Ein Interview aus dem Jahr 2000 zur Erinnerung an den am 10. Juli verstorbenen Politologen, wegweisenden Wagnerkenner und „Ring“-Dramaturgen Prof. Dr. Udo Bermbach (1938–2024)
Mit dem von ihm herausgegebenen „Ring“-Vortragsband „In den Trümmern der eignen Welt“ aus dem Jahr 1989 wurde mir Udo Bermbach schlagartig ein Begriff. Denn es war damals noch sehr ungewöhnlich, dass ein Universitätsprofessor zu einer Vortragsreihe unter anderem nicht nur eine junge Feministin – Sabine Zurmühl, die spätere Cosima-Biografin – eingeladen hatte, sondern auch den umstrittenen Historiker und Kulturwissenschaftler Hartmut Zelinsky, der mit seiner Dokumentation zur Wirkungsgeschichte Wagners von 1876 bis 1976 kompromisslos einen Zusammenhang zwischen Wagners Antisemitismus, seinen Schriften und Kunstwerken offenlegte, was für das damalige Bayreuth und die teils immer noch bräunliche Wagnerforschung ein dunkelrotes Tuch war. Udo Bermbach, der nicht nur in seinem Fach rührige Hamburger Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte, setzte sich in der Folge auf seine Weise immer wieder mit dem revolutionären, aber auch mit dem antisemitischen, von völkischen Strömungen und den Nazis vereinnahmten Wagner auseinander. Ein Großteil seiner Bücher waren und sind Meilensteine in der neueren Wagnerliteratur, auch als Gründer und Mitherausgeber der Halbjahresschrift „wagnerspectrum“ zählte er schnell zu den führenden Wagnerforschern jüngerer Zeit, der es unter anderem als einer der wenigen auf sich nahm, sämtliche sechzig (!) Jahrgänge der „Bayreuther Blätter“ kritisch lesend aufzuarbeiten und sich biographisch in Wagners englischen, aber nicht minder völkischen Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain als „Hitlers Vordenker“ zu vertiefen. Hier mein Interview, das bei den Proben im Frühsommer 2000 stattfand und zuerst unter dem Titel „Für Wagner war die Politik am Ende“ in Gondroms Festspielmagazin veröffentlicht wurde.
Wie kommt es, dass ein Politologe sich so nachhaltig mit Wagner befasst, dass er schließlich sogar aufgefordert wird, an einer Bayreuther „Ring“-Inszenierung mitzuarbeiten?
Udo Bermbach: Das hat eine Vorgeschichte. 1986 bekam ich durch Zufall Karten zum „Ring“ in Bayreuth – und ich muss sagen, es hat mich einfach emotional umgeworfen. Ich habe mir damals vorgenommen, mich mit Wagner intensiver auseinanderzusetzen, den ich bis dahin immer sehr stark mit der NS-Zeit und den völkischen Vereinnahmungen verbunden hatte. Ich hatte das Gefühl, dass das nicht alles sein kann. Da ich aber die Wagner-Literatur damals noch wenig kannte, beschloss ich, in Hamburg eine Vorlesungsreihe zum „Ring“ zu organisieren und Referenten einzuladen, die sich auskennen. Erst damals 1987/88 begann ich, mich systematisch mit Wagner zu beschäftigen. Und ein Zufall hat dies noch befördert. Meinen eigenen Vortrag innerhalb dieser Reihe, die dann als Buch unter dem Titel „In den Trümmern der eignen Welt“ publiziert wurde, hörte ein Hamburger Musikwissenschaftler, der sich mein Manuskript erbat und es nach Bayreuth schickte. Wenig später kam ein Anruf vom Pressebüro der Festspiele mit dem Vorschlag, diesen Beitrag ins Programmheft aufzunehmen. Ich konnte das erst gar nicht glauben, denn ich war ja in der Wagner-Szene völlig unbekannt, hatte bisher noch nichts veröffentlicht. Als dann der Aufsatz im „Walküre“-Heft 1988 erschien, war das der Start ins „Wagner-Leben“.
