rosalie erträumt sich ihren „Ring“

In ei­nem In­ter­view aus dem Som­mer 1994 gab ro­sa­lie vor der Pre­mie­re Ih­rer „Ring“-Produktion aus­führ­lich Aus­kunft über ihre Ar­beits­wei­se. Aus An­lass der gro­ßen ro­sa­lie-Aus­stel­lung im Ri­chard-Wag­ner-Mu­se­um in Wahn­fried sei die­ses In­ter­view noch­mals ver­öf­fent­licht – in der da­ma­li­gen Schreib­wei­se, nur ro­sa­lie sei so ge­schrie­ben, wie ihr Künst­ler­na­me nun­mal kor­rekt in Klein­buch­sta­ben lau­tet: Ihr steht das zu, eben weil nichts an ihr und ih­rer Kunst klein war und ist! Vor dem In­ter­view steht eine aus­führ­li­che Bio­gra­phie bis 1994, al­les, was da­nach kam, fin­den Sie auf der Home­page von ro­sa­lie bzw. auf der ih­res Ga­le­ris­ten. Es ist üb­ri­gens be­mer­kens­wert, wie ge­schickt sie im In­ter­view ant­wor­tet, wenn es dar­um geht, das da­ma­li­ge strik­te Schwei­ge­ge­bot zu in­sze­na­to­ri­schen De­tails vor der Pre­mie­re zu be­die­nen. Be­son­ders be­ein­druckt mich in der Be­zie­hung der Schat­ten des „Siegfried“-Walds …

