Barfuss im Barockopernhimmel

Bei der Mu­si­ca Bay­reuth setz­ten die Ko­lo­ra­tur­so­pra­nis­tin Ju­lia Lezhne­va und der Coun­ter­te­nor Max Ema­nu­el Cen­čić mit der Has­se-Oper „Si­roe, Kö­nig von Per­si­en“ im Mark­gräf­li­chen Opern­haus rest­los be­geis­tern­de Glanzlichter.

Zwei Ba­rock­opern­spe­zia­lis­ten der Spit­zen­klas­se: Ju­lia Lezhne­va als Lao­di­ce und Max Ema­nu­el Cen­čić als Si­roe auf der Büh­ne des Mark­gräf­li­chen Opern­hau­ses Bay­reuth Foto: An­dre­as Harbach/​Musica Bayreuth

Dass der Ba­rock­kom­po­nist Jo­hann Adolf Has­se aus­ge­rech­net in der Wag­ner­stadt Bay­reuth be­son­ders ge­pflegt wird, hat gute Grün­de. Schließ­lich wur­de das Mark­gräf­li­che Opern­haus 1748 mit zwei Has­se-Opern und dem be­rühm­ten Kas­tra­ten Fa­ri­nel­li als Gast­star er­öff­net. Zur Wie­der­eröff­nung des vor­bild­lich re­stau­rier­ten und sa­nier­ten, 2012 zum Welt­erbe er­ho­be­nen Opern­hau­ses gab es An­fang April er­neut Has­ses „Ar­ta­ser­se“, in ei­ner Pro­duk­ti­on der Baye­ri­schen Thea­ter­aka­de­mie, die wie be­rich­tet Wün­sche of­fen ließ. Der be­glü­cken­de Mu­sen­kuss ist im Rah­men der Mu­si­ca Bay­reuth 2018 erst jetzt er­folgt – mit dem Mul­ti­ta­lent Max Ema­nu­el Cen­čić und sei­ner In­sze­nie­rung der Has­se-Oper „Si­roe, Kö­nig von Persien“.

Der aus Kroa­ti­en stam­men­de, mu­si­ka­lisch bei den Wie­ner Sän­ger­kna­ben auf­ge­wach­se­ne Cen­čić wird als Coun­ter­te­nor seit Jah­ren in ei­nem Atem­zug ge­nannt mit Phil­ip­pe Jar­rous­ky. Sei­nem be­rühm­ten fran­zö­si­schen Kol­le­gen hat er tat­säch­lich et­was vor­aus: Cen­čić ist sein ei­ge­ner Im­pre­sa­rio, sorgt nicht nur für Ern­stein­spie­lun­gen von Wer­ken, in de­nen er sich for­mi­da­bel als Sän­ger ein­bringt, son­dern ist gleich­zei­tig auch Re­gis­seur von Pro­duk­tio­nen, mit de­nen er auf Tour­nee geht. Sein „Si­roe“ (in der zwei­ten Fas­sung von 1763) hat­te vor vier Jah­ren in Ver­sailles Pre­mie­re, gas­tier­te in Athen, Lau­sanne, Bu­da­pest und letz­tes Jahr bei den Mai­fest­spie­len Wies­ba­den erst­mals in Deutschland.

Das ein­ma­li­ge Bay­reuth-Gast­spiel der ita­lie­nisch­spra­chi­gen Ope­ra se­ria im Li­bret­to von Pie­tro Me­tasta­sio wur­de nur „halb­sze­nisch“ prä­sen­tiert, was sich üb­ri­gens nicht als Eu­phe­mis­mus her­aus­stell­te. Es fehl­ten wohl nur ei­ni­ge schieb­ba­re durch­bro­che­ne Holz­wän­de, die den mär­chen­haft-sur­rea­len An­satz der In­sze­nie­rung noch ver­stärkt hät­ten. Die Tie­fe des Büh­nen­raums blieb zwar  un­ge­nutzt, aber sonst war al­les da: ein Thron, ein Tep­pich, ei­ni­ge Ho­cker so­wie die pracht­vol­len Kos­tü­me von Aus­stat­ter Bru­no de La­ven­è­re im Licht von Da­vid De­bri­nay, die sti­lis­tisch wa­ge­mu­ti­ge­ren Vi­de­os von Eti­en­ne Gui­ol, das aus­ge­zeich­ne­te Ori­gi­nal­klang-Or­ches­ter Ar­mo­nia Ate­nea und vor al­lem sechs So­lis­ten, die sän­ger­dar­stel­le­risch al­les auf­bie­ten kön­nen, was das Ba­rock­opern­herz begehrt.

