„Auf ihr lag immer noch ein sehr unbarmherziger Blick“

Un­ser Mit­glied Sa­bi­ne Zur­mühl hat sich in­ten­siv mit dem wi­der­sprüch­li­chem Le­ben von Co­si­ma Wag­ner be­schäf­tigt. Hier ein ers­tes In­ter­view zur neu­en Biografie.

Sa­bi­ne Zur­mühl vor dem im Wahn­fried-Saal auf­ge­stell­ten Por­trät Co­si­ma Wag­ners von Paul von Jou­kow­sky – Foto: Ste­phan Her­bert Fuchs

Die Li­te­ra­tur über Ri­chard Wag­ner ist kaum über­schau­bar, die über Co­si­ma Wag­ner (1837–1930) hin­ge­gen schon. Ge­ra­de ist im Böhlau Ver­lag eine Bio­gra­fie mit dem Ti­tel „Co­si­ma Wag­ner. Ein wi­der­sprüch­li­ches Le­ben“ er­schie­nen, die sich mit ei­nem spe­zi­fisch weib­li­chen Blick die­ser au­ßer­ge­wöhn­li­chen Frau wid­met. Die fe­mi­nis­ti­sche Au­torin Sa­bi­ne Zur­mühl spricht im In­ter­view dar­über, war­um und wie sie sich Co­si­ma ge­nä­hert hat und wo die For­schung noch viel zu tun hat.

Für eine fe­mi­nis­ti­sche Au­torin gibt es bei Ri­chard Wag­ner viel zu tun. War­um ge­ra­de Cosima?
Sa­bi­ne Zur­mühl: Ich habe mich schon lan­ge mit his­to­ri­schen Frau­en­fi­gu­ren be­fasst, mit ih­ren Kämp­fen und Schwie­rig­kei­ten. Co­si­ma ist in­so­fern eine be­son­de­re und ver­hei­ßungs­vol­le Auf­ga­be, weil sie eben nicht zu den Frau­en ge­hört hat, die ir­gend­ei­nen be­wuss­ten Frau­en­kampf ge­führt ha­ben. Wir Frau­en der zwei­ten Frau­en­be­we­gung in den 1970er- und 80er-Jah­ren ha­ben uns in ers­ter Li­nie iden­ti­fi­ziert mit Frau­en, die sich or­ga­ni­siert ha­ben, die auf­ge­schrie­ben und be­grün­det ha­ben, war­um sie un­zu­frie­den wa­ren und was sie er­kämp­fen woll­ten. Co­si­ma ist ei­nen an­de­ren Weg ge­gan­gen. Nach mei­ner Ein­schät­zung hat­te sie zwar nur sehr we­nig bis po­li­ti­sches „Frauen­be­wusst­sein“, aber gleich­zei­tig ist sie in der Art und Wei­se, wie sie sich durchs Le­ben ge­schla­gen hat, für die Frau­en­frei­heit, für die Frau­en­in­ter­es­sen eine wich­ti­ge Per­son gewesen.

Was sind denn die zen­tra­len Wi­der­sprü­che, auf die der Un­ter­ti­tel des Bu­ches anspielt?
Co­si­ma macht es ei­nem ja nicht leicht, wenn man auf ihr Le­ben schaut. Was sie uns heu­ti­gen Men­schen so un­sym­pa­thisch macht, ja fast ab­stößt, ist ihre an­ti­se­mi­ti­sche Hal­tung, die sie als Er­wach­se­ne äu­ßer­te und im Zu­sam­men­le­ben mit Wag­ner und für den lan­gen Rest ih­res Le­bens bei­be­hal­ten hat. Ein wich­ti­ger Wi­der­spruch war, dass sie ei­ner­seits sehr kon­ser­va­tiv dach­te, die christ­li­chen Wer­te, die ka­tho­li­schen Wer­te sehr hoch schätz­te und den­noch in ih­rem Pri­vat­le­ben Ent­schei­dun­gen ge­trof­fen hat, die mo­ra­lisch al­les an­de­re als er­laubt wa­ren. Sie hat das dann auch ver­tre­ten, weil es wich­tig und rich­tig für sie war, sie hat da­bei den ge­ra­den Rü­cken be­hal­ten – und das ist ein Wi­der­spruch, der kaum auf­zu­lö­sen ist.

