Pausenjahre gab’s schon immer

Co­ro­na-Däm­me­rung: Erst­mals in ih­rer 144-jäh­ri­gen Ge­schich­te müs­sen die Bay­reu­ther Fest­spie­le nicht ge­wollt, aus Geld­man­gel oder kriegs­be­dingt pausieren.

Blick vom lee­ren Zu­schau­er­saal auf die Büh­ne mit dem „Parsifal“-Gralstempel von 1882

Das hat die 1978 in Bay­reuth ge­bo­re­ne Wag­ner-Ur­en­ke­lin Ka­tha­ri­na Wag­ner noch nicht er­lebt, dass ein Fest­spiel­som­mer am Grü­nen Hü­gel ab­ge­sagt wer­den muss. Nur wer in etwa dop­pelt so alt ist wie die 42-jäh­ri­ge Fest­spiel­lei­te­rin kann sich viel­leicht noch an die kriegs­be­ding­te letz­te Zwangs­pau­se vor der Wie­der­eröff­nung der Bay­reu­ther Fest­spie­le 1951 erinnern.

Un­ter­bre­chun­gen gab es in der Ge­schich­te der Mut­ter al­ler Fest­spie­le, die am 13. Au­gust 1876 mit der Ur­auf­füh­rung von Ri­chard Wag­ners Te­tra­lo­gie „Der Ring des Ni­be­lun­gen“ spek­ta­ku­lär er­öff­net wur­den, im­mer wie­der – vor al­lem in den ers­ten Jahr­zehn­ten. Die ers­ten Fest­spie­le en­de­ten be­kannt­lich mit ei­nem fi­nan­zi­el­len De­sas­ter. Erst nach sechs Pau­sen­pau­sen konn­te 1882 die zwei­te Sai­son mit der „Parsifal“-Uraufführung stattfinden.

Nach Ri­chard Wag­ners Tod am 13. Fe­bru­ar 1883 sah es zu­nächst nicht da­nach aus, dass in Bay­reuth eine bei­spiel­lo­se Er­folgs­ge­schich­te ge­schrie­ben wer­den soll­te. Doch Wit­we Co­si­ma Wag­ner rang sich die Fort­füh­rung des Er­bes ab und sorg­te da­für, dass die Fest­spie­le bald als der Maß­stab für die In­ter­pre­ta­ti­on der wag­ner­schen Mu­sik­dra­men gal­ten und sich peu à peu auch fi­nan­zi­ell lohnten.

In ih­rer Ära als In­ten­dan­tin von 1883 bis 1906 gab es ins­ge­samt neun Mal kei­ne Fest­spie­le, die vom Pro­gramm her dem Rhyth­mus Pre­mie­ren­jahr, Wie­der­ho­lungs­jahr und Pau­sen­jahr (zur Vor­be­rei­tung der nächs­ten Neu­in­sze­nie­rung) folg­ten. Als ihr Sohn Sieg­fried 1908 die Lei­tung über­nahm, wa­ren die Fest­spie­le künst­le­risch, ge­sell­schaft­lich, po­li­tisch und wirt­schaft­lich in­ter­na­tio­nal etabliert.

Bis zum Be­ginn der Ers­ten Welt­kriegs blieb al­les beim Al­ten, von den ge­plan­ten zwan­zig Auf­füh­run­gen 1914 konn­ten aber nur mehr acht statt­fin­den, d.h. die Fest­spie­le muss­ten be­zahl­te Kar­ten zu­rück­er­stat­ten und sämt­li­che Mit­wir­ken­de und Mit­ar­bei­ter voll be­zah­len. Der Krieg, die zu­neh­men­de Geld­ent­wer­tung und die welt­wei­te Fi­nanz­kri­se mach­ten auch vor­han­de­ne Rück­la­gen zu­nich­te, was zehn vol­le Jah­re Zwangs­pau­se bedeutete.

Sieg­fried Wag­ner blie­ben von 1924 bis zu sei­nem frü­hen Tod 1930 nur fünf wei­te­re Fest­spiel­sai­sons. Sei­ne Wit­we Wi­nif­red über­nahm 1931 die Lei­tung der Fest­spie­le und hät­te sie in herz­li­cher Über­ein­stim­mung mit Adolf Hit­ler und dem NS-Staat ab 1936 ger­ne end- und pau­sen­los fort­ge­führt. Bei den fol­gen­den Kriegs­fest­spie­len sorg­te die NS-Or­ga­ni­sa­ti­on „Kraft durch Freu­de“ da­für, dass in den sieb­zig Vor­stel­lun­gen ins­ge­samt rund 100 000 Be­su­cher sa­ßen. Am 9. Au­gust 1944 fand mit den „Meis­ter­sin­gern“ die letz­te Auf­füh­rung der Ära Wi­nif­red Wag­ner (mit ins­ge­samt drei Pau­sen­jah­ren) statt.

