Endlich kommt wenigstens einmal Minna dran. Ein erster langer Brief, den Minnas Tochter Natalie nicht an Wagner zurückgegeben, sondern an Mary Burrell verkauft hat, ging am 18. Juli 1849 aus Chemnitz nach Zürich.
Zur Vorgeschichte: Seit dem letzten Liebesbrief des gerade 23-jährigen Wagners sind dreizehn turbulente Jahre vergangen. Die beiden haben in Königsberg geheiratet, waren danach in Riga, London, Paris und Dresden. Bei der Flucht aus Riga verlor die schwangere Minna ihr Kind, in Paris folgten karge Jahre, erst in Dresden besserte sich nicht nur die finanzielle Lage des Ehepaars, was sich in den Revolutionswirren des Dresdener Maiaufstands schnell in Luft auflöste. Der steckbrieflich gesuchte Wagner flüchtete in die Schweiz, Minna kümmerte sich um die Wohnungsauflösung und logierte in Chemnitz bei Schwägerin Clara und Heinrich Wolfram.
Chemnitz, 18. Juli 1849
Mein lieber Richard!
Gestern erhalte ich durch Natalien[1] Deinen Brief, den Du ihr geschrieben, zugeschickt, weil sie meint, ich könnte ihn Dir doch besser beantworten als sie selbst, da der Inhalt doch nur mich betrifft. Es ist mir leid, daß Du meinen Brief vom 28. V. M. an Belloni[2] nach Reuil adressiert nicht erhalten hast, jedenfalls aber hast Du Deine jetzige Adresse zurückgelassen, denn ich wünschte nicht, daß er in fremde Hände käme und Du erhältst ihn noch oder bist schon im Besitz desselben.
Ich schrieb Dir, daß ich zu Dir nach Zürich kommen würde, nur sollst Du mich nicht drängen, es läßt sich nicht alles so schnell, als man in der Ferne denkt, abmachen, zumal, wenn man so viel Unangenehmes zu beseitigen hat als ich und man für immer von dem Ort scheidet. Du wirst es hoffentlich, mein lieber Richard, einsehen, daß ich, indem ich zu Dir komme, kein kleines Opfer bringe. Was für einer Zukunft gehe ich jetzt entgegen, was kannst Du mir biehten? Fast zwei Jahre können vergehen, ehe Du im glücklichsten Fall auf eine Einnahme rechnen kannst, und nur von der Freundschaft seiner Freunde abzuhängen, ist für eine Frau eine traurige Existenz. Als wir damals in den erbärmlichsten Verhältnissen lebten, hatten wir doch eine Aussicht auf bessere Zeiten, bei der jetzigen unruhigen bewegten Welt ist es für die Kunst sehr precair, die nur in Frieden und unter Wohlstand gedeihen kann. Ich will Dir Deinen Muth nicht rauben, aber mich noch einmal auf das Ungewisse in Sorge und Kummer in eine fremdes Land zu wagen habe ich keinen mehr, ich habe den Glauben bei den (leider?) schönen Verheißungen verloren, es giebt für mich keine Glück mehr auf Erden! Was Du mir in Deinem letzten Brief schriebst, daß Du nehmlich Liszt[3] wegen dem festen Gehalt abgeschrieben, ist mir, wenn ich es recht überlege, fast lächerlich, als ob Du nicht selber Geld brauchtest, außerdem hatte ich es gar nicht verweigert, verdientes von Dir anzunehmen und das war es ja doch, da Du Dein bestes dafür einsetzen wolltest; nimm mir es nicht übel, ich glaube jetzt, Liszt hat Dir es selbst abgeschrieben oder die ganze Sache von Anfang an war nur ein Märchen. Du sprichst in Nataliens Schreiben nur immer von meiner Lieblosigkeit gegen Dich, ich begreife Dich in der That nicht, ich habe es Dir wahrlich bewiesen, aber was hab ich denn für einen Beweis von Liebe von Dir? Du hättest mir mit gutem Beispiel vorangehen, das hast Du aber nicht, sonst hättest Du meine Bitten erhört und mir auch einmal ein Opfer gebracht, doch es ist vorbei, und dies soll kein Vorwurf sein, doch wirst Du mir zugestehen, daß Du ein großes Unrecht gegen mich, am Ende auch gegen Dich selbst begangen hast, indem Du ein sorgenfreies Leben mit einem höchst unsichern aufs Spiel setztest. Ich wünsche, daß Du es nie bereuen mögest.
