In einem Interview aus dem Sommer 1994 gab rosalie vor der Premiere Ihrer „Ring“-Produktion ausführlich Auskunft über ihre Arbeitsweise. Aus Anlass der großen rosalie-Ausstellung im Richard-Wagner-Museum in Wahnfried sei dieses Interview nochmals veröffentlicht – in der damaligen Schreibweise, nur rosalie sei so geschrieben, wie ihr Künstlername nunmal korrekt in Kleinbuchstaben lautet: Ihr steht das zu, eben weil nichts an ihr und ihrer Kunst klein war und ist! Vor dem Interview steht eine ausführliche Biographie bis 1994, alles, was danach kam, finden Sie auf der Homepage von rosalie bzw. auf der ihres Galeristen. Es ist übrigens bemerkenswert, wie geschickt sie im Interview antwortet, wenn es darum geht, das damalige strikte Schweigegebot zu inszenatorischen Details vor der Premiere zu bedienen. Besonders beeindruckt mich in der Beziehung der Schatten des „Siegfried“-Walds …
Rosalie ist am 24. Februar als Gudrun Müller in Gemmrigheim am Neckar geboren. Von 1974 bis 81 studierte sich an der Universität Stuttgart bzw. an der dortigen Akademie der bildenden Künste Germanistik, Kunstgeschichte, Malerei, Grafik, plastisches Arbeiten und – bei Jürgen Rose – Bühnenbild; noch als Studentin debütierte sie 1979 als Bühnen- und Kostümbildnerin bei Hans Werner Henzes Montepulciano-Workshop in Italien mit der Uraufführung des Balletts „L’Imperatrice di Terranova“ („Die Kaiserin von Neufundland“). Seit fünfzehn Jahren arbeitet Rosalie – ihr Künstlername spricht sich „Rosalje“ – als freischaffende Bühnen- und Kostümbildnerin für Oper, Schauspiel und Ballett sowie als freischaffende bildende Künstlerin für Malerei, Plastik und Installation. Einen wichtigen Punkt ihrer privaten Biographie markiert 1986 die Geburt ihrer Tochter Mairose.
Als Opernausstatterin hatte Rosalie mit der deutschen Erstaufführung von Hans Werner Henzes Kinderoper „Pollicino“ bei den Schwetzinger Festspielen 1981 einen vielbeachteten Auftakt; die Produktion (Regie: Ernst Poettgen, Dirigent: Dennis Russell Davies) wurde anschließend auch ins Große Haus der Staatsoper Stuttgart übernommen. Dort folgte 1983 Telemanns „Pimpinone“ (Regie: Ernst Poettgen, Dirigent: Bernhard Kontarsky); im selben Jahr begann auch die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Didier Orlowsky, mit dem sie bis 1986 in Ulm, Freiburg und Wuppertal „Arlecchino“ von Busoni, „Gianni Schicci“ von Puccini, „Macbeth“ von Verdi, „Der Barbier von Bagdad“ von Cornelius und „Der Mantel“ von Puccini realisierte. Bei der Uraufführung der Oper „Leyla und Medjnun“ von Detlev Glanert in der Regie von Klaus Kirschner bei der 1. Biennale für modernes Musiktheater 1988 wurde ihre Gesamtausstattung mit dem Preis für das beste Bühnenbild ausgezeichnet. 1990 kam mit Mozarts „Idomeneo“ an der Hamburgischen Staatsoper ihre erste Produktion mit Alfred Kirchner zustande; nach dem „Ring“ in Bayreuth folgt für Rosalie die „Salome“ von Richard Strauss an der Opéra du Rhin Strasbourg mit Dieter Dorn als Regisseur, eine Inszenierung, die im Veranstaltungsreigen der „Kulturhauptstadt Europa 1994“ auch in Lissabon gezeigt wird.
