Richard Wagner aus Magdeburg an Minna Planer, zeitweilig in Berlin, Brief vom 11. November 1835.
Ach meine liebe, liebe Minna, wie danke ich Dir, wie kann ich Dir danken für Deinen Brief! Es war jetzt der entscheidende Punkt gekommen, u. Dein Brief mußte die Entscheidung enthalten. Ich hielt ihn lange unerbrochen in den Händen; – es schnürte – mir vor Bangigkeit die Brust zu; – nein: wenn darin stünde: „Liebes Kind, es geht nicht anders, ich muß hier bleiben, u. es thut mir deshalb leid, auf Deine Anerbietungen nicht eingehen zu können?“ – Damit hättest Du einen Mord an mir begangen, Minna! – Aber Gott im Himmel hat mich erhört, hat Dir Weichheit, Milde, Liebe u. Kraft gegeben. Nimm mich dafür hin für immer u. ewig! Jetzt ist Alles, Alles gut u. gewonnen, es bedurfte nur des festen Entschlusses; – Du hast ihn gefaßt, aus Liebe zu mir gefaßt; nun – laß mich für das Uebrige sorgen. O, die helle Freude verscheucht mir noch jeden ordnenden Gedanken; – ich habe mir es aber auch nicht anders erwartet, Du mußtest Dich bewegen lassen, es konnte nicht anders sein. O dafür will ich Dich lieben, – nie sollst Du mehr einen bösen Argwohn, einen bösen Streit von mir vernehmen; – ich will Dein Ritter u. Schützer[1] sein für das ganze Leben. – – Jetzt höre. Schon von selbst u. ohne Deine Aufforderung habe ich bereits in meinem gestrigen Briefe mehrere Punkte berührt, nach denen Du mich in Deinem Briefe fragst. Es verhält sich alles so, u. noch besser. – Ich war gestern noch deswegen bei Bethmann[2]; er beklagte sich allerdings sehr über Dich u. Deine Herzlosigkeit, mit der Du ihn hättest sitzen lassen; – allein ich, – magst Du mir nun böse sein, – oder nicht, – habe die Sache auszugleichen versucht. Ich habe es von Deiner Seite als eine rasche Handlung dargestellt, die Du in einem gereitzten Zustande schnell beschlossen u. schnell ausgeführt hättest; – ich habe ihm gesagt, daß Du, wenn die Collisionen mit Deinem Fache hinwegfielen, recht gern wiederkommen würdest, trotzdem, daß es Dir sonst gar nicht fehlte; – u. gab ihm dabei ganz offen zu verstehen, daß Du mehr meinetwegen als seinetwegen zurückkehren würdest. Willst Du ihm darüber nicht schreiben, mein liebes Kind, – Du vergiebst Dir ja nicht das Mindeste dabei; denn streng genommen ist Dein Fortlaufen nicht zu verantworten. Ist Dir wegen der Rollen ein Unrecht geschehen, so mußt Du Dich darüber beklagen u. Dein Recht fordern; erst wenn man es Dir verweigert, hast Du das Recht zu brechen. Auch kannst Du ja gradesweges erwähnen, daß Du meinethalb wiederkommen willst. – – Ueberhaupt, komm’ nur her, – dann macht sich schon Alles! Was ich Dir schon gestern mittheilte über die Stimmung des Publikum’s wegen Grabowsky’s, so ist dieß völlig der Wahrheit gemäß.
