Chor-Casting vor siebzig Jahren

Ger­lin­de Ze­hen­t­mei­er wirk­te als Sech­zehn­jäh­ri­ge bei den ers­ten Nach­kriegs­fest­spie­len 1951 in Bay­reuth mit. Sie sang und tanz­te auf der „Meistersinger“-Festwiese und wur­de da­durch zum Wagner-Fan.

Ein­la­dungs­kar­te und Haus­aus­weis 1951 für Ger­lin­de Ro­sen­kranz, die pas­sen­der­wei­se in der Meis­ter­sin­ger­stra­ße wohn­te. Fo­tos: Mo­ni­ka Beer

Es war ein Auf­ruf in der Lo­kal­zei­tung, der in das Le­ben der da­mals 16jährigen Ger­lin­de Ro­sen­kranz eine un­er­war­te­te Be­rei­che­rung brach­te. Zwar hat­te die Gym­na­si­as­tin sich schon zu­vor für klas­si­sche Mu­sik in­ter­es­siert und sang eif­rig im Schul­chor. Aber Ri­chard Wag­ners Mu­sik­dra­men di­rekt im Fest­spiel­haus als Mit­wir­ken­de ken­nen­zu­ler­nen, das hat eine be­son­de­re Dimension.

„Die bei­den Wag­ner-Brü­der Wie­land und Wolf­gang“, er­in­nert sich die heu­te 86-Jäh­ri­ge, die seit 1962 in Bam­berg lebt, „hat­ten da­mals nur we­ni­ge Mit­tel, um die Fest­spie­le wie­der auf­le­ben zu las­sen, da war vie­les noch ziem­lich pro­vi­so­risch.“ In der Zei­tung stand, dass Ver­stär­kung für den Chor ge­sucht wur­de. Mit ei­ner Schul­freun­din ging Ger­lin­de zum Vor­sin­gen ins Evan­ge­li­sche Gemeindehaus.

Dort hat­ten sich vor al­lem rei­fe­re Da­men ein­ge­fun­den, mit mehr oder we­ni­ger schö­nen Kost­pro­ben. Als die zwei Teen­ager schon ans Auf­ge­ben dach­ten, ver­kün­de­te ein jun­ger Mann, dass man „noch ein paar so jun­ge Din­ger“ brau­che, ließ den Schwarm jun­ger Mäd­chen „Sah ein Knab ein Rös­lein stehn“ vor­sin­gen, no­tier­te Na­men und Adres­sen und schick­te alle mit ei­nem „Und dann sehn mer scho“ nach Hause.

Eine Wo­che spä­ter kam über­ra­schend eine Post­kar­te mit dem ers­ten Fest­spiel-Ter­min. „Wir brau­chen euch für ei­nen Tanz“ hieß es. Und erst all­mäh­lich er­schloss sich für Ger­lin­de, die zu die­sem Zeit­punkt von Wag­ner we­der viel wuss­te noch kann­te, dass sie für den Tanz der Mä­dels von Fürth in der „Meistersinger“-Festwiese des 3. Akts en­ga­giert wur­de – na­tür­lich honorarfrei.

„Es wa­ren da­mals, glau­be ich, zwölf Lehr­bu­ben, also muss­ten es auch zwölf Mäd­chen sein. Ich war erst mal die Drei­zehn­te, soll­te aber im­mer zur Ver­fü­gung ste­hen und er­leb­te den 3. Akt je­weils vom Be­leuch­tungs­bo­den. Bei den letz­ten drei Auf­füh­run­gen war dann ich an der Rei­he, weil eine aus der Grup­pe von der Schmin­ke eine All­er­gie be­kom­men hat­te und ausfiel.“

Au­to­gram­me und ein Zei­tungs­aus­schnitt von 1952 mit den Mä­dels von Fürth (Ger­lin­de Ro­sen­kranz 3. v. r.)

Ger­lin­de durf­te mit­tan­zen, so­gar im Kleid ih­rer Vor­gän­ge­rin, denn es pass­te wie an­ge­gos­sen. Dass die Kos­tü­me Leih­ga­ben vom Opern­haus Nürn­berg wa­ren, wur­de ei­gens im Pro­gramm­heft ver­merkt. Und eben auch, dass der Fest­spiel­chor durch „Da­men und Her­ren aus Bay­reuth“ ver­stärkt wur­de. Im Jahr dar­auf ge­hör­te die jun­ge Dame schon zum Stamm­per­so­nal und war bei den Haupt- und Ge­ne­ral­pro­ben so­wie al­len sie­ben Vor­stel­lun­gen im Einsatz.

