Unser Mitglied Sabine Zurmühl hat sich intensiv mit dem widersprüchlichem Leben von Cosima Wagner beschäftigt. Hier ein erstes Interview zur neuen Biografie.
Die Literatur über Richard Wagner ist kaum überschaubar, die über Cosima Wagner (1837–1930) hingegen schon. Gerade ist im Böhlau Verlag eine Biografie mit dem Titel „Cosima Wagner. Ein widersprüchliches Leben“ erschienen, die sich mit einem spezifisch weiblichen Blick dieser außergewöhnlichen Frau widmet. Die feministische Autorin Sabine Zurmühl spricht im Interview darüber, warum und wie sie sich Cosima genähert hat und wo die Forschung noch viel zu tun hat.
Für eine feministische Autorin gibt es bei Richard Wagner viel zu tun. Warum gerade Cosima?
Sabine Zurmühl: Ich habe mich schon lange mit historischen Frauenfiguren befasst, mit ihren Kämpfen und Schwierigkeiten. Cosima ist insofern eine besondere und verheißungsvolle Aufgabe, weil sie eben nicht zu den Frauen gehört hat, die irgendeinen bewussten Frauenkampf geführt haben. Wir Frauen der zweiten Frauenbewegung in den 1970er- und 80er-Jahren haben uns in erster Linie identifiziert mit Frauen, die sich organisiert haben, die aufgeschrieben und begründet haben, warum sie unzufrieden waren und was sie erkämpfen wollten. Cosima ist einen anderen Weg gegangen. Nach meiner Einschätzung hatte sie zwar nur sehr wenig bis politisches „Frauenbewusstsein“, aber gleichzeitig ist sie in der Art und Weise, wie sie sich durchs Leben geschlagen hat, für die Frauenfreiheit, für die Fraueninteressen eine wichtige Person gewesen.
Was sind denn die zentralen Widersprüche, auf die der Untertitel des Buches anspielt?
Cosima macht es einem ja nicht leicht, wenn man auf ihr Leben schaut. Was sie uns heutigen Menschen so unsympathisch macht, ja fast abstößt, ist ihre antisemitische Haltung, die sie als Erwachsene äußerte und im Zusammenleben mit Wagner und für den langen Rest ihres Lebens beibehalten hat. Ein wichtiger Widerspruch war, dass sie einerseits sehr konservativ dachte, die christlichen Werte, die katholischen Werte sehr hoch schätzte und dennoch in ihrem Privatleben Entscheidungen getroffen hat, die moralisch alles andere als erlaubt waren. Sie hat das dann auch vertreten, weil es wichtig und richtig für sie war, sie hat dabei den geraden Rücken behalten – und das ist ein Widerspruch, der kaum aufzulösen ist.
Viele haben auch ein negatives Bild von ihr, weil sie nur als Dienende gesehen wird.
Ich glaube, dass man es sich damit viel zu einfach macht. Natürlich hat sie in einer Weise der „Idee“ gedient. Das ist doch aber etwas, was wir zum Beispiel auch bei Männern ganz wunderbar finden, wenn sie ihr Leben einer bestimmten künstlerischen Idee weihen und sagen, alles andere muss in die zweite Reihe. Das Dienen ist eben ein sehr bequemes Vorurteil. Cosima hat ja in vielen Punkten sehr selbstbestimmte Wege beschritten, gerade nach Wagners Tod. Sie war es, die die Bayreuther Festspiele künstlerisch, organisatorisch und finanziell zum Erfolg führte, sie war eben keine Sekretärin, sondern sie war eine Chefin! Das hängt natürlich zusammen mit ihrer Herkunft und ihrer Bildung – und auch mit ihrem Selbstbewusstsein. Und da sind wir schon wieder bei einem interessanten Widerspruch: Auf der einen Seite brachte sie in allem, was die Unterstützung Wagners betraf, ihr soziales Knowhow und Kommunikationstalent ein und war darin oft geschickter als Wagner selbst, aber gleichzeitig hatte sie, was für uns Frauen nicht untypisch ist, sehr große Selbstzweifel und stellte sich Fragen wie „Darf ich das alles?“, „Steht mir das zu?“ oder „Bin ich nicht eigentlich zu gering in dieser Welt?“ Das geht zurück auf ihre katholisch und spirituell geprägte Kindheit und Jugend, als dieses von beiden Eltern verlassene Mädchen versucht hat, ein Verhältnis zu sich selbst zu entwickeln.
Was haben die bisherigen Biografien noch übersehen?
