Der schwebende Richard

Mar­tin Geck hat un­ter dem Ti­tel „… und über al­lem schwebt Ri­chard“ den Brief­wech­sel zwi­schen Min­na Wag­ner und Cä­ci­lie Ave­na­ri­us, Wag­ners Halb­schwes­ter, herausgegeben.

Im­mer noch – die 1976/77 ver­öf­fent­li­chen Ta­ge­bü­cher von Co­si­ma Wag­ner sind die Aus­nah­me, die die­se Re­gel be­stä­ti­gen – ist der Blick auf Ri­chard Wag­ner über­wie­gend ge­prägt von ei­ner männ­li­chen Sicht: an­ge­fan­gen bei ihm selbst durch sei­ne au­to­bio­gra­phi­schen Schrif­ten und ge­folgt von ei­ner Viel­zahl an In­ter­pre­ten, die sich sei­nem Le­ben und Werk wid­men. Erst all­mäh­lich kommt auch ein an­de­rer Blick­win­kel zum Tra­gen, durch Au­torin­nen, die sich mit ihm und/​oder sei­nen Frau­en befassen.

Ei­ner der we­ni­gen Ex­per­ten, die sich ge­zielt schein­bar ab­sei­ti­gen weib­li­chen Quel­len zu­ge­wen­det ha­ben, ist der 2019 ver­stor­be­ne Wag­ner­ken­ner Mar­tin Geck. Er hat, be­hut­sam kom­men­tie­rend, ei­nen Brief­wech­sel her­aus­ge­ge­ben, der erst jetzt er­schie­nen ist und es durch­aus in sich hat. Denn was Wag­ners Halb­schwes­ter Cä­ci­lie Ave­na­ri­us (1815–1893) und sei­ne ers­te Ehe­frau Min­na (1809–1866) sich in de­ren letz­ten sie­ben Le­bens­jah­ren zu sa­gen hat­ten, kratzt emp­find­lich am Bild des an­geb­lich ge­ne­rö­sen Stroh­wit­wers Richard.

Bis auf ei­ni­ge frü­he Brie­fe geht es im We­sent­li­chen um die Zeit zwi­schen der Voll­endung und Ur­auf­füh­rung von „Tris­tan und Isol­de“ – eine Pha­se in der kom­pli­zier­ten, drei­ßig Jah­re wäh­ren­den und erst mit Min­nas Tod en­den­den Ehe, in der die ehe­ma­li­ge Schau­spie­le­rin und ihr fast vier Jah­re jün­ge­rer Künst­ler­gat­te mit we­ni­gen Aus­nah­men nicht mehr zu­sam­men le­ben. Umso mehr „schwebt“, wie der Buch­ti­tel ver­heißt, Ri­chard über al­lem und al­len. Al­ler­dings ohne Heiligenschein.

Denn sei­ne jün­ge­re Halb­schwes­ter, die er auch ger­ne mal be­suchs­wei­se links lie­gen lässt, so­wie die phy­sisch wie psy­chisch herz­kran­ke Min­na las­sen an ihm sel­ten ein gu­tes Haar. Was ver­ständ­lich ist, wenn man sich vor­stellt, was es heißt, die An­ge­trau­te ei­nes lan­ge er­folg­lo­sen, stets Schul­den ma­chen­den Ego­ma­nen, steck­brief­lich ge­such­ten Re­vo­luz­zers und Sei­ten­sprün­gen nie ab­ge­neig­ten Dich­ter­kom­po­nis­ten zu sein.

Na­tür­lich spie­gelt die Kor­re­spon­denz Wag­ners Af­fai­ren und all die Schlag­zei­len, die sich um ihn ran­ken, spie­gelt die gro­ße Bit­ter­keit der ver­las­se­nen Min­na, die emo­tio­nal und fi­nan­zi­ell von ihm ab­hän­gig bleibt. Sie muss sich mit Ver­mie­tun­gen über Was­ser hal­ten, pflegt aber noch bis kurz vor ih­rem Tod ihre Art von Gat­ten­treue, in­dem sie ihm so­gar öf­fent­lich sei­ne Für­sor­ge be­zeugt, gleich­zei­tig aber ihre Ehe als jahr­zehn­te­lan­gen Krieg bezeichnet.