ro­sa­lie 1994 bei der Ge­stal­tung des Fri­cka-Flü­gels Foto: Tho­mas Jürgens 

Ro­sa­lie ist am 24. Fe­bru­ar als Gud­run Mül­ler in Gemm­rig­heim am Ne­ckar ge­bo­ren. Von 1974 bis 81 stu­dier­te sich an der Uni­ver­si­tät Stutt­gart bzw. an der dor­ti­gen Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te Ger­ma­nis­tik, Kunst­ge­schich­te, Ma­le­rei, Gra­fik, plas­ti­sches Ar­bei­ten und – bei Jür­gen Rose – Büh­nen­bild; noch als Stu­den­tin de­bü­tier­te sie 1979 als Büh­nen- und Kos­tüm­bild­ne­rin bei Hans Wer­ner Hen­zes Mon­te­pul­cia­no-Work­shop in Ita­li­en mit der Ur­auf­füh­rung des Bal­letts „L’Imperatrice di Ter­ra­no­va“ („Die Kai­se­rin von Neu­fund­land“). Seit fünf­zehn Jah­ren ar­bei­tet Ro­sa­lie – ihr Künst­ler­na­me spricht sich „Ro­sal­je“ – als frei­schaf­fen­de Büh­nen- und Kos­tüm­bild­ne­rin für Oper, Schau­spiel und Bal­lett so­wie als frei­schaf­fen­de bil­den­de Künst­le­rin für Ma­le­rei, Plas­tik und In­stal­la­ti­on. Ei­nen wich­ti­gen Punkt ih­rer pri­va­ten Bio­gra­phie mar­kiert 1986 die Ge­burt ih­rer Toch­ter Mairose.
Als Opern­aus­stat­te­rin hat­te Ro­sa­lie mit der deut­schen Erst­auf­füh­rung von Hans Wer­ner Hen­zes Kin­der­oper „Pol­li­ci­no“ bei den Schwet­zin­ger Fest­spie­len 1981 ei­nen viel­be­ach­te­ten Auf­takt; die Pro­duk­ti­on (Re­gie: Ernst Poett­gen, Di­ri­gent: Den­nis Rus­sell Da­vies) wur­de an­schlie­ßend auch ins Gro­ße Haus der Staats­oper Stutt­gart über­nom­men. Dort folg­te 1983 Te­le­manns „Pim­pi­no­ne“ (Re­gie: Ernst Poett­gen, Di­ri­gent: Bern­hard Kon­tars­ky); im sel­ben Jahr be­gann auch die Zu­sam­men­ar­beit mit dem Re­gis­seur Di­dier Or­low­sky, mit dem sie bis 1986 in Ulm, Frei­burg und Wup­per­tal „Ar­lec­chi­no“ von Bu­so­ni, „Gi­an­ni Schic­ci“ von Puc­ci­ni, „Mac­beth“ von Ver­di, „Der Bar­bier von Bag­dad“ von Cor­ne­li­us und „Der Man­tel“ von Puc­ci­ni rea­li­sier­te. Bei der Ur­auf­füh­rung der Oper „Ley­la und Med­jnun“ von Det­lev Gla­nert in der Re­gie von Klaus Kirsch­ner bei der 1. Bi­en­na­le für mo­der­nes Mu­sik­thea­ter 1988 wur­de ihre Ge­samt­aus­stat­tung mit dem Preis für das bes­te Büh­nen­bild aus­ge­zeich­net. 1990 kam mit Mo­zarts „Ido­me­neo“ an der Ham­bur­gi­schen Staats­oper ihre ers­te Pro­duk­ti­on mit Al­fred Kirch­ner zu­stan­de; nach dem „Ring“ in Bay­reuth folgt für Ro­sa­lie die „Sa­lo­me“ von Ri­chard Strauss an der Opé­ra du Rhin Stras­bourg mit Die­ter Dorn als Re­gis­seur, eine In­sze­nie­rung, die im Ver­an­stal­tungs­rei­gen der „Kul­tur­haupt­stadt Eu­ro­pa 1994“ auch in Lis­sa­bon ge­zeigt wird.
Ein Schwer­punkt von Ro­sa­lies Ar­beit für die Büh­ne sind die Bal­lett­aus­stat­tun­gen. So schuf sie Büh­nen­bil­der und Kos­tü­me für die Cho­reo­gra­phen Heinz Spoer­li, Pierre Wyss, vor al­lem aber für Uwe Scholz, mit dem sie in Stutt­gart, To­ron­to, Frank­furt, Zü­rich, Mai­land, Mün­chen und Leip­zig schon neun Bal­lett­aben­de er­ar­bei­tet hat, wo­bei es sich zu­meist – auch bei „Kham­ma“ zur Mu­sik von Clau­de De­bus­sy an der Mai­län­der Sca­la – um Ur­auf­füh­run­gen han­del­te. Auch für das Schau­spiel, wenn auch we­ni­ger als bei den vor­ge­nann­ten Spar­ten, hat sie Büh­nen­bil­der und Kos­tü­me ent­wor­fen, dar­un­ter zu zwei Shake­speare-In­sze­nie­run­gen von Die­ter Reib­le in Wup­per­tal, zur „Faust“-Inszenierung Al­fred Kirch­ners am Schil­ler-Thea­ter Ber­lin und 1991 zur Ur­auf­füh­rung von Mar­tin Mo­de­bachs „Rot­käpp­chen und der Wolf“ in Frank­furt in der Re­gie von Hans Holl­mann. 1990 und 92 schuf sie au­ßer­dem In­stal­la­tio­nen zu zwei sze­ni­schen Kon­zer­ten un­ter der Lei­tung von Eber­hard Klo­ke in Bochum.
Als Bin­de­glied zwi­schen der Thea­ter­ar­beit und der frei­en Ma­le­rei dür­fen Ro­sa­lies Pla­ka­te gel­ten, die sie u.a. für die Ul­mer, Frei­bur­ger und Bo­chu­mer Sym­pho­ni­ker, für die Wie­ner Fest­wo­chen, die Münch­ner Kam­mer­spie­le (wo­bei ihr Pla­kat zu Her­bert Ach­tern­buschs „Der Frosch“ eine Aus­zeich­nung be­kam), die Oper Frank­furt und schon mehr­fach für Hans Wer­ner Hen­zes Münch­ner Bi­en­na­le ge­schaf­fen hat.
Mit ih­rer Ma­le­rei ging Ro­sa­lie im Rah­men ei­ner Aka­de­mie-Aus­stel­lung 1979 erst­mals an die Öf­fent­lich­keit, zwei Jah­re spä­ter er­hielt sie ein Sti­pen­di­um der Kunst­stif­tung Ba­den-Würt­tem­berg, es folg­ten in re­gel­mä­ßi­gen Ab­stän­den Ein­zel­aus­stel­lun­gen in Stutt­gart, Köln (1987 mit Ka­ta­log) und Zü­rich. Be­reits 1982 war sie mit ei­nem En­vi­ron­ment im Rah­men­pro­gramm der Do­cu­men­ta 7 in Kas­sel ver­tre­ten, un­ter dem Ti­tel „Komm lie­ber Mai und ma­che …“ rea­li­sier­te sie in drei Räu­men der Städ­ti­schen Ga­le­rie Stutt­gart eine In­stal­la­ti­on (1989 mit Ka­ta­log), mit ih­ren „26 Fi­gu­ren“ aus Alu­mi­ni­um zeig­te sie 1988 in Mün­chen und Ber­lin plas­ti­sche Arbeiten.
Daß Ro­sa­lies frei­es künst­le­ri­sches Schaf­fen von ih­rem Büh­nen­werk ei­gent­lich nicht zu tren­nen ist, hat der Kri­ti­ker Rein­hard Beuth im Stutt­gar­ter Ka­ta­log aus­führ­lich be­schrie­ben. Was un­ter ih­rer ak­ti­ven Mit­ar­beit ent­steht, sind „nicht ei­gent­lich Büh­nen­bil­der und Re­qui­si­ten, son­dern Büh­nen­ma­le­rei und Ob­jek­te, die ge­nug ei­ge­ne Hand­schrift be­sit­zen, auch au­ßer­halb der Büh­ne be­stehen zu kön­nen.“ Und nicht nur das: Ihre Hand­schrift ist in­zwi­schen auch in punc­to Nach­wuchs ge­fragt. Wenn Jür­gen Rose im Ok­to­ber an der Kunst­aka­de­mie Stutt­gart sein Ur­laubs­se­mes­ter nimmt, ist Ro­sa­lie Ver­tre­te­rin in sei­ner Büh­nen­bild­klas­se; in Pforz­heim hat sie ge­ra­de eine Pro­fes­sur für „Ex­pe­ri­men­tel­les Ge­stal­ten“ an­ge­nom­men und freut sich schon auf die Ar­beit mit den Stu­den­ten. Aber erst ein­mal muß die Haupt­ar­beit in Bay­reuth zu Ende ge­bracht sein. Über das, was sie für den „Ring“ im Fest­spiel­haus er­dacht hat, sprach Ro­sa­lie wäh­rend der Pro­ben­zeit in fol­gen­dem Interview.

