Über vierzig Jahre ist es her, als die Arbeitsgemeinschaft „100 Jahre Bayreuther Festspiele“ die ersten Bände einer umfassenden Festspielgeschichte herausgab. Das ambitionierte Forschungsprojekt sollte jedoch Stückwerk bleiben: Obwohl binnen zwölf Jahren dreizehn Bücher von zehn Autoren erschienen, blieben zentrale geplante Teilaspekte gänzlich unbehandelt. Umso mehr beeindruckt, was Oswald Georg Bauer mit seiner zweibändigen Geschichte der Bayreuther Festspiele auf 1292 Seiten und mit 1111 meist farbigen Abbildungen zustande gebracht hat. Der Theaterwissenschaftler, frühere Dramaturg und Pressechef der Bayreuther Festspiele hat mehr als ein Vierteljahrhundert lang gesucht, gesammelt und gesichtet, hat aus vielen, teils bisher nicht zugänglichen Quellen und aus dem hautnah Miterlebten im Alleingang ein chronologisches Standardwerk geschaffen, das große Lücken der Zentenariums-Reihe schließt.
Die real und inhaltlich schwergewichtigen, superb bebilderten Bände decken die Zeit von der ersten Festspielidee Wagners anno 1850 bis hin zum Jahr 2000 ab, sinnfällig aufgeteilt in die ersten hundert Jahre und in die Ära von Neubayreuth, die eher aus Rücksicht denn aus plausiblen Gründen nicht detailliert bis in die jüngste Gegenwart fortgeschrieben wird. Was nicht verwundert, war der Autor doch von 1974 an ein maßgeblicher Mitarbeiter des Rekordfestspielleiters Wolfgang Wagner. Dass Bauer seinen ehemaligen Chef eher in Schutz nimmt denn kritisiert, während er Wieland, den Kronprinzenbruder, ungeschönt präsentiert, ist erklärlich, aber schade. Vielleicht sollte man dem Autor dieser Herkulesarbeit einfach zugestehen, seine Haltung und Meinung zu haben.
Bauers Festspielgeschichte ist für Opern- und Wagnerfreunde und alle, die es werden wollen, ein Muss, ja, mehr noch, ein veritables Geschenk. Gut häppchenweise und querbeet zu lesen, liefert sie Fakten und Wertungen, vertieft vorhandenes Wissen, bietet neue Erkenntnisse und frischt Erinnerungen auf. Während er die Familien-Seifenoper, wo es nur geht, konsequent links liegen lässt, zeigt der Autor deutlich auf, warum die Mutter aller Festspiele ein schrecklich genauer Spiegel deutscher Geschichte ist. Das ist die eine Seite der Medaille. Hier, in Bauers Chronik mit ihren beispielhaften Beschreibungen der Festspiel-Neuinszenierungen, gilt’s vor allem der wagnerschen Musiktheaterkunst. Dem avantgardistischen Chéreau-Ring von 1976 bis 1980 widmet der Autor zu Recht allein sechzig Seiten. Und lässt – was er später nur noch einem Solistenpaar zugesteht – Brünnhilde Gwyneth Jones und Wotan Donald McIntyre gleich mehrfach „das Dach vom Festspielhaus singen und die Sterne vom Himmel holen“. Womit er alle auf seiner Seite hat, die das miterleben durften. Kurz und klar verwirft er das Bayreuth im neuen Jahrtausend, um mit Emphase zu versichern: „Nichts ist zu Ende. Alles liegt noch vor uns.“ Was bitte unter anderem heißen möge, dass der Verlag bei der 2. Auflage das notwendige Personen- und Sachregister realisiert.
Oswald Georg Bauer: Die Geschichte der Bayreuther Festspiele, 2 Bde. im Schuber, Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2016, 724 S./568 S., 128,– €
Buch-Kritik von Jürgen Liebig auf Deutschlandradio Kultur
Buch-Kritik von Michael Horst auf SWR2
Buch-Kritik von Robert Jungwirth auf BRKlassik
Doppelkritik von Alexander Dick (mit der Wagner-Biografie von Ulrich Drüner, der am 21. Februar zu uns nach Bamberg kommt) in der Badischen Zeitung
Buch-Kritik von Bernd Buchner für H-Soz-Kult
Bauer-Interview von Christa Sigg in der Münchner Abendzeitung
Bauer-Interview von Regine Müller in der Rheinischen Post
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