Mensch Wagner!

Von 14. Juli bis 6. Ok­to­ber zeigt das Bay­reu­ther Wag­ner­mu­se­ums end­lich die ur­sprüng­lich schon für letz­tes Jahr an­ge­kün­dig­te Son­der­aus­stel­lung, bei der Ri­chard Wag­ner als Mensch im Mit­tel­punkt steht.

Ri­chard Wag­ner: Kom­po­nist, Dich­ter, Dra­ma­ti­ker, Schrift­stel­ler, Kunst­phi­lo­soph, Re­gis­seur, Di­ri­gent, Ego­ma­ne, Schwe­re­nö­ter, An­ti­se­mit, Links­ra­di­ka­ler, Kli­ma­schüt­zer, Tier­freund, Ge­nie… – Aber wer war Ri­chard Wag­ner wirk­lich? Im Rah­men sei­ner Som­mer­aus­stel­lung 2024 un­ter­nimmt das Ri­chard Wag­ner Mu­se­um den Ver­such, den „My­thos Wag­ner“ zu de­kon­stru­ie­ren, um sich dem Men­schen Ri­chard Wag­ner zu nähern.

Zahl­los sind be­reits zu sei­nen Leb­zei­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen über den „Meis­ter“. Da­bei wird er vor al­lem nach sei­nem Tod ger­ne zum Über­men­schen sti­li­siert – nicht zu­letzt durch das Zu­tun sei­ner Nach­kom­men und Sach­wal­ter. Vom „all­täg­li­chen“ Wag­ner gibt es da­ge­gen kaum Spu­ren, denn der My­thos kennt kei­nen All­tag. Da­bei wird er vor al­lem nach sei­nem Tod ger­ne zum Über­men­schen sti­li­siert – nicht zu­letzt durch das Zu­tun sei­ner Nach­kom­men und Sachwalter.

Ge­dicht mit Selbst­por­trät, Ri­chard Wag­ner (1813-1883), 1841, Tinte/​Papier; Na­tio­nal­ar­chiv der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung Bayreuth

Vom „all­täg­li­chen“ Wag­ner gibt es da­ge­gen kaum Spu­ren, denn der My­thos kennt kei­nen All­tag. Auch Wag­ner selbst mo­del­lier­te zeit­le­bens am ei­ge­nen Bild und be­trieb so das in­ten­si­ve „self-fa­shio­ning“ ei­nes be­gab­ten „In­fluen­cers“ – und das be­reits weit über 100 Jah­re vor den So­zia­len Me­di­en des In­ter­net. Sei­ne au­to­bio­gra­phi­schen Tex­te, sei­ne zahl­rei­chen Auf­sät­ze und Brie­fe so­wie sein mu­si­ka­li­sches und dra­ma­ti­sches Werk zeich­nen da­bei ein sehr viel­schich­ti­ges, oft wi­der­sprüch­li­ches Bild von dem Men­schen, der sich hin­ter dem „My­thos Wag­ner“ verbirgt.

Rote Brief­ta­sche mit au­to­bio­gra­phi­schen No­ti­zen © Na­tio­nal­ar­chiv der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung Bayreuth

Der Mensch Wag­ner wird da­her fast aus­schließ­lich in den zu Pa­pier ge­brach­ten Er­in­ne­run­gen und Be­ob­ach­tun­gen der Fa­mi­lie, von Zeit­ge­nos­sen, kri­ti­schen wie be­freun­de­ten Ge­fähr­tin­nen und Ge­fähr­ten so­wie ab un­ge­fähr der Mit­te sei­nes Le­bens auch der Pres­se er­kenn­bar. An­de­re Rea­li­en und Zeug­nis­se sei­ner Le­bens­wirk­lich­keit wur­den der Über­lie­fe­rung zu­meist für wert­los oder dem My­thos und dem Kult um sei­ne Per­son und sein Werk nicht zu­träg­lich be­fun­den. Er­hal­te­ne All­tags­ge­gen­stän­de aus sei­nem per­sön­li­chen Be­sitz und Um­feld wie bei­spiels­wei­se Bril­len, Samt­ba­retts oder der Stroh­hut, den er 1881 auf ei­nem be­kann­ten Fa­mi­li­en­fo­to trägt, fun­gier­ten da­ge­gen vor al­lem als Re­li­qui­en ei­nes hy­per­tro­phen Wagner-Kults.