Eine grundsätzliche Schieflage war, dass die Biografien eigentlich nur aus der Wagnerperspektive geschrieben wurden. Wagner ist letztlich immer der Kulminationspunkt gewesen. Und dabei hat sich oft ein sehr hämischer Ton eingeschlichen, der mir nur erklärbar scheint auch aus einer Art von Eifersucht heraus. Cosima wurde von Wagner aufrichtig geliebt, das war eine große wechselseitige Leidenschaft. Wenn man als Musikliebhaber ein Genie wie Wagner verehrt, passiert es leicht, in eine Neidposition zu verfallen, denn eigentlich soll niemand diesem wunderbaren oder komplizierten Menschen so nahe gewesen sein! Es war auch für mich selbst eine große Überraschung, aus den Tagebüchern zu erfahren, dass Wagner ungefähr jeden zweiten Tag schreiend aus Angstträumen erwachte, in denen Cosima ihn verlässt.
Apropos: Lesen sich die Tagebücher Cosimas heute anders als bei ihrem Erscheinen vor fast fünfzig Jahren?
Als sie 1976/77 herausgekommen sind, war das so ein atemloser, skandalisierter Blick. Endlich öffneten sich diese Türen und man konnte durchs Schlüsselloch schauen. Ich lese sie heute unter anderem als ein Zeugnis für die unglaubliche Bandbreite und Tüchtigkeit in dem, was Cosima Tag für Tag zu bewältigen hatte und auch bewältigt hat – in der der finanziellen Gesamtverantwortung, im Unterrichten der Kinder, in der Organisation dieses großen Haushaltes und der aufwendigen Reisen, in der Betreuung der vielen Gäste. Wagner wollte immer auch den Kontakt und den Austausch mit Freunden und Kollegen, und sie war all dem auf einer Ebene gewachsen, die man früher einfach nicht gesehen hat.
Im Kurztext ist nicht von einer Biografie, sondern von 33 Annäherungen die Rede.
Ich habe mir die Aufgabe gestellt, Cosimas Leben anzuschauen und Cosimas Person. Annäherungen sind das deshalb, weil ich großen Respekt davor habe, wie jemand als Individuum, als Mensch wohl war, gelebt hat, gesprochen hat, ausgesehen hat, sich verhalten und entschieden hat, liebevoll war, kompliziert war. Ich glaube, als Biografin kann man sich einer Person immer nur annähern, wird sie aber nie ganz erfassen können. Ich habe versucht, in verschiedenen Aspekten und eben nicht in strenger Chronologie dieses Leben zu beschreiben, ohne jede Reise und jedes Treffen zu dokumentieren. Ich habe versucht herauszufinden, welche Wesenszüge mir an ihr vielleicht wichtig erscheinen. Es sind Anfragen an eine Existenz, die fast ein Jahrhundert und viele Änderungen durchlaufen hat. Das liegt mir mehr als einfach zu sagen: „Das war so und so, eigentlich war ich dabei, war quasi mit im Wohnzimmer und weiß genau, wie es war“. Wir werden es in dieser Nähe, in dieser Sicherheit nie wissen. Wir können nur sagen, das ist ein interessantes Leben, ein Leben, das die Mühe lohnt, näher hinzuschauen. Und dann sind das mehr Fragen als sichere Antworten, die ich geben kann.
Ist das ein typisch weiblicher Ansatz?
Zu fragen, was schwebt da alles gleichzeitig an persönlichen Motiven, Hoffnungen, Erinnerungen, Zweifeln mit – diese Form von Auffächerung, ist vielleicht eine Möglichkeit, auszubrechen aus der früher sehr strikt gedachten biografischen Arbeit „von der Wiege bis zur Bahre“. Diese stringente und lineare Form wird aus heutiger Sicht den Menschen, um deren Leben es geht, nicht mehr gerecht.
Ist das weibliches Schreiben?
Ich kann nur sagen, was ich mit meinem Schreiben verbinde, nämlich die Empfindung von Freiheit. Ich möchte mich im Schreiben nicht einschränken, sondern ich möchte meinen Assoziationen und dem Um-die-Ecke-Denken einfach Raum geben. Dazu braucht es zunächst Material, sehr viel unterschiedlichstes Material, das ich zu Cosima in acht Jahren zusammengetragen und recherchiert habe. Wenn man das alles dann vor sich hat, ist es eine spannende Arbeit zu schauen, welche Motive gruppieren sich oder haben vielleicht einen inneren Zusammenhang, die sich als Interpretation anbieten.
Wie schwierig war die Auswahl? Wo brauchte es den Mut zur Lücke?