Seit 1988 war ich, worüber ich sehr glücklich bin, regelmäßig in Bayreuth, habe auch immer wieder für die Programmhefte geschrieben. Als ich 1993 ein Freisemester hatte, kam mir die Idee, die bis dahin publizierten Aufsätze auszuarbeiten und zusammenzufassen. Daraus entstand innerhalb von sechs Monaten das Buch „Der Wahn des Gesamtkunstwerks“, übrigens ohne einen Zettelkasten. Die mich überraschende, sehr freundliche und positive Aufnahme hat meine weitere Wagner-Beschäftigung bestimmt.
Wie sah konkret Ihre Mitarbeit beim „Ring“ aus?
Udo Bermbach: Bei der ersten von vielen gemeinsamen Sitzungen habe ich Jürgen Flimm davon erzählt, wie ich den „Ring“ verstehe, habe aus der Sicht des Politologen, der Wagner natürlich immer als einen politischen Musikdramatiker interpretiert, eine Gesamtdeutung des „Ring“ versucht und auch darauf hingewiesen, dass der Schluss der „Götterdämmerung“ mit dem „Parsifal“ weitergeführt wird, was für das Schlussbild der Inszenierung eine wichtige Rolle spielen wird. Nach meinem Eindruck war Jürgen Flimm mit den Grundzügen meiner Interpretation sehr einverstanden. Bei der weiteren Sitzungen sind die Mitglieder des Teams, wenn ich mal so sagen darf, die einzelnen Stücke auf dem Hintergrund dieser Grundinterpretation durchgegangen, wir haben uns die einzelnen Figuren, aber auch die jeweiligen dramatischen Situationen vorgenommen und haben schließlich überlegt, wie man diese vier Stücke zusammenbinden kann – einmal über die Personenregie und zum anderen über die Handlungsorte. Ich erinnere mich, dass Jürgen Flimm ziemlich zu Anfang die Frage stellte, wohin die vielen Akteure, die im „Ring“ ständig fliehen müssen, denn nun gehen, und daraus erwuchs dann die Antwort. Sie gehen dorthin, wo sie herkommen, weil sie sich da auskennen. Ein Beispiel: Wohin flieht die schwangere Sieglinde, wenn Siegmund tot ist und Brünnhilde ihr eigentlich nicht weiterhelfen kann? Vermutlich ins leere Haus von Hunding. Dort, in Hundings Haus, wächst später auch Siegfried auf, kommt Mime hinzu, um ihn aufzuziehen. Man sieht auf der Bühne natürlich nicht mehr das komplette Haus, aber doch noch ansehnliche Reste, in die eine Werkstatt hineingebaut ist. Und wenn Siegfried sich Brünnhilde aus Walhall holt, wohin sie geflüchtet war und vom Vater dann eingeschlossen wurde, wo gehen die beiden dann hin? Nach unserer Logik dorthin zurück, wo Siegfried groß geworden ist. Also sitzen sie zu Beginn der „Götterdämmerung“ an einem Ort, der noch als Hundings Haus identifiziert werden kann – allerdings so heruntergekommen, dass man sieht, wieviel Zeit inzwischen vergangen ist und in welcher Weise die Strategie Wotans zunehmend fehlschlägt.
Ähnlich ist das mit Walhall, der „Machtzentrale“ Wotans. Hierher flieht Brünnhilde – was auf den ersten Blick vielleicht überraschend ist. Aber sagt sie nicht selbst, dass sie das Alter ego von Wotan ist, nichts anderes als sein Wille? Und wenn das so ist: Was macht eine Tochter, die etwas getan hat, das der Vater eigentlich tun wollte, aber dann nicht tun durfte – Jürgen Flimm nannte das vorauseilenden Ungehorsam –, was macht eine Tochter, die weiß, dass der Vater zornig sein muss, auch wenn er es im Grunde seines Herzens nicht ist? Sie geht zu ihrem Vater und versucht, mit ihm zu reden, hofft darauf, ihn vielleicht umzustimmen. Es ist also ganz logisch, dass sie nach Walhall flüchtet. Dort wird sie eingeschlossen. Der Walkürenfels ist Walhall, die Machtzentrale, die Wotan bekanntlich nicht mehr braucht, weil er als Wanderer nun in die Welt geht.