Ein Schwerpunkt von Rosalies Arbeit für die Bühne sind die Ballettausstattungen. So schuf sie Bühnenbilder und Kostüme für die Choreographen Heinz Spoerli, Pierre Wyss, vor allem aber für Uwe Scholz, mit dem sie in Stuttgart, Toronto, Frankfurt, Zürich, Mailand, München und Leipzig schon neun Ballettabende erarbeitet hat, wobei es sich zumeist – auch bei „Khamma“ zur Musik von Claude Debussy an der Mailänder Scala – um Uraufführungen handelte. Auch für das Schauspiel, wenn auch weniger als bei den vorgenannten Sparten, hat sie Bühnenbilder und Kostüme entworfen, darunter zu zwei Shakespeare-Inszenierungen von Dieter Reible in Wuppertal, zur „Faust“-Inszenierung Alfred Kirchners am Schiller-Theater Berlin und 1991 zur Uraufführung von Martin Modebachs „Rotkäppchen und der Wolf“ in Frankfurt in der Regie von Hans Hollmann. 1990 und 92 schuf sie außerdem Installationen zu zwei szenischen Konzerten unter der Leitung von Eberhard Kloke in Bochum.
Als Bindeglied zwischen der Theaterarbeit und der freien Malerei dürfen Rosalies Plakate gelten, die sie u.a. für die Ulmer, Freiburger und Bochumer Symphoniker, für die Wiener Festwochen, die Münchner Kammerspiele (wobei ihr Plakat zu Herbert Achternbuschs „Der Frosch“ eine Auszeichnung bekam), die Oper Frankfurt und schon mehrfach für Hans Werner Henzes Münchner Biennale geschaffen hat.
Mit ihrer Malerei ging Rosalie im Rahmen einer Akademie-Ausstellung 1979 erstmals an die Öffentlichkeit, zwei Jahre später erhielt sie ein Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg, es folgten in regelmäßigen Abständen Einzelausstellungen in Stuttgart, Köln (1987 mit Katalog) und Zürich. Bereits 1982 war sie mit einem Environment im Rahmenprogramm der Documenta 7 in Kassel vertreten, unter dem Titel „Komm lieber Mai und mache …“ realisierte sie in drei Räumen der Städtischen Galerie Stuttgart eine Installation (1989 mit Katalog), mit ihren „26 Figuren“ aus Aluminium zeigte sie 1988 in München und Berlin plastische Arbeiten.
Daß Rosalies freies künstlerisches Schaffen von ihrem Bühnenwerk eigentlich nicht zu trennen ist, hat der Kritiker Reinhard Beuth im Stuttgarter Katalog ausführlich beschrieben. Was unter ihrer aktiven Mitarbeit entsteht, sind „nicht eigentlich Bühnenbilder und Requisiten, sondern Bühnenmalerei und Objekte, die genug eigene Handschrift besitzen, auch außerhalb der Bühne bestehen zu können.“ Und nicht nur das: Ihre Handschrift ist inzwischen auch in puncto Nachwuchs gefragt. Wenn Jürgen Rose im Oktober an der Kunstakademie Stuttgart sein Urlaubssemester nimmt, ist Rosalie Vertreterin in seiner Bühnenbildklasse; in Pforzheim hat sie gerade eine Professur für „Experimentelles Gestalten“ angenommen und freut sich schon auf die Arbeit mit den Studenten. Aber erst einmal muß die Hauptarbeit in Bayreuth zu Ende gebracht sein. Über das, was sie für den „Ring“ im Festspielhaus erdacht hat, sprach Rosalie während der Probenzeit in folgendem Interview.
Wann waren Sie zum erstenmal in Bayreuth und was waren Festspiele für Sie?
rosalie: Bayreuth war für mich schon immer der Ort des Gesamtkunstwerks, die „Werkstatt Bayreuth“ eben, was mich als bildende Künstlerin und als Germanistin natürlich sehr interessiert hat. Als ich dann 1990 zum erstenmal hier war, erschien es mir als eine ganz eigene Welt voller großer Visionen. Beeindruckend war und ist für mich auch die Konzentration auf ein Werk.
