Laura Barthel, eine von unseren vier Stipendiatinnen in diesem Jahr, war Mitwirkende beim Internationalen Stipendiatenkonzert am 25. August im Rahmen der Stipendiatentage in Bayreuth. Ein Gastbeitrag von Frank Piontek
„Wie können wir die Kunst benutzen, um das Leben besser zu machen?“ Die Frage wird am Abend, gleich zu Beginn des Konzerts, gestellt. Der sie stellt, heißt Harry Leutscher, er ist der neu gekürte Präsident des Richard Wagner-Verbands International (RWVI). Er darf sie stellen, weil es zu seinen ersten Amtshandlungen gehört, das Stipendiatenkonzert zu eröffnen, das traditionellerweise während der Bayreuther Festspiele im „Zentrum“ über die Bühne geht.
„Benutzt“, das klingt ein wenig zu pragmatisch, aber klar ist, was gemeint ist: die Zukunft. Sie stand im ideellen Mittelpunkt des „Festivals Junger Künstler“, das erst vor zehn Tagen am selben Ort zu Ende ging und mit vielen Konzerten, Dutzenden von Teilnehmern und der Musik von gut hundert Komponisten und Komponistinnen gezeigt hat, wie die Vergangenheit der Musik, ihre Gegenwart und ihre Zukunft verbunden werden können, ja müssen. „Zu:kunft“, so hieß das unter der Intendantin Sissy Thammer, und nach der Zukunft fragt sich’s, wenn der neue Präsident all die jungen Leute begrüßt, die sich ein Stipendium für die diesjährigen Festspiele auf den Grünen Hügel erspielt und ersungen haben. Werden sie alle bei Wagner, vielleicht im Festspielhaus landen? Leutscher meint, dass es wohl nicht nur darum gehe, im Gegenteil: die Musik, die Kunst und was alles so dranhängt lässt sich auch – horribile dictu! – bei Verdi, Mozart, Donizetti, Kagel oder in irgendeiner zukünftigen Musik finden. Demgemäß stand am Abend, im Gegensatz zu früheren Programmen, ganz bewusst auch „nur“ ein einziges Werk von Wagner auf dem Programmzettel, das zudem von einem Gast, einer ehemaligen Stipendiatin, gebracht wurde. Alexandra Ionis sang Erdas Gesang aus dem „Rheingold“, sie sang ihn einfach stark. Dieses Jahr, ja: diesen Abend stand sie als Norn auf der Bühne des Hohen Hauses, auch als Mary in der feinen Kinderoper der Festspiele. An ihr könnten alle jungen Sängerinnen und Sänger lernen, was das heißt: balsamisch und zugleich dramatisch erfüllt zu singen, dabei, beeindruckend sicher und schlicht auf einer Bühne zu stehen; weniger ist ja in einem Recital oft mehr. Dass der Sänger einer Sterbeszene fast am Klavier zusammenzubrechen scheint und eine leidende Heroine sich krampfhaft windet kann, muss aber nicht sein, jedenfalls nicht so ausgeprägt, wie wir es am Abend sahen, aber da die jungen Talente Stipendiatinnen und Stipendiaten und keine Hauptrollensänger der Wiener oder Berliner Staatsoper sind, ist’s in Ordnung. Ein Stipendiatenkonzert ist ja auch immer eine Experimentierbühne, nicht zuletzt die Möglichkeit, vor einem kritischen Publikum Nerven zu bewahren und sein/ihr Bestes zu geben.