Das sind Beispiele dafür, wie wir versucht haben, uns dem „Ring“ zu nähern. Grundlage all der konzeptionellen Überlegungen war die Überzeugung, dass der „Ring“ eine Parabel des Untergangs einer Gesellschaft ist – also ein politischer „Ring“ in dem Sinne, dass Politik eine zutiefst dem Menschen eingeborene Eigenschaft ist, etwas, das zu allen Zeiten mit Macht, Machterwerb, Machtakkumulation, Machterhalt und Machtzerfall zu tun hat. Und so liefert die Inszenierung, vor allem das Bühnenbild, eine Ikonographie der Macht und des Zerfalls von Macht. Um diesen Gedanken deutlich zu machen, müssen trotz aller Verschiedenheit der Aktionsfelder und der damit korrespondierenden Bühnenbilder immer wieder aus bereits gesehenen Bühnenbildern Elemente auftauchen, die den Zusammenhang der Erzählung visuell verdeutlichen.
Wieviel werden Sie davon noch wiederfinden, wenn Sie die Premieren sehen?
Udo Bermbach: Das habe ich mich gleich zu Anfang auch gefragt. Natürlich ist mir klar, dass selbst ein gutes Konzept – übrigens kein revolutionäres Konzept, denn man kann dem „Ring“ ja nichts überstülpen, was nicht in ihm drin ist – bei den Proben Federn lassen muss. Denn spätestens bei den Proben zeigt sich, dass bestimmte Vorstellungen, vielleicht auch Bühnenbilder, nicht so funktionieren, wie das überlegt worden ist, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Und doch muss ich sagen, dass das, was ich in nur wenigen Probentagen gesehen habe, die Zentrallinien der Konzeption deutlich macht. Dass es an der einen oder anderen Stelle dann nicht so prägnant ist, wie ein Theoretiker sich das wünschen würde, ist selbstverständlich und hat auch damit zu tun, dass man das Theater nicht mit einer moralischen Lehranstalt verwechseln sollte. Theater ist eben Theater und soll es auch bleiben.
Werden Sie noch Wagner-Bücher schreiben?
Udo Bermbach: Aber natürlich! Im Moment arbeiten Hermann Schreiber und ich für den großen Text-/Bildband zum neuen Bayreuther „Ring“, der noch in diesem Jahr, Ende November, Anfang Dezember, erscheinen wird. Darüber hinaus habe ich mich in den vergangenen Monaten intensiver mit der politischen Wagner-Rezeption beschäftigt. Dabei interessiert mich vor allem, wie der nach meinem Verständnis durch einen linken Diskurs geprägte Musik- und Gesellschaftstheoretiker Richard Wagner von der äußersten Rechten vereinnahmt werden konnte. Wagner war, wie man weiß, in seinem politischen Denken durch Radikaldemokraten des deutschen Vormärz, durch französische Frühsozialisten, durch den Linkshegelianismus und durch den Anarchismus entscheidend geprägt, er war in die Revolution von 1849 direkt involviert und er hat all das auch im Exil nicht aufgegeben. Dass er nach Zürich ging, ist symptomatisch: Diese Stadt war damals der Sammelpunkt der deutschen radikalen Linken.
Auf diesem biographischen Hintergrund frage ich mich nach den Scharnierstellen, die die Anschlussfähigkeit des Wagnerschen Denkens für die Rechte ermöglicht haben. Ich bin in den vergangenen neun Monaten, die ich im Wissenschaftskolleg zu Berlin zugebracht habe, dieser Frage nachgegangen, habe mich mit der Deutung der Wagnerschen Werke in den „Bayreuther Blättern“ beschäftigt. Da gibt es ganz Erstaunliches, etwa gleich im ersten Jahrgang von 1878 einen Aufsatz von Carl Friedrich Glasenapp über die Züricher Kunstschriften, in dem behauptet wird, dass diese mit Politik gar nichts zu tun haben. Glasenapp geht sogar so weit, die Beteiligung Wagners am Dresdner Aufstand einfach zu leugnen – das ist schlichtweg eine Geschichtsklitterung. Ein Problem dabei ist: Wagner muss das gelesen haben, und man fragt sich, wieso hat er dagegen nicht protestiert? Warum schweigt er? Welches Interesse hat er, dass solche Legenden in die Welt gesetzt werden? Von den Legenden finden sich noch viele. Was man beobachten kann, ist eine systematische Entpolitisierung Wagners durch sein Bayreuther Umfeld, darüber hinaus eine systematische Aufladung Wagnerscher Musikdramen und Weltanschauung durch Schopenhauer, der nach meiner festen Überzeugung eine viel geringere Rolle für Wagner spielt, als häufig suggeriert wird. Auch in der Abfolge der Deutungen sieht man, welche Rolle jeweils die historischen und gesellschaftlichen Kontexte spielen. Man kann diesen Uminterpretationsprozess also ziemlich genau verfolgen. Wobei, wenn ich das eingestehen darf, es für mich eine völlig ungeklärte Frage ist, warum die deutsche Linke Wagner immer „rechts“ hat liegen lassen. Vielleicht hat das mit Marx und seinem Diktum vom Staatsmusikanten zu tun – eine historisch schwerwiegende Fehleinschätzung.
