Einige Fräulein zwickten sich das hohe Näschen

Heu­te vor 152 Jah­ren wur­den „Die Meis­ter­sin­ger von Nürn­berg“ in Mün­chen ur­auf­ge­führt. Da­mit er­leb­te Ri­chard Wag­ner sei­nen größ­ten Thea­ter­er­folg über­haupt – von der kö­nig­li­chen Loge aus, ne­ben Lud­wig II.

Sze­ne aus dem 1. Akt der „Meis­ter­sin­ger von Nürn­berg“, nach der Münch­ner Ur­auf­füh­rung ge­malt von Mi­cha­el Echter

Mün­chen ist die Wag­ner-Ur­auf­füh­rungs­stadt schlecht­hin. Von 1865 bis 1888 wur­den dort nicht we­ni­ger als fünf Wag­ner-Opern aus der Tau­fe ge­ho­ben: „Tris­tan und Isol­de“, „Die Meis­ter­sin­ger von Nürn­berg“, „Das Rhein­gold“, „Die Wal­kü­re“ so­wie fünf Jah­re nach Wag­ners Tod sein Früh­werk „Die Feen“. Am er­folg­reichs­ten wa­ren ohne Zwei­fel die „Meis­ter­sin­ger“, die am 21. Juni 1868 mit sen­sa­tio­nel­lem Er­folg erst­mals ge­spielt wurden.

„Das gro­ße Münch­ner Hof­thea­ter“, stell­te die Neue Zeit­schrift für Mu­sik fest, „war in al­len Räu­men bis in die höchs­ten Gal­le­rien dicht be­setzt und zwar, wie ge­sagt, fast durch­gän­gig aus zum Theil aus wei­ter Fer­ne her­bei­ge­eil­ten Frem­den. Zieht man zu­gleich die tro­pi­sche Tem­pe­ra­tur und die sehr lan­ge Dau­er in Be­tracht, so ist der Er­folg umso hö­her an­zu­schla­gen, wel­cher schon im ers­ten Act nicht mehr zwei­fel­haft war, ob­wohl sich noch eine kei­nes­wegs un­be­deu­ten­de Zahl der mit Vor­urt­hei­len ge­kom­me­nen Zu­hö­rer re­ser­virt verhielt.“

In al­len Zei­tun­gen wur­de be­rich­tet, dass Wag­ner sich nach dem zwei­ten Akt und am Schluss von der Kö­nigs­lo­ge aus ver­beu­gen durf­te. In der Kemp­te­ner Zei­tung hieß es: „Der Ein­druck, den die kö­nig­li­che Huld auf das hie­si­ge Pu­bli­kum mach­te, war ein über­wäl­ti­gen­der: man ver­stumm­te, man blick­te em­por zum glän­zen­den Pla­fond des Rie­sen­hau­ses, ob er nicht Mie­ne ma­che ein­zu­stür­zen ob sol­cher nie da­ge­we­se­ner Gunst­be­zeu­gung. Wag­ner, der Ver­ket­zer­te, Ver­bann­te, wel­chen vor kaum zwei Jah­ren des sel­ben Kö­nigs Huld nicht zu schüt­zen ver­moch­te vor der Ge­häs­sig­keit des ho­hen und nie­de­ren Pö­bels un­se­rer Kunst­me­tro­po­le – er ist re­ha­bi­li­tiert in un­sag­ba­rer Wei­se … Kein Wun­der, wenn ei­ni­ge Fräu­lein aus hoch­ade­li­gem Ge­blü­te sich in das hohe Näs­chen zwick­ten, ob sie es denn auch selbst noch sei­en, die sol­chem nie er­leb­ten Schau­spiel beiwohnten.“

