Cosima kann endlich ihre Reise nach Mannheim beginnen, versorgt mit Telegrammen und liebevoller Post von R. auf ihrer Zwischenstation in Basel.
Sonnabend 16ten [Dezember 1871] Vorbereitungen zur Abreise[1]; um 5 fort, Abschied von den Kindern, im Wartesaal noch einige Zeilen von R. gefunden[2]. In Basel um 9 Uhr; Abend mit Fritz Br[3]. und Pr. Nietzsche[4].
Cosima bekommt an diesem Abend von ihrem Neffen einen von R. bereits angekündigten Brief, den er nach Basel geschickt hatte. Hier der Brief aus Bayreuth vom 15. Dezember im Wortlaut:
Liebes Weib! Vielleicht führe ich Dir noch diese letzten Zeilen vor unsrem Wiedersehen (!) zu. Auch diese schreibe ich in der Hast. Mein Architekt[5] traf gestern 1 Uhr, der arme Maschinist[6] erst um Mitternacht hier ein. Beide lagern um die Stuben, welche wir im April[7] inne hatten. Die Sache nimmt einen verheissungsvollen Ernst an. Fäustel[8] reiste mit mir von München; schändlicher Aufenthalt in Neuenmarkt[9]; gestern früh 9 Uhr hier angekommen. Bürgermeister[10] besucht, auch Präsident Lerchenfeld[11] – sehr gewogen der Unternehmung. Am Nachmittag mit Neumann Alles geordnet. Unser Haus[12] noch einmal durchgenommen. Darauf am Abend Conferenz mit allen Teufeln, auch Bauräthen und Hofarchitekten. Heute früh Bauplatzauswahl[13]. Nachmittag – Kauf – (O Gott! Eben habe ich 10 Teufel glücklich wieder hinausgeschoben, welche mich unterbrachen!) Sie wählen die Plätze und werden mich dann abholen um den Ausschlag zu geben. Dann geht’s an unser Grundstück; wir bleiben bei dem von uns ausgewählten am Park. – Also: am Nachmittag kauft die Stadt dann den Bauplatz für’s Theater (denn sie muss ihn kaufen) und stellt mir morgen früh die Schenkungsurkunde darüber zu. Wegen unsres Grundstückes hat Fäustel nicht den mindesten Zweifel, dass sein Ankauf sich ebenfalls leicht u billig machen werde. Er besorgt das. Und Neumann hinterlässt bei den hiesigen Baubehörden die genauen Aufträge für Theater wie Haus. Ueber die Leute werde ich Dir viel zu erzählen haben: Fäustel ist Naturmensch von grosser heiterer Energie. Lerchenfeld an Schack[14] erinnernd. Sonderbares Element für Dich! Aber wir gewöhnen uns daran, denn am Ende müssen wir dort eben Alles sein. – Neumann ist ganz Teufel. Brand hat nur Sorge um den Gas[15]. – Da draussen wandeln sie jetzt im Schnee! –
Dich aber, mein Weib, umarme ich – ach! ach! ach! Ich Glücklicher! – Uebermorgen wieder. – Den grossen Brief (auch das Couvert mit Einlagen, welches im Telegramm als „Brief“ zählte) erhielt ich noch gestern Abend, als hier Alles voll war. Ich setzte mich sogleich in das Schlafzimmer – aber der Brief war zu schön und sphärisch: ich steckte ihn ein für die Stunde, wo die Schreier fort sein würden. – Die kam denn auch, und da wiegte mich denn Dein Brief in tiefe schöne Ruhe. – Mein Weib! – Hier in diesem Zimmer! Die schönen Landschaftsgemälde an den Wänden; der schweigsame Oberkellner. Ein Bouquet von Frau Raila[16]. – Acht! Wie träumerisch! – Aber jetzt bin ich ganz Hans Sachs, – bald werde ich zur Wiese angeholt. Ich kleide mich an, und sage Dir guten Tag! – Die Kinder kannst Du nicht von mir grüssen. Dafür will ich ihnen heute telegraphiren. Fasanen und Baschelic sind hoffentlich angekommen.
Grüsse Fritz! Sei froh u. schönen Muthes: uns wird’s noch recht gut gehen! Ach! Liebe! Liebe! Sei Du mir nur gut! – Sonntag nach (!) 3 Uhr siehst Du einen armen guten Mann wieder, dem Du Alles bist! –
„Heil Kuchen!“[17] –
Dein Grosser Fidi
Bayreuth, Freitag früh.
Heute Abend grand Souper bei Fäustel.
[1] Cosima startet ihre Fahrt nach Mannheim in Luzern mit einer Zwischenstation in Basel, wo sie bei Wagners Neffen Fritz Brockhaus übernachten wird.