Bevor sich das alles zu einem Buch verdichtet, möchte ich allerdings versuchen, noch einmal einen interpretatorischen Durchgang über „Politik und Gesellschaft in Wagners Musikdramen“ zu schreiben. Wenn mein Plan aufgeht, soll dieses Buch zu den Festspielen 2002 vorliegen. Vielleicht muss auch mein erstes Wagner-Buch, „Der Wahn des Gesamtkunstwerks“, noch einmal überarbeitet werden – das wird man sehen. Alles in allem genug Pläne, und deshalb auch der Entschluss, die Universität vorzeitig zu verlassen, um solche Absichten realisieren zu können.
Demnach sind Sie Wagnerianer?
Udo Bermbach: Nein, nicht in dem Sinne, in dem man den Begriff normalerweise verwendet. Wagnerianer sind doch für gewöhnlich jene, die im Umfeld der „Bayreuther Blätter“ gestanden haben und die – wie dort lange Jahre eine symptomatische Rubrik hieß – unterschieden zwischen „Bayreuth und Draussen“, also zwischen Freund und Feind. Das ist heute Gott sei Dank vorbei. Wagner ist sicher ein zentrales Bildungserlebnis für mich, weit über die Musik hinaus, sonst würde ich mich nicht so intensiv mit ihm auseinandersetzen. Und Bayreuth bedeutet mir ungemein viel – auch, weil es so eng mit der deutschen Geschichte verwoben ist, im negativen wie im positiven Sinne. Bayreuth ist ein Nukleus und Seismograph deutscher Befindlichkeiten. Aber um sich damit auseinanderzusetzen, darf man nicht Wagnerianer im gerade zitierten Sinne sein.
Warum sagen Sie nicht bewusst „Ich bin Wagnerianer!“, damit endlich dieses negative Bild langsam aus der Welt gebracht wird?
Udo Bermbach: Dann muss man den Begriff zuvor umdefinieren, muss genau sagen, was man darunter versteht. Wenn das heißt, dass Wagner zu den ganz großen Komponisten der Welt gehört; dass er uns heute noch immer berührt, weil er in seinen Musikdramen Grundkonflikte des Menschen und der Gesellschaft auf eine bis dahin unerhörte Weise thematisiert hat; dass seine Musik uns emotional noch immer tief aufrührt – wenn das alles den Begriff ausmacht, dann bin ich Wagnerianer. Mir reicht es aber durchaus auch zu sagen: Ich habe eine besondere Beziehung zu Wagner, auch zu Bayreuth, weil Bayreuth der Ort ist, an dem man, wenn alles stimmt und glückt, Wagners Musik aufgrund der Akustik des Festspielhauses so hören kann, wie an keinem anderen Ort der Welt. Und natürlich ist Bayreuth auch deshalb etwas Besonderes, weil man hier nichts anderes machen kann als Wagner zu hören, sich auf dieses ästhetische Erlebnis einzulassen, was unter den sonst üblichen Bedingungen eines Opernbesuchs unmöglich ist. Das hat aber nichts mit dem ideologisch besetzten Ort Bayreuth zu tun.