Dresden kann der Ort meines künftigen Aufenthalts nicht sein. Ich würde als Deine zurückgelassene Frau eine traurige Rolle spielen. Eine Stelle anzunehmen, wie sich mir schon geboten, die mir allerdings eine sorgenfreie Existenz biethet, willst Du nicht zugeben, und würde auch eine zu lange Trennung herbeiführen, die sich selbst kaum ertragen könnte, denn ich liebe Dich, trotz Allem, was Du mir gethan, doch immer noch. Du kannst ermessen, mein lieber Richard, wie stark sie gewesen sein muß, hast Du es aber nicht Wort, und willst mir absprechen, daß Du mir nichts Übles zugefügt, so werde ich mich zu beherrschen wissen und ich komme nicht wieder zu Dir, sollte ich auch darüber zu Grunde gehen! –
Du schreibst, ich soll die übrigen Meubel mit nach Zürich bringen – Du hattest vergessen, daß Du ja Alles verkauft, was einigermaßen Werth hatte, meine Hamburger Meubel aber höchst altmodisch, abgenützt, sogar sehr viel Risse haben und den Transport am Ende nicht wert sein werden. Die Fracht bis Zürich ist teuer, nur Matratzen, Gardinen und einige leicht transportable Sachen würde sich der Mühe lohnen, sonst habe ich nichts. Die Gastfreundlichkeit Deines Freundes Müller[4] könntest [hättest] Du doch mit Frau nur höchstens noch auf 14 Tage oder 4 Wochen beanspruchen können, unmöglich auf länger, was Deine Frau doch in größte Verlegenheit bringen kann und immer eine Gene für beide Theile ist.[5] Wir brauchen zwei Stuben, eine kleine Küche, mehr nicht; was wir darin noch gebrauchen, wird sich finden, wenn ich bei Dir bin, es kann nicht sehr theuer sein, eine solche kleine Wohnung, im Übrigen habe ich gehört, solle durchaus nichts billig zu haben sein: was das Helfen von meiner Seite betrifft, werde ich der Hausfrau nicht sehr viel nützen können, in fremden Wirtschaften ist das immer eine … (unleserlich) Sache und eine guthmütige Stiefelputzerin gebe ich nicht mehr ab. Du thust überhaupt nicht recht, wenn Du mich mit dem Hinkommen zu sehr pressierst, lege es mir nicht wieder als Mangel an Liebe aus, aber es ist natürlich, meine Gesundheit durch diese gräßlichen Aufregungen und Strapazen sehr gelitten, ich bin sehr reizbar, wohl gar bitter, ich sage Dir das im Voraus, damit Du mir keine Vorwürfe bei vorkommenden Fällen machen sollst und ich mich zurück in meine Heimath sehne, … ach ich vergaß, daß ich keine Heimath mehr habe – Kurz, daß ich mich nicht in andere Verhältnisse sehne. Wir müssen uns jetzt so viel wie möglich das Leben zu erleichtern suchen, wenn Gott uns nur Gesundheit schenkt, muß man jetzt schon zufrieden sein. Wenn Du eine feste Stellung für Natalie hast, bringe ich sie mit, sonst auf keinen Fall, wir werden es selbst sehr eintheilen müssen. Ich habe in der letzten Zeit keine Üppigkeiten besessen, aber es graut mir schrecklich vor dieser Zukunft. Ich hatte wenig, aber doch gewiß und wir wären doch wieder auf einen grünen Zweig gekommen, diese beruhigende Aussicht war schon Glück genug für mich. Du wirst Dich doch einmal in diesen ehrenvollen Wirkungskreis zurückwünschen, wo Du so manche Freude und Ehre geändet [geerntet].
