„Lohengrin sein Vater und der Gral“

Uwe Hop­pe deu­tet Wag­ner wei­ter: Er­neut hat er sich mit der Stu­dio­büh­ne Bay­reuth „Par­si­fal“ und „Lo­hen­grin vor­ge­nom­men. Über die Pre­mie­re im Hof­thea­ter bei Stein­grae­ber be­rich­tet Frank Piontek.

Sze­ne aus „Lo­hen­grin sein Va­ter und der Gral“ – Foto: © Tho­mas Eberlein

Er kommt nicht zu Ende mit Wag­ner. „Pa­xi­phall und Lo­hen­grün“: So hieß vor vier Jahr­zehn­ten ei­nes der ers­ten Wag­ner-Stü­cke Uwe Hop­pes, das schon in der da­ma­li­gen Stein­grae­ber-Scheu­ne zur Auf­füh­rung kam. Da­zwi­schen schrieb er eine Pa­ra­phra­se auf Wolf­rams von Eschen­bach „Par­zi­val“ (den Wag­ner scharf kri­ti­sier­te). Nun hat er sich, wie­der­um in Stein­grae­bers Som­mer-Hof­thea­ter, von Neu­em dem Stoff ver­schrie­ben. „Lo­hen­grin sein Va­ter und der Gral“ nimmt es zu wie­der­hol­ten Mal mit den Krämp­fen auf, die Wag­ner selbst be­fie­len, als er sei­ne ur­ei­ge­ne Theo­lo­gie – es ist eine Theo­lo­gie des Welt­li­chen im wag­nersch Geist­li­chen – in den al­ten Stoff hin­ein­drück­te und gleich­zei­tig den „Lo­hen­grin“ kor­ri­gier­te. Nein, Hop­pe schreibt nicht, wie es frü­her ge­le­gent­lich hieß, Wagner-„Parodien“. Er meint es blu­tig ernst mit Wag­ner – und schafft Wagner-Variationen.

Also geht er wie­der ein­mal, un­er­löst wie nur ein wag­ner­scher Held, wie­der an Wag­ners „Welt­ab­schieds­werk“, sei­ne „letz­te Kar­te“ her­an, wie der Schöp­fer des „Par­si­fal“ das selbst nann­te. Wie­der er­zählt er die Lei­dens­ge­schich­ten des tum­ben Tors, des Gral­skö­nigs, des Zau­be­rers Klings­or und der Grals­ge­mein­schaft. Wie­der kriecht er in die Kon­flik­te hin­ein – und fin­det zu neu­en, ori­gi­nel­len und, das über­rascht kaum, zu skep­ti­schen und ein we­nig hoff­nungs­vol­le­ren Lö­sun­gen, die kaum Er­lö­sun­gen sind. „Plä­doy­er für ei­nen Zau­be­rer“: Der Buch­ti­tel, den der Ver­fas­ser die­ser Zei­len 2006 fand, be­zog sich nicht al­lein auf den gro­ßen Mu­sik­zau­be­rer, son­dern auch auf Klings­or, den un­ge­recht Ver­sto­ße­nen, den drit­ten gro­ßen Lei­den­den des „Parsifal“-Dramas.

Die Di­gni­tät von Hop­pes neu­er Deu­tung, die Wag­ner kon­se­quent in die Ge­gen­wart denkt, be­steht ge­ra­de dar­in, Wag­ner aus­zu­pro­bie­ren und an Rän­der zu füh­ren, die Wag­ner selbst schon be­trat – ohne das Vo­ka­bu­lar zu be­sit­zen, das man erst im spä­ten 20. und frü­hen 21. Jahr­hun­dert zu fin­den ver­moch­te. Schön also, dass es dies­mal Klings­or und nicht Kundry ist, die Am­for­tas ver­führt, wo­bei des­sen Wun­de nicht durch ei­nen äu­ßer­li­chen Speer, son­dern durch eine in­ner­li­che Ver­let­zung ver­ur­sacht wird; dass der Speer selbst ein Sym­bol ist, wuss­te schon Wag­ner. Neue­re Deu­tun­gen be­trach­ten nicht grund­los die „har­te Lat­te“ als Sym­bol des Männ­li­chen, wäh­rend der Gral(skelch) das da­zu­ge­hö­ri­ge Sym­bol des Weib­li­chen ist.