Wann wa­ren Sie zum ersten­mal in Bay­reuth und was wa­ren Fest­spie­le für Sie?
ro­sa­lie: Bay­reuth war für mich schon im­mer der Ort des Ge­samt­kunst­werks, die „Werk­statt Bay­reuth“ eben, was mich als bil­den­de Künst­le­rin und als Ger­ma­nis­tin na­tür­lich sehr in­ter­es­siert hat. Als ich dann 1990 zum ersten­mal hier war, er­schien es mir als eine ganz ei­ge­ne Welt vol­ler gro­ßer Vi­sio­nen. Be­ein­dru­ckend war und ist für mich auch die Kon­zen­tra­ti­on auf ein Werk.

Seit wann be­rei­ten Sie den „Ring“ prak­tisch vor?
ro­sa­lie: Seit 1990. Und seit 1991 ar­bei­te ich je­den Tag dar­an, das heißt fast aus­schließ­lich. Schon im Mai 91 wa­ren die ers­ten Bau­pro­ben, von al­len vier Wer­ken zu­sam­men, wo­bei es in ers­ter Li­nie um die Ge­samt­kon­zep­ti­on ging. Aber ein­zel­ne Seg­men­te wie „Rhein­gold“, „Wal­kü­re“ I, II und III, „Sieg­fried“ II und III wa­ren da­mals schon an­nä­hernd so vor­han­den wie jetzt rea­li­siert. Tei­le der Schluß­sze­nen von „Sieg­fried“ und „Göt­ter­däm­me­rung“ be­stan­den als Grundgerüst.

Was war für Sie vom Grund­kon­zept her am schwierigsten?
ro­sa­lie: Wirk­lich bei Null an­zu­fan­gen und ei­nen ganz ei­ge­nen Kos­mos zu fin­den für die­ses un­ge­heu­er viel­schich­ti­ge Werk. Und vor al­lem auch, wenn man ei­nen My­thos wie die­sen auf die Büh­ne wuch­tet, in der Wir­kung leicht und schlank zu bleiben.

Was heißt das bei Ih­nen, bei Null an­zu­fan­gen? Muß­ten Sie all das, was Sie vom „Ring“ wuß­ten oder ge­se­hen ha­ben, vergessen?
ro­sa­lie: Nein. Wenn ich ein Werk auf der Büh­ne sehe – und ich habe sehr vie­le „Ring“-Inszenierungen be­sucht –, ver­su­che ich, das so ge­nau wie mög­lich auf­zu­neh­men und mich da­mit zu be­schäf­ti­gen. Bei Null oder ei­gent­lich bei Mi­nus oder un­ter Null an­zu­fan­gen heißt für mich, daß man mit sei­nem gan­zen Er­fah­rungs­schatz spe­zi­fisch auf die­ses Werk ein­geht und da­bei nicht nach ir­gend­wel­chen Re­zep­ten, son­dern wirk­lich neu­gie­rig und in­no­va­tiv ar­bei­tet. Das Li­bret­to ist da­bei der Aus­gangs­punkt – und die Mu­sik ist der Schlüs­sel. Zu­erst heißt es für mich stu­die­ren, bi­blio­gra­phie­ren, dann zu zeich­nen, zeich­nen, wo­chen­lang zeich­nen, Mo­del­le zu bau­en, Ab­läu­fe zu un­ter­su­chen. Ich muß mich dem Werk öff­nen, um aus mir selbst her­aus den Zu­gang zu finden.

Was war das al­ler­ers­te zum „Ring“, das Sie um­ge­setzt ha­ben? War das eine Far­be oder eine Form?
ro­sa­lie: Bei­des zu­sam­men, so wie es jetzt da­steht, wenn der Vor­hang auf­geht. Wo­bei sich na­tür­lich auch vie­les ver­än­dert hat, vie­les wei­ter ent­wi­ckelt und dif­fe­ren­ziert wur­de. Es gab auch Irr­tü­mer – aber das ist ja ge­ra­de das Span­nen­de an ei­ner sol­chen Ar­beit. Nichts ist ein­di­men­sio­nal, das wäre ganz schlimm! Und des­halb bin ich nicht nur mit Neu­gier, son­dern auch mit Lust und Spaß an die­se Ar­beit ge­gan­gen – nicht mit dem Ge­fühl, daß ich das jetzt stem­men muß wie At­las, son­dern eher auf der Spit­ze dre­hen. In der Um­set­zung ist das ein lan­ger, schwie­ri­ger und auf­rei­ben­der Pro­zeß, denn man muß das, was auf dem Pa­pier ist, ma­te­ria­li­sie­ren – und dann ent­ma­te­ria­li­sie­ren, da­mit sich die Vi­sio­nen von Leich­tig­keit auch ver­mit­teln. Um ei­nen Luft­bal­lon auf der Büh­ne stei­gen zu las­sen, braucht er die prä­zi­se Ko­or­di­na­ti­on von 1000 Einzelfaktoren.

In wel­cher Zeit spielt bei Ih­nen der „Ring“?
ro­sa­lie: Ei­ner­seits in ei­ner my­thi­schen Zeit, an­de­rer­seits jetzt, im­mer und über­all – da­mals, über­mor­gen, vor­hin auf der Pro­be, jetzt im Ge­spräch. Der „Ring“ spielt je­den Tag. Ich weiß nur, daß im My­thos et­was ver­bor­gen ist, das mit mei­ner Bio­gra­phie und je­der­manns Bio­gra­phie zu tun hat.

