Adventskalender 1871 (13)

Co­si­ma ist et­was un­wohl, freut sich aber über eine De­pe­sche und eine wei­te­re aus­führ­li­che Schil­de­rung von den Por­trät­sit­zun­gen R.’s bei Lenbach.

Franz von Len­bachs Wag­ner-Por­trät von 1871 traf nicht recht­zei­tig in Trib­schen ein, so­dass die Ge­burts­tags­be­sche­rung für Co­si­ma erst am 1. Ja­nu­ar 1872 statt­fin­den soll­te. Vor­la­ge: Mar­tin Geck: Die Bild­nis­se Ri­chard Wagners

Mitt­woch 13ten [De­zem­ber 1871] Et­was un­wohl, doch im­mer rüs­tig ge­nug, um mit den Kin­dern zu ar­bei­ten. Ge­gen Mit­tag De­pe­sche von R., daß al­les be­wil­ligt und daß er sehr be­frie­digt nach Bay­reuth heu­te abend ver­reist.[1] Ich te­le­gra­phie­re ei­nen Dank noch nach Mün­chen. Ei­ni­ge Stun­den spä­ter Brief R.’s vom Mon­tag, der noch nichts von mir er­hal­ten und mir viel von sei­nen Sit­zun­gen im Lenbach’schen Ate­lier erzählt.

Hier der am 11. De­zem­ber 1871 ver­fass­te Brief Ri­chard Wag­ners an Co­si­ma in Auszügen:
Lie­bes Weib! Ich bin nicht froh: ich hät­te heu­te ei­nen Brief von Dir be­kom­men sol­len: zwei­mal war ich selbst in dem Kram­la­den am Wit­tels­ba­cher Platz[2]: aber kein gu­tes Ko­sel grüss­te mich. Da­ge­gen trös­tet mich Por­ges[3] – der sich en pas­sant wie­der zum Eu­dä­mon auf­ge­wor­fen hat: Brie­fe von Lu­zern kä­men im­mer erst am drit­ten Tag an. Gut! Aber heu­te ist schon der drit­te Tag dass ich von Dir fort bin. Oh! Die alte Noth! Die hät­te doch nicht wie­der­kom­men sol­len, – be­son­ders da es mit der „Ueber­ra­schung“ nun doch aus ist! – […] Heu­te stand ich erst sehr spät auf; bald kam Len­bach[4] um mei­ne schwar­ze Samt­ja­cke zu ex­ami­ni­ren. Um 11 Uhr ging der Ate­lier-Wahn­sinn wie­der los. Da hät­test Du nun al­ler­dings da­zu­ge­hört! In ei­ner Ecke ich als Mo­dell: links vor mir in ers­ter Li­nie Len­bach, hin­ter ihm Böck­lin[5], ge­nau in glei­cher Ord­nung, je­der vor sei­ner Staf­fe­lei; denn bei­de ma­len mich zu­gleich: rechts Ge­don[6] (das neue plas­ti­sche Ge­nie) vor ei­nem gros­sen Haut-re­li­ef-Me­dail­lon (ich glau­be so heisst es wohl) wo ich mo­del­lirt wer­de, wie aus ei­nem „Ogi­ve“[7] her­aus­gu­ckend. Die­se dreie, nach­dem sie mir ins­ge­sammt sich als die drei ers­ten Künst­ler der Zeit an­emp­foh­len ha­ben, be­stän­dig schrei­end und schwö­rend, dass sie ihre bes­ten Ar­bei­ten mit mei­nem Por­trät schaf­fen wür­den. Len­bach im­mer: „aus­ge­zeich­net!“ – wor­auf ich uns­re An­ec­do­te mitt­heil­te. Ewi­ge Lob­sprü­che auf mei­ne Aus­dau­er und ru­hi­ge Hal­tung. – Um ½ 2 Uhr mit Len­bach zum Re­stau­rant. Auf Dei­ne Ge­sund­heit an­ge­stos­sen. Ein we­nig bei mir aus­ge­ruht: dann um 4 Uhr wie­der zur Sit­zung bei Licht: alle drei wüt­hend ge­schmiert und ge­klebt. Bis 6 Uhr. – Dann zu Schan­zen­bach[8]; an­ge­trof­fen, gut emp­fan­gen, sehr warm und ernst Dei­ner ge­dacht, die er­ge­bens­ten Grüs­se an Dich zu be­rich­ten. Bai­reuth un­be­zwei­felt, seit ich ihn be­lehrt dass es 17,000 Ein­woh­ner hat, nicht 7000, wie er glaub­te (!). – Um 7 Uhr über Mrazek’s Ma­ga­zin wie­der nach Hau­se, aus­ge­klei­det und cor­re­spon­dirt mit Fritzsch[9]. Te­le­gra­phirt an He­ckel[10] (we­gen Pro­gramm) an Neu­mann[11] und Brandt[12] we­gen Fest­stel­lung der Zu­sam­men­kunft in Bai­reuth[13]. – Dann – an mein theu­res Weib ge­schrie­ben, auf „El­fen­bein­pa­pier“, wo­von ich Dir mit­brin­ge. […] Dann habe ich Dir noch zu sa­gen, dass ich stets sehr vor­sich­tig auf ge­fähr­li­chen Stel­len, z. B. schon beim Hin­ab­stei­gen in das Dampf­schiff[14] bin, weil ich im­mer an Dich den­ke, und dass ich für Dich recht vor­sich­tig sein müss­te. Auch heu­te wie­der beim Glatt­eis. – […] Und nun, tau­send Grüs­se und Küs­se! Lie­be, Lie­be! Wenn ich nur erst Dei­nen Brief hät­te! Du hast nun von mir schon so vie­le Le­bens­zei­chen! – Sei in­nig an mein Herz ge­drückt; küs­se uns­re theu­ren Lie­ben, Gu­ten, Herr­li­chen von ih­rem „Ri­chard“!!
Sei ge­seg­net und über al­les Denk­ba­re geliebt!

