Richard Wagner, abermals an Theodor Apel in Leipzig, geschrieben am 5. November 1835 in Magdeburg.
Mein lieber Theodor,
Ich bin jetzt zu weich gestimmt, um Dir bittre u. harte Vorwürfe über Deinen letzten Brief zu machen;[1] – es ist aber traurig, daß ich nicht anders in Deinem Gedächtniß lebe, als daß Du auf eine solche Weise mich u. meine Briefe verkennst. Ihr müßt euch eine schöne Meinung über mich gebildet haben, daß Du jedes meiner Worte der ungerechtesten Kritik unterwirfst; da trifft mich nicht nur Härte, Verschrobenheit, Arroganz, sondern ich halte Dich auch für Narren. Was ich geschrieben habe, weiß ich nicht mehr so recht genau, – ich weiß nur wie ich mich jetzt herabstimmen muß, u. wie zusammennehmen, da ich selbst in Dir jetzt einen so strengen Kritiker gefunden habe, der mir nicht mehr den geringsten Sprung meiner Laune gestattet. – Erlass’ es mir, mich EN DETAIL zu vertheidigen, da ich mich selbst nicht einmal EN GROS zu vertheidigen wage. Eure DOCTRINAIRE Stimmung schüchtert mich zu sehr ein. – Deine Briefe sind zwar nur relativ, indem sie Kritiken der meinigen sind; – ich will Dir aber dennoch wieder etwas Positives geben.
Minna ist gestern früh nach Berlin gereist; wie mir’s zu Muth ist, kann ich Dir nicht beschreiben; – das ist nicht Verliebtheit, – das ist wol Liebe. Sie gastirt dort; – vielleicht bleibt sie auch, da sie hier mit einer Mad. Grabowsky[2] in manichfache Collisionen gekommen ist. – Wie mir das nun ist! Mein Gott! Mein Gott! – Wenn ich modern sein wollte, wäre jetzt wohl der rechte Zeitpunkt da, den ich zur Trennung benutzen könnte; – aber da sitzt’s. Mir ist das Herz gebrochen, – recht bürgerlich gebrochen. – Thue mir den Gefallen, u. denke Dir das übrige, – wir wollen ein andermal darüber sprechen. – Ich möchte jetzt wol einen Freund bei mir haben, u. habe doch überhaupt keinen, außer Dich, – – u. auch Du, mein Brutus?![3] – Theodor, ich werde sentimental, u. kann heute nicht gut weiter! – Mein Magdeburger Stübchen? – Nun, ja, ja! „Erlaßt mir das übrige, mein Prinz!“ – (: er stockt u. Thränen kommen in seine Augen.) – Der Prinz: – Esel, warum weinst Du? – (Beide ab.)[4]
Humor, Humor, mein Lieber! –
Du hast mir auch das Geld nicht geschickt, – warum bringst Du mich in so gemeine Verlegenheit, Dich darum zu mahnen, was Du mir nicht schuldig bist? – Du versprachst mir so etwas zum ersten November, u. ich machte meine Rechnung darnach. Ist es Dir nicht möglich?
S’ist wirklich naiv; – ich weine zugleich um eine Geliebte, u. mahne zugleich einen Freund, von dem ich nichts zu fordern habe! – Ach, Theodor, Theodor! – bald mehr von Deinem todten Freunde,
Herrn Richard Wagner.
[1] Die Herausgeber der Briefausgabe vermuten, dass Apels Kritik sich auf Wagners Brief vom 2. Oktober 1835 bezog.
[2] Grabowsky, Louise Marianne (1816–1850), mit Minna konkurrierende Schauspielerin am Theater Magdeburg, die als Ehefrau des Oberregisseurs manchmal bei der Rollenvergabe die besseren Karten hat.
[3] „Auch du, Brutus?“ ruft Shakespeares Julius Cäsar auf Lateinisch, als er unter den Dolchstössen der dreiundzwanzig Verschwörer zusammenbricht.
[4] Diese Anspielung klingt nach einer Mischung aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ und Grimm’schen Märchen, könnte aber ebenso ein waschechter Wagner sein, oder?
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; https://de.wikipedia.org/
Ähnliche Beiträge
- Minna-Briefe-Kalender (3) 3. Dezember 2022
- Minna-Briefe-Kalender (6) 6. Dezember 2022
- Minna-Briefe-Kalender (2) 2. Dezember 2022
- Minna-Briefe-Kalender (4) 4. Dezember 2022
- Minna-Briefe-Kalender (5) 5. Dezember 2022