Ein Angebot des Richard-Wagner-Verbands Bamberg machte es mir möglich, Anfang September 2016 das Beethoven-Fest in Bonn, die Ruhr-Triennale in Marl und die Pückler’sche Gartenkunst in der Bundeskunsthalle zu besuchen. Mein Motto als Frischling war: »Notizen eines unbedarften Laien«. Das Motto des Busfahrers Hermann war: »Never stop at Tank-und-Rast!«
Der Besuch des Geburtshauses von Ludwig van Beethoven läßt schon die besondere Persönlichkeit dieses Komponisten erkennen, dessen protestantische Familie im liberalen Bonn vom Kurfürsten eine Förderung erfuhr, die im erzkatholischen Köln nicht möglich gewesen wäre. Sehr eindrucksvoll auch die museale Darstellung seiner langsamen Ertaubung: gigantische Hörrohre in der Museumsvitrine sollten besseres Hören ermöglichen, stempelten Beethoven aber zum Außenseiter. Die genetisch bedingte Taubheit (Fehlen der Flimmerhärchen im Ohr, so weiß man heute) war eine schier unglaubliche Belastung für Beethoven: einerseits Taubheit für Musik und Sprache und andererseits extreme Geräuschbelastung durch Lärm wie Kutschengeratter oder Pferdegetrappel.
Der Eröffnungsvortrag der Intendantin Nike Wagner in der Aula der Universität zum diesjährigen Thema des Beethoven-Festes »Revolutionen« zeigt uns in großartiger Weise (»allegro con brio«) weitere Facetten von Beethovens Werk, nämlich die Intention der Eroica, auf. Begeistert von einem neuen Befreier, einem Titan, einem Retter, der Europa die Freiheit bringen würde, wie Prometheus der Menschheit das Feuer, wollte Beethoven die Symphonie eigentlich Napoleon widmen. Das neue Revolutionspathos in Beethovens Komposition, weg von den Salonmusiken des Ancien Regime hin zu einer wiedererkennbaren Musik auf den großen Plätzen schwingt in der Eroica mächtig mit. Das ist die Nobilitierung des Alltags! Auch die Attitüde Beethovens drückt nun Revolution aus: keine gepuderte Perücke mehr, stattdessen lange Hosen, wehendes Haar im römischen Stil eines Titus, wie der junge Napoleon auf dem berühmt gewordenen Porträt mit Pferd… Bewegung, Freiheit, Aufbruch! Activité, vitesse, vitesse! 1803 geschrieben, wird die Symphonie No.3 ein persönliches Rettungsmuster für Beethoven, dessen immer größer werdende Depression durch die Taubheit in der Wucht und im teleologischen Furor am Ende der Symphonie ihre Erlösung findet. Die Eroica sollte Beethovens Entrée in Paris sein, doch auch finanziell muß man überleben und so widmete Beethoven die Symphonie dem Fürsten Lobkowitz, seinem Gönner, der für die Widmung viel Geld bezahlte. Eine Widmung ist die damalige GEMA gewesen, man bezahlte für die Rechte an einer Musik, die dann von anderen nicht mehr genutzt werden konnte, so lange die Rechte galten. Eine Umwidmung der Symphonie war so also rechtlich eigentlich nicht mehr möglich, und Beethoven war nach der Kaiserkrönung Napoleons sowieso dermaßen enttäuscht vom einst so hoch verehrten Usurpator, daß er den Platz für die Widmung leer ließ, bzw. ausradierte. Schließlich wurde die Eroica einfach »einem großen Mann gewidmet« … eine salomonische Lösung.