An der Ent­na­zi­fi­zie­rung der Wag­ners und der Fest­spie­le wird bis heu­te ge­ar­bei­tet. Als Wi­nif­reds Söh­ne Wie­land und Wolf­gang Wag­ner 1951 nach sie­ben Jah­ren Pau­se die Bay­reu­ther Fest­spie­le wie­der­eröff­nen konn­ten, wa­ren die Fest­spie­le letzt­lich noch ein rei­ner Fa­mi­li­en­be­trieb. Mit Neu­bay­reuth be­gann künst­le­risch eine neue Zeit, die den heu­ti­gen Welt­ruf Bay­reuths begründete.

Nach der Grün­dung der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung 1973 wur­de der Pro­zess ein­ge­lei­tet, aus der Fa­mi­li­en­fir­ma ein Staats­fes­ti­val zu ma­chen. Zwar steht im­mer noch ein Fa­mi­li­en­mit­glied an der Spit­ze, letzt­lich das Sa­gen ha­ben aber die Ge­sell­schaf­ter der Bay­reu­ther Fest­spie­le GmbH, d.h. die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, der Frei­staat Bay­ern, die Ge­sell­schaft der Freun­de von Bay­reuth so­wie die Stadt Bayreuth.

Dass Ka­tha­ri­na Wag­ner jetzt nach 68 Fest­spiel­sai­sons ohne Un­ter­bre­chung ein Pau­sen­jahr ver­kün­den muss­te, kommt sie hart an. „Na­tür­lich sind wir trau­rig, ge­ra­de weil wir uns auf eine span­nen­de Neu­pro­duk­ti­on des ‚Rings‘ ge­freut ha­ben“, sag­te sie der dpa am Diens­tag­abend. „Aber Ge­sund­heit geht vor.“ Auf der Fest­spiel-Home­page wird die Co­ro­na-Zwangs­pau­se üb­ri­gens als „Aus­set­zung“ be­zeich­net – ein viel­sa­gen­der Begriff.

His­to­ri­sche, nicht ganz kor­rek­te An­sicht des noch un­be­stuhl­ten Zu­schau­er­raums des Bay­reu­ther Fest­spiel­hau­ses vor der Er­öff­nung 1876

Wei­te­re Links zu le­sens­wer­ten ak­tu­el­len Ar­ti­keln usw.: In­ter­view von Mar­kus Thiel im Münch­ner Mer­kur mit Gün­ter Groiss­böck, dem Wo­tan im nächs­ten Festspiel-„Ring“, ein Ar­ti­kel von Chris­ti­ne Lem­ke-Matwey in der Zeit so­wie ein In­ter­view von Bern­hard Neu­hoff im BR mit Ka­tha­ri­na Wag­ner. Und noch ein Tipp: Der Co­ro­na­mu­se­um-Pod­cast von Wahn­fried-Di­rek­tor Dr. Sven Fried­rich ist ein Muss!

Und weil heu­te der 1. April ist, hier noch ein Fund­stück aus den end­lo­sen und wahn­haf­ten Wei­ten des In­ter­nets: „Wie das Pres­se­bü­ro des Bay­reu­ther Wag­ner-Fes­ti­vals heu­te Mit­tag be­kannt gab, wird Plá­ci­do Dom­in­go die für den Som­mer 2021 vor­ge­se­he­nen Auf­füh­run­gen der Oper „Die Wal­kü­re“ lei­ten. Er hat­te be­reits 2018 die­ses Werk di­ri­giert. Das Bay­reu­ther Fes­ti­val möch­te auf die­sem Wege die enge Ver­bun­den­heit mit dem dann 80jährigen Star­di­ri­gen­ten und Sän­ger zum Aus­druck bringen.“

Blick in den lee­ren Zu­schau­er­raum An­fang des 21. Jahr­hun­derts – Vor­la­ge: „Das Ri­chard Wag­ner Fest­spiel­haus Bay­reuth“, her­aus­ge­ge­ben von Mar­kus Kiesel

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