Seit wann bereiten Sie den „Ring“ praktisch vor?
rosalie: Seit 1990. Und seit 1991 arbeite ich jeden Tag daran, das heißt fast ausschließlich. Schon im Mai 91 waren die ersten Bauproben, von allen vier Werken zusammen, wobei es in erster Linie um die Gesamtkonzeption ging. Aber einzelne Segmente wie „Rheingold“, „Walküre“ I, II und III, „Siegfried“ II und III waren damals schon annähernd so vorhanden wie jetzt realisiert. Teile der Schlußszenen von „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ bestanden als Grundgerüst.
Was war für Sie vom Grundkonzept her am schwierigsten?
rosalie: Wirklich bei Null anzufangen und einen ganz eigenen Kosmos zu finden für dieses ungeheuer vielschichtige Werk. Und vor allem auch, wenn man einen Mythos wie diesen auf die Bühne wuchtet, in der Wirkung leicht und schlank zu bleiben.
Was heißt das bei Ihnen, bei Null anzufangen? Mußten Sie all das, was Sie vom „Ring“ wußten oder gesehen haben, vergessen?
rosalie: Nein. Wenn ich ein Werk auf der Bühne sehe – und ich habe sehr viele „Ring“-Inszenierungen besucht –, versuche ich, das so genau wie möglich aufzunehmen und mich damit zu beschäftigen. Bei Null oder eigentlich bei Minus oder unter Null anzufangen heißt für mich, daß man mit seinem ganzen Erfahrungsschatz spezifisch auf dieses Werk eingeht und dabei nicht nach irgendwelchen Rezepten, sondern wirklich neugierig und innovativ arbeitet. Das Libretto ist dabei der Ausgangspunkt – und die Musik ist der Schlüssel. Zuerst heißt es für mich studieren, bibliographieren, dann zu zeichnen, zeichnen, wochenlang zeichnen, Modelle zu bauen, Abläufe zu untersuchen. Ich muß mich dem Werk öffnen, um aus mir selbst heraus den Zugang zu finden.
Was war das allererste zum „Ring“, das Sie umgesetzt haben? War das eine Farbe oder eine Form?
rosalie: Beides zusammen, so wie es jetzt dasteht, wenn der Vorhang aufgeht. Wobei sich natürlich auch vieles verändert hat, vieles weiter entwickelt und differenziert wurde. Es gab auch Irrtümer – aber das ist ja gerade das Spannende an einer solchen Arbeit. Nichts ist eindimensional, das wäre ganz schlimm! Und deshalb bin ich nicht nur mit Neugier, sondern auch mit Lust und Spaß an diese Arbeit gegangen – nicht mit dem Gefühl, daß ich das jetzt stemmen muß wie Atlas, sondern eher auf der Spitze drehen. In der Umsetzung ist das ein langer, schwieriger und aufreibender Prozeß, denn man muß das, was auf dem Papier ist, materialisieren – und dann entmaterialisieren, damit sich die Visionen von Leichtigkeit auch vermitteln. Um einen Luftballon auf der Bühne steigen zu lassen, braucht er die präzise Koordination von 1000 Einzelfaktoren.
In welcher Zeit spielt bei Ihnen der „Ring“?
rosalie: Einerseits in einer mythischen Zeit, andererseits jetzt, immer und überall – damals, übermorgen, vorhin auf der Probe, jetzt im Gespräch. Der „Ring“ spielt jeden Tag. Ich weiß nur, daß im Mythos etwas verborgen ist, das mit meiner Biographie und jedermanns Biographie zu tun hat.
Gibt es eine Konstante, die sich durch alle Bilder zieht?
rosalie: Ja, sicherlich. Es ist ein konkretes Teil, es ist auch die Ästhetik – und die Ästhetik des Weglassens – oder ist es die Phantasie? Denn die funktioniert für mich elektrisch.