Gibt es eine Kon­stan­te, die sich durch alle Bil­der zieht?
ro­sa­lie: Ja, si­cher­lich. Es ist ein kon­kre­tes Teil, es ist auch die Äs­the­tik – und die Äs­the­tik des Weg­las­sens – oder ist es die Phan­ta­sie? Denn die funk­tio­niert für mich elektrisch.

Es gibt im „Ring“ eine Men­ge prak­ti­scher Pro­ble­me, die ge­löst wer­den müs­sen. Das fängt schon an mit den Riesen.
ro­sa­lie: Ich kann da nur die eine Fra­ge stel­len: Wer hat schon je ei­nen Rie­sen ge­se­hen? Der Rie­se muß ge­nau­so wie die Zwer­ge oder die Göt­ter ein­fach eine neue Bild­fin­dung sein. Ich möch­te ei­nen ganz ei­ge­nen Kos­mos schaf­fen, de­fi­nie­ren und visualisieren.

Hat die­se Kos­mos Ähn­lich­keit mit je­nem in der Ham­bur­ger „Idomeneo“-Produktion?
ro­sa­lie: „Ido­me­neo“ ist „Ido­me­neo“, und der „Ring“ ist der „Ring“. Ich habe jetzt den „Ring“ – und der „Ring“ hat mich.

Aber ro­sa­lie ist auch ro­sa­lie. Und in­ner­halb des ge­ge­be­nen Zeit­raums kann sich die künst­le­ri­sche Spra­che ja nicht to­tal ändern …
ro­sa­lie: Nein, to­tal si­cher nicht. „Ido­me­neo“ ist auch ein My­thos, ge­nau­so wie Haydns „Schöp­fung“, wo­bei die Be­to­nung dar­auf liegt, daß es ein mo­der­ner My­thos ist. Und Ähn­li­ches gilt für den „Ring“. In der Um­set­zungs­ar­beit ist es vor al­lem auch eine Ma­te­ri­al­fra­ge. Zu­sam­men mit mei­nem As­sis­ten­ten Tho­mas Jür­gens und dem Team, den Werk­stät­ten in Bay­reuth habe ich mich über eine lan­ge Zeit in­ten­siv da­mit be­schäf­tigt, mo­der­ne Ma­te­ria­li­en zu eru­ie­ren, Ma­te­ria­li­en un­se­rer Zeit. Ei­nen Blei­stift­strich kann man ja ganz un­ter­schied­lich um­set­zen – in Sei­de, Gum­mi, Stahl oder in Ro­sen­blät­tern, wie auch im­mer. Na­tür­lich ist es nicht nur eine Fra­ge des Ma­te­ri­als, son­dern auch der Ma­te­ri­al­kon­tras­te und der neu­en Zu­sam­men­hän­ge und Kombinationen.

Spielt die Be­leuch­tung in Zu­sam­men­hang mit dem Ma­te­ri­al eine gro­ße Rolle?
ro­sa­lie: Ja, eine gro­ße. Ei­nes mei­ner Lieb­lings­kin­der ist der Re­gen­bo­gen! An dem hängt mein Herz, den habe ich, wie soll man sa­gen, jah­re­lang ge­bo­ren – was nur mög­lich war durch die un­er­müd­li­che Ar­beit von je­nen, die ihn tat­säch­lich rea­li­sie­ren. Über­haupt ge­hö­ren die Ele­men­te wie Feu­er und Was­ser zu den in­ter­es­san­tes­ten Auf­ga­ben. Wenn der Feu­er­zau­ber be­ginnt, soll­te sich al­ler­dings nie­mand fra­gen, wie und wor­aus das ge­macht ist. Die Büh­ne, den­ke ich, ge­hört der Kunst – und ich mei­ne nicht die Kunst auf dem So­ckel, son­dern als Frei­heit ei­nen Mil­li­me­ter über dem Ma­te­ri­al; hier fängt es erst an! Es geht um künst­le­ri­sche Ge­stal­tung, künst­le­ri­sche Ex­pe­ri­men­te und künst­le­ri­sche Kom­bi­na­tio­nen. Als bil­den­de Künst­le­rin habe ich mich zum Bei­spiel auch mit Mul­ti­ples be­schäf­tigt, und vie­le For­men auf der Büh­ne ha­ben abs­trak­ten skulpt­ur­haf­ten oder ob­jekt­haf­ten Cha­rak­ter. Ich glau­be, es war Wie­land Wag­ner, der ge­sagt hat, daß nur ein bil­den­der Künst­ler den mo­der­nen Ar­che­ty­pus bei Wag­ner rea­li­sie­ren kann.

Muß­ten Sie da­mit in der Thea­ter­pra­xis nicht Kom­pro­mis­se ma­chen, die Ih­nen wehtun?
ro­sa­lie: Ja. Ich glau­be, es war auch in die­ser Hin­sicht für uns ein span­nen­der und auf­re­gen­der Pro­zeß. Wir alle, auch das Team von Tech­nik, Be­leuch­tung, Kos­tüm­ab­tei­lung und Mas­ke, ha­ben an ei­nem Strang ge­zo­gen, um das auf die Büh­ne zu stel­len. Thea­ter ist eben ein le­ben­di­ger und sehr sen­si­bler Kör­per mit all sei­nen Blut­bah­nen und sei­nen fei­nen Ner­ven­sys­te­men. Umso wich­ti­ger ist es, mit dem Stück, an dem man ar­bei­tet, tat­säch­lich auch zu le­ben. Und das habe ich, weiß Gott, ge­tan. Für mich stand in den letz­ten drei Jah­ren der „Ring“ an al­ler­ers­ter Stelle.