Die Hand­lung spie­gelt das Nach­fol­ge­ger­an­gel ei­ner per­si­schen Dy­nas­tie. Es geht um Soh­nes­lie­be und Bru­der­zwist, Macht­gier und Pflicht­ge­fühl, heim­li­che Lieb­schaf­ten und Ra­che. Das vir­tuo­se  Ver­wirr­spiel aus In­tri­gen, Ei­fer­sucht und Lei­den­schaft hat Max Ema­nu­el Cen­čić so in­sze­niert, dass man auch ohne Über­ti­tel letzt­lich ver­steht, wor­um es geht. Dass zwei Frau­en in Män­ner­klei­dung auf­tre­ten, war kei­ne Ver­ständ­nis­hür­de in ei­ner Oper, in der ne­ben ei­nem nor­ma­len Te­nor zwei Coun­ter­te­nö­re die männ­li­chen Prot­ago­nis­ten waren.

Im Ge­gen­teil: So­wohl die weib­li­chen und männ­li­chen Mez­zo­so­pran­stim­men hat­ten so viel  ver­füh­re­ri­sches und durch­aus auch dra­ma­ti­sches Po­ten­zi­al, dass nir­gends in der fast un­ge­kürz­ten  Oper (mit Ein­schü­ben von je ei­ner Arie von Carl Hein­rich Graun und Ge­org Fried­rich Hän­del) Lan­ge­wei­le auf­kom­men konn­te. Ganz zu schwei­gen von den Bra­vour­ari­en der in­tri­gan­ten Lao­di­ce, die die jun­ge Ko­lo­ra­tur­so­pra­nis­tin Ju­lia Lezhne­va selbst in atem­be­rau­ben­den Tem­po tech­nisch so sou­ve­rän und far­ben­reich be­wäl­tig­te, dass nicht nur das un­gläu­big stau­nen­de Pu­bli­kum, son­dern auch die Kol­le­gen auf der Büh­ne sie in­ten­siv feierten.

Dass alle So­lis­ten bar­fuss auf­tra­ten, wäre nor­ma­ler­wei­se nur eine Rand­no­tiz. Sie be­leuch­tet al­ler­dings die un­be­ding­te Hin­ga­be der Be­tei­lig­ten, de­ren in­ti­me Bo­den­haf­tung bei der Vor­stel­lung am Frei­tag pfeil­ge­ra­de in den Ba­rock­opern­him­mel führ­te. Viel spon­ta­ner Bei­fall und Bra­vo­ru­fe auch für Max Ema­nu­el Cen­čić in der Ti­tel­rol­le, Blan­di­ne Stas­kie­wicz als Emi­ra, der jun­ge Coun­ter Ray Che­nez als Me­dar­se, Vas­si­lis Ka­va­yas als Cos­roe, Yas­min Öz­kam als Aras­se und das be­geis­ternd ex­akt sich ein­schwin­gen­de und pul­sie­ren­de Or­ches­ter un­ter dem kom­pe­ten­ten Di­ri­gen­ten Mar­kel­los Chrys­si­cos. Was für ein be­glü­cken­der, ja un­ver­gess­li­cher Abend!

Be­such­tes Gast­spiel am 18. Mai 2018, Erst­ver­öf­fent­li­chung im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags am 22. Mai 2018. Die Mu­si­ca Bay­reuth bie­tet noch bis 16. Juni Ba­rock­mu­sik, Klas­sik, Jazz und Tanz. In­fos un­ter http://​www​.mu​si​ca​-bay​reuth​.de/