Es gibt im „Ring“ eine Menge praktischer Probleme, die gelöst werden müssen. Das fängt schon an mit den Riesen.
rosalie: Ich kann da nur die eine Frage stellen: Wer hat schon je einen Riesen gesehen? Der Riese muß genauso wie die Zwerge oder die Götter einfach eine neue Bildfindung sein. Ich möchte einen ganz eigenen Kosmos schaffen, definieren und visualisieren.
Hat diese Kosmos Ähnlichkeit mit jenem in der Hamburger „Idomeneo“-Produktion?
rosalie: „Idomeneo“ ist „Idomeneo“, und der „Ring“ ist der „Ring“. Ich habe jetzt den „Ring“ – und der „Ring“ hat mich.
Aber rosalie ist auch rosalie. Und innerhalb des gegebenen Zeitraums kann sich die künstlerische Sprache ja nicht total ändern …
rosalie: Nein, total sicher nicht. „Idomeneo“ ist auch ein Mythos, genauso wie Haydns „Schöpfung“, wobei die Betonung darauf liegt, daß es ein moderner Mythos ist. Und Ähnliches gilt für den „Ring“. In der Umsetzungsarbeit ist es vor allem auch eine Materialfrage. Zusammen mit meinem Assistenten Thomas Jürgens und dem Team, den Werkstätten in Bayreuth habe ich mich über eine lange Zeit intensiv damit beschäftigt, moderne Materialien zu eruieren, Materialien unserer Zeit. Einen Bleistiftstrich kann man ja ganz unterschiedlich umsetzen – in Seide, Gummi, Stahl oder in Rosenblättern, wie auch immer. Natürlich ist es nicht nur eine Frage des Materials, sondern auch der Materialkontraste und der neuen Zusammenhänge und Kombinationen.
Spielt die Beleuchtung in Zusammenhang mit dem Material eine große Rolle?
rosalie: Ja, eine große. Eines meiner Lieblingskinder ist der Regenbogen! An dem hängt mein Herz, den habe ich, wie soll man sagen, jahrelang geboren – was nur möglich war durch die unermüdliche Arbeit von jenen, die ihn tatsächlich realisieren. Überhaupt gehören die Elemente wie Feuer und Wasser zu den interessantesten Aufgaben. Wenn der Feuerzauber beginnt, sollte sich allerdings niemand fragen, wie und woraus das gemacht ist. Die Bühne, denke ich, gehört der Kunst – und ich meine nicht die Kunst auf dem Sockel, sondern als Freiheit einen Millimeter über dem Material; hier fängt es erst an! Es geht um künstlerische Gestaltung, künstlerische Experimente und künstlerische Kombinationen. Als bildende Künstlerin habe ich mich zum Beispiel auch mit Multiples beschäftigt, und viele Formen auf der Bühne haben abstrakten skulpturhaften oder objekthaften Charakter. Ich glaube, es war Wieland Wagner, der gesagt hat, daß nur ein bildender Künstler den modernen Archetypus bei Wagner realisieren kann.
Mußten Sie damit in der Theaterpraxis nicht Kompromisse machen, die Ihnen wehtun?
rosalie: Ja. Ich glaube, es war auch in dieser Hinsicht für uns ein spannender und aufregender Prozeß. Wir alle, auch das Team von Technik, Beleuchtung, Kostümabteilung und Maske, haben an einem Strang gezogen, um das auf die Bühne zu stellen. Theater ist eben ein lebendiger und sehr sensibler Körper mit all seinen Blutbahnen und seinen feinen Nervensystemen. Umso wichtiger ist es, mit dem Stück, an dem man arbeitet, tatsächlich auch zu leben. Und das habe ich, weiß Gott, getan. Für mich stand in den letzten drei Jahren der „Ring“ an allererster Stelle.