[1] Te­le­gramm vom 13.12.1871, auf­ge­ge­ben um 11.15 Uhr, zu­ge­stellt um 11.55 Uhr: Al­les ge­neh­migt. Rei­se heu­te Abend halb sie­ben nach Bai­reuth. Feus­tel hier an­we­send, be­glei­tet mich. Tags über noch Sit­zun­gen. Bin wohl und sehr be­frie­digt. Gruß und Se­gen den Kin­dern. Er­war­te mög­lichst noch baie­r­i­scher Hof Te­le­gramm. Richard.

[2] Wag­ner be­nutz­te als sei­ne Münch­ner Post­adres­se die von Franz Mra­zek, sei­nem frü­he­ren Hausdiener.

[3] Hein­rich Por­ges (1837–1900), Chor­di­ri­gent und Mu­sik­schrift­stel­ler, ab 1863 Re­dak­teur in Mün­chen, spä­ter Chro­nist der Büh­nen­pro­ben 1876 in Bay­reuth, da­nach lang­jäh­ri­ger mu­si­ka­li­scher As­sis­tent bei den Festspielen.

[4] Franz von Len­bach (1836–1904), Maler.

[5] Ar­nold Böck­lin (1827–1901), Maler.

[6] Lo­renz Ge­don (1843–1883), Ar­chi­tekt und Bildhauer.

[7] Ogi­ve = Spitz­bo­gen (frz.).

[8] Os­car Schan­zen­bach (1820–1827), Arzt in München.

[9] Ernst Wil­helm Fritzsch (1840–1902), Mu­si­ka­li­en­händ­ler und Ver­le­ger in Leizpzig, bei dem Wag­ner ei­ni­ge sei­ner Bro­schü­ren herausgab.

[10] Emil He­ckel, (1831–1903), In­stru­men­ten- und Mu­si­ka­li­en­händ­ler und Ver­le­ger in Mann­heim, Grün­der des ers­ten Wagnervereins.

[11] Wil­helm Neu­mann, ab 1878 durch Ad­op­ti­on von Moer­ner (1826–1907), Ar­chi­tekt und kö­nig­li­cher Bau­di­rek­tor in Berlin.

[12] Carl Brandt (1828–1881), Büh­nen­tech­ni­ker in Darmstadt.

[13] Bay­reuth-Auf­ent­halt von 14. bis 16. De­zem­ber 1871 zu Be­spre­chun­gen über den Bau­platz des Festspielhauses.

[14] Auf der Rei­se von Lu­zern nach Mün­chen am 9. De­zem­ber nahm Wag­ner zwi­schen Ror­schach und Lin­dau das Dampfschiff.

Quel­len: Co­si­ma Wag­ner: Die Ta­ge­bü­cher: Band I, S. 1573. Di­gi­ta­le Bi­blio­thek Band 107: Ri­chard Wag­ner: Wer­ke, Schrif­ten und Brie­fe, S. 34734 (vgl. Co­si­ma-Ta­ge­bü­cher 1, S. 467); Ri­chard Wag­ner: Sämt­li­che Brie­fe, Band 23 (hg. v. An­dre­as Mielke).

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