Richard Wagner an Minna Planer, geschrieben am 21. Mai 1836 in Berlin, gesendet nach Königsberg.
Hier lohnt sich ein Zwischenstand. Der letzte Brief an Minna war vom 12. November, der an Theodor Apel vom 25. November 1835. Dazwischen und danach hat sich noch Folgendes ereignet: Minna war nach Magdeburg zurückgekommen, im Januar vollendete Wagner die Partitur seiner zweiten Oper „Das Liebesverbot“, die am 29. März 1836 zum Saisonende in Magdeburg uraufgeführt wurde. Dass die zweite und letzten Aufführung gar nicht stattfinden konnte, war nicht nur per se ein Debakel, sondern speziell für Wagners Geldbeutel, denn die erhofften Einnahmen aus dieser Benefizvorstellung zugunsten des Komponisten blieben aus. Minna konnte nach dem neuerlichen Zerfall des Magdeburger Ensembles sofort ein Engagement in Königsberg antreten und bemühte sich dort, auch für den stellungslosen Wagner eine Anstellung zu finden, der seinerseits hoffte, sein „Liebesverbot“ in Berlin unterzubringen. Hier der Bericht an Sie über sein Befinden – und über die Verhandlungen mit dem Direktor des Königstädter Theaters, Karl Friedrich Cerf:
Meine arme, arme Minna! – O könntest Du den Ausdruck fühlen, mit dem ich Dir diese Worte zurufe! Sieh, die Thränen überströmen mein Auge, vor Wehmuth ist meine ganze Mannheit gebrochen! – So weit, so weit, so weit bist Du, unter fremden, rauhen Menschen, und das Alles ist ein Opfer für mich! Ich lese Deine Briefe durch, die Du mir damals aus Berlin schriebst, u. sehe Alles, Alles. Ja, es ist ein Opfer für mich! Minna, wenn ich Dich nicht einmal noch sehr glücklich machen kann, so bin ich Deiner kaum werth! So weit, so weit, ach, der Gedanke zermalmt mich, wenn mich die Hoffnung verlassen sollte! Du bist mir jetzt Alles, Alles auf der Welt, – Du weißt es, Du hast ein großes Recht an mir! Aber Minna, was könnte mich auch dessen vergessen machen? Was könnte mich bewegen u. zwingen, Dich nicht mehr zu lieben, – Dich – zu verlassen? – Noch einmal schwöre ich Dir, wenn uns das Schicksal nach Süd u. Norden trennte, so würde ich doch nur einen Gedanken haben, – wie ich diese Trennung vernichten könnte! – – O, mein armes Kind, – wie ist es Dir denn jetzt, so fern von Allem, was Du kanntest u. liebtest? Weinst Du, bist Du traurig, – oder bist Du fest u. muthig, wie immer? – O, mein Gott, wie kann mich doch der Gedanke vernichten, – Du habest Dich mit Königsberg getäuscht, – Du fändest dort Alles anders, als Du es Dir gedacht, – keine Aussicht für uns u.s.w. und um Alles dieß so weit, weit hinaus, abgeschnitten von Allem. Gott bestrafe mich nicht so sehr, daß dem so sein sollte! Mit welcher Beklemmung u. Seelenangst ich einem Brief von Dir entgegensehe, kann ich Dir nicht beschreiben. Was wird er mir enthüllen, – was werde ich erfahren? Fühlst Du Dich unglücklich, siehst Du keine Hoffnung, so ertrage ich es nicht! – Meine Minna, Minna, Minna! – Ich weine fortwährend, u. schäme mich wahrlich meiner Thränen nicht; – es ist kein gewöhnlicher Zustand, in dem ich mich befinde, – es ist alle Wehmuth meines Lebens die sich in dem Gedanken vereinigt; es ist ein gutes, liebes, herrliches Mädchen, das um mich leidet! – – Minna, mein armes Kind, gieb mir einen Trost, eine Labung!