Und das muß nach der Premiere nicht aufhören. Denn in Bayreuth ist die Möglichkeit gegeben, zu ändern, zu verbessern.
rosalie: Das ist eine tolle Sache, gerade bei einem solchen Werk, wo man sich bei manchen Lösungen hundertprozentig sicher sein kann, aber bei anderen nicht. Es geht mir dabei nicht um Änderungen, sondern eher um die Facetten eines Themas. So gibt es allein zu „Walküre“ III an die dreißig Modelle, und zehn davon haben zwar ähnliche Ausdrucksmittel, sind aber unterschiedliche Variationen eines Themas. Für eine Version muß man sich dann entscheiden, aber das ist nicht irreversibel, denn wenn die Darsteller dazukommen, wenn die Proben beginnen, ändert sich zwangsläufig manches.
Auch bei den Kostümen?
rosalie: Der Darsteller ist für mich der König – wir dienen ihm immer und überall. Und deshalb muß ich versuchen, auf jeden Wunsch einzugehen, auf jeden Körper, auf jedes Gesicht, auf den Bewegungsduktus, auf die Individualität der Persönlichkeit und nicht zuletzt die der Figur, die verkörpert werden soll. Möglichst das Ideale zu finden, das ist der Anspruch. Im übrigen habe ich Bühnenbild und Kostüme immer als untrennbare Einheit empfunden und auch praktiziert. Kostüme sind nicht untergeordnet oder atmosphärische Beigaben, sondern sie sind Bedeutungsträger: sie verstärken die Plastizität des Bühnengeschehens.
Wie kann man dem hohen Anspruch nach Idealen gerecht werden?
rosalie: Manche Sachen fallen einem im Schlaf zu, aber alle anderen, die auf der Bühne dann vielleicht ganz leicht wirken, sind mit sehr viel und sehr minuziöser Arbeit verbunden. Allein zu den Kostümen gibt es an die 2000 Zeichnungen! Es fällt einem eben nicht in den Schoß, bei einem solchen Werk einen Gesamtkontext zu schaffen. Die Phantasie allein genügt da nicht: sie muß mit Realität zusammenstoßen, mit der Bühnenwirksamkeit und der Bühnenpraxis, sie muß innerhalb des ganzen Apparats auch funktionieren.
Wie finden Sie die Arbeitsbedingungen in Bayreuth?
rosalie: Es ist ganz anders im Vergleich zu all den Häusern, wo ich schon gearbeitet habe. Wenn ich jetzt sehe, wie auf dem Hof das Brünnhilden-Segel zusammengebaut und zusammengeschweißt wird, dann kann ich eigentlich nur strahlen.
Haben Sie eine Vorliebe für Tiere auf der Bühne?
rosalie: Das kann man so nicht sagen. Aber an dem Bären hänge ich schon.
Und der Waldvogel?
rosalie: der tritt nicht auf. Dafür ist das Waldweben, der Wald in „Siegfried“ II, sehr abstrakt und atmosphärisch umgesetzt. Der Wald wird nicht durch Bäume realisiert, sondern durch Schatten.
Wird es für das Publikum nicht schwierig sein, trotz einer sicher ungewohnten Optik zu erkennen, daß dort auf der Bühne nicht abgehobene Figuren, sondern Menschen stehen?
rosalie: Ich hoffe sehr, daß das Publikum mitgeht und mitlebt. Ich habe ja nicht Kostüme wie Salzsäulen gemacht, sondern darin die Figuren und die Menschen gesehen. Gerade in einem abstrakten Raum sind die Personen in ihren Kostümen der wichtigste Bestandteil, der wichtigste Impuls. Wobei die Kostüme nicht Alltagskleidung sind, sondern sehr ausgeklügelt gearbeitete Formen, die erst durch die Darsteller funktionieren, zum Leben erweckt werden und ihre Bedeutung bekommen.
