Die Enthüllung klappt auch ohne Schleier

Ein schrä­ger Blick auf Sa­lo­me (Ute Dö­ring) und ih­ren lüs­ter­nen Stief­va­ter He­ro­des (Chris­ti­an Franz) in der Co­bur­ger Neu­in­sze­nie­rung von To­bi­as Theo­rell. Foto: An­drea Kremper

Was hat man auf der Opern­büh­ne seit rund hun­dert­zehn Jah­ren nicht schon al­les an­ge­stellt, um der „Sa­lo­me“ von Ri­chard Strauss bei­zu­kom­men! Und vor al­lem je­nem zen­tra­len „Tanz der sie­ben Schlei­er“, der oft ge­nug schon des­halb mehr ver­hüllt als ent­hüllt, weil kaum eine Sän­ge­rin, die über­haupt in der Lage ist, die­se He­roi­ne zu sin­gen, die kom­plet­te Num­mer auch so ver­füh­re­risch gut tan­zen kann, dass nicht nur He­ro­des hö­ren und se­hen ver­geht. Da­bei geht es, wie seit Fe­bru­ar im Lan­des­thea­ter Co­burg zu er­le­ben ist, doch – ein biss­chen an­ders als zu­meist, ein­leuch­tend raf­fi­niert und ein­fach zugleich.

Re­gis­seur To­bi­as Theo­rell und der Co­bur­ger Bal­lett­chef Mark McClain ha­ben in der Neu­in­sze­nie­rung aus der schon von Text­dich­ter Os­car Wil­de vor­ge­ge­be­nen Not eine Tu­gend ge­macht. Der Cho­reo­graph stu­dier­te mit der durch­aus auch tän­ze­risch be­gab­ten Gast­so­lis­tin Ute Dö­ring nicht etwa eine in sich ge­schlos­se­ne Tanz­num­mer mit stu­fen­wei­ser Ent­schleie­rung ein, son­dern sie be­wegt sich – ohne Schlei­er, da­für zeit­wei­se mit dem Um­hang des He­ro­des und mit ei­nem lan­gen Schal – so, als im­pro­vi­sie­re sie nur. Ein tol­ler und über­zeu­gen­der Kunst­griff, denn die Sze­ne wirkt da­durch au­then­tisch. Die ar­ro­gan­te, ge­lang­weil­te und ver­zo­ge­ne Prin­zes­sin aus be­stimmt nicht gu­tem, aber stein­rei­chen (Königs-)Haus lässt sich gleich­sam her­ab, den nach ihr gie­ren­den Stief­va­ter um den Fin­ger zu wi­ckeln, streut Tanz­be­we­gun­gen und -fi­gu­ren ein, wie sie ihr ge­ra­de durch den Kopf zu schwir­ren schei­nen. Nur der über­lan­ge schwar­ze Schal, den sie ih­rem ver­zück­ten Tanz­part­ner spie­le­risch um den Hals win­det, ver­rät, dass sie längst an nichts an­de­res denkt als an Joch­a­na­an, des­sen Kopf sie gleich for­dern wird.

Das Gan­ze spielt in ei­nem Durch­gangs- oder Hof­raum, der kom­plett mit knitt­ri­gen Gold­fo­li­en, um nicht zu sa­gen Gold­schlei­ern aus­ge­hängt und de­ko­riert ist (Büh­nen­bild und Kos­tü­me: Ale­jan­dro Tar­ra­güel Ru­bio). Der Te­trarch lässt sich sein (Kostüm-)Fest eben was kos­ten. In wel­chem Land der Pa­last steht, bleibt un­klar; könn­te eben­so das An­we­sen von ei­nem rus­si­schen Olig­ar­chen wie von ei­nem süd­ame­ri­ka­ni­schen Dro­gen­boss sein. So wie die Par­ty­gäs­te ge­klei­det sind, spielt die Oper nicht zu Be­ginn der christ­li­chen Zeit­rech­nung, son­dern in der Ge­gen­wart – und in ei­ner re­pres­si­ven Ge­sell­schaft, wo es ganz nor­mal ist, dass man Geg­ner wel­cher Art auch im­mer nach Be­lie­ben um­bringt. Sa­lo­me ist bar­fuß, trägt Leg­gins zu in ih­rem bläu­lich schim­mern­den, sich vor­ne tei­len­den Abend­kleid und ist es ge­wöhnt, dass sie kriegt, was sie will. Umso mehr ir­ri­tiert sie der ein­ge­ker­ker­te Guer­ril­le­ro, der merk­wür­di­ger­wei­se gar kei­ne Au­gen für sie hat und lie­ber ein Ge­bet­buch aus der Ho­sen­ta­sche zieht.