Ich kann es mir nicht anders denken, es giebt ja nicht immer, in keinem Verhältnis Angenehmes und dieses überwog doch die Schattenseiten Deiner Beschäftigung. Deine Entlassung erhielt ich noch vorigen Montag kurz vorher, ehe ich abreiste. Du wirst sie auch in der Leipziger Zeitung gelesen haben. Was ich Dir alles von Deinen Arbeiten mitbringen soll, wirst Du mir noch schreiben, die vielen übrigen Noten aber werde ich zur Aufbewahrung geben. Du kannst sie Dir einmal schicken lassen, wenn Du wieder wo fest wohnst. Sie sind aber sehr bedeutend zugewachsen und sehr schwer, folglich auch theuer zu transportieren. Verzeihe, daß ich so undeutlich und nicht kleiner schreibe, aber ich kann gar nicht mehr sehen. Das macht das viele Weinen; wie viele Thränen habe ich in diesen verhängnisvollen Zeiten vergossen. Die gute Frommann[6] läßt Dich herzlich grüßen, sie schrieb mir voller Besorgnis um uns von Berlin, Du könntest ihr auch einmal schreiben, sie wohnt noch hinter der katholischen Kirche Nr. 2. Ich schrieb ihr, daß Du einen Auftrag für die große Oper bekommen würdest. Ich bleibe noch 14 Tage hier, wo ich mich ziemlich wohl befinde. Schreibe mir wieder, ob Du meinen Brief vom 28. v. M. erhalten, wie es Dir geht usw. Lebe wohl, grüße unbekannterweise die Familie Müller. Wolframs[7] grüßen Dich alle herzlichst, das sind doch glückliche Leute! Du sollst nicht karg mit Deinen Briefen sein und sie unfrankiert an Wolfram schicken, der sie mir uneröffnet zustellen wird. Adieu, sei glücklicher als Deine Frau es ist, immer
Deine Minna.
Eva Rieger, die als erste Frau eine Minna-Biografie veröffentlicht hat, zitiert Minna ebenfalls aus dem Jahr 1849, die auch hier ungeschminkt die damalige Beziehung rekapitulert:
Was warst Du denn als ich Dich heirathete? Du warst ein armer, verlassner, unbekannter, unangestellter Musikdirector, und was standen mir damals für Aussichten bevor! Mein ganzes Thun und Schaffen in unsrer Häuslichkeit war ja nur um Dir es recht zu machen, Dir zu gefallen und so von frühester Zeit an, that ich ja Alles aus Liebe, sogar meine Selbständigkeit die sich so hoch hielt, gab ich freudig auf, um Dir ganz angehören zu können.
Rieger kommentiert: „Ihre finanzielle Unabhängigkeit aufgeben, auf den Beruf verzichten zu müssen – das war ihr schwer gefallen. Sie hielt dennoch aus Liebe zu ihm und – was noch wichtiger war – sie glaubte an ihn. Daß sie sich ausgerechnet in einen damals noch recht unbedeutende aussehenden Mann verliebt hatte, der überall einen Rattenschwanz an Schulden hinterließ, bürgerliche Ordnung verachtete und von Zukunftsträumen sprach, die sich nirgends zu realisieren schienen – das sollte beiden im Laufe ihrer Ehe zum Verhängnis werden.“
[1] Planer, Natalie, später verheiratete Bilz-Planer, einzige Tochter Minnas, die zeitlebens als ihre jüngere Schwester ausgegeben wurde.
[2] Belloni, Gaetano war 1841/47 Sekretär von Franz Liszt, lebte in Paris und blieb auch nach 1847 mit Liszt weiter in enger Verbindung.
[3] Liszt, Franz (1811–1886), Starpianist, Komponist, Freund und späterer Schwiegervater Wagners, zur fraglichen Zeit als Kapellmeister in Weimar ein wichtiger Unterstützer Wagners.
[4] Müller, Alexander (1808–1863), ab 1834 Musiklehrer und Chorleiter in Zürich; Jugendfreund Wagners in Würzburg, nahm Wagner in Zürich von Juli bis Mitte September als Hausgast auf.
[5] Müller hatte, sogar vor Minnas Ankunft, nicht genug Platz für Wagner allein. Wagner sollte bald die Verlegenheit seines Gastgebers über die zu bereitwillige Annahme der angebotenen Gastfreundschaft bemerken. Am 3. September übersiedelten Wagner und Minna in eine „kleine Wohnung“ am Zeltweg.
[6] Frommann, Alwine (1800–1875), stammt aus der Familie des mit Goethe befreundeten Jenaer Buchhändlers Frommann, Malerin und Illustratorin in Berlin, Vorleserin von Augusta von Preußen und langjährige Wagnerfreundin.
[7] Wolfram, Heinrich und Clara, geb. Wagner (1807–1875), vormaliges Sängerehepaar, lebten damals in Chemnitz und nahmen ihre Schwägerin Minna vorübergehend auf.
Quellen: Richard Wagner: Briefe. Die Sammlung Burrell, 1953; Eva Rieger: Minna und Richard Wagner. Stationen einer Liebe, 2003; Friedrich Dieckmann: Das Liebesverbot und die Revolution. Über Wagner, 2013.
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