Aber Sie streben Künstlichkeit an, etwas Neues, Fremdes, Erfundenes?
rosalie: Auf der einen Seite stimmt das, auf der anderen wieder nicht, denn es gibt auch ganz normale, natürliche Dinge. Eine Rheintochter zum Beispiel hat schon vom Bewegungsmodus her ganz andere Anforderungen als eine Walküre. Mir ist es ganz wichtig, daß nicht nur die Figuren ihre eigene Formensprache haben, sondern daß auch der individuelle Ausdruck eines jeden Darstellers mitspricht. Innerhalb meiner Interpretation muß das Gesamtbild einer Figur stimmen, also stellt sich für mich zum Beispiel die Frage, wie sich der Helm Wotans zu dem Torso verhält, wie die Gesamtproportion zum Bewegungsduktus, wie Farben und Formen zusammenspielen. Kostüm und Maske sind das Ergebnis einer langen Entwicklung, die gemeinsam mit den Darstellern auch diskutiert und ausgearbeitet wurde – mit dem Strich und gegen den Strich gebürstet.
Was für ein Verhältnis haben Sie zur Musik?
rosalie: Sie ist für mich ein eminent wichtiger Faktor, denn aus ihr heraus habe ich alles entwickelt. Während der ganzen Vorbereitungszeit habe ich fast immer den „Ring“ gehört, von Levine dirigiert, denn er gibt den Rhythmus vor. Das war ein ganz wunderbarer Impuls.
Was ist der „Ring“ für Sie inhaltlich?
rosalie: Ein großer Kosmos, ein neu zu erfindender Kosmos in all seinen Gesichtern von Liebe und Tod, Haß und Sehnsucht.
Welche Botschaft vermittelt dieser Kosmos?
rosalie: Da möchte ich die Bilder sprechen lassen – die Bilder und die Figuren.
Haben Sie Ihren Bilderkosmos vom Intellekt her entwickelt oder aus dem Bauch heraus?
rosalie: Zuerst war es der Intellekt, dann der Bauch, dann wieder umgekehrt. Oder anders gesagt: Meine Arbeit geht direkt vom Kopf in die Hände und von den Händen in den Kopf. Es war jedenfalls ein ganz gewaltiger Prozeß mit sehr vielen Schmerzen, sehr vielen Ängsten und Hoffnungen, sehr vielen Wunden. Es ist letztlich eine Geburt! Und das ist ein Punkt, für den ich besonders leben kann, mit ganz großen Ansprüchen.
Ist es eine schwere Geburt?
rosalie: Es gibt keine leichte. Dafür nehme ich die Dinge viel zu ernst, ist mir das Thema viel zu gewichtig. Aber dennoch möchte ich Leichtigkeit verwirklichen. Ich habe einmal auf der Bühne in Bayreuth einen Falter gesehen, und da dachte ich, so müßte der „Ring“ sein, so leicht, so poetisch.
Was ist Leichtigkeit für Sie?
rosalie: Etwas Schlankes, etwas Klares, glasklar und durchsichtig und befreit von allem Wust, eine Abstraktion voller Schönheit und auch Heiterkeit; das Heitere brauche ich als Kontrapunkt. Es wäre sehr eindimensional und einfach, nur zu zeigen, der ist gut und der ist böse oder der ist hell und der ist dunkel. Alle Figuren haben mindestens zwei Gesichter und darin viele Facetten, wobei ich versuche, besonders auch die heitere Seit sichtbar zu machen. Ich möchte in dem, was ich mache, Phantasieräume lassen.
Gibt es in diesen Phantasieräumen viel Farbe?
rosalie: Farbe ist eingesetzt in einer ganz bestimmten Bedeutung – bei Wotan zum Beispiel ist es die Farbe blau. Es gibt Farbzusammenhänge, Farbklänge, Farbwiederholungen – und ebenso formale Zusammenhänge, zum Beispiel bei der Walküren- und Gibichungen-Plattform. Farbe ist für mich ein unverzichtbarer Bestandteil, den ich sehr dezidiert, aber auch sparsam einsetze.