Das kann man frech finden oder ungehörig, aber ich habe mich von vornherein dem gewidmet, was mir wichtig war. Cosima ist über neunzig geworden, hat mit endlos vielen Leuten gesprochen, korrespondiert und Kontakt gehabt, hat sich mit den geistigen Anregungen ihrer Zeit auseinandergesetzt. Wer sich mit diesem ganzen Kosmos beschäftigt, der weiß, dass man das nicht in Vollständigkeit darstellen kann. Man muss Lücken lassen. Nietzsche ist ein Beispiel dafür, dass eine dritte oder vierte Person, wenn man auch ihr gerecht werden wollte, das ganze Vorhaben zu sehr ausweitet. Deshalb habe ich mich in allererster Linie auf Cosima konzentriert.
Hat sich dadurch Ihr Blick auf die drei wichtigsten Männer in Cosimas Leben verändert?
Bei Hans von Bülow, ihrem ersten Ehemann, am wenigsten. Er war eine sehr komplizierte und anstrengende Persönlichkeit – sehr viel krank, sehr viel aufgeregt, sehr viel Aggressivität und Unterwerfung gleichzeitig und tüchtig, sehr tüchtig, als Musiker bemerkenswert. Mit Franz Liszt habe ich mich unter dem Aspekt seines Vaterseins genauer beschäftigt. Für mich war eine sehr wichtige Entdeckung diese liebende Sehnsucht der kleinen Tochter, die Jahr für Jahr brave Briefe an den Vater schreibt, der sich ewig nicht sehen lässt, obwohl er oft auch durch Paris saust, obwohl er in der Nähe ist, obwohl, obwohl, obwohl. Er zahlt für sie, aber er interessiert sich einfach nicht für seine Kinder. Und das ist eine Wunde, die bis zum Ende bleibt. Bei Wagner war mir neu zu erkennen, wie symbiotisch die Beziehung mit Cosima war – ein Verhältnis auf Augenhöhe von zwei Menschen, die einander wirklich gewachsen waren. Sie haben sich jeden Tag über die neuesten Entwicklungen und Ereignisse ausgetauscht, haben zusammen über musikalische Kollegen geschimpft – und sie haben sich nie gelangweilt und viel miteinander gelacht. Die Nachwelt guckt zwar gerne drauf, wenn es Probleme und Streit gibt, aber über ihrer gemeinsamen Zeit, diesen rund vierzehn Jahren, die sie miteinander verbracht haben, liegt eine wechselseitige Akzeptanz und eine ganz große, unbedingte Liebe. Das ist etwas, was ich vorher nicht in meinem Wagnerbild hatte.
Was ist so einmalig an Cosima?
In der musikalischen Welt gab es nicht nur zu ihren Lebzeiten keine einzige Frau, die eine solch potente Position hatte und ausfüllen konnte. Cosima war eine einmalige Netzwerkerin für das Wagnerwerk – und sie war auch in ihrem Erscheinungsbild einmalig: weder hübsch, von der Statur lang, hager, aber gleichzeitig sehr elegant, exquisit gekleidet, sie hatte offensichtlich eine Freude daran, sich zu zeigen. Sie hatte – durchaus auch nach heutigen Begriffen – „männliche Züge“, hatte Durchsetzungskraft. Und auch in der Art und Weise, wie sie ihre Zuneigung äußerte und lebte, war da keine passive Ausstrahlung. Sie stand zu dem, was sie wollte, sie hat auch durchgestanden, dass sehr viele Menschen und die Presse sich immer wieder negativ über sie äußerten. Im Verhältnis zu Wagner, in der Struktur des Paars, war zwischen beiden das Männlich-Weibliche wechselseitig vorhanden, sowohl bei Wagner in seinen eher weiblichen Bedürfnissen, als auch bei ihr, in dem, was sie als Person ihm sein konnte.
Was können wir von Cosima lernen?
Was mir an ihr gefällt, ist die Unbedingtheit und die Leidenschaft, mit der sie sich für das, was sie als richtig und wichtig empfunden hat, eingesetzt und gesagt hat, es ist mir egal, ob andere verstehen, dass ich als Frau von Bülow zu Wagner nach Tribschen umziehe, es ist mir egal, ob ich mich lächerlich mache, wenn in diese ganzen zweifelnden Gesichter hinein sage, dass ich die Festspiele jetzt fortführe, ich mach‘ das jetzt hier! Das sind, wie man heute sagt, Rolemodels. Natürlich unter Berücksichtigung dessen, dass Cosima aus einem sozialen Hintergrund kam, der schon sehr speziell war, immer unter Berücksichtigung dessen, dass Cosima auch in einem widersprüchlichen sozialen Status lebte – zunächst durch ihre illegitime Geburt und dann durch ihre sehr unkonventionellen Lebensentscheidungen. Aber sie hat einen Vermögens- und Erziehungsschatz mitbekommen, der ihr sehr viel geholfen hat.