Wenn Joch­a­na­an sein Ver­lies ver­las­sen darf und end­lich auf die Büh­ne kommt, ist das ein Ele­men­tar­ereig­nis. Die kraft­vol­le, aus­drucks­star­ke Ba­ri­ton­stim­me von Gast­so­list Tho­mas de Vries drückt ei­nen fast vom Sitz. Kein Wun­der, dass die sich sonst so cool ge­ben­de Sa­lo­me, de­ren So­pran ju­gend­lich glänzt, sich aus­ge­rech­net für ihn er­wärmt, denn ihre Mut­ter He­ro­di­as (Ga­brie­le Künz­ler) keift mehr­heit­lich, und Stief­va­ter He­ro­des (Gast­so­list Chris­ti­an Franz) ist stimm­lich auch nicht mehr der Jüngs­te. Sie und die wei­te­ren, mu­si­ka­lisch prä­zi­se ein­stu­dier­ten Mit­wir­ken­den sind Prot­ago­nis­ten ei­nes un­auf­dring­lich und mit Be­dacht in­sze­nier­ten Kam­mer­spiels, das be­stimmt nicht aus hei­te­rem Him­mel schreck­lich en­det. Die üb­li­chen Män­ner­phan­ta­sien sind nicht nur He­ro­des vor­be­hal­ten, Sa­lo­me ist zwar auch ein Vamp, der über Lei­chen geht, aber so, wie sie auf­ge­wach­sen ist, weiß sie es viel­leicht nicht besser.

Die Fra­ge, ob ein Strauss-Or­ches­ter in den Gra­ben des klas­si­zis­ti­schen Co­bur­ger Thea­ter­baus passt, hat der Kom­po­nist ge­wis­ser­ma­ßen selbst be­ant­wor­tet. Als et­li­che klei­ne­re Büh­nen nach der Dres­de­ner Ur­auf­füh­rung 1905 die skan­dal­um­wit­ter­te Oper schnell nach­spiel­ten, merk­te er zu­frie­den an, dass in Bres­lau sieb­zig Mu­si­ker aus­reich­ten, um sei­ne „Sa­lo­me“ zu ei­nem Sen­sa­ti­ons­er­folg zu ma­chen. In Co­burg sind es ge­nau 67 In­stru­men­ta­lis­ten, die un­ter Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Ro­land Klut­tig jene Fas­sung spie­len, die seit 1917 im Lan­des­thea­ter auf­ge­führt wird und auch 2015 für ei­nen Rie­sen­er­folg gut ist. Zu­recht gab es bei der Pre­mie­re Ju­bel für alle Be­tei­lig­ten, zu­recht hol­te auch das Or­ches­ter, das die An­for­de­run­gen und Klip­pen der Par­ti­tur mit Bra­vour meis­ter­te, sich sei­nen Ap­plaus auf der Büh­ne ab. Un­ter den Pre­mie­ren­gäs­ten Dame Gwy­neth Jo­nes, un­ter an­de­rem Brünn­hil­de im le­gen­dä­ren Bay­reu­ther Chéreau-„Ring“ , de­ren zwei­ter Mann Adri­an Mül­ler ei­ni­ge „Sa­lo­me“ -Vor­stel­lun­gen di­ri­giert. An­ge­spro­chen auf die Schwie­rig­kei­ten der Sa­lo­me-Par­tie sag­te die phä­no­me­na­le Sän­ger­dar­stel­le­rin Jo­nes tro­cken: „Ich hab sie über hun­dert Mal ge­sun­gen.“ Wo­mit sich flugs der Ein­druck re­la­ti­vier­te, dass Ute Dö­ring bei ih­rem Rol­len­de­büt an­fangs noch zu ner­vös war, um so­fort auch schau­spie­le­risch al­les zu geben.

Be­such­te Vor­stel­lung am 7. Fe­bru­ar 2015 (Pre­mie­re), wei­te­re Auf­füh­run­gen im Lan­des­thea­ter Co­burg am 13., 20. und 26. Fe­bru­ar, 14. und 24. März, 5. und 15. April so­wie am 7. und 20. Mai. Kar­ten gibt es te­le­fo­nisch un­ter 09621/898989 so­wie on­line auf der Home­page des Landestheaters.