Vie­le ha­ben auch ein ne­ga­ti­ves Bild von ihr, weil sie nur als Die­nen­de ge­se­hen wird.
Ich glau­be, dass man es sich da­mit viel zu ein­fach macht. Na­tür­lich hat sie in ei­ner Wei­se der „Idee“ ge­dient. Das ist doch aber et­was, was wir zum Bei­spiel auch bei Män­nern ganz wun­der­bar fin­den, wenn sie ihr Le­ben ei­ner be­stimm­ten künst­le­ri­schen Idee wei­hen und sa­gen, al­les an­de­re muss in die zwei­te Rei­he. Das Die­nen ist eben ein sehr be­que­mes Vor­ur­teil. Co­si­ma hat ja in vie­len Punk­ten sehr selbst­be­stimm­te Wege be­schrit­ten, ge­ra­de nach Wag­ners Tod. Sie war es, die die  Bay­reu­ther Fest­spie­le künst­le­risch, or­ga­ni­sa­to­risch und fi­nan­zi­ell zum Er­folg führ­te, sie war eben kei­ne Se­kre­tä­rin, son­dern sie war eine Che­fin! Das hängt na­tür­lich zu­sam­men mit ih­rer Her­kunft und ih­rer Bil­dung – und auch mit ih­rem Selbst­be­wusst­sein. Und da sind wir schon wie­der bei ei­nem in­ter­es­san­ten Wi­der­spruch: Auf der ei­nen Sei­te brach­te sie in al­lem, was die Un­ter­stüt­zung Wag­ners be­traf, ihr so­zia­les Know­how und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ta­lent ein und war dar­in oft ge­schick­ter als Wag­ner selbst, aber gleich­zei­tig hat­te sie, was für uns Frau­en nicht un­ty­pisch ist, sehr gro­ße Selbst­zwei­fel und stell­te sich Fra­gen wie „Darf ich das al­les?“, „Steht mir das zu?“ oder „Bin ich nicht ei­gent­lich zu ge­ring in die­ser Welt?“ Das geht zu­rück auf ihre ka­tho­lisch und spi­ri­tu­ell ge­präg­te Kind­heit und Ju­gend, als die­ses von bei­den El­tern ver­las­se­ne Mäd­chen ver­sucht hat, ein Ver­hält­nis zu sich selbst zu entwickeln.

Was ha­ben die bis­he­ri­gen Bio­gra­fien noch übersehen?
Eine grund­sätz­li­che Schief­la­ge war, dass die Bio­gra­fien ei­gent­lich nur aus der Wag­ner­per­spek­ti­ve ge­schrie­ben wur­den. Wag­ner ist letzt­lich im­mer der Kul­mi­na­ti­ons­punkt ge­we­sen. Und da­bei hat sich oft ein sehr hä­mi­scher Ton ein­ge­schli­chen, der mir nur er­klär­bar scheint auch aus ei­ner Art von Ei­fer­sucht her­aus. Co­si­ma wur­de von Wag­ner auf­rich­tig ge­liebt, das war eine gro­ße wech­sel­sei­ti­ge Lei­den­schaft. Wenn man als Mu­sik­lieb­ha­ber ein Ge­nie wie Wag­ner ver­ehrt, pas­siert es leicht, in eine Neid­po­si­ti­on zu ver­fal­len, denn ei­gent­lich soll nie­mand die­sem wun­der­ba­ren oder kom­pli­zier­ten Men­schen so nahe ge­we­sen sein! Es war auch für mich selbst eine gro­ße Über­ra­schung, aus den Ta­ge­bü­chern zu er­fah­ren, dass Wag­ner un­ge­fähr je­den zwei­ten Tag schrei­end aus Angst­träu­men er­wach­te, in de­nen Co­si­ma ihn verlässt.

