Unser Mitglied Sabine Zurmühl stellt am 1. Juni 2022 um 19.30 Uhr in der KUFA (Ohmstraße 3) im Böhlau Verlag erschienene Biografie über Cosima Wagner vor. Hier ein kleiner Einführungstext der Autorin.
O Kosel, O Kosel, mein holdes Getosel!; gutes Mirakel; meine schöne Nachbarin; ewiges Preislied meines Lebens; Elisabeth, Elsa, Isolde, Brünnhilde, Eva in einer Person; Cosima Helferica Wagner; Schwester des Königs von Bayern; Zentralsonne; mein Stölzchen; Kapellmeisterin meines Lebens; meine Melodie; liebe Unentbehrlichkeit – das und noch viele mehr waren Liebesnamen Richard Wagners für seine Cosima.
Cosima Wagner. Ein merkwürdiges Leben. Ein atemloses Leben. Ein seltsam abgeschottetes und öffentliches Leben zugleich. Im Echo der musikalischen und politischen Welt polarisierend zwischen verehrender Anerkennung und gröbster Verachtung. Was wäre aus ihr geworden, wenn sie nicht geheiratet hätte? Eine Mischung aus Elly Ney, Clara Haskil und Martha Argerich? Eine anerkannte, wenn auch lebenslang im Schatten des Vaters beurteilte überragende Pianistin? Männer muss man selten fragen, was aus ihnen geworden wäre, wenn sie nicht geheiratet hätten. Sie wären das geworden, was aus ihnen geworden ist, vielleicht weniger umhegt. Aber irgendeine Hegerin hätte sich immer gefunden.
Kann eine Frau ein selbstbestimmtes Leben führen, indem sie in der Unterstützung, der Mit-Arbeit, dem ordnenden Zuhören und der umfassendsten Fürsorge für einen Menschen lebt? Cosima Wagner hat sich für eben dieses Leben entschieden, voller lebenslang beharrlicher Skrupel, auch voller Freude, mit geradezu euphorischer Energie. Es war ihre Lebenswahl, die Realisierung ihrer in Kindheit und Jugend ausgeprägten Wünsche, nämlich wahrgenommen zu werden im Andern, in Unbedingtheit und im Risiko. Wäre sie nicht letztlich diese innerlich unabhängige und klarsichtige und entschlossene und stolze Frau geblieben, provokant bis zu ihrem letzten Lebenstag, gäbe es kein so widersprüchliches und bislang nicht beruhigtes Interesse an ihrer Person.
Wagner war ein Genie, so anmaßend wie zutraulich, er konnte herzlich und schroff abweisend sein, kreativ und witzig, aber ebenso wehleidig und wankelmütig, er hatte es mit dem Leben schwer und mit sich, und gleichzeitig bereicherten und veränderten seine Kompositionen die Musikwelt für immer. Nur jemand wie Cosima, die in persönlicher Stärke, selbstausbeuterischer Kraft und Beharrlichkeit, mit viel Selbstzweifel und selbstironischem Blick ihr Leben immer sehr bewusst wahrnahm, konnte Wagner darin die Stirn bieten, ein Gegengewicht bilden. Sie behielt bei aller Nähe zu Wagners Plänen und Sorgen, zu seiner alltäglichen Lebensführung, ihren Reiseverpflichtungen und dem finanziellen Chaos immer doch eine innere Unabhängigkeit im Handeln. Diese Klarsicht bedeutete nicht, dass sie sich frei gemacht hätte von den Wertvorstellungen ihrer Zeit, insbesondere von dem rüden Antisemitismus, der nicht nur Wagner und sie verband. Dieser von ihnen gelebte Antisemitismus ist abstoßend und unverzeihlich und bleibt eine nicht zu heilende Wunde.