Bei Hop­pe ist der Speer, das ist so des Stü­cke­schrei­bers Deut­lich- und Derb­heit, ein Stab mit gro­ßer ro­ter Ei­chel. Mann kann das selbst im Licht der wag­ner­schen Theo­lo­gie durch­ge­hen zu las­sen – und es wird dort noch span­nen­der, wo sich der Ver­füh­rer Klings­or und der an Welt und Amt lei­den­de Gral­skö­nig in ein Re­li­gi­ons­ge­spräch be­ge­ben, das Hop­pe beim spä­ten Diet­rich Bon­hoef­fer fand: „Vor und mit Gott le­ben wir ohne Gott“ – das ist die Quint­essenz ei­nes re­li­gi­ons­lo­sen Chris­ten­tums, das Wag­ners Kri­tik an jeg­li­cher In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung von Re­li­gi­on zu Ende denkt.

Nein, Hop­pe „par­odiert“ nicht Wag­ner – oder wenn, dann al­lein im Sinn ei­ner frei­en Über­tra­gung: so, wie Wag­ner selbst sei­ne Vor­la­ge ra­di­kal ver­än­der­te. Um die Sa­che noch wei­ter auf­zu­lö­sen und nicht der blo­ßen Nach­er­zäh­lung zu über­ge­ben, füg­te er eine wei­te­re Ebe­ne hin­zu. Er lässt uns also – nicht sehr rea­lis­tisch, aber Thea­ter ist nie­mals rea­lis­tisch – in eine Thea­ter­pro­be hin­ein­schau­en, die von der Re­gis­seu­rin „Aga­ta Run­kel“ ge­lei­tet wird, hin­ter der man sich eine Ka­tha­ri­na Wag­ner 2.0 vor­stel­len kann (zu­min­dest ent­hält ihr Name fast alle Buch­sta­ben des Na­mens der Wag­ner-Ur­en­ke­lin, die, glau­be ich, mit An­ge­la Mer­kel auf gu­tem Fuß steht). Hop­pe lässt die Re­gis­seu­se und Domp­teu­se zur cho­le­ri­schen Chef­a­gi­ta­to­rin wer­den, die, be­vor sie die Oper selbst in­sze­niert, mit Schau­spie­lern ein Vor-Ma­te­ri­al pro­du­ziert, nach dem sich dann die Opern­sän­ger zu rich­ten haben.

Sze­ne aus „Lo­hen­grin sein Va­ter und der Gral“ – Foto: © Tho­mas Eberlein

Wäh­rend­des­sen re­flek­tie­ren sie auf gut Hop­pesch den Stoff, fech­ten ihre klei­nen Kämp­fe mit der Re­gis­seu­rin aus, die selbst nicht weiß, wor­auf das Gan­ze hin­aus lau­fen soll – und pro­ben noch dazu da­zwi­schen ein paar Sze­nen aus dem „Lo­hen­grin“ und Par­si­fals Vor­ge­schich­te, also die Be­zie­hung von Gah­mu­ret und Herzeleide.

„Ver­wir­rend“, so nann­te das am Abend ein thea­ter­af­fi­nes Ehe­paar. Denn Hop­pes Dra­ma­tur­gie läuft dies­mal auf eine Rei­he von Frag­men­ten hin­aus. Um sie recht zu ver­ste­hen, be­darf es der ge­nau­en Kennt­nis des so­ge­nann­ten Ori­gi­nals. Wer es nicht kennt, ver­lässt in der Pau­se das Thea­ter. In sei­nem Fu­ror, es dies­mal auf ei­ner nächst­hö­he­ren Ebe­ne mit dem kom­pli­zier­ten Stoff auf­zu­neh­men, den Wag­ner und hin­ter­las­sen hat, konn­te Hop­pe viel­leicht kei­ne Rück­sicht auf in­di­vi­du­el­le Be­find­lich­kei­ten neh­men. Statt­des­sen se­hen wir in ei­nen Raum, in dem sich die Spie­ler und Spre­cher ty­pisch hop­pesch ges­ti­ku­lie­rend (also über­deut­lichst) durch die Pro­ble­me ar­bei­ten, die ein Wag­ner im Licht un­se­rer Er­fah­rung, wie Tho­mas Mann das ge­nannt hät­te, eben so bie­tet. Hop­pe schrieb nicht Wag­ner fort, son­dern zeigt uns ei­nen Wag­ner für Fortgeschrittene.