Ernst Be­ne­dikt Kietz: Wag­ner als We­sir. Ka­ri­ka­tur von 1850 © Na­tio­nal­ar­chiv der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung Bayreuth
Wie sich also ei­nem Men­schen nä­hern, der sich ei­ner oft ba­na­len Le­bens­wirk­lich­keit durch Sti­li­sie­rung, Äs­the­ti­sie­rung und Selbst­in­sze­nie­rung zu ent­zie­hen such­te und der nach sei­nem Tod zum über­mensch­li­chen und zeit­lo­sen Denk­mal wurde?

Die ins­ge­samt rund 430 Le­bens­sta­tio­nen und Wohn­or­te Wag­ners, wel­che „La­rous­se de la mu­si­que“ 1957 auf­lis­tet, zeu­gen von dau­ern­der Un­ru­he. Wo­her rühr­te die­se Un­stet­heit? War sie eine Aus­nah­me oder ge­hör­te sie zu den nor­ma­len Le­bens­um­stän­den ei­nes Künst­lers, des­sen Brot­er­werb als Di­ri­gent sich zu Be­ginn des 19. Jahr­hun­derts ge­ra­de erst als an­er­kann­ter Be­ruf zu eta­blie­ren be­gann? Was ver­dien­te Ri­chard Wag­ner ei­gent­lich, was konn­te er sich leis­ten und wel­che Di­men­sio­nen hat­ten sei­ne Schul­den? Eine Bi­lanz sei­nes Le­bens klärt auf und rech­net um in Euro.

Wan­de­run­gen und oft lan­ge Rei­sen, die Wag­ner zu Fuß, mit der Kut­sche und spä­ter mit der Ei­sen­bahn zu­rück­ge­leg­te, zei­gen die Ver­än­de­run­gen der Mo­bi­li­tät durch die Früh­in­dus­tria­li­sie­rung und ste­hen da­mit ex­em­pla­risch für die Um­brü­che, wel­che die in­dus­tri­el­le Re­vo­lu­ti­on des 19. Jahr­hun­derts in Wirt­schaft und Ge­sell­schaft zur Fol­ge hat­te. Wie hat Ri­chard Wag­ner die Mo­der­ne und de­ren Zeit­geist wahr­ge­nom­men und erlebt?

Die Aus­stel­lung fügt lose und ver­streu­te Puz­zle­tei­le neu zu­sam­men, um dem Men­schen Wag­ner ein Pro­fil zu ge­ben. Durch Kin­der­stu­be und Schu­le, Kü­che und Gar­de­ro­be, Bi­blio­thek und Ar­beits­zim­mer führt die Su­che nach dem Ri­chard Wag­ner, der nicht als „Meis­ter“ ge­bo­ren wur­de und selbst dann dem „Mensch­lich-All­zu­mensch­li­chen“ (Nietz­sche) nicht entkam.

Vor dem Hin­ter­grund ei­ner To­po­gra­phie des 19. Jahr­hun­derts, des­sen „voll­stän­digs­ter Aus­druck“ Wag­ner nach Tho­mas Mann war, zeigt die Aus­stel­lung Ri­chard Wag­ner so we­ni­ger als den selbst­schöp­fe­ri­schen, ge­nia­len De­mi­ur­gen und Vi­sio­när, son­dern als Kind sei­ner Zeit und Pro­dukt sei­ner Lebensumstände.

„Mensch Wag­ner“
Son­der­aus­stel­lung im Ri­chard Wag­ner Mu­se­um Bay­reuth / Neubau
14. Juli – 6. Ok­to­ber 2024
Dienstag–Sonntag, 10–17 Uhr
Juli und Au­gust: Montag–Sonntag, 10–18 Uhr
Im Ein­tritts­preis inbegriffen
Spe­zi­el­le Kin­der­füh­run­gen durch die Son­der­schau gibt es am 30. Juli so­wie am 6. 13. und 20. Au­gust, je­weils um 10:30 Uhr

Pres­se­text und -fo­tos des Wagnermuseums

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