Und das muß nach der Pre­mie­re nicht auf­hö­ren. Denn in Bay­reuth ist die Mög­lich­keit ge­ge­ben, zu än­dern, zu verbessern. 
ro­sa­lie: Das ist eine tol­le Sa­che, ge­ra­de bei ei­nem sol­chen Werk, wo man sich bei man­chen Lö­sun­gen hun­dert­pro­zen­tig si­cher sein kann, aber bei an­de­ren nicht. Es geht mir da­bei nicht um Än­de­run­gen, son­dern eher um die Fa­cet­ten ei­nes The­mas. So gibt es al­lein zu „Wal­kü­re“ III an die drei­ßig Mo­del­le, und zehn da­von ha­ben zwar ähn­li­che Aus­drucks­mit­tel, sind aber un­ter­schied­li­che Va­ria­tio­nen ei­nes The­mas. Für eine Ver­si­on muß man sich dann ent­schei­den, aber das ist nicht ir­rever­si­bel, denn wenn die Dar­stel­ler da­zu­kom­men, wenn die Pro­ben be­gin­nen, än­dert sich zwangs­läu­fig manches.

Auch bei den Kostümen?
ro­sa­lie: Der Dar­stel­ler ist für mich der Kö­nig – wir die­nen ihm im­mer und über­all. Und des­halb muß ich ver­su­chen, auf je­den Wunsch ein­zu­ge­hen, auf je­den Kör­per, auf je­des Ge­sicht, auf den Be­we­gungs­duk­tus, auf die In­di­vi­dua­li­tät der Per­sön­lich­keit und nicht zu­letzt die der Fi­gur, die ver­kör­pert wer­den soll. Mög­lichst das Idea­le zu fin­den, das ist der An­spruch. Im üb­ri­gen habe ich Büh­nen­bild und Kos­tü­me im­mer als un­trenn­ba­re Ein­heit emp­fun­den und auch prak­ti­ziert. Kos­tü­me sind nicht un­ter­ge­ord­net oder at­mo­sphä­ri­sche Bei­ga­ben, son­dern sie sind Be­deu­tungs­trä­ger: sie ver­stär­ken die Plas­ti­zi­tät des Bühnengeschehens.

Wie kann man dem ho­hen An­spruch nach Idea­len ge­recht werden?
ro­sa­lie: Man­che Sa­chen fal­len ei­nem im Schlaf zu, aber alle an­de­ren, die auf der Büh­ne dann viel­leicht ganz leicht wir­ken, sind mit sehr viel und sehr mi­nu­ziö­ser Ar­beit ver­bun­den. Al­lein zu den Kos­tü­men gibt es an die 2000 Zeich­nun­gen! Es fällt ei­nem eben nicht in den Schoß, bei ei­nem sol­chen Werk ei­nen Ge­samt­kon­text zu schaf­fen. Die Phan­ta­sie al­lein ge­nügt da nicht: sie muß mit Rea­li­tät zu­sam­men­sto­ßen, mit der Büh­nen­wirk­sam­keit und der Büh­nen­pra­xis, sie muß in­ner­halb des gan­zen Ap­pa­rats auch funktionieren.

Wie fin­den Sie die Ar­beits­be­din­gun­gen in Bayreuth?
ro­sa­lie: Es ist ganz an­ders im Ver­gleich zu all den Häu­sern, wo ich schon ge­ar­bei­tet habe. Wenn ich jetzt sehe, wie auf dem Hof das Brünn­hil­den-Se­gel zu­sam­men­ge­baut und zu­sam­men­ge­schweißt wird, dann kann ich ei­gent­lich nur strahlen.

Ha­ben Sie eine Vor­lie­be für Tie­re auf der Bühne?
ro­sa­lie: Das kann man so nicht sa­gen. Aber an dem Bä­ren hän­ge ich schon.

Und der Waldvogel?
ro­sa­lie: der tritt nicht auf. Da­für ist das Wald­we­ben, der Wald in „Sieg­fried“ II, sehr abs­trakt und at­mo­sphä­risch um­ge­setzt. Der Wald wird nicht durch Bäu­me rea­li­siert, son­dern durch Schatten.

Wird es für das Pu­bli­kum nicht schwie­rig sein, trotz ei­ner si­cher un­ge­wohn­ten Op­tik zu er­ken­nen, daß dort auf der Büh­ne nicht ab­ge­ho­be­ne Fi­gu­ren, son­dern Men­schen stehen?
ro­sa­lie: Ich hof­fe sehr, daß das Pu­bli­kum mit­geht und mit­lebt. Ich habe ja nicht Kos­tü­me wie Salz­säu­len ge­macht, son­dern dar­in die Fi­gu­ren und die Men­schen ge­se­hen. Ge­ra­de in ei­nem abs­trak­ten Raum sind die Per­so­nen in ih­ren Kos­tü­men der wich­tigs­te Be­stand­teil, der wich­tigs­te Im­puls. Wo­bei die Kos­tü­me nicht All­tags­klei­dung sind, son­dern sehr aus­ge­klü­gelt ge­ar­bei­te­te For­men, die erst durch die Dar­stel­ler funk­tio­nie­ren, zum Le­ben er­weckt wer­den und ihre Be­deu­tung bekommen.