Was hat sie falsch gemacht?
Sie hat in manchen Bereichen, zu denen eben auch der Antisemitismus und manche Abneigung persönlicher Art gehören, einen gewissen Starrsinn entwickelt. Das wollte sie dann auch für sich selber in keiner Form mehr zur Debatte stellen – das ist einfach so zu konstatieren, da kann man auch gar nicht drumrum reden. Und bei all ihrem Einsatz in der Erziehung ihrer Kinder bleibt nicht zu übersehen, dass das nicht zu deren Glück war. Hinzukommt, dass sie so alt geworden ist. Während viele Menschen spätestens ab siebzig – und Frauen damals erst recht – schon lange nicht mehr im öffentlichen Interesse standen, lag auf ihr immer noch ein sehr unbarmherziger Blick.
In welcher Lebensphase ist sie am meisten authentisch?
Ich empfinde sie fast durchgehend als authentisch. Sie hat sich nicht verstellt, hat sich so gezeigt, wie es für sie zum gegebenen Zeitpunkt und in den Verhältnissen, in denen sie sich jeweils bewegt hat, nun mal war. Es ist eher so, dass unser Licht auf sie unterschiedlich stark ist. Diese Verstrickungen mit Bülow und Wagner stelle ich mir wahnsinnig anstrengend vor: Während sie als Frau liebesmäßig schon ganz zu Wagner übergewechselt war, haben die beiden Männer ja als musikalische Kollegen eng miteinander gearbeitet. Das ist eine unglaubliche Konstellation! Das muss man als Frau erstmal durchstehen. Auch bei den späteren Auseinandersetzungen um die Festspiele finde ich sie authentisch. Das, was sie lernt, das, was sie zu geben hat, tut sie.
Was fehlt für eine vollständige Biografie?
Man könnte sich sehr viel mehr in ihren umfangreichen Briefwechsel vertiefen. Das ist noch ein ziemlich ungehobener Schatz. Auch ihre Tätigkeit als Regisseurin ist bis auf erste Ansätze noch sehr unterbelichtet. Ich habe versucht, in meinen Möglichkeiten drauf zu schauen. Da ist eine zementierte, bislang kaum aufzubrechende Ablehnungs- oder Verachtungsmauer von Menschen, die sich anmaßen zu behaupten, dass Cosima vom Musiktheatermetier einfach keine Ahnung hatte. Ich will diese negativen Zuschreibungen auch gar nicht wiederholen oder neu zum Leben erwecken: Es lohnt sich vielmehr zu schauen, wie war ihre Zusammenarbeit mit Musikern und Künstlern, welche Anregungen hat sie aufgenommen und was war die Wirkung ihrer Person.
Welche Wirkung erhoffen Sie sich von Ihrem Buch?
Ich erhoffe mir eine Öffnung des Cosima-Bildes, ein Interesse nicht nur an der Ehefrau dieses wunderbaren Musikers, sondern dass Cosima betrachtet wird als eigenständige Persönlichkeit innerhalb dieses vitalen musikalischen und künstlerischen Netzwerks im 19. Jahrhundert.
Buchinfo und Termine
Sabine Zurmühl: „Cosima Wagner. Ein widersprüchliches Leben“, mit einem Nachwort von Monika Beer, Böhlau Verlag Wien 2022, 360 S., 39 Farb-Abb., 40 Euro. Buchvorstellung und Lesung beim Richard-Wagner-Verband (RWV) Bamberg am 1. Juni um 19.30 Uhr im KUFA-Saal (Ohmstraße 3); offizielle Buchpräsentation in Bayreuth am 2. August um 14 Uhr im Kammermusiksaal der Klavierfabrik Steingraeber (Friedrichstraße 3), Vorstellung und Lesung in Bayreuth am 9. August in der Buchhandlung Breuer & Sohn (Luitpoldplatz 9) sowie am 5. November um 15 Uhr beim RWV Nürnberg.
Eine kürzere Version des Interviews ist im Kulturteil des Fränkischen Tags und weiteren Zeitungen der Mediengruppe Oberfranken vom 26./27. Mai 2022 erschienen.
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