Die Neue Ber­li­ner Mu­sik­zei­tung fass­te die zahl­rei­chen Kri­ti­ken und Be­rich­te über die denk­wür­di­ge Ur­auf­füh­rung wie folgt zu­sam­men: „Die ei­nen bie­ten ent­we­der un­be­ding­tes Lob, höchs­ten Preis, sie sin­gen Tri­um­ph­lie­der zu Eh­ren des Meis­ters und der Par­t­hei; die an­dern möch­ten das Gan­ze ver­nich­ten, da das aber, wie es scheint, nicht mög­lich ist, so quän­geln und mä­keln sie so lan­ge, bis sich dem Le­ser eine fisch­ar­ti­ge schlei­mi­ge Küh­le mitt­heilt, die ihn ent­we­der ge­gen das Werk stimmt, oder ihn be­wegt, das Blatt aus der Hand zu neh­men, um sich nicht von vorn­her­ein je­den Ant­heil an ei­nem künst­le­risch be­deu­ten­den Er­eig­nis zu ver­gäl­len. Doch je­den­falls spricht selbst aus dem kühls­ten Lobe die ge­zwun­ge­ne An­er­ken­nung ei­nes be­deu­ten­den Er­fol­ges, und wir – freu­en uns des­sen aufrichtig.“

Zu de­nen, die ei­nen Ver­riss schrie­ben, zähl­te Edu­ard Hans­lick – je­ner Wie­ner Kri­ti­ker, nach dem Wag­ner die Beck­mes­ser­fi­gur im Pro­sa­ent­wurf noch be­wusst Veit Hans­lich nann­te und den er un­ter an­de­rem auch in sei­ner Schmäh­schrift „Das Ju­den­tum in der Mu­sik“ und in sei­nen Me­moi­ren dif­fa­mier­te. In der Neu­en Frei­en Pres­se Wien schrieb Hans­lick un­ter an­de­rem: „Nicht die Schöp­fung ei­nes ech­ten Mu­sik­ge­nies ha­ben wir ken­nen­ge­lernt, son­dern die Ar­beit ei­nes geist­rei­chen Grüb­lers, wel­cher – ein schil­lern­des Amal­gam von Halb­po­et und Halb­mu­si­ker – sich nach der Spe­zia­li­tät sei­nes in der Haupt­sa­che lü­cken­haf­ten, in Ne­ben­din­gen blen­den­den Ta­lents ein neu­es Sys­tem ge­schaf­fen hat, ein Sys­tem, das in sei­nen Grund­sät­zen ir­rig, in sei­ner kon­se­quen­ten Durch­füh­rung un­schön und un­mu­si­ka­lisch ist. Wir zäh­len die Meis­ter­sin­ger mit ei­nem Wor­te zu den in­ter­es­san­ten mu­si­ka­li­schen Aus­nahms- oder Krankheitserscheinungen.“

Apro­pos: Wag­ner war mit sei­ner ers­ten Frau (Min­na), Hund (Peps) und Pa­pa­gei (Papo) auf fünf­wö­chi­gem Er­ho­lungs­ur­laub in Ma­ri­en­bad, wo er am 16. Juli 1845 den ers­ten Pro­sa­ent­wurf zu den „Meis­ter­sin­gern“ voll­ende­te und tags dar­auf erst­mals mit Edu­ard Hans­lick zu­sam­men­traf. Mit der Kom­po­si­ti­on be­gann er im April 1862 in Bie­brich, Text­buch und Mu­sik schloss er – fast 22 Jah­re nach der ers­ten Kon­zep­ti­on im Ma­ri­en­ba­der Som­mer –1867 in Trib­schen ab, wo er nach sei­ner Ver­trei­bung aus Mün­chen im De­zem­ber 1865 ein neu­es Asyl ge­fun­den hat­te. Am 24. Ok­to­ber te­le­gra­fier­te er an Hans von Bülow: „Heu­te abend Schlag 8 Uhr wird das letz­te C nie­der­ge­schrie­ben. Bit­te um stil­le Mit­fei­er. Sachs.“