Cosima Wagners Name scheint alles zu umfassen, was an Frauen verachtenswert schien, vor allem für eifersüchtige Wagnerianer, aber auch für Autoren, die selbstständige, nachdenkliche, talentierte, leidenschaftliche Frauen für zu anstrengend halten. Es schwingt gern ein Hauch von Vorwurf mit, Wagner irgendwie eingesperrt, ihn ferngehalten zu haben von anderen Kontakten, ihm also vielleicht doch nicht im Sinne „unserer Sache“ wirklich gedient zu haben. Ihr klar und konstant vorhandener Antisemitismus wird ihr als Frau mehr übelgenommen als ihren beiden Männern – sowohl was Wagner selbst betrifft als auch ihren ersten Gatten Hans von Bülow, dessen sehr aggressiver Judenhass lange überhaupt kein Thema war.
Und ihre Leitung der Festspiele, die diese Institution nach dem unerwarteten Tod Wagners überhaupt erst festigte, wird nur unwillig zugestanden. Das „Ja, aber…“ ihres zunächst praktizierten Festhaltens an den ästhetischen Vorstellungen Wagners scheint sehr lange ihre Verdienste überdeckt zu haben. Insbesondere ihre Leistungen als Regisseurin und Intendantin der Festspiele harren noch einer umfassenden forschenden Entdeckungs- und Bewertungsfreude. Es mag hinzukommen, dass Cosima Wagner eine soziale Stellung bekleidete, die sie, obwohl mit dem Makel der unehelichen Geburt versehen, so doch mit Erziehung, Bildung und privilegiertem Verhaltenskodex versehen hatte. Zweifellos war sie Wagner in der Sicherheit der Gesprächsführung, der gesellschaftlichen Usancen, der Mehrsprachigkeit und der Erfahrung familiärer Vermögensverwaltung überlegen. Sie stellte also eine Ehefrau „an der Seite von“ dar, die auch die Unsicherheiten und Ängste des „Meisters“ zu Tage treten ließ. Das mochten und mögen Wagnerianer nicht.
Cosima ist eine auffällige Erscheinung gewesen. Sehr groß für eine Frau, schlank bis mager, gekleidet in handgefertigte Modellkleider, die aus Paris, London, Wien, Berlin, Mailand und Venedig geschickt wurden. „Das moderne Straßenkleid berührte an ihr nahezu fremd“, stellte der Schriftsteller Walther Siegfried fest. Das Haar, das lange Haar, das auf Fotografien mal hell, mal eher dunkel erscheint, trug sie mit einem Mittelscheitel, rechts und links aus den Schläfen nach hinten, leicht gelockt, und dann die Fülle als schweren Zopf kunstvoll im Nacken verschlungen. Das lässt die hohe Stirn frei und wird von ihr so getragen, solange Wagner lebt.
Cosimas Stimme soll besonders reizvoll gewesen sein, auch wegen des beibehaltenen kleinen französischen Akzents. Über die Kraft, mit der sie sprach, berichtet der Schweizer Buchautor: „Bei der ersten Begegnung überraschend, immer aber neu eindringlich wirkte auf jedermann auch die eigenartige Gewalt ihrer Stimme, dieser ungewöhnlich tiefen, klangvollen Stimme, die im ruhigen Gespräche ganz weiblich, im steigenden Disput, vollends beim kraftvollen Behaupten und Verteidigen, eine männliche Energie annahm, wobei auf dem bedeutenden Munde oft plötzlich etwas von der berückenden Dämonie ihres Vaters Liszt erschien.“
Anna Bahr-Mildenburg, die später gefeierte Wagner-Interpretin und Parsifal-Kundry, wurde, 25-jährig, für ein erstes Engagement 1897 von Cosima empfangen. In ihren Erinnerungen berichtet sie von Cosimas Gesicht, „aus dem mich zwei unendlich gütige Augen grüßten, während es mir aber doch war, als ob sie meine ganze Seele absuchten und abschätzten und sich meines ganzen Wollens bemächtigten. Und so redete alles in diesem Gesicht mit, und wenn mich die strenge markante Nase kleinlaut und verzagt machen wollte, ließ mich doch der schmallippige, wunderschöne Mund mit seinem weichen Lächeln wieder mehr hoffen als fürchten, und als ich dann die Hand der schönen Frau in der meinen spürte, wurde mir heiß, und mein Herz neigte ich ihr zu.“
Zur Autorin
Sabine Zurmühl wurde 1947 geboren, Nachkriegskind im zerbombten Berlin – der Vater aus Schlesien und kriegsversehrt, ursprünglich Schauspieler, die Mutter berufstätig, eine ältere Schwester. Wenig Geld, Lesehunger, Musik und Literatur als Trost und Herausforderung. Abitur an einem musischen Gymnasium, Studium der Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Magister und Staatsexamen.