Min­na hat ein Ge­spür da­für, wenn eine sei­ner Af­fai­ren mehr als nur das ist und macht kei­nen Hehl aus ih­rer gro­ßen Ab­nei­gung ge­gen Mat­hil­de We­sen­don­ck – und vor al­lem ge­gen Co­si­ma und Hans von Bülow, „die­se lü­der­li­che Race“. Dass Kö­nig Lud­wig II. Wag­ner groß­zü­gig un­ter­stützt, gönnt sie ihm den­noch: „Wün­schen will ich nur, daß das gute Ver­neh­men bis ans Ende sei­ner Tage dau­ern möch­te und daß der jun­ge Kö­nig kein an­de­res In­ter­es­se faßt sich z. B. noch lan­ge nicht ver­hei­ra­thet und daß auch Ri­chard ein­mal treu bleibt, sich dank­bar be­weist, was von ihm noch nicht er­lebt wor­den ist.“

So­wohl Min­na als auch das lie­be­voll so ge­nann­te Cèl­chen sind bei­de häu­fig krank. Ein stän­di­ges The­ma des Brief­wech­sels sind die ge­plan­ten und statt­fin­den­den Kur­auf­ent­hal­te; sie schei­nen da­mals ne­ben zwar lin­dern­den, aber gif­ti­gen Me­di­ka­men­ten wie Di­gi­ta­lis, Chi­nin und Mor­phi­um das ein­zi­ge Mit­tel zu sein, kör­per­lich zeit­wei­se auf­at­men zu kön­nen. Und ne­ben­bei er­fährt man, wie schwie­rig es war, ei­nen Zahn­arzt zu fin­den, der sei­ne Kund­schaft nicht nach Strich und Fa­den aus­ge­nom­men hat.

Dar­über hin­aus wird aber auch der All­tag zwei­er bür­ger­li­cher Frau­en ab­ge­bil­det, der sich we­nig um Kunst und mehr um die kei­nes­wegs har­mo­ni­sche Groß­fa­mi­lie dreht, um klei­ne und gro­ße Sor­gen – und ums Geld. „Ri­chard wird noch sehr mode wer­den“, schreibt Min­na pro­phe­tisch an ihre Schwä­ge­rin, „und er kann da­mit noch viel Geld ein­neh­men, was er bald auch wie­der ver­brau­chen wird. Der Künst­ler ist groß“, stellt sie nüch­tern fest, „der Mensch des­to klei­ner. Man soll nie ver­sucht sein den ers­ten von dem letz­te­ren zu trennen.“

Cä­ci­lie über­lebt ihre Schwä­ge­rin um sie­ben­und­zwan­zig Jah­re. Nach Min­nas Tod am 25. Ja­nu­ar 1866 schreibt sie an de­ren Freun­din Mat­hil­de Schiff­ner: „Wie könn­te ich an­ders als tief im Her­zen dar­über trau­ern, daß sie so un­ver­söhnt mit dem Ge­schick ohne jede Be­frie­di­gung ih­res wun­den Her­zens von die­ser un­voll­kom­me­nen Welt hat schei­den müs­sen. Soll­te ich je­mals Ri­chard zu se­hen be­kom­men, so wer­de ich ihm ein furcht­ba­res Bild vor Au­gen hal­ten. Das ver­spre­che ich fei­er­lich mei­ner ver­klär­ten Minna.“

Lang­ver­si­on der Erst­ver­öf­fent­li­chung im Frän­ki­schen Tag vom 13. Au­gust 2021

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