Im Unterschied zu Kriegen, so Hannah Arendt, sind Revolutionen eine Erfindung der Neuzeit, der Säkularisation, nämlich eine wilde Bewegung mit einer Idee, einer Vision hin zur Freiheit, der »Freiheit eine neue Stätte zu gründen«. Der neue Zeitgeist deutet sich bereits bei Cherubini an in der Oper »Der Wasserträger« und verdichtet sich bei Beethoven durch den Furor und die Kraft des verstärkten Bläsersatzes in der »Eroica«. Die Ideen der französischen Revolution waren stilbildend für spätere Revolutionen, nicht von ungefähr bezeichnet sich Lenin später als einen »Jakobiner der Revolution«, und die »Eroica« ist die erste Komposition überhaupt, die Geschichte ausdrückt! Was für ein Meilenstein! Konstantin Scherbakow führt uns bis zur Erschöpfung dann in einer wahren interpretatorischen Meisterleistung diese revolutionäre Kraft am Klavier vor: die Symphonie Nr. 3 in Es-Dur op. 55, Fassung für Klavier solo von Franz Liszt.
Beethoven, Napoleon und natürlich am Abend zuvor das Konzert in der Beethovenhalle mit der bezaubernden, im Ausdruck warmherzigen Hilary Hahn und der tschechischen Philharmonie unter Jiri Belohlavek mit einem besonderen Lichtpunkt: der Ouvertüre für Orchester »Don Quixotte tanzt Fandango« von Victor Ullmann, der das Werk 1942 in Theresienstadt geschrieben hatte und 1944 in Auschwitz ermordet wurde. (»Ich habe in Theresienstadt ziemlich viel neue Musik geschrieben. Zu betonen ist … dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen, und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war« schrieb Ullmann noch im Sommer 1944 in einem Essay über »Goethe und Ghetto«).
Und ja, es gibt ein Leben auch jenseits der Konzertsäle, nämlich im »Pott«! Die Ruhrtriennale zeigt uns kulturelles Leben in einem postindustriellen Ambiente, und auch die Menschen dort zeigen uns ihre Art von Kultur, nämlich die Kultur der Gastfreundschaft, wie z.B. Boris’ Familie im »Lipper Hof« aus Serbien und Mazedonien stammend, die uns mit ihren internationalen Spezialitäten von indisch bis jugoslawisch und wienerschnitzlerisch bewirtete. So gelungen kann Integration sein und so ruhrpottisch sympathisch spricht die jüngste Generation, die schon in Deutschland geboren ist.
In der Zeche Auguste-Victoria, erst 2015 stillgelegt, glitzert dann die Kohle in einem überwältigenden Bild von Millionen Diamanten, als sich die Kohlenmischmaschine langsam nach rückwärts bewegt und eine Szene erschafft wie im Film »Independence Day«: der Mensch im »Fall Meursault« von Kamel Daoud und seine »Geworfenheit in das existentialistische Sein«. Die Inszenierung von Johan Simons beeindruckt durch die Location, durch die Lichttechnik und durch die Schauspielkunst der Darsteller. Das Stück selbst schien mir fast ein wenig langatmig, aber das existentialistische Drama des Kampfes im Fremdsein an sich bewegt. Der andere ist fremd und wir sind uns selbst auch manchmal fremd. Es ist nicht leicht, die »Verwüstungen in uns selbst« (Jasenka Roth) kennenlernen zu wollen.
Schließlich noch die Bundeskunsthalle mit der »Pücklerschen Gartenkunst«. Ein Pleasure Ground mit einer damaligen grandiosen Geschäftsidee: Ananas-Verleih für nicht so vermögende Adlige. Die Ananas als Statussymbol auf jeder fürstlichen Tafel war Pflicht – wohl gemerkt: zum Anschauen, nicht zum Essen! Und wer sie sich nicht leisten konnte, lieh sie sich für einen Abend aus! Denn, wie Pückler sagte, nachdem er die Gärten der Fürsten mit der Idee einer Baumverpflanzungsmaschine und dem Verschleudern von Familienvermögen in Bad Muskau, Branitz und Babelsberg nach englischem Vorbild revolutioniert hatte: »Knickern aber darf man nicht, denn umsonst ist nur der Tod!«
Bei der Heimfahrt schließlich fasst unser Busfahrer Hermann die Richard-Wagner-Gesellschaft so zusammen: »Am Anfang erschienen Sie mir alle ein bisschen … hmmm … dezent … , aber dann haben sich doch alle prächtig unterhalten!«
P.S. Ursula Lauterbach ist aufgrund dieser Fahrt bei uns Mitglied geworden.
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