Haben Sie eine Lieblingsfarbe?
rosalie: Da möchte ich Jasper Johns zitieren „Who is afraid of read, yellow and blue?“ Rot ist nur rot, wenn es auch Blau und Gelb und Grau gibt. Und Rot mit Schwarz wirkt ganz anders als mit Weiß und Grau … Einzelne Farben interessieren mich eigentlich weniger, mir kommt es auf die Farbklänge an. Auch monochrome Farben sind immer eine Mischung aus sehr vielen. Ich denke da zum Beispiel an den Brustpanzer von Brünnhilde; der sieht zwar perlmuttfarben aus, besteht aber aus sehr vielen Farbschichten. Ich finde es ganz wichtig, daß man die Dinge in ihrer Kompliziertheit wahrnimmt. Eine einfache Form – wie die Plattform von „Walküre“ I – ist in Wirklichkeit kompliziert.
Müssen die Zuschauer das wissen?
rosalie: Nein, wissen überhaupt nicht. Sie sollten es empfinden, im Gesamtkontext. Wenn ich von dem Brustpanzer spreche, dann hat er für mich nur eine Bedeutung in Zusammen hang mit dem Gesang, mit der Bewegung von Deborah Polaski, mit der Gesamtsituation; es geht darum, eine Stimmung zu vermitteln, zu verdichten. Ich möchte nicht belehrend sein.
Und Ihre Malerei: Wie würden Sie die beschreiben?
rosalie: Ich habe keinen bestimmten Stil. Mein Stil ist die Neugierde.
Auf was sind Sie neugierig?
rosalie: Auf alles, was ich jeden Tag erlebe – auf Menschen, auf Farben, auf Formen, auf den Zufall, auf Musik, auf Texte, auch auf das Alltägliche. Wie schon ein berühmter Kollege sagte: Die Mysterien finden auf dem Hauptbahnhof statt. Und so sind meine Tempel auch die des Alltags, d.h. beim Bäcker, auf einer Baustelle oder in der Straßenbahn: Dort gibt es Situationen mit Menschen – und darauf bin ich neugierig, beobachte und reagiere auch, manchmal sogar blitzschnell, denn es handelt sich schließlich um unsere Wotane, unsere Brünnhilden, unsere Riesen, unsere Zwerge … Daraus schöpft man: aus dem Alltag, auch aus dem Privatleben und der eigenen Kindheit. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen, unter Kirschbäumen; ich weiß noch, wie ein reifer Pfirsich in der Sonne riecht und schmeckt. Und das hat natürlich wieder mit dem „Ring“ zu tun, mit Natur, Naturstimmungen, Naturvisionen. Und das Wasser! Und das Feuer! Als Kind erlebt man auch viel deutlicher, daß die Elemente zwei Seiten haben: Sie haben ihre Schönheit, aber auch ihren Schrecken. Das Feuer muß also wachsen, während der Feuerzauber auch seine poetischen Momente, feine Gebilde haben sollte.
Aber verklärt nicht die Musik an dieser Stelle einen schrecklichen Vorgang?
rosalie: Ja, weil sie Gott sei Dank nicht illustriert. Es ist ganz wichtig, daß die verschiedenen Gebiete einander berühren, sich miteinander vermengen, so daß es ein Gewebe und Gewirk ergibt, aber daß sie sich niemals doppeln. Das strebe ich an – und daß es zugleich sensibel und kraftvoll ist und genug Freiräume läßt, damit sich jeder selbst in seinem Kopf Walhall komplettieren kann. Freiräume sind auch notwendig in der konkreten Arbeit im Team. Jeder einzelne muß genug Luft haben, um gut arbeiten zu können.