Apro­pos: Le­sen sich die Ta­ge­bü­cher Co­si­mas heu­te an­ders als bei ih­rem Er­schei­nen vor fast fünf­zig Jahren?
Als sie 1976/77 her­aus­ge­kom­men sind, war das so ein atem­lo­ser, skan­da­li­sier­ter Blick. End­lich öff­ne­ten sich die­se Tü­ren und man konn­te durchs Schlüs­sel­loch schau­en. Ich lese sie heu­te un­ter an­de­rem als ein Zeug­nis für die un­glaub­li­che Band­brei­te und Tüch­tig­keit in dem, was Co­si­ma Tag für Tag zu be­wäl­ti­gen hat­te und auch be­wäl­tigt hat – in der der fi­nan­zi­el­len Ge­samt­ver­ant­wor­tung, im Un­ter­rich­ten der Kin­der, in der Or­ga­ni­sa­ti­on die­ses gro­ßen Haus­hal­tes und der auf­wen­di­gen Rei­sen, in der Be­treu­ung der vie­len Gäs­te. Wag­ner woll­te im­mer auch den Kon­takt und den Aus­tausch mit Freun­den und Kol­le­gen, und sie war all dem auf ei­ner Ebe­ne ge­wach­sen, die man frü­her ein­fach nicht ge­se­hen hat.

Im Kurz­text ist nicht von ei­ner Bio­gra­fie, son­dern von 33 An­nä­he­run­gen die Rede.
Ich habe mir die Auf­ga­be ge­stellt, Co­si­mas Le­ben an­zu­schau­en und Co­si­mas Per­son. An­nä­he­run­gen sind das des­halb, weil ich gro­ßen Re­spekt da­vor habe, wie je­mand als In­di­vi­du­um, als Mensch wohl war, ge­lebt hat, ge­spro­chen hat, aus­ge­se­hen hat, sich ver­hal­ten und ent­schie­den hat, lie­be­voll war, kom­pli­ziert war. Ich glau­be, als Bio­gra­fin kann man sich ei­ner Per­son im­mer nur an­nä­hern, wird sie aber nie ganz er­fas­sen kön­nen. Ich habe ver­sucht, in ver­schie­de­nen Aspek­ten und eben nicht in stren­ger Chro­no­lo­gie die­ses Le­ben zu be­schrei­ben, ohne jede Rei­se und je­des Tref­fen zu do­ku­men­tie­ren. Ich habe ver­sucht her­aus­zu­fin­den, wel­che We­sens­zü­ge mir an ihr viel­leicht wich­tig er­schei­nen. Es sind An­fra­gen an eine Exis­tenz, die fast ein Jahr­hun­dert und vie­le Än­de­run­gen durch­lau­fen hat. Das liegt mir mehr als ein­fach zu sa­gen: „Das war so und so, ei­gent­lich war ich da­bei, war qua­si mit im Wohn­zim­mer und weiß ge­nau, wie es war“. Wir wer­den es in die­ser Nähe, in die­ser Si­cher­heit nie wis­sen. Wir kön­nen nur sa­gen, das ist ein in­ter­es­san­tes Le­ben, ein Le­ben, das die Mühe lohnt, nä­her hin­zu­schau­en. Und dann sind das mehr Fra­gen als si­che­re Ant­wor­ten, die ich ge­ben kann.

Ist das ein ty­pisch weib­li­cher Ansatz?
Zu fra­gen, was schwebt da al­les gleich­zei­tig an per­sön­li­chen Mo­ti­ven, Hoff­nun­gen, Er­in­ne­run­gen, Zwei­feln mit – die­se Form von Auf­fä­che­rung, ist viel­leicht eine Mög­lich­keit, aus­zu­bre­chen aus der frü­her sehr strikt ge­dach­ten bio­gra­fi­schen Ar­beit „von der Wie­ge bis zur Bah­re“. Die­se strin­gen­te und li­nea­re Form wird aus heu­ti­ger Sicht den Men­schen, um de­ren Le­ben es geht, nicht mehr gerecht.

Ist das weib­li­ches Schreiben?
Ich kann nur sa­gen, was ich mit mei­nem Schrei­ben ver­bin­de, näm­lich die Emp­fin­dung von Frei­heit. Ich möch­te mich im Schrei­ben nicht ein­schrän­ken, son­dern ich möch­te mei­nen As­so­zia­tio­nen und dem Um-die-Ecke-Den­ken ein­fach Raum ge­ben. Dazu braucht es zu­nächst Ma­te­ri­al, sehr viel un­ter­schied­lichs­tes Ma­te­ri­al, das ich zu Co­si­ma in acht Jah­ren zu­sam­men­ge­tra­gen und re­cher­chiert habe. Wenn man das al­les dann vor sich hat, ist es eine span­nen­de Ar­beit zu schau­en, wel­che Mo­ti­ve grup­pie­ren sich oder ha­ben viel­leicht ei­nen in­ne­ren Zu­sam­men­hang, die sich als In­ter­pre­ta­ti­on anbieten.