Ger­lin­de Ro­sen­kranz als Mä­del von Fürth

Im ers­ten Jahr der In­sze­nie­rung von Ru­dolf Hart­mann stand als Di­ri­gent Her­bert von Ka­ra­jan am Pult und kam ein­mal so­gar auf die Büh­ne, um kon­kret zu zei­gen, wie er sich den Tanz vor­stell­te. Auch die So­pra­nis­tin Eli­sa­beth Schwarz­kopf mach­te sich als Ev­chen un­ver­gess­lich: „Sie krieg­te den auch atem­tech­nisch schwie­ri­gen Tril­ler bei ‚Kei­ner wie du so hold zu wer­ben weiß‘ so gut hin, dass selbst Stolz­ing Hans Hopf ihr auf of­fe­ner Büh­ne Bei­fall zollte.“

Eli­sa­beth Schwarz­kopf als Eva 1951 mit Autogramm

Im Jahr dar­auf brach­te dann Di­ri­gent Hans Knap­perts­busch die Mä­dels von Fürth samt Lehr­bu­ben ein biss­chen in die Bre­douil­le: „Er hat halt viel län­ger ge­braucht. Wenn ei­ner nur an die gro­ße Li­nie denkt, ist das bei ei­ner Tanz­num­mer gar nicht so ein­fach.“ Im drit­ten Neu­bay­reuth-Jahr gab es kei­ne „Meis­ter­sin­ger“ mehr. „Und da hab ich kei­ne Ruhe ge­ge­ben, bis ich als blau­es Mäd­chen ge­nom­men wur­de. Ich war, wie soll ich sa­gen, längst in­fi­ziert, war ver­rückt auf Wagner.“

1953/54 konn­te sie die wei­te­ren Opern des Fest­spiel-Re­per­toires ge­nau ken­nen­ler­nen, denn die Tür­ste­he­rin­nen, Platz­an­wei­se­rin­nen und Pro­gramm­heft­ver­käu­fe­rin­nen, die da­mals eine blaue Uni­form tru­gen, sit­zen be­kannt­lich in al­len End­pro­ben und Vor­stel­lun­gen. Nach vier Som­mern war ihre ak­ti­ve Fest­spiel­zeit vorbei.

Die Ger­ma­nis­tik-Stu­den­tin durf­te aber nach wie vor mit Hal­lo am Pfört­ner vor­bei ins Fest­spiel­haus und vom Schnür­bo­den aus zu­schau­en und zu­hö­ren. „Wag­ner kann man nie­man­dem schil­dern, das muss man er­lebt ha­ben“, sagt Ger­lin­de Ze­hen­t­mei­er. „Und was man zu­erst er­lebt, ist das Prä­gen­de. Mich hat be­ein­druckt, was Wie­land Wag­ner ge­macht hat, nur mit Licht und we­nig Ku­lis­sen. Mit den heu­ti­gen In­sze­nie­run­gen kann ich nicht mehr warm wer­den. Aber das ist ganz nor­mal. Da­mals wa­ren die Al­ten ganz ent­setzt über die leer ge­feg­te Bühne.“

Dem Chor­ge­sang ist sie üb­ri­gens treu ge­blie­ben. Nach­dem sie 1962 in Bam­berg ge­hei­ra­tet und sich als Leh­re­rin auch be­ruf­lich eta­blier­te hat­te, wirk­te sie mehr als drei Jahr­zehn­te als ho­her So­pran im Bam­ber­ger Ora­to­ri­en­chor, was zu­min­dest auf ei­nen Teil ih­rer Nach­kom­men an­ste­ckend ge­wirkt hat.

Ger­lin­de Ze­hen­t­mei­er mit ih­rem Fest­spiel­al­bum, das hier Chor­di­rek­tor Wil­helm Pitz und Di­ri­gent Her­bert von Ka­ra­jan zeigt.

Ihr größ­ter Schatz ist eine Art Poe­sie­al­bum, in dem sie ab 1951 Au­to­gram­me, Fo­tos und Pres­se­ar­ti­kel sam­mel­te. Ge­blie­ben sind ihr nicht nur die­se Er­in­ne­run­gen: „Ich kann­te das Haus, als es noch pri­mi­tiv war, aber auch urig. Wenn der Vor­hang auf­ging, war vie­les noch neu, da kam ein Schwall von Holz-, Farb- und Leim­ge­ruch in den Zu­schau­er­raum. Wenn ich heu­te eine Schrei­ne­rei schnup­per, hab ich die Büh­ne vom Fest­spiel­haus vor mir. Die­ses Aro­ma ist für mich un­trenn­bar da­mit verbunden.“

Erst­ver­öf­fent­li­chung auf www​.fraen​ki​scher​tag​.de, Erst­druck im Frän­ki­schen Tag vom 28./29. Au­gust 2021

Chor­pro­be 1951 zur „Meistersinger“-Festwiese Vor­la­ge: Welt­dis­kus­si­on um Bayreuth/​Ernst Gebauer/​Gesellschaft der Freun­de von Bayreuth