als Componist entworfen hatte; – ich hatte mir in Uebereinstimmung mit meinen Verhältnissen, diese Laufbahn so angeordnet: ich wollte vor der Hand gänzlich in Leipzig bleiben, um meine neue Oper[1] zu vollenden, die ich dann im Winter daselbst zur Aufführung bringen wollte; wäre es mir dann damit geglückt, so hätte ich im weiteren Verlauf Berlin, Dresden, München, Prag, Frankfurt u.s.w. besucht, um dort meine Oper aufzuführen. Glückte es mir mit Allem, so hätte ich künftigen Sommer Paris besucht, u. von da aus dann im übernächsten Winter wäre ich mit Apel Italien zugeeilt.[2] Dieß stand fest als meine Künstlerlaufbahn; – diese ließ aber nun u. nimmermehr eine Heirath mit Dir zu; – durch diese Bahn schlägt sich wohl Einer flüchtig; – Zweie bedürfen einer ruhigeren Existenz. Um diese zu erreichen, mußte ich alle meine Vorsätze umstoßen, u. mußte die praktische CARRIÈRE ergreifen; denn nur diese kann zum Ziele führen. Ich warf also alles bei Seite, u. verschaffte mir ein neues Engagement in Magdeburg, aus dem doppelten Grund, damit meinen veränderten Weg zu begründen, u. unausgesetzt in Deiner Nähe zu sein. Wie glücklich war ich, meine Minna! Erst jetzt glaubte ich mich Dir ganz erklären zu können, u. unsre Verbindung zum einzigen Ziele unsres Zusammenleben’s machen zu dürfen. Wir haben ein ganzes halbes Jahr als Vorbereitung vor uns; entweder glückt es mir, allein bis dahin eine hinreichend sichere Stellung zu gewinnen, oder im weniger glücklichen Falle erreichen wir zusammen soviel, um darauf unsre Verbindung gründen zu dürfen. – Minna, diesem schönen Gedanken opfre ich aber auch viel anderes Schöne; – ich bin jung, bei erwünschtem Glück steht mir als Componist eine nicht unrühmliche Zukunft offen, – ein buntes, schönes Leben gebe ich um Deinen Besitz hin, den ich nur auf einem ganz andren Wege erringen kann; – und Du?? – Minna, mir vergeht aller Glaube; – eine elende, gewiß bald vorübergehende Komödianten-Kabale ist Dir bedeutend genug, um unser Zusammenleben, das ich mit manchen Aufopferungen erkaufte, dafür zu vernichten. Ohne Gram, ohne Schmerz gehst Du einer so langen Trennung von mir entgegen, die uns nothwendig für immer trennen muß? Minna, habe ich Dich nicht angefleht: „schenke mir dies halbe Jahr, geh’ nicht von mir, u. ich gelobe Dir, dieß als ein Opfer von Deiner Seite anzusehen, das mich unwiderruflich an Dich binden u. mich Dir verpflichten soll; – bringe mir u. Deiner Eitelkeit dieß kleine Opfer, u. mein ganzes Leben opfre ich Dir!“ – Und du schwiegst, u. antwortest kalt: „ich kann nicht anders, – ich muß meine Rollen haben!“ – Hast Du ein menschliches Herz? Hast Du nur ein Gefühl der hohen Liebe u. Treue? Minna, Minna, – dringt Dir diese Stimme nicht zum Herzen? – Mein Gott, mein Gott, was soll ich Dir noch sagen, – mir bricht das Herz! – Noch einmal: – ich werfe Dir alle Verhältnisse meines Leben’s als Opfer hin, – u. Du kannst mir nicht – – zwei Rollen opfern? – – – Ich bin außer mir! – Ich habe Dir nochmals meine Seele hingeschüttet: – willst Du sie nicht in Dich aufnehmen, so habe ich zum letztenmal mit dieser Gluth zu Dir gesprochen. Du sollst nur noch ganz ruhige Briefe bekommen. – Ich kann nicht mehr!
Dein
Richard.
[1] „Das Liebesverbot“
[2] Bereits in seinem Brief vom 27. Oktober 1834 an Theodor Apel hatte Wagner optimistisch und selbstbewusst angekündigt: „Ja, liebster Theodor, mein Plan ist jetzt ganz fest u. unwiderruflich gemacht. Meine Feen müssen durch die Aufführung an 3 bis 4 guten Theatern dazu dienen, mir einen ehrenvollen Vorwurf für mein Liebesverbot zu machen, das ich während dieser Zeit fertig bringe; mit dieser Oper muß ich dann durchschlagen, und Ruf u. Geld gewinnen; ist mir es geglückt, beides zu erlangen, so ziehe ich mit Beidem und mit Dir nach Italien, und dies zwar im Frühjahr 1836. In Italien komponire ich dann eine italienische Oper, u. wie es sich macht, auch mehr; sind wir dann braun u. kräftig, so wenden wir uns nach Frankreich, in Paris komponire ich dann eine französische Oper, und Gott weiß, wo ich dann bin! Wer ich dann bin, das weiß ich; – kein deutscher Philister mehr. Diese meine Carrière muß auch die Deinige sein. Das einzige, was diesen Plan vernichten kann ist nur das Unglück, d.h. der Mangel an Glück; ich habe mir nun aber einmal vorgenommen, auf das Glück zu bauen.“ Wem jetzt spontan einfiele: „Wer baut auf Glück, baut auf Satans Erbarmen“, liegt leider falsch. Im „Fliegenden Holländer“ ist es eindeutig der Wind.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; Eva Rieger: Minna und Richard Wagner. Stationen einer Liebe, 2003.
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