Wie schwie­rig war die Aus­wahl? Wo brauch­te es den Mut zur Lücke?
Das kann man frech fin­den oder un­ge­hö­rig, aber ich habe mich von vorn­her­ein dem ge­wid­met, was mir wich­tig war. Co­si­ma ist über neun­zig ge­wor­den, hat mit end­los vie­len Leu­ten ge­spro­chen, kor­re­spon­diert und Kon­takt ge­habt, hat sich mit den geis­ti­gen An­re­gun­gen ih­rer Zeit aus­ein­an­der­ge­setzt. Wer sich mit die­sem gan­zen Kos­mos be­schäf­tigt, der weiß, dass man das nicht in Voll­stän­dig­keit dar­stel­len kann. Man muss Lü­cken las­sen. Nietz­sche ist ein Bei­spiel da­für, dass eine drit­te oder vier­te Per­son, wenn man auch ihr ge­recht wer­den woll­te, das gan­ze Vor­ha­ben zu sehr aus­wei­tet. Des­halb habe ich mich in al­ler­ers­ter Li­nie auf Co­si­ma konzentriert.

Hat sich da­durch Ihr Blick auf die drei wich­tigs­ten Män­ner in Co­si­mas Le­ben verändert?
Bei Hans von Bülow, ih­rem ers­ten Ehe­mann, am we­nigs­ten. Er war eine sehr kom­pli­zier­te und an­stren­gen­de Per­sön­lich­keit – sehr viel krank, sehr viel auf­ge­regt, sehr viel Ag­gres­si­vi­tät und Un­ter­wer­fung gleich­zei­tig und tüch­tig, sehr tüch­tig, als Mu­si­ker be­mer­kens­wert. Mit Franz Liszt habe ich mich un­ter dem Aspekt sei­nes Va­ter­seins ge­nau­er be­schäf­tigt. Für mich war eine sehr wich­ti­ge Ent­de­ckung die­se lie­ben­de Sehn­sucht der klei­nen Toch­ter, die Jahr für Jahr bra­ve Brie­fe an den Va­ter schreibt, der sich ewig nicht se­hen lässt, ob­wohl er oft auch durch Pa­ris saust, ob­wohl er in der Nähe ist, ob­wohl, ob­wohl, ob­wohl. Er zahlt für sie, aber er in­ter­es­siert sich ein­fach nicht für sei­ne Kin­der. Und das ist eine Wun­de, die bis zum Ende bleibt. Bei Wag­ner war mir neu zu er­ken­nen, wie sym­bio­tisch die Be­zie­hung mit Co­si­ma war – ein Ver­hält­nis auf Au­gen­hö­he von zwei Men­schen, die ein­an­der wirk­lich ge­wach­sen wa­ren. Sie ha­ben sich je­den Tag über die neu­es­ten Ent­wick­lun­gen und Er­eig­nis­se aus­ge­tauscht, ha­ben zu­sam­men über mu­si­ka­li­sche Kol­le­gen ge­schimpft – und sie ha­ben sich nie ge­lang­weilt und viel mit­ein­an­der ge­lacht. Die Nach­welt guckt zwar ger­ne drauf, wenn es Pro­ble­me und Streit gibt, aber über ih­rer ge­mein­sa­men Zeit, die­sen rund vier­zehn Jah­ren, die sie mit­ein­an­der ver­bracht ha­ben, liegt eine wech­sel­sei­ti­ge Ak­zep­tanz und eine ganz gro­ße, un­be­ding­te Lie­be. Das ist et­was, was ich vor­her nicht in mei­nem Wag­ner­bild hatte.