[2] Zwei Telegramme aus Bayreuth erreichen Cosima noch, in dem einen bestätigt er den Erhalt von Cosimas Briefen und trifft Verabredungen, in dem anderen der folgende Kurzbericht: Erfreulichste Erledigung. Unbeschreiblich schöner Bauplatz [für das Festspielhaus]. Unser Grundstück [für das Privathaus] wie früher selbsterwählt. Bayreuther Bürger. Beim Festmahl mein Weib & Kind begrüsst. Reise alsbald. Morgen? Allein? Hoffe & bitte zu zwei. Dritter Brief noch nicht erhalten. Richard.
[3] Friedrich Brockhaus, genannt Fritz (1838–1895), der jüngere Sohn von Hermann und Wagners Schwester Ottilie Brockhaus, Bruder von Clemens Brockhaus, war promovierter Jurist und seit 1871 Professor für Kirchenrecht in Basel.
[4] Friedrich Nietzsche (1844–1900), Philosoph, zeitweiliger Wagner-Apologet und Freund der Familie, seit 1869 Professor der klassischen Philologie in Basel.
[5] Wilhelm Neumann (1826–1907) Architekt, ab 1870 königlicher Baudirektor in Berlin.
[6] Carl Brandt (1828–1881), Bühnentechniker am Hoftheater Darmstadt.
[7] Räumlichkeiten im Hotel Goldene Sonne, wo die Wagners von 17. bis 20. April 1871 logiert hatten.
[8] Friedrich Feustel (1824–1891), Bayreuther Bankier, als Politiker sowohl auf lokaler, Landes- und Reichsebene tätig, wurde 1891 nobilitiert. Auch in der Bayreuther Freimaurerloge aktiv ist er ein entschiedener Förderer von Wagners Ansiedlung in Bayreuth und wird Mitglied im Verwaltungsrat des Festspielunternehmens.
[9] Ja, die Bahnverbindungen nach Bayreuth waren und sind nicht besonders gut. Wagner und Feustel reisten am 13. Dezember abends aus München ab, fuhren am 14. Dezember über Bamberg und Neuenmarkt-Wirsberg nach Bayreuth.
[10] Theodor Muncker (1823–1900), Jurist, von 1863 bis 1900 Bürgermeister von Bayreuth.
[11] Ernst von Lerchenfeld (1816–1873), ab 1868 Regierungspräsident von Oberfranken in Bayreuth.
[12] Gemeint ist das künftige Wohnhaus der Familie.
[13] Das im Frühjahr ausgewählte Grundstück hatte sich als ungeeignet erwiesen, die „Commission für Eruirung des Bauplatzes der hier zu errichtenden Wagner-Theaters“ entschied sich daraufhin für einen Bauplatz auf dem Stuckberg im Stadtteil St. Georgen. Unüberwindliche Schwierigkeiten beim Kauf dieses Grundstücks haben zur Folge, dass die städtischen Kollegien sich Anfang Januar 1872 für einen Baugrund unterhalb der Bürgerreuth entscheiden. Aller guten Dinge sind eben drei!
[14] Adolf von Schack (1815–1894) Literaturhistoriker, Dichter, Kunstsammler und -mäzen.
[15] Gemeint ist die Gasbeleuchtung des künftigen Festspielhauses. In Bayreuth heißt es übrigens DIE Gas, oder?
[16] Helene von Raila (1848–1916), Gattin des bei Sédan verwundeten Offiziers Richard Raila, die Cosima im April in Bayreuth kennengelernt hatte.
[17] Wie Andreas Mielke in seinem Kommentar zu diesem Brief schreibt, handelt es sich dabei um einen Ausruf des zweieinhalbjährigen Siegfried (= Fidi), nachdem Cosimas Kinder zu deren letzten Geburtstag beim von R. umgedichteten Kaisermarsch-Text nicht „Heil dem Kaiser! König Wilhelm!“, sondern „Heil der Mutter! Unsrer Mama!“ gesungen hatten. Ob Engelbert Humperdinck bzw. seine Librettistin Adelheid Wette diese Geschichte gekannt haben? Jedenfalls singt in „Hänsel und Gretel“ die Hexe „Friss, Vogel, oder stirb! Kuchenheil dir erwirb!“
Quellen: Cosima Wagner: Die Tagebücher: Band I, S. 1576. Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 34737 (vgl. Cosima-Tagebücher 1, S. 468); Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Band 23 (hg. v. Andreas Mielke); Ausstellungskatalog „Wenn Not am Mann, muss immer Feustel dran“ von Manfred Eger.
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