Minna-Briefe-Kalender (1)

Ri­chard Wag­ner an die Schau­spie­le­rin Min­na Pla­ner, ge­schrie­ben am 6. Mai 1835 in Leip­zig, ge­sen­det nach Magdeburg.

Min­na Chris­ti­ne Wil­hel­mi­ne Pla­ner wur­de am 5. Sep­tem­ber 1809 in der säch­si­schen Klein­stadt Oede­ran in eine ärm­li­che Fa­mi­lie ge­bo­ren. Aus ei­nem wo­mög­lich un­frei­wil­li­gen Ver­hält­nis mit dem Gar­de-Haupt­mann Ernst Ru­dolf von Ein­sie­del ging 1826 Toch­ter Na­ta­lie her­vor, wel­che Min­na zeit­le­bens als ihre jün­ge­re Schwes­ter aus­gab. Als Schau­spie­le­rin der Bethmann’schen Trup­pe in Bad Lauch­städt lern­te Min­na im Som­mer 1834 Ri­chard Wag­ner ken­nen, der sich so­fort in sie ver­lieb­te, wäh­rend sie zu­nächst eher ab­war­tend blieb und an­de­re Op­tio­nen hat­te und pfleg­te. Bis Früh­jahr 1836  wa­ren bei­de (mit Un­ter­bre­chun­gen) am Thea­ter Mag­de­burg en­ga­giert; er als Mu­sik­di­rek­tor, sie als „Ers­te Lieb­ha­be­rin“ im Schau­spiel. In Kö­nigs­berg fand  Min­na ihr nächs­tes En­ga­ge­ment, Wag­ner folg­te ihr nach ver­geb­li­chen Ver­su­chen, be­ruf­lich in Ber­lin Fuß zu fas­sen, nach – zu­nächst ohne eine An­stel­lung. Am 24. No­vem­ber 1836 wur­den bei­de in der Kö­nigs­ber­ger Vor­stadt Trag­heim ge­traut. Wag­ner hielt sei­ner ers­ten Ehe­frau zwar  be­kannt­lich nicht ein Le­ben lang die Treue (was zu­min­dest zu Be­ginn der Ehe durch­aus auf Ge­gen­sei­tig­keit be­ruh­te), blieb aber auch nach vie­len Aus­zei­ten und der dann end­gül­ti­gen Tren­nung bis zu ih­rem Tod am 25. Ja­nu­ar 1866 in Dres­den mit Min­na ver­hei­ra­tet. Hier sein ers­ter er­hal­te­ner Liebesbrief:

Mein lie­bes, ein­zi­ges[1] Mäd­chen, schon über vier­und­zwan­zig Stun­den von Dir,[2] nach­dem ich vor­her so oft nach ei­ner Mi­nu­te geiz­te. Wie soll das wer­den! Ich bin durch und durch voll Weh­muth und Thrä­nen, und kann mich über nichts freu­en, über nichts, – nichts! Du bist mir zu lieb ge­wor­den, – das emp­fin­de ich wol, Du feins­tes, lie­bes Kind[3]! Wie soll ich mich so­bald an die Tren­nung von Dir ge­wöh­nen, wie könn­te es mir mög­lich sein, Dich zu mis­sen! Du bist ein Stück von mir ge­wor­den, und ich füh­le in al­len mei­nen Glie­dern eine Ver­stüm­me­lung, wenn Du mir fehlst! – Ach, wenn Du nur halb mei­ne Weh­muth theil­test, so wä­rest Du ganz Lie­be und An­denken an mich.
Ich habe noch viel ge­weint, – sag’, warst Du mir bös, über den Brief[4], den ich Dir noch so spät zu­kom­men ließ? – O, ich wär’ noch bald selbst zu Dir ge­kom­men, – aber dann wär’ ich bei Dir ge­blie­ben, – das wuß­te ich wohl, – und hät­te Rei­se u. Al­les auf­ge­ge­ben! – Ach, – wer be­schreibt mei­nen ein­sa­men Zu­stand! – Ja, mei­ne Min­na, – ich lie­be Dich, – und bin da­bei ein we­nig ei­tel, – sieh – ich bil­de mir nun ein, – ich hät­te Dir Le­ben und See­le ein­ge­haucht, die Du frü­her nicht hat­test, – oder die ich we­nigs­tens nicht bei Dir kann­te; – ich glaub­te auch oft, Du lieb­test mich doch nicht, – aber ich glau­be es jetzt, – ja, als ich Dir den letz­ten Kuß gab, – da drang all’ Dei­ne Lie­be dop­pelt u. tau­send­fach in mich! – O mein Le­ben, – ver­giß mich nie, – ver­ra­the mich nie, – hal­te treu an mir, – bleib’ mei­ne Min­na, und wenn Du je Lie­be emp­fan­dest, so wen­de Al­les mir ganz zu, – und laß mich nie mit je­mand thei­len, – Du hast ja selbst mein gan­zes Herz! – Hörst Du? Hörst Du? Ver­ra­the mich nie! –
Du kannst nicht glau­ben, mit welch’ schmerz­li­chem Ge­fühl ich auf Euch Alle zu­rück­bli­cke; – tief in mei­ne See­le geht mir’s, Euch in die­sen jäm­mer­li­chen, ent­wür­di­gen­den Ver­hält­nis­sen zu wis­sen; – ich will mir alle Mühe ge­ben, um et­was für die Haas[5] zu thun, – Du hast ja mei­nen Wunsch re­fü­sirt[6], et­was für Dich tu thun. – Fort müßt Ihr von dort, – das ist klar! – Ich has­se jetzt Leip­zig u. Mag­de­burg u. Al­les, – nur Dich lie­be ich, – o, komm’ bald hie­her, daß ich Dich sehe u. mich über­zeu­ge, – ob Du mich noch liebst! – Schreib’ mir um­ge­hend, ob Du mich liebst, ob Du an mich denkst! Schreib! Schreib! und stär­ke mich, mein En­gel! Bald mehr! Bald mehr! Adieu! Adieu! Ge­den­ke mein, gedenke
Deines
Richards.
Rei­chels Gar­ten,[7] Hintergebäude,
pro Adre.: Ro­sa­lie Wag­ner[8].