Was ist so ein­ma­lig an Cosima?
In der mu­si­ka­li­schen Welt gab es nicht nur zu ih­ren Leb­zei­ten kei­ne ein­zi­ge Frau, die eine solch po­ten­te Po­si­ti­on hat­te und aus­fül­len konn­te. Co­si­ma war eine ein­ma­li­ge Netz­wer­ke­rin für das Wag­ner­werk – und sie war auch in ih­rem Er­schei­nungs­bild ein­ma­lig: we­der hübsch, von der Sta­tur lang, ha­ger, aber gleich­zei­tig sehr ele­gant, ex­qui­sit ge­klei­det, sie hat­te of­fen­sicht­lich eine Freu­de dar­an, sich zu zei­gen. Sie hat­te – durch­aus auch nach heu­ti­gen Be­grif­fen – „männ­li­che Züge“, hat­te Durch­set­zungs­kraft. Und auch in der Art und Wei­se, wie sie ihre Zu­nei­gung äu­ßer­te und leb­te, war da kei­ne pas­si­ve Aus­strah­lung. Sie stand zu dem, was sie woll­te, sie hat auch durch­ge­stan­den, dass sehr vie­le Men­schen und die Pres­se sich im­mer wie­der ne­ga­tiv über sie äu­ßer­ten. Im Ver­hält­nis zu Wag­ner, in der Struk­tur des Paars, war zwi­schen bei­den das Männ­lich-Weib­li­che wech­sel­sei­tig vor­han­den, so­wohl bei Wag­ner in sei­nen eher weib­li­chen Be­dürf­nis­sen, als auch bei ihr, in dem, was sie als Per­son ihm sein konnte.

Was kön­nen wir von Co­si­ma lernen?
Was mir an ihr ge­fällt, ist die Un­be­dingt­heit und die Lei­den­schaft, mit der sie sich für das, was sie als rich­tig und wich­tig emp­fun­den hat, ein­ge­setzt und ge­sagt hat, es ist mir egal, ob an­de­re ver­ste­hen, dass ich als Frau von Bülow zu Wag­ner nach Trib­schen um­zie­he, es ist mir egal, ob ich mich lä­cher­lich ma­che, wenn in die­se gan­zen zwei­feln­den Ge­sich­ter hin­ein sage, dass ich die Fest­spie­le jetzt fort­füh­re, ich mach‘ das jetzt hier! Das sind, wie man heu­te sagt, Ro­le­mo­dels. Na­tür­lich un­ter Be­rück­sich­ti­gung des­sen, dass Co­si­ma aus ei­nem so­zia­len Hin­ter­grund kam, der schon sehr spe­zi­ell war, im­mer un­ter Be­rück­sich­ti­gung des­sen, dass Co­si­ma auch in ei­nem wi­der­sprüch­li­chen so­zia­len Sta­tus leb­te – zu­nächst durch ihre il­le­gi­ti­me Ge­burt und dann durch ihre sehr un­kon­ven­tio­nel­len Le­bens­ent­schei­dun­gen. Aber sie hat ei­nen Ver­mö­gens- und Er­zie­hungs­schatz mit­be­kom­men, der ihr sehr viel ge­hol­fen hat.

Was hat sie falsch gemacht?
Sie hat in man­chen Be­rei­chen, zu de­nen eben auch der An­ti­se­mi­tis­mus und man­che Ab­nei­gung per­sön­li­cher Art ge­hö­ren, ei­nen ge­wis­sen Starr­sinn ent­wi­ckelt. Das woll­te sie dann auch für sich sel­ber in kei­ner Form mehr zur De­bat­te stel­len – das ist ein­fach so zu kon­sta­tie­ren, da kann man auch gar nicht drum­rum re­den. Und bei all ih­rem Ein­satz in der Er­zie­hung ih­rer Kin­der bleibt nicht zu über­se­hen, dass das nicht zu de­ren Glück war. Hin­zu­kommt, dass sie so alt ge­wor­den ist. Wäh­rend vie­le Men­schen spä­tes­tens ab sieb­zig – und Frau­en da­mals erst recht – schon lan­ge nicht mehr im öf­fent­li­chen In­ter­es­se stan­den, lag auf ihr im­mer noch ein sehr un­barm­her­zi­ger Blick.