Mo­dell von Hein­rich Döll zur Fest­wie­se der Münch­ner „Meis­ter­sin­ger“ 1868 

Von Trib­schen aus und dann kon­kret bei den Pro­ben in Mün­chen ver­such­te er al­les, um trotz vie­ler Un­bil­den und Wi­der­stän­de eine mus­ter­haf­te Ur­auf­füh­rung auf die Bei­ne zu stel­len. Die Büh­nen­bild­ner An­ge­lo Quaglio und Hein­rich Döll mach­ten zu­nächst Stu­di­en vor Ort in Nürn­berg, um dann mit Kos­tüm­bild­ner Franz Seitz Wag­ner in Trib­schen ihre Ent­wür­fe vor­zu­le­gen. Um die für ihn rich­ti­ge Be­set­zung mit kost­spie­li­gen aus­wär­ti­gen So­lis­ten muss­te er kämp­fen – und setz­te sich durch. Bei der Ur­auf­füh­rung un­ter sei­ner Ge­samt­lei­tung und mit Hans von Bülow als Di­ri­gen­ten san­gen und spiel­ten in den Haupt­rol­len Franz Betz (Hans Sachs), Franz Nach­baur (Stolz­ing), Ge­org Höl­zel (Beck­mes­ser), Max Schlos­ser (Da­vid) und als ein­zi­ges Nach­wuchs­ta­lent aus dem Münch­ner En­sem­ble Mat­hil­de Mal­lin­ger (Eva).

„Meistersinger“-Festwiese: Aqua­rell von Mi­cha­el Ech­ter nach Vor­la­ge der Uraufführungs-Inszenierung

Wag­ner reis­te am 24. Juni 1868 zu­rück nach Trib­schen, nicht ohne dem Kö­nig brief­lich zu ver­si­chern, „dass je­ner Abend der ers­ten Auf­füh­rung der Meis­ter­sin­ger der Hö­he­punkt mei­ner künst­le­ri­schen und mensch­li­chen Lauf­bahn war. Wie man mit der Zeit fin­den wird, dass die­ses Werk das voll­endets­te der bis­her von mir ge­schaf­fe­nen ist, so er­klä­re ich die­se sei­ne Auf­füh­rung, die ich ein­zig Ih­rer Güte ver­dan­ke, für die bes­te, wel­che bis­her noch je von ei­nem mei­ner Wer­ke statt­ge­fun­den hat: die un­er­mess­li­che Ehre, die Sie mir für die­sen Abend an Ih­rer Sei­te zu­wie­sen, er­klä­re ich als die see­len­volls­te Be­loh­nung, die [je] ein Meis­ter der Kunst emp­fing. Und so er­klä­re ich, dass hier nichts mehr zu über­bie­ten ist: dass nicht ein Wunsch nach Hö­he­rem in mei­nem Her­zen zu­rück­blei­ben konnte.“

Kö­nig Lud­wig II. 1867 in ei­ner Auf­nah­me von Jo­seph Albert

Er soll­te den Kö­nig erst acht Jah­re spä­ter wie­der­se­hen, in Bay­reuth, bei sei­nen ers­ten Fest­spie­len. Co­si­ma hin­ge­gen fass­te sich ein Herz und fuhr ei­nen Mo­nat nach der „Meistersinger“-Uraufführung eben­falls nach Trib­schen zu Wag­ner, um – nach noch ei­ner Un­ter­bre­chung zur Re­ge­lung der Tren­nung von ih­rem ers­ten Mann Hans von Bülow – mit ih­ren Kin­dern für im­mer bei ihm zu blei­ben. Fast vier­zehn Jah­re spä­ter, am 13. Ja­nu­ar 1882, schreibt sie in Pa­ler­mo in ihr Ta­ge­buch: „Wir be­su­chen den Dom, die Zisa, und nach der Heim­fahrt ar­bei­tet R. Sehr er­regt kommt er zum Abend­brot und ver­si­chert: Nicht ei­nen Au­gen­blick wür­de er schwan­ken, für das Wohl der Kin­der sei­ne Wer­ke zu op­fern, nicht ei­nen Au­gen­blick, Tris­tan für Isol­de, Meis­ter­sin­ger für Eva, den Ring für Sieg­fried. ‚Das ist Le­ben‘, sagt er.“

Ak­tua­li­sier­te Ver­si­on der Erst­ver­öf­fent­li­chung von 2013 auf www​.in​fran​ken​.de in dem Blog „Mein Wagner-Jahr“