[1] Na ja, wie wir wis­sen, war Min­na für ei­ni­ge Zeit tat­säch­lich die ein­zi­ge. Spä­ter aber nicht mehr.
[2] Von Ok­to­ber 1834 an war Wag­ner Mu­sik­di­rek­tor in Mag­de­burg. Nach Ab­lauf der Spiel­zeit wur­de das Opern­en­sem­ble auf­ge­löst und er sei­ner Stel­lung le­dig, so dass er zu­nächst nach Leip­zig und in den Schoß der Fa­mi­lie zu­rück­keh­ren musste.
[3] Man be­ach­te die Wort­wahl: Er war zu die­sem Zeit­punkt noch 21, sie 25 Jah­re alt. „Kind“ hat er ver­mut­lich nicht nur in sei­nen Brie­fen auch spä­ter noch vie­le der ge­ra­de von ihm um­wor­be­nen Frau­en genannt.
[4] Die­ser Brief ist nicht mehr nachweisbar.
[5] Haas, Mat­hil­de (1803–1837), Schau­spie­le­rin ab 1835 in Mag­de­burg und Ge­lieb­te von Hein­rich Lau­be, ei­nem Ju­gend­freund Wagners.
[6] re­fü­sirt = zurückgewiesen
[7] Rei­chels Gar­ten = Nach­fol­ge­na­me für den ehe­ma­li­gen ba­ro­cken Apel­schen Gar­ten in Leip­zig. Er war ab 1787 im Be­sitz von Erd­mann Trau­gott Rei­chel, der ihn im Lau­fe der Zeit um­ge­stal­ten und zum Teil be­bau­en ließ.
[8] Wag­ner, Ro­sa­lie (1803–1837), die äl­tes­te und als Schau­spie­le­rin und Künst­le­rin ihn prä­gen­de Schwes­ter Wagners.

Schreib­wei­se, Kur­siv­satz und Ver­sa­li­en ent­spre­chen der Brief-Ge­samt­aus­ga­be, de­ren Fuß­no­ten hier er­wei­tert wor­den sind. Quel­len: Di­gi­ta­le Bi­blio­thek Band 107: Ri­chard Wag­ner: Wer­ke, Schrif­ten und Brie­fe; Ri­chard Wag­ner. Mein Le­ben, 1963; Ri­chard Wag­ner: Sämt­li­che Brie­fe, 1. Bd., 1967; For­schungs­in­sti­tut für Mu­sik­thea­ter Thur­n­au. Das Wag­ner-Le­xi­kon, 2012; https://​de​.wi​ki​pe​dia​.org/

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