Aber Sie stre­ben Künst­lich­keit an, et­was Neu­es, Frem­des, Erfundenes?
ro­sa­lie: Auf der ei­nen Sei­te stimmt das, auf der an­de­ren wie­der nicht, denn es gibt auch ganz nor­ma­le, na­tür­li­che Din­ge. Eine Rhein­toch­ter zum Bei­spiel hat schon vom Be­we­gungs­mo­dus her ganz an­de­re An­for­de­run­gen als eine Wal­kü­re. Mir ist es ganz wich­tig, daß nicht nur die Fi­gu­ren ihre ei­ge­ne For­men­spra­che ha­ben, son­dern daß auch der in­di­vi­du­el­le Aus­druck ei­nes je­den Dar­stel­lers mit­spricht. In­ner­halb mei­ner In­ter­pre­ta­ti­on muß das Ge­samt­bild ei­ner Fi­gur stim­men, also stellt sich für mich zum Bei­spiel die Fra­ge, wie sich der Helm Wo­tans zu dem Tor­so ver­hält, wie die Ge­samt­pro­por­ti­on zum Be­we­gungs­duk­tus, wie Far­ben und For­men zu­sam­men­spie­len. Kos­tüm und Mas­ke sind das Er­geb­nis ei­ner lan­gen Ent­wick­lung, die ge­mein­sam mit den Dar­stel­lern auch dis­ku­tiert und aus­ge­ar­bei­tet wur­de – mit dem Strich und ge­gen den Strich gebürstet.

Was für ein Ver­hält­nis ha­ben Sie zur Musik?
ro­sa­lie: Sie ist für mich ein emi­nent wich­ti­ger Fak­tor, denn aus ihr her­aus habe ich al­les ent­wi­ckelt. Wäh­rend der gan­zen Vor­be­rei­tungs­zeit habe ich fast im­mer den „Ring“ ge­hört, von Le­vi­ne di­ri­giert, denn er gibt den Rhyth­mus vor. Das war ein ganz wun­der­ba­rer Impuls.

Was ist der „Ring“ für Sie inhaltlich?
ro­sa­lie: Ein gro­ßer Kos­mos, ein neu zu er­fin­den­der Kos­mos in all sei­nen Ge­sich­tern von Lie­be und Tod, Haß und Sehnsucht.

Wel­che Bot­schaft ver­mit­telt die­ser Kosmos?
ro­sa­lie: Da möch­te ich die Bil­der spre­chen las­sen – die Bil­der und die Figuren.

Ha­ben Sie Ih­ren Bil­der­kos­mos vom In­tel­lekt her ent­wi­ckelt oder aus dem Bauch heraus?
ro­sa­lie: Zu­erst war es der In­tel­lekt, dann der Bauch, dann wie­der um­ge­kehrt. Oder an­ders ge­sagt: Mei­ne Ar­beit geht di­rekt vom Kopf in die Hän­de und von den Hän­den in den Kopf. Es war je­den­falls ein ganz ge­wal­ti­ger Pro­zeß mit sehr vie­len Schmer­zen, sehr vie­len Ängs­ten und Hoff­nun­gen, sehr vie­len Wun­den. Es ist letzt­lich eine Ge­burt! Und das ist ein Punkt, für den ich be­son­ders le­ben kann, mit ganz gro­ßen Ansprüchen.

Ist es eine schwe­re Geburt?
ro­sa­lie: Es gibt kei­ne leich­te. Da­für neh­me ich die Din­ge viel zu ernst, ist mir das The­ma viel zu ge­wich­tig. Aber den­noch möch­te ich Leich­tig­keit ver­wirk­li­chen. Ich habe ein­mal auf der Büh­ne in Bay­reuth ei­nen Fal­ter ge­se­hen, und da dach­te ich, so müß­te der „Ring“ sein, so leicht, so poetisch.

Was ist Leich­tig­keit für Sie?
ro­sa­lie: Et­was Schlan­kes, et­was Kla­res, glas­klar und durch­sich­tig und be­freit von al­lem Wust, eine Abs­trak­ti­on vol­ler Schön­heit und auch Hei­ter­keit; das Hei­te­re brau­che ich als Kon­tra­punkt. Es wäre sehr ein­di­men­sio­nal und ein­fach, nur zu zei­gen, der ist gut und der ist böse oder der ist hell und der ist dun­kel. Alle Fi­gu­ren ha­ben min­des­tens zwei Ge­sich­ter und dar­in vie­le Fa­cet­ten, wo­bei ich ver­su­che, be­son­ders auch die hei­te­re Seit sicht­bar zu ma­chen. Ich möch­te in dem, was ich ma­che, Phan­ta­sie­räu­me lassen.