Und wie ist die Zusammenarbeit zwischen Ausstatter und Regisseur?
rosalie: Das Wort „Ausstatter“ mag ich überhaupt nicht. Es kling so nach „Herrenausstatter“ im Kaufhaus. Aber ein besseres Wort muß erst erfunden werden. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, wünsche ich mir immer eine kreative und aufregende Auseinandersetzung in der gemeinsamen Arbeit. Es muß auch funken – und der Funke Elektrizität sollte dann überspringen, hoffentlich auch aufs Publikum. Gerade bei so einem Koloß wie dem „Ring“ können bestimmte Probleme erst während der Proben gelöst werden; aber das ist ja das Spannende an dieser Arbeit: Bühnen- und Kostümbild ist nicht ein lebloses Abliefern von Entwürfen, sondern es ist – gerade auch in Bayreuth – work in progress, wo man bis zum letzten Punkt an den Dingen arbeitet und sie so tatsächlich zum Bühnenleben erwecken kann. Man arbeitet an eine, großen Mosaik, Tag für Tag und Splitter für Splitter. Jeder einzelne Splitter ist wichtig, denn nur mit ihnen allen läßt sich das Mosaik zusammenfügen. Wehe, man vergißt einen!
Stößt ein solcher Wille zu Genauigkeit nicht manchmal auf Ablehnung?
rosalie: Das muß man ertragen. Boing! – wie mein verehrter Lehrer Jürgen Rose zu sagen pflegte.
Sie müssen sich aber durchsetzen. Wie machen Sie das?
rosalie: Ich hoffe durch die Ideen, durch die Erörterung auch von verschiedenen Möglichkeiten. Zum Beispiel war die Arbeit in der Kostümwerkstatt hier ein Abenteuer, denn jeder, wirklich jeder ist einen größeren Schritt weiter gegangen als sonst! Man muß den anderen Spielraum lassen, damit die Dinge sich entwickeln können, muß den anderen etwas zutrauen, ihnen eine Wertschätzung entgegenbringen – eine Wertschätzung der Fähigkeiten und der Möglichkeiten. Es ist eben wie beim „Kleinen Prinzen“ …
Hatten Sie anfangs Angst vor dem Koloß „Ring“?
rosalie: Natürlich. Am Anfang steht man vor einem riesigen Berg, vor etwas fast Unbewältigbarem. Jedes Stück hat seine eigenen Gesetze, und der „Ring“ sicher die ureigensten. Je mehr man erfährt, umso mehr möchte man auch dranbleiben. Oft ist es doch so, daß etwas, das man schließlich ziemlich genau kennt, seine Spannung verliert, aber beim „Ring“ ist es genau umgekehrt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß die Auseinandersetzung mit dem „Ring“ je aufhört.
Wie kommt es eigentlich, daß Sie die erste Frau sind, die bei einem „Ring“ Bühnenbild und Kostüme zu verantworten hat? Wie haben Sie sich in der von Männern dominierten Theaterszene durchsetzen können?
rosalie: Das weiß ich nicht. Vielleicht deshalb, weil ich das, was ich jeweils mache, für tausend Prozent wichtig nehme, mich darin vertiefe und versuche, das Thema auszuloten mit all seinen Breiten und Tiefen, mit all seinen Facetten, mit all seinen Schrecken auch – und mit einer großen Portion Humor und mit den riesenhaften Horizonten der Lust. Vielleicht auch deshalb, weil ich so gerne mit Menschen zusammenarbeite – nicht nur hinter, sondern auch auf der Bühne. Erst dadurch, in diesem lebendigen Prozeß, verwirklichen sich die Dinge. Und erst wenn der Vorhang aufgeht, wenn alles zusammenkommt, Musik, Regie, Darsteller, Bühne und Kostüm, realisiert sich auch das Werk.
Interview: Monika Beer, Erstveröffentlichung in Gondroms Festspielmagazin 1994
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