Konnte man in früheren Jahren gelegentlich ein deutliches Mäkeln in der Pause vernehmen, so schien heuer alles gold zu glänzen. Der Beifall war jedenfalls nach jeder einzelnen „Nummer“ meist gewaltig. Um einige Herausragende zu nennen: Iris Candelaria Hernandez Toppari sang „Nel grave tormento“, eine Arie der Aspasia aus Mozarts „Mitridate“ schlicht ansprechend, also ausgezeichnet: als wirklicher Mozart-Sopran. Die Bravour- und Koloratur-Arie der Philine aus Ambroise Thomas’ leider selten gespielter „Mignon“ (früher ein Kassenschlager, heute eine Rarität), also „Je suis Titania“, kam „pikant“ herüber, wie man noch im frühen 20. Jahrhundert geschrieben hätte; auch Adeles „Arie“ aus der „Fledermaus“, „Mein Herr Marquis“ perlte gleichsam ins Publikum. Damit aber ist schon ein Problem verbunden: denn die Artikulation Nayun Lee Kims ließ auch hier manch Wörtlein in der Vokalise verschwinden. Ähnliches gilt für Lisa Schmidts Interpretation von Gretels „Wo bin ich?“ aus „Hänsel und Gretel“. Da ist noch, rein rhetorisch betrachtet, Luft nach oben. Ich plädiere für einen guten Stimmtrainer: auch für die deutschen Sängerinnen und Sänger. Schön singen können sie ja schon, aber die Worte …
Sehr gut klang schon das Vokalquartett „Canto chiaro“, das Eichendorffs „In einem kühlen Grunde“ nach der berühmten Vertonung von Johann Friedrich Glück als Erstes in den Raum schickte, gefolgt von John Dowlands „Come again“: auch dies sehr gut und so fein wie andererseits Laura Barthels „What good would the moon be“. Barthels Stimme ist dynamisch nicht besonders groß, aber ausdrucksstark und klar; wer Klaus Florian Vogt vor dreißig Jahren als Schwanda, den Dudelsackpfeifer, im Theater Hof live erlebt hat, weiß, dass lautstärkemäßig kleine Stimmen gut wachsen können. Ebenso expressiv: Damien Gastl als Almaviva mit „Hai gia vinta la causa“, einem Paradestück für einen warmen, beweglichen Bariton. Luke Terrence Scott glänzte im italienischen Fach mit Rodrigos „O Carlo ascolte“; man wüsste gern, wie und ob der Sänger in zehn oder zwanzig Jahren einen Rodrigo interpretiert, aber schon jetzt liegt viel Kraft in der Deutung. Auffallend hier wie andernorts: die lyrischen Schluchzer in mancher Passage.
Das Stipendiatenkonzert ist auch ein Platz für reine Instrumentalisten. Venedig schickte mit Simone Mao einen jungen Pianisten ins Feld, der ich auch dann nicht in Beethovens op. 109, Satz 1, von seinem analytischen Konzept abbringen ließ, als ein Handy schier endlos ins Parkett bimmelte; die Erinnerungen an das Festspielhaus des diesjährigen Sommers waren hier auch auf außermusikalischem Terrain gegenwärtig. Der Klarinettist Philipp Alex Frings präsentierte den ersten Satz von Brahms’ 1. Klarinettensonate und Debussys sogenannte „Premiere Rhapsodie“ für Klarinette und Klavier (eine zweite gibt es nicht: beides gut geblasen und interpretiert). Jun Chen spielte den ersten Satz von Haydns 29. Klaviersonate witzig und fingerfertig: so, wie Haydn wohl selbst ihn spielte – und schließlich wurde das Konzert durch Alexandra Ionis und Simone Mao durch eine Arie der Leonore aus Donizettis „La Favorita“ beendet. Allein hier war man doch wieder bei Wagner angelangt, denn er hatte nach den „Hits“ der französischen Fassung der Oper eine Bearbeitung für zwei Violinen (!) hergestellt.
Also ein echter und ein halbechter Wagner in einem Bayreuther Stipendiatenkonzert, das nicht zuletzt dadurch gelang, dass die Pianistinnen Belén Castillo Mena, Daria Vasileva und Annika Größlein und der eingesprungene Begleiter Simon Haje gleichsam die Basis für all die Gesänge bildeten: auch dies auf hohem Niveau. Großer, begeisterter Applaus also für alle, die an ihrer Zukunft arbeiteten, um auch uns in Zukunft die Schönheit des Lebens musikalisch zu garantieren.
Erstveröffentlichung von Frank Pionteks Artikel im Kulturbrief der Buchhandlung Breuer & Sohn am Luitpoldplatz, die leider Ende September schließt.
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