Er lässt auch flei­ßig Wag­ner hö­ren. Hier liegt das Pro­blem der In­sze­nie­rung. Wag­ner ist eben im­mer noch stär­ker als al­les, was mit ihm ver­an­stal­tet wird. So klin­gen im­mer wie­der lan­ge, herr­li­che Pas­sa­gen aus dem „Par­si­fal“ in den Raum. Es ist kaum mög­lich, sich ih­rer zau­ber­haf­ten Wir­kung zu ent­zie­hen. Je mehr man sie kennt, des­to ein­neh­men­der ist ihre Wir­kung. Dar­über geht lo­gi­scher­wei­se Man­ches ver­lo­ren. Viel­leicht ist es ja nur die­se oft in Ein­satz ge­brach­te, als Be­gleit­mu­sik miss­brauch­te Mu­sik, die man­chen Zu­sam­men­hang des neu­en Stücks stört – un­mög­lich, sich nicht die Bil­der sei­ner Lieb­lings-In­sze­nie­rung zu ima­gi­nie­ren, wenn ge­ra­de der wah­re Wag­ner zu hö­ren ist.

Ich habe je­den­falls im­mer und im­mer wie­der wei­te Tei­le der Her­heim-In­sze­nie­rung ge­se­hen. Zu­sam­men mit dem rea­len Büh­nen­ge­sche­hen sah ich also ein an­stren­gen­des Dop­pel­bild (und ich bin si­cher, dass es nicht al­lein mir so ging). Es ist scha­de, da Hop­pe doch jede Men­ge Ei­ge­nes zu sa­gen hat. Was bleibt, nach­dem die Durch­lauf­pro­be mit ein­ge­leg­ter ab­sur­der „Lohengrin“-Probe, die stets bei „Mein Bru­der“ ins Sto­cken ge­rät, weil die Re­gis­seu­se im­mer wie­der neue Po­si­tio­nen er­fin­det und die Elsa-Dar­stel­le­rin zu­neh­mend hys­te­ri­scher und lus­ti­ger agiert?

Das Wis­sen, dass eine Kir­che, die über den Men­schen be­stim­men will, ab­schaff­bar ist und Er­lö­sung eine Chi­mä­re – selbst und ge­ra­de dann, wenn Klings­or und Am­for­tas end­lich als Lie­bes­paar ver­ei­nigt und der dok­tri­nä­re Hard­li­ner Gurn­emanz und die Frau sich fried­lich an den Hän­den hal­ten. Was bleibt, ist die Aus­sicht auf ein Land, das noch kei­ner je sah. „In fer­nem Land“: das ist das Letz­te, was wir an die­sem Abend hö­ren, wenn sich ei­ner der Ak­teu­re a ca­pel­la in Lo­hen­grins uto­pi­sche Hei­mat hin­ein­singt. Die Ge­schich­te geht weiter…

Gro­ßer Bei­fall für die Schau­spie­ler, al­len vor­an die bril­lan­te Con­ny Trap­per als Domp­teu­se (ei­ner­seits ein Ab­zieh­bild ei­ner „mo­der­nen Re­gis­seu­rin“, an­de­rer­seits eine Art Cha­rak­ter), Leo­nard Schmid als Am­for­tas (etc. etc.), Frank Jo­seph Mais­el als Gurn­emanz (und Kö­nig Hein­rich etc.), Viet Fuchs als Klings­or, Tel­ra­mund, Knap­pe, Alex­an­der Van­hei­den als Par­si­fal (u.a.), Lo­renz Stüh­le als As­sis­tent, Blu­me (eine be­wusst mie­se Trans­ves­ti­ten­show) und nicht zu­letzt Ma­ri­et­ta Wel­ler als Kundry, Elsa, Her­ze­lei­de. Zu­sam­men sind sie ein­fach „Schau­spie­ler“, die Hop­pes The­sen­dra­ma mit dop­pel­tem Bo­den zü­gig und agil über die Büh­ne fe­gen. Lan­ger Bei­fall der im Haus Gebliebenen.

Nur Dumm­köp­fe glau­ben, dass es „werk­treue“ und alle Pro­ble­me lö­sen­de Wag­ner-In­sze­nie­run­gen gäbe. Wag­ner bleibt schwie­rig, auch bei und nach Hop­pe – und das ist gut so.

Be­such­te Pre­mie­re am 15. Juli 2023, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 4., 7., 9., 11., 12., 16., 17., 19., 23., 25. und 26. Au­gust, Kar­ten über die Home­page der Stu­dio­büh­ne Bayreuth

Sze­ne aus „Lo­hen­grin sein Va­ter und der Gral“ – Foto: © Tho­mas Eberlein