Nun zu Deiner Mutter[3]! Mein Kind, wegen dieser hast Du nun gar nichts mehr zu fürchten; wir sind einig. Du weißt was ich Dir schon gestern geschrieben habe. Nun gestern Abend haben Mutter, Amalie, Schreiber u. ich auf unsere beiderseitigen Verlobungen angestoßen. Die Mutter ist wie umgewendet gegen mich; – ich erklärte gestern Abend vor Allen Dreien, Du müßtest wiederkommen, ich könnte nicht mehr ohne Dich leben; – ich müßte mich mit Dir verloben, damit wir uns bald verheirathen könnte; – Schreiber stimmte sogleich mit ein; – wir stießen Alle zusammen an, u. die Mutter war eine Freude. Nun ging das Scherzen los; – ich begrüßte Schreibern als Schwager; – Amalie sagte, das müßte scharmant sein; heute hieße es: „wir gehen zu Kapellmeister’s“, u. ich sagte: „morgen gehen wir zu Kammersänger’s!“ Die Mutter wollte uns Allen die Wirtschaft führen; – wir wollten Alle in einem Hause wohnen; – u. so ging es den ganzen Abend fort. Ach, wärest Du da gewesen! – Die Freude u. Hoffnung lebte mächtig in meinem Herzen auf; – die Mutter wußte vor Lachen gar nicht wohin. – Amalie sagte: „na, nun will ich Minna schreiben, daß sie nur bald kommen soll!“ – O thue es, mache Deine Gastrollen schnell ab, u. kehre zu mir zurück, um nie mehr von mir zu gehen!
Ich bin zu Freude-trunken, um Dir auf Deine Bedenklichkeiten wegen unseres Erwerbes u. Auskommen’s ausführlich zu antworten;[4] – Du meinst, – ich würde entbehren müssen, u. Dir es vorwerfen? Pfui, – da denke ich ganz anders! Ich denke gar nicht an das Entbehren; – ich habe Kopf u. Talent, – u. durch Deinen Besitz bekomme ich auch den ernsten Trieb, es anzuwenden; – bis zu Ostern soll sich vieles entschieden haben, u. auf Glück müssen wir rechnen. Morgen mehr davon! – –
Mein lieber Engel, meine gute, süße Braut, – sei froh u. freue Dich mit uns; – es wird Alles zu unsrem Heil ausschlagen.
Dein
Richard.
[1] Lohengrin naht bereits, der Retter und Schützer – und nicht zu vergessen der Führer! Aber das war eher ein kleines Problem im Festspielsommer 2022.
[2] Dass Minna mit ihrer Abreise nach Berlin Anfang November gegenüber dem Magdeburger Intendanten Heinrich Bethmann einen Vertragsbruch begangen hatte, liegt auf der Hand. In der Sammlung Burrell findet sich sogar ein von Wagner aufgesetztes, aber vermutlich nicht abgesendetes Ultimatum mit folgendem Wortlaut: „Zu meinem größten Bedauern ersehe ich, daß Sie sowohl heute die mir von jeher zugehörende Rolle der Christine in der Königin von Schweden durch Mad. Grabowsky besetzt als auch derselben die Rollen der Julia in Romeo und Julia und des Gretchens im Faust zugetheilt haben. Ohne Zweifel kommen mir, als der ersten tragischen Liebhaberin an Ihrer Bühne die genannten bezeichneten Rollen zu und keineswegs Mad. Grabowsky, die, wie Sie mir selbst versichert haben, das naive Fach ausfüllen sollen. Ich sehe diese dem zuwiderlaufende Austheilung als die offenbarste Ungerechtigkeit an, die mir meine Ehre in jeder Hinsicht zu dulden verbietet.“
[3] Es versteht sich von selbst, dass Minnas Mutter lange gegen diesen Jungspund Wagner war und adelige „bessere Herrn“, an denen es unter den Bewunderern Minnas nicht mangelte, lieber als Schwiegersohn gehabt hätte.
[4] Wie Recht sollte Minna doch mit ihren Bedenklichkeiten haben! Eigentlich wurden Wagners finanzielle Engpässe, obwohl er auch in jungen Jahren schon nicht wenige gebefreudige Unterstützer hatte, erst deutlich weniger, als König Ludwig II. in sein Leben trat. Wovon Minna bekanntlich nicht viel hatte, denn 1864 lebte das Ehepaar bereits dauerhaft getrennt.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; John N. Burk: Richard Wagner Briefe. Die Sammlung Burrell, 1953.
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