Während des Studiums Volontariate beim WDR in Köln und Rias Berlin. Erste Arbeiten als Hörfunk-Autorin. Engagement in der Studentenbewegung und für eine „Reformierte Altgermanistik“. Nach kurzer Tätigkeit in der Universitätslehre Entscheidung für freie Autorinnentätigkeit.
Erstes Engagement in der Frauenbewegung. Gründung der Frauenzeitschrift Courage. Publikationen in Hörfunk, Presse und Fernsehen zur Kultur- und Frauengeschichte. Mit-Gründerin des Journalistinnenbundes, Engagement beim Frauen-Medientreffen der ARD. Historisch erste TV-Dokumentation zum Thema sexueller Missbrauch.
Zahlreiche Dokumentarfilme im kultur-, musik- und theatergeschichtlichen Kontext – Porträts von Regisseurinnen, zur Theatergeschichte der „Hosenrolle“ in der Oper, im Film und auf der Bühne, zur Kabarettgeschichte. Filmische Beobachtungen zu aktuellen politischen Themen, aber auch zur Nachkriegszeit. Buch-Biografie Das Leben, dieser Augenblick über die Schriftstellerin Maxie Wander zwischen Wien und Ostberlin. Kontinuierliche Theaterberichterstattung, u. a. als Kritikerin der taz zu den Bayreuther Festspielen. Frühe Veröffentlichungen zum Wagner-Thema wie Leuchtende Liebe, lachender Tod. Zum Tochtermythos Brünnhilde sowie in der Anthologie In den Trümmern der eigenen Welt.
Ab 1996 zusätzlich Tätigkeit als Mediatorin, meist in Familien und für Teams. Sabine Zurmühl lebt seit der Wende im brandenburgischen Fläming. (Veröffentlicht am: 23. Apr. 2022 um 19:50 Uhr)
Zum Buch
Sabine Zurmühl
Cosima Wagner
Ein widersprüchliches Leben.
Mit einem Nachwort von Monika Beer
Erscheint am 16. Mai 2022, 360 Seiten, 39 farb. Abb., gebunden, 40 €, ISBN: 978-3-205-21501-1, Böhlau Verlag Wien, 1. Auflage 2022
Kurztext In 33 Annäherungen zeichnet die Autorin Sabine Zurmühl ein differenzierteres Bild der heute vorwiegend mit Antisemitismus und künstlerischem Starrsinn assoziierten Cosima Wagner. Deren langes, sich Skandalen aussetzendes Leben ist mit vielen Brüchen und dem Wechsel der Aufenthalte und Sprachen durchzogen. Die mit dem Dirigenten Hans von Bülow verheiratete Tochter des Starpianisten Franz Liszt und der französischen Hochadeligen Marie d’Agoult entscheidet sich frei und mutig zum skandalisierten Liebesverhältnis mit Richard Wagner, schützt und stützt den Komponisten bei seinem Weg zur Anerkennung. Nach Wagners Tod etabliert sie die Bayreuther Festspiele und schreibt damit Theatergeschichte. Mit ihrer Leidenschaft, ihrer Selbständigkeit, ihrer Hartnäckigkeit und ihrer unbeirrbaren Klarheit als Person des öffentlichen Interesses lebte Cosima Wagner ein provokantes und auf ihre Weise selbstbestimmtes Leben jenseits vorgegebener Regeln und Normen.
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