Nun, ich bin in Berlin, in demselben Gasthof, in dem Du vor einem halben Jahre wohntest, aber nicht in Deinem Zimmer No: 19: da wohnt noch Schwabe[1]! Ich habe nicht erfahren können, wo Du jetzt zuletzt abgestiegen bist, nur soviel, daß Du Dienstag von hier abgereist bist. Ich bin hier zwar hülflos u. verlassen, u. doch scheint sich ein kleines wenig mein Unstern zu wenden. Vor allen Dingen ist hier mein Hauptbestreben, mir hier einen Rückhalt zu sichern, wenn ich zu Dir nach dem weiten Norden komme, damit es uns dann nicht so schwer falle, wenn wir uns späterhin einmal wieder zurückwenden wollen, u. uns dann nicht abgeschnitten fühlen. Ich ließ mich durch einen hiesigen Schriftsteller, Glasbrenner[2], dem Cerf[3] vorstellen; – ich traf ihn in der besten Laune, u. kurz u. gut, ich sage Dir, daß ich bei ihm einen Stein im Bret gewonnen habe. Er sagte gleich: „Wenn Sie jetzt nichts zu thun haben, so kann ich etwas für Sie thun. Gläser[4] will verreisen, da können Sie hier seine Stelle so lange einnehmen.“ Ich fing gleich von meiner Oper an, u. er zeigte sich willig, nur könne jetzt nicht davon die Rede sein, weil er seine neuen Sänger noch nicht hätte. Ich habe ihn noch öfter gesprochen, u. bin immer näher mit ihm gekommen, – er hat gesagt, ich gefiele ihm sehr. Er will dem Gläser seinen Urlaub vier Wochen früher geben, so daß ich vielleicht bald antreten könnte. Habe ich nun so auf eine kurze Zeit das Heft in den Händen, so wird mir es dann ein leichtes sein, meine Oper sogleich einzustudiren, um so mehr, da er sich selbst gestern auf das Zureden von Laube[5] u. Glasbrenner, – die hier mit Willen ein furchtbares Aufsehen von mir machen, u. mich überall als ein ungeheures Genie ausposaunen, – sehr bereitwillig erklärte, die Oper sobald wie möglich zu geben, wenn er die Leute dazu hätte. (Die sind aber nöthigenfalls schon da.) Heute will ich dem Kerl noch definitiv zu Leibe gehen. Dein Brief, den ich erwarte, wird nun Alles entscheiden: kann ich nicht sogleich in Königsberg antreten, so bleibe ich solange hier an Gläser’s Stelle, u. führe meine Oper selbst auf, u. schließe vielleicht für späterhin, wenn Gläser’s Contrakt um ist, – vielleicht in einem Jahr, – mit CERF – ab, – decke uns so den Rückzug in das kultivirte Deutschland u. komme vielleicht späterhin einmal mit meiner lieben Frau u. einem tüchtigen Jungen nach Berlin an Gläser’s Stelle, wo Du dann nicht mehr beim Theater zu sein brauchtest. Schickst Du mir jedoch sogleich den Contrakt, so komme ich augenblicklich zu Dir, denn das geht mir denn doch über Alles, übergebe hier dem Cerf meine Oper, u. lasse Laube, Glasbrenner, u.d. andern für die Aufführung derselben wachen. Sollte sich Cerf aber durchaus einen Narren an mir gefressen haben, so kann ich ihn, wenn ich einen Contrakt mit Königsberg in Händen habe, am besten in die Enge treiben, u. vielleicht so weit bringen, daß er sogleich mit mir einen festen Contrakt abschließt. Dann bringe ich es auch vielleicht dahin, daß er Dich noch engagirt, u. wenn nicht, so könnte ich Dich alsdann auch heirathen, wenn Du auch nicht beim Theater bist. – Dieß sind jedoch nur noch meistens blos schöne Pläne, mit Sicherheit kann ich noch nichts annehmen, denn Du kennst ja den Cerf. Wir wollen uns also von dieser Hoffnung noch nicht verblenden lassen, – die Hauptsache u. das Nöthigste zu Allem bleibt immer ein Contrakt mit Königsberg. Das also laß Dein Hauptaugenmerk sein, mein liebes Kind, es ist das Wichtigste, u. gieb Dir ja alle Mühe, ihn sobald wie möglich zu erlangen, u. zwar gleich anzutreten, denn Dich bald wiederzusehen, ist u. bleibt meine größte, unaussprechlichste Sehnsucht. Wirke u. schaffe, mein guter Engel! – Ach, wie froh würde ich sein, wenn ich zu unsrem Glücke etwas beitragen könnte, damit Du endlich auch mir einmal etwas zu verdanken hättest, da ich bis jetzt doch Alles, Alles nur Dir verdanke. – Mein armes, armes Mädchen, – welchen Kummer u. Noth habe ich Dir schon gemacht, – o, wenn ich der letzten Zeit gedenke, u. noch jetzt, jetzt. – Minna, Minna! – – Ach ich vergehe vor Wehmuth u. Sehnsucht, – mein armes, armes Kind! So weit, so weit von mir! Ach, es ist schrecklich. Sag mir, weinst Du nicht auch recht viel? Hast Du nicht Kummer u. Gram? Und liebst Du mich dennoch? dennoch? Nun denn, Nichts, nichts in der Welt trennt mich von Dir, bei Gott u. Ewigkeit, Nichts, Nichts reißt, meine Minna, Dich von
Deinem
Richard.
Ich muß schließen, ich kann nicht weiter,
Du kennst mich ja, Du kennst mich! –
[1] Schwabe, vermutlich Louis, ein Magdeburger Kaufmann und Verehrer Minnas
[2] Glasbrenner, Adolf (1810–1876), Berliner Humorist und Satiriker.
[3] Cerf (eigentlich Hirsch), Karl Friedrich (1782–1845), zunächst Pferdehändler, dann Kriegskommissar und schließlich Theaterdirektor und Mitbegründer des von ihm geleiteten Königstädter Theaters Berlin.
[4] Glaeser, Franz (1798–1861), böhmischer Komponist und Dirigent, von 1830 bis 1842 Kapellmeister am Königstädter Theater.
[5] Laube, Heinrich (1806–1884), deutscher Dramatiker, Romancier, Novellist, Feuilletonist, Dramaturg und Theaterdirektor. 1832 lernte er Wagner kennen und wurde ein langjähriger Freund, als Anhänger und zeitweiliger Wortführer des Jungen Deutschland musste er auch mehrfach ins Gefängnis. Hier ein Porträt aus dem Jahr 1836.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; Forschungsinstitut für Musiktheater Thurnau: Das Wagner-Lexikon, 2012; Astrid Eberlein/Wolf Hobohm: Wie wird man ein Genie? Richard Wagner und Magdeburg, 2010; https://de.wikipedia.org/
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