Der Titel unserer nächsten Veranstaltung ist ein bisschen irreführend: Zwar wird der nicht nur in Bamberg beliebte Schauspieler Volker Ringe am 5. Juni ab 19.30 Uhr im Atelier von Bernd Wagenhäuser (Gertraudenstraße 10, Rückgebäude) wesentliche Teile der „Nüchternen Briefe aus Bayreuth“ von Paul Lindau lesen. Aber nüchtern wird die Lesung, in der es um die Festspieleröffnung und „Ring“-Uraufführung 1876 steht, keineswegs sein. Was sowohl an den süffigen Texten des seinerzeit sehr populären Schriftstellers und Kritikers liegt als auch daran, dass das hoffentlich zahlreiche Publikum an diesem Abend keineswegs auf dem Trockenen bleiben muss und sich an diesem außergewöhnlichen Veranstaltungsort mit Wein und Wasser verköstigen lassen kann. Vielleicht wird aus unserer letzten Veranstaltung vor der Sommerpause sogar ein kleines Sommerfest? Wie auch immer: Der Eintritt ist wie immer frei, die Getränke müssen bezahlt werden; die nächsten Parkmöglichkeiten sind im Atrium. Atelieröffnung ist schon um 18.30 Uhr, damit die Besucher schon vorab auch Zeit für die bildende Kunst haben.
Im Standardwerk über die frühe Rezeptionsgeschichte der Bayreuther Festspiele zählt Paul Lindau (1839–1919) mit seinen Berichten über die ersten Bayreuther Festspiele zu den Vertretern des leichten Journalismus. Unter dem Titel „Nüchterne Briefe aus Bayreuth“ verfasste er fünf längere Feuilletons für die Schlesische Presse in Breslau, die noch im selben Jahr auch in Buchform erschienen, sowie einen launigen längeren Artikel für die berühmte „Gartenlaube“. Lindau war als Jude und Journalist noch von Wagner selbst zum „Feind“ seiner Sache abgestempelt worden. Was sich übrigens noch fast siebzig Jahre später niederschlug. In einer Publikation der neu gegründeten Richard-Wagner-Forschungsstätte Bayreuth schreibt deren Leiter Otto Strobel 1943 in einer linientreuen Fußnote über Paul Lindau: „Berliner Journalist, später Theaterleiter. Verfasser der ‚Nüchternen Briefe aus Bayreuth‘, die in witzelnder, geschmackloser und durch keinerlei Sachverständnis getrübter Weise über die Festspiele von 1876 berichten.“
Was natürlich Ansichtssache war. So stellt Susanna Großmann-Vendrey in dem Standardwerk „Bayreuth in der deutschen Presse“ unter anderem fest:
Lindau, in vielem noch ein Kind des emanzipierten Bürgertums, verteidigt gegenüber Wagners näherer Gefolgschaft, welche die Fähigkeit, den Festspielen gerecht zu werden, für sich allein beansprucht, selbstbewußt sein Recht, über die Erlebnisse und Eindrücke in Bayreuth kritisch und eigenständig urteilen zu dürfen. Er zeigt einen feinen Sinn für den aufdämmernden Geniekult und ästhetischen Aristokratismus von Bayreuth: Er registriert schon sehr früh die unbedingte Unterwürfigkeit der Gefolgschaft gegenüber dem ‚Meister‘. Obwohl Lindaus demokratisches Gedankengut später zum Salonsozialismus verflachte, sind diese Züge der Darstellung als liberales Erbteil bemerkenswert.
Hellmut Kotschenreuther, Herausgeber der jüngsten Ausgabe der „Nüchternen Briefe“, deren vielsagender Untertitel lautet „Vergeblicher Versuch im Jahr 1876, Zeit und Geister Richard Wagners zu bannen“, schreibt in seinem Vorwort:
Dem kritiklosen Enthusiasmus der engagierten Wagnerianer und dem wütenden Hohn der Gegner, Neider und Nörgler setzte ein kleines Häuflein kritisch-sachlicher Beobachter seine ostentative Nüchternheit entgegen. Unter ihnen verdient Paul Lindau an bevorzugter Stelle genannt zu werden. Indem er mit viel Einfühlung und noch mehr kritischem Witz konstatierte, daß Wagner als Regisseur seinem eigenen Werk nicht gewachsen war, handelte er sich den Zorn jener Wagnerianer ein, für die alles, was ihr Meister je getan, gedacht, geschrieben und komponiert hatte, sakrosankt war. Ihre Empörung konnte nicht verhindern, dass die ‚Nüchternen Briefe‘ von der Nachwelt bis heute als einer der witzigsten Beiträge zur Rezeptionsgeschichte Wagners und seiner Tetralogie begriffen werden.
Der Veranstaltungsort wird dem Thema in gewisser Weise perfekt gerecht, denn das Atelier des Bamberger Bildhauers Bernd Wagenhäuser entspricht dem von den Bayreuthern liebevoll als „Scheune“ titulierten Festspielhaus: ein eher nüchterner Bau mit viel Kunst drin. Man darf also in mehrfacher Hinsicht gespannt sein.
Zur Person: Der Schauspieler, Rezitator, Sänger und Musiker Volker Ringe ist 1963 in Bremen geboren. Er wollte früh zum Theater, ging aber erst als Schiffskaufmann in die Lehre, bevor er in Berlin eine Schauspielausbildung wagte und als Schlagzeuger einer New-Wave-Band, als Regie-Assistent und Gastschauspieler an der Freien Volksbühne Berlin agierte. Weitere Engagements folgten unter anderem am Schloßtheater Celle, Stadttheater Gießen, an der Komödie Kassel, am Theater Nordhausen und in Baden-Baden. Am E.-T.-A.-Hoffmann-Theater Bamberg war er von 2007 bis 2016 unter zwei Intendanten Ensemblemitglied, mit der Spielzeit 2017/18 gehört er zum Ensemble des Theaters Hof, wo er schon vorher gastierte. Auch in Film und Fernsehen ist er aufgetreten, darunter in „Alarm für Cobra 11“, „Die Wache“, „Herzschlag – Das Ärzteteam Nord“ oder Polizeiruf 110“. Mit vielen Bamberger Theaterfreunden freuen wir uns auf ein Wiedersehen mit ihm. Foto: Theater Hof
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