In wel­cher Le­bens­pha­se ist sie am meis­ten authentisch?
Ich emp­fin­de sie fast durch­ge­hend als au­then­tisch. Sie hat sich nicht ver­stellt, hat sich so ge­zeigt, wie es für sie zum ge­ge­be­nen Zeit­punkt und in den Ver­hält­nis­sen, in de­nen sie sich je­weils be­wegt hat, nun mal war. Es ist eher so, dass un­ser Licht auf sie un­ter­schied­lich stark ist. Die­se Ver­stri­ckun­gen mit Bülow und Wag­ner stel­le ich mir wahn­sin­nig an­stren­gend vor: Wäh­rend sie als Frau lie­bes­mä­ßig schon ganz zu Wag­ner über­ge­wech­selt war, ha­ben die bei­den Män­ner ja als mu­si­ka­li­sche Kol­le­gen eng mit­ein­an­der ge­ar­bei­tet. Das ist eine un­glaub­li­che Kon­stel­la­ti­on! Das muss man als Frau erst­mal durch­ste­hen. Auch bei den spä­te­ren Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Fest­spie­le fin­de ich sie au­then­tisch. Das, was sie lernt, das, was sie zu ge­ben hat, tut sie.

Was fehlt für eine voll­stän­di­ge Biografie? 
Man könn­te sich sehr viel mehr in ih­ren um­fang­rei­chen Brief­wech­sel ver­tie­fen. Das ist noch ein ziem­lich un­ge­ho­be­ner Schatz. Auch ihre Tä­tig­keit als Re­gis­seu­rin ist bis auf ers­te An­sät­ze noch sehr un­ter­be­lich­tet. Ich habe ver­sucht, in mei­nen Mög­lich­kei­ten drauf zu schau­en. Da ist eine ze­men­tier­te, bis­lang kaum auf­zu­bre­chen­de Ab­leh­nungs- oder Ver­ach­tungs­mau­er von Men­schen, die sich an­ma­ßen zu be­haup­ten, dass Co­si­ma vom Mu­sik­thea­ter­me­tier ein­fach kei­ne Ah­nung hat­te. Ich will die­se ne­ga­ti­ven Zu­schrei­bun­gen auch gar nicht wie­der­ho­len oder neu zum Le­ben er­we­cken: Es lohnt sich viel­mehr zu schau­en, wie war ihre Zu­sam­men­ar­beit mit Mu­si­kern und Künst­lern, wel­che An­re­gun­gen hat sie auf­ge­nom­men und was war die Wir­kung ih­rer Person.

Wel­che Wir­kung er­hof­fen Sie sich von Ih­rem Buch?
Ich er­hof­fe mir eine Öff­nung des Co­si­ma-Bil­des, ein In­ter­es­se nicht nur an der Ehe­frau die­ses wun­der­ba­ren Mu­si­kers, son­dern dass Co­si­ma be­trach­tet wird als ei­gen­stän­di­ge Per­sön­lich­keit in­ner­halb die­ses vi­ta­len mu­si­ka­li­schen und künst­le­ri­schen Netz­werks im 19. Jahrhundert.

Buch­in­fo und Termine
Sa­bi­ne Zur­mühl: „Co­si­ma Wag­ner. Ein wi­der­sprüch­li­ches Le­ben“, mit ei­nem Nach­wort von Mo­ni­ka Beer, Böhlau Ver­lag Wien 2022, 360 S., 39 Farb-Abb., 40 Euro. Buch­vor­stel­lung und Le­sung beim Ri­chard-Wag­ner-Ver­band (RWV) Bam­berg am 1. Juni um 19.30 Uhr im KUFA-Saal (Ohm­stra­ße 3); of­fi­zi­el­le Buch­prä­sen­ta­ti­on in Bay­reuth am 2. Au­gust um 14 Uhr im Kam­mer­mu­sik­saal der Kla­vier­fa­brik Stein­grae­ber (Fried­rich­stra­ße 3), Vor­stel­lung und Le­sung in Bay­reuth am 9. Au­gust in der Buch­hand­lung Breu­er & Sohn (Luit­pold­platz 9) so­wie am 5. No­vem­ber um 15 Uhr beim RWV Nürnberg.

Eine kür­ze­re Ver­si­on des In­ter­views ist im Kul­tur­teil des Frän­ki­schen Tags und wei­te­ren Zei­tun­gen der Me­di­en­grup­pe Ober­fran­ken vom 26./27. Mai 2022 erschienen.

 

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