Gibt es in die­sen Phan­ta­sie­räu­men viel Farbe?
ro­sa­lie: Far­be ist ein­ge­setzt in ei­ner ganz be­stimm­ten Be­deu­tung – bei Wo­tan zum Bei­spiel ist es die Far­be blau. Es gibt Farb­zu­sam­men­hän­ge, Farb­klän­ge, Farb­wie­der­ho­lun­gen – und eben­so for­ma­le Zu­sam­men­hän­ge, zum Bei­spiel bei der Wal­kü­ren- und Gi­bi­chun­gen-Platt­form. Far­be ist für mich ein un­ver­zicht­ba­rer Be­stand­teil, den ich sehr de­zi­diert, aber auch spar­sam einsetze.

Ha­ben Sie eine Lieblingsfarbe?
ro­sa­lie: Da möch­te ich Jas­per Johns zi­tie­ren „Who is afraid of read, yel­low and blue?“ Rot ist nur rot, wenn es auch Blau und Gelb und Grau gibt. Und Rot mit Schwarz wirkt ganz an­ders als mit Weiß und Grau … Ein­zel­ne Far­ben in­ter­es­sie­ren mich ei­gent­lich we­ni­ger, mir kommt es auf die Farb­klän­ge an. Auch mo­no­chro­me Far­ben sind im­mer eine Mi­schung aus sehr vie­len. Ich den­ke da zum Bei­spiel an den Brust­pan­zer von Brünn­hil­de; der sieht zwar perl­mutt­far­ben aus, be­steht aber aus sehr vie­len Farb­schich­ten. Ich fin­de es ganz wich­tig, daß man die Din­ge in ih­rer Kom­pli­ziert­heit wahr­nimmt. Eine ein­fa­che Form – wie die Platt­form von „Wal­kü­re“ I – ist in Wirk­lich­keit kompliziert.

Müs­sen die Zu­schau­er das wissen?
ro­sa­lie: Nein, wis­sen über­haupt nicht. Sie soll­ten es emp­fin­den, im Ge­samt­kon­text. Wenn ich von dem Brust­pan­zer spre­che, dann hat er für mich nur eine Be­deu­tung in Zu­sam­men hang mit dem Ge­sang, mit der Be­we­gung von De­bo­rah Po­la­ski, mit der Ge­samt­si­tua­ti­on; es geht dar­um, eine Stim­mung zu ver­mit­teln, zu ver­dich­ten. Ich möch­te nicht be­leh­rend sein.

Und Ihre Ma­le­rei: Wie wür­den Sie die beschreiben?
ro­sa­lie: Ich habe kei­nen be­stimm­ten Stil. Mein Stil ist die Neugierde.

Auf was sind Sie neugierig?
ro­sa­lie: Auf al­les, was ich je­den Tag er­le­be – auf Men­schen, auf Far­ben, auf For­men, auf den Zu­fall, auf Mu­sik, auf Tex­te, auch auf das All­täg­li­che. Wie schon ein be­rühm­ter Kol­le­ge sag­te: Die Mys­te­ri­en fin­den auf dem Haupt­bahn­hof statt. Und so sind mei­ne Tem­pel auch die des All­tags, d.h. beim Bä­cker, auf ei­ner Bau­stel­le oder in der Stra­ßen­bahn: Dort gibt es Si­tua­tio­nen mit Men­schen – und dar­auf bin ich neu­gie­rig, be­ob­ach­te und re­agie­re auch, manch­mal so­gar blitz­schnell, denn es han­delt sich schließ­lich um un­se­re Wo­ta­ne, un­se­re Brünn­hil­den, un­se­re Rie­sen, un­se­re Zwer­ge … Dar­aus schöpft man: aus dem All­tag, auch aus dem Pri­vat­le­ben und der ei­ge­nen Kind­heit. Ich bin in ei­nem klei­nen Dorf auf­ge­wach­sen, un­ter Kirsch­bäu­men; ich weiß noch, wie ein rei­fer Pfir­sich in der Son­ne riecht und schmeckt. Und das hat na­tür­lich wie­der mit dem „Ring“ zu tun, mit Na­tur, Na­tur­stim­mun­gen, Na­tur­vi­sio­nen. Und das Was­ser! Und das Feu­er! Als Kind er­lebt man auch viel deut­li­cher, daß die Ele­men­te zwei Sei­ten ha­ben: Sie ha­ben ihre Schön­heit, aber auch ih­ren Schre­cken. Das Feu­er muß also wach­sen, wäh­rend der Feu­er­zau­ber auch sei­ne poe­ti­schen Mo­men­te, fei­ne Ge­bil­de ha­ben sollte.

Aber ver­klärt nicht die Mu­sik an die­ser Stel­le ei­nen schreck­li­chen Vorgang?
ro­sa­lie: Ja, weil sie Gott sei Dank nicht il­lus­triert. Es ist ganz wich­tig, daß die ver­schie­de­nen Ge­bie­te ein­an­der be­rüh­ren, sich mit­ein­an­der ver­men­gen, so daß es ein Ge­we­be und Ge­wirk er­gibt, aber daß sie sich nie­mals dop­peln. Das stre­be ich an – und daß es zu­gleich sen­si­bel und kraft­voll ist und ge­nug Frei­räu­me läßt, da­mit sich je­der selbst in sei­nem Kopf Wal­hall kom­plet­tie­ren kann. Frei­räu­me sind auch not­wen­dig in der kon­kre­ten Ar­beit im Team. Je­der ein­zel­ne muß ge­nug Luft ha­ben, um gut ar­bei­ten zu können.