Mir als Politologe ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass Wagner in eine historische Tradition gehört, mit der man sich rational auseinandersetzen kann, ohne dabei im völkischen Sumpf zu landen. In meinen Arbeiten habe ich immer versucht, Wagner an die demokratische Gesellschaft heranzuführen, versucht zu zeigen, dass eine demokratische Gesellschaft, in der auch Bayreuth ja schon lange angekommen ist, keinen Grund hat, sich vor ihm zu drücken. Das Neubayreuth von 1951 markiert hier für mich ein wichtiges Datum. Und gleiches gilt später dann für den Chéreau-„Ring“, der mir selbst einen neuen Zugang zu Wagner eröffnet hat. Dieser „Ring“ war für mich, obwohl ich ihn nicht im Festspielhaus erlebt habe, der Durchbruch, Wagner positiv annehmen zu können.
Und Ihr besonderes Interesse an „Parsifal“?
Udo Bermbach: Ich habe eine spezielle Interpretation von „Parsifal“, die aber natürlich durch Wagner gestützt ist. In meiner Vorstellung des Wagnerschen Werkzusammenhangs gibt es eine innere Verbindung von „Ring“ und „Parsifal“ schon deshalb, weil deren Konzeption in die Zeit vor 1849 fällt. „Parsifal“ ist für mich die Antwort auf die leere Bühne der „Götterdämmerung“. „Parsifal“ ist gleichsam die Fortsetzung der Wagnerschen Revolutionshoffnungen mit anderen Mitteln, mit den Mitteln der Kunst. In „Religion und Kunst“ von 1880 schreibt Wagner gleich eingangs den Satz, dass da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten. Das ist ein Kernsatz in mancherlei Hinsicht und Beleg auch dafür, dass für Wagner die Kunst an die Stelle von Religion und Politik treten soll – denn für Wagner war die Politik am Ende: Sein ganzes Denken und Schaffen, auch die Festspielidee, sind daran ausgerichtet, dass die Kunst als das kommende Medium der sozialen Integration etwas Neues bewirken soll – eine Gemeinschaft, die sich über ästhetische Erfahrung konstituiert. In „Heldentum und Christentum“ spricht er von der in der Wagner-Literatur verblüffenderweise kaum zur Kenntnis genommenen „ästhetischen Weltordnung“ als seinem Ziel. Es geht hier um Ordnung, nicht um Staat! Das hat eine neue Qualität gegenüber einer Gesellschaft, die durch Politik gesteuert wird. Dass diese neue ästhetische Ordnung, auf die Wagner hofft, auch Politik in sich aufnimmt, aufnehmen muss, ist das eigentliche Paradox. Ob Wagner das so gesehen hat, mag dahingestellt sein – die Sache selbst ist so. Und das heißt, dass auch der „Parsifal“ in diesem Sinne ein politisches Stück ist. Deswegen wird der neue Bayreuther „Ring“ mit einem Verweis auf „Parsifal“ enden – als die utopische Aussicht auf eine Form der Revolution, die nicht mehr eine Revolution der Institutionen ist, auch nicht mehr die einer konkreten gesellschaftlichen Ordnung, sondern als eine Revolution des Bewusstseins. Interview: Monika Beer
Nachtrag zum Interview: Mit Udo Bermbach verband mich nach seinem Bayreuther „Ring“-Debüt eine langjährige Freundschaft. Wir trafen uns häufig bei den Wagner-Premieren allerorten und natürlich in Bayreuth, für den Richard-Wagner-Verband konnte ich ihn auch nach Bamberg zu einem Gespräch über Chamberlain einladen. Warum als Nachruf das alte Interview aus dem Jahr 2000? Es hat einen guten Grund: Dass Regisseur Jürgen Flimm das für seinen Konzept-Dramaturgen so wichtige „Parsifal“-Schlussbild nach den Premieren gestrichen hat, wurde gewissermaßen zu Bermbachs Amfortas-Wunde: Seine Erinnerungen an eben diese Theaterarbeit detailliert festzuhalten, beschäftigten den 86-Jährigen bis zu seinem Tod. Um zu verstehen, wie wichtig Bermbachs Wagner-Lesart für das letzte Jahrzehnt des 20. und die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts waren, empfehle ich gerne noch den Nachruf von Laurenz Lütteken in der F.A.Z. sowie das umfangreiche Gespräch, das der Journalist Wolf-Dieter Peter 2011 mit Bermbach fürs αlpha-forum des Bayerischen Rundfunks führte.
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