Und wie ist die Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Aus­stat­ter und Regisseur?
ro­sa­lie: Das Wort „Aus­stat­ter“ mag ich über­haupt nicht. Es kling so nach „Her­ren­aus­stat­ter“ im Kauf­haus. Aber ein bes­se­res Wort muß erst er­fun­den wer­den. Um auf Ihre Fra­ge zu­rück­zu­kom­men, wün­sche ich mir im­mer eine krea­ti­ve und auf­re­gen­de Aus­ein­an­der­set­zung in der ge­mein­sa­men Ar­beit. Es muß auch fun­ken – und der Fun­ke Elek­tri­zi­tät soll­te dann über­sprin­gen, hof­fent­lich auch aufs Pu­bli­kum. Ge­ra­de bei so ei­nem Ko­loß wie dem „Ring“ kön­nen be­stimm­te Pro­ble­me erst wäh­rend der Pro­ben ge­löst wer­den; aber das ist ja das Span­nen­de an die­ser Ar­beit: Büh­nen- und Kos­tüm­bild ist nicht ein leb­lo­ses Ab­lie­fern von Ent­wür­fen, son­dern es ist – ge­ra­de auch in Bay­reuth – work in pro­gress, wo man bis zum letz­ten Punkt an den Din­gen ar­bei­tet und sie so tat­säch­lich zum Büh­nen­le­ben er­we­cken kann. Man ar­bei­tet an eine, gro­ßen Mo­sa­ik, Tag für Tag und Split­ter für Split­ter. Je­der ein­zel­ne Split­ter ist wich­tig, denn nur mit ih­nen al­len läßt sich das Mo­sa­ik zu­sam­men­fü­gen. Wehe, man ver­gißt einen!

Stößt ein sol­cher Wil­le zu Ge­nau­ig­keit nicht manch­mal auf Ablehnung?
ro­sa­lie: Das muß man er­tra­gen. Bo­ing! – wie mein ver­ehr­ter Leh­rer Jür­gen Rose zu sa­gen pflegte.

Sie müs­sen sich aber durch­set­zen. Wie ma­chen Sie das?
ro­sa­lie: Ich hof­fe durch die Ideen, durch die Er­ör­te­rung auch von ver­schie­de­nen Mög­lich­kei­ten. Zum Bei­spiel war die Ar­beit in der Kos­tüm­werk­statt hier ein Aben­teu­er, denn je­der, wirk­lich je­der ist ei­nen grö­ße­ren Schritt wei­ter ge­gan­gen als sonst! Man muß den an­de­ren Spiel­raum las­sen, da­mit die Din­ge sich ent­wi­ckeln kön­nen, muß den an­de­ren et­was zu­trau­en, ih­nen eine Wert­schät­zung ent­ge­gen­brin­gen – eine Wert­schät­zung der Fä­hig­kei­ten und der Mög­lich­kei­ten. Es ist eben wie beim „Klei­nen Prinzen“ …

Hat­ten Sie an­fangs Angst vor dem Ko­loß „Ring“?
ro­sa­lie: Na­tür­lich. Am An­fang steht man vor ei­nem rie­si­gen Berg, vor et­was fast Un­be­wäl­tig­ba­rem. Je­des Stück hat sei­ne ei­ge­nen Ge­set­ze, und der „Ring“ si­cher die ur­ei­gens­ten. Je mehr man er­fährt, umso mehr möch­te man auch dran­blei­ben. Oft ist es doch so, daß et­was, das man schließ­lich ziem­lich ge­nau kennt, sei­ne Span­nung ver­liert, aber beim „Ring“ ist es ge­nau um­ge­kehrt. Ich kann mir gar nicht vor­stel­len, daß die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem „Ring“ je aufhört.

Wie kommt es ei­gent­lich, daß Sie die ers­te Frau sind, die bei ei­nem „Ring“ Büh­nen­bild und Kos­tü­me zu ver­ant­wor­ten hat? Wie ha­ben Sie sich in der von Män­nern do­mi­nier­ten Thea­ter­sze­ne durch­set­zen können?
ro­sa­lie: Das weiß ich nicht. Viel­leicht des­halb, weil ich das, was ich je­weils ma­che, für tau­send Pro­zent wich­tig neh­me, mich dar­in ver­tie­fe und ver­su­che, das The­ma aus­zu­lo­ten mit all sei­nen Brei­ten und Tie­fen, mit all sei­nen Fa­cet­ten, mit all sei­nen Schre­cken auch – und mit ei­ner gro­ßen Por­ti­on Hu­mor und mit den rie­sen­haf­ten Ho­ri­zon­ten der Lust. Viel­leicht auch des­halb, weil ich so ger­ne mit Men­schen zu­sam­men­ar­bei­te – nicht nur hin­ter, son­dern auch auf der Büh­ne. Erst da­durch, in die­sem le­ben­di­gen Pro­zeß, ver­wirk­li­chen sich die Din­ge. Und erst wenn der Vor­hang auf­geht, wenn al­les zu­sam­men­kommt, Mu­sik, Re­gie, Dar­stel­ler, Büh­ne und Kos­tüm, rea­li­siert sich auch das Werk.

In­ter­view: Mo­ni­ka Beer, Erst­ver­öf­fent­li­chung in Gon­droms Fest­spiel­ma­ga­zin 1994

ro­sa­lie und „Ring“-Regisseur Al­fred Kirch­ner 1994 Foto: Tho­mas Jürgens

Ähnliche Beiträge