Wenn das Städtchen Bayreuth links oberhalb des Festspielhauses und die Villa Wahnfried in den Alpen liegt, ist offensichtlich etwas faul im Wagner-Staat: Der mit deutschen Schauspielerstars prominent besetzte Film „Der Wagner-Clan“, den das ZDF Sonntagabend (d.h. am 23. Februar 2014 um 20.15 Uhr) erstmals sendet, nimmt zwar geographische und historische Fakten auf die leichte Schulter, ist aber trotzdem empfehlenswert. Denn er trifft im Kern die wohl bekannteste deutsche Künstler-Familie.
Was die Wagners von den Krupps, der anderen berühmten deutschen Dynastie, unterscheidet, ist die Tatsache, dass die Nachkommen des Dichterkomponisten und Festspielgründers Richard Wagner heute noch aus dynastischen Gründen regelmäßig für Schlagzeilen sorgen. Darum geht es in diesem Clan, seitdem Richard und Cosima ihn auf wackligen, weil ehebrecherischen Füßen begründet haben.
Der Film (Regie: Christiane Balthasar, Drehbuch: Kai Hafemeister) beginnt mit einer spektakulären Kameraluftfahrt durchs nächtliche Venedig, wo Wagner am 13. Februar 1883 starb. Seine drei unehelich geborenen Kinder (deren Halbgeschwister Daniela und Blandine, die zwei Töchter Cosimas aus erster Ehe mit Hans von Bülow, von vornherein ausgespart bleiben), tollen durch einen Palazzo, bis ein schrecklicher Schrei ihr Spiel einfriert: Mit dem Tod Wagners beginnt die Handlung des Films, und er endet, wenn seine Enkel aus der mühselig arrangierten Kronprinzenfamilie für den künftigen Hausfreund und „Onkel Wolf“ den Hitlergruß üben.
Immer und immer wieder geht es um das Erbe. Es ist der einzige Lebensinhalt von Witwe Cosima (souverän als Clan-Chefin und berührend als Greisin: Iris Berben). Sie macht Wagner und seine Festspiele zum Mythos, stellt sich und ihre Kinder gnadenlos in den Dienst der Sache. Dass weder Cosima noch die anderen Beteiligten in diesem Machtspiel kaum eine Bosheit, Fehde, Intrige, Lüge und Verleumdung auslassen, macht den Stoff zum abendfüllenden Familien-Thriller.
Wobei die unterhaltsam-zugespitzte fiktive Filmhandlung sich reichlich auch neugieriger Blicke unter diverse Bettdecken bedient: Der in Rückblicken immer wieder auftauchende Wagner (Justus von Dohnányi) wird mehrfach bei Seitensprüngen gezeigt, die homosexuelle Neigung von Sohn Siegfried (Lars Eidinger) wird statt durch dessen Affäre mit Clement Harris mit einem erfundenen Dorian auf den Punkt gebracht, und der spätere Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain (Heino Ferch) darf sogar bei Cosima untern Rock.
Letzteres ist natürlich frei erfunden, eigentlich undenkbar und doch zumindest die halbe Wahrheit: Zwar war Cosima ihrem Abgott Richard sicher auf ewig treu, aber der antisemitische und rassistische, gleichwohl eloquente englische Schriftsteller war bekanntlich hinter vielen Frauen her und hätte liebend gerne direkt was mit der „hohen Frau“ gehabt – was ihn übrigens mit Henry Thode einte, einem der weiteren Schwiegersöhne Cosimas, den der Film ausspart.
Dass Isolde, die erste Wagner-Tochter, zur weiblichen Heldin (Petra Schmidt-Schaller) aufrücken darf, ist, auch wenn gerade in Hinblick auf sie und den von ihr angestrengten Vaterschaftsprozess 1913/14 viele Fakten falsch oder ungenau sind, eine späte Wiedergutmachung. Das juristisch seinerzeit korrekte, aber an den echten Genen vorbeigehende Urteil im berühmten Beidler-Prozess ist übrigens bis heute nicht aus der Welt: Weder Isoldes Sohn Franz Beidler noch die einzige Enkelin Dagny bekamen in Bayreuth einen Fuß in die Festspielhaustür, obwohl sie als Schweizer – anders als das Gros der dort vorherrschenden Siegfried-Nachkommen – mit keiner braunen Vergangenheit belastet waren.
Neben manch überraschenden, ja witzigen Dialogen, großer Kostüm-, Masken- und Schauspielkunst überzeugt der Film auch in seiner Bildsprache. Analog zum historisch nur angelehnten, eher sehr freien Inhalt wird gewissermaßen im Falschen das Richtige gezeigt. Ein schönes Beispiel dafür ist eine Szene, in der Tochter Isolde vor ihrer fast alle und alles beherrschenden Mutter Cosima kniet – ein wunderbares Bildzitat, denn es wiederholt in veränderter Besetzung das bewusst inszenierte Foto des Ehepaars Wagner, bei dem Cosima sitzend bewundernd hochblickt zu ihrem stehenden Göttergatten Richard.
Auch an der erfundenen Schlussszene ist was Wahres dran. Zwar ist nicht überliefert, dass Winifred Wagner mit ihren Kindern den Hitler-Gruß eingeübt hat, zwar hat sich die hier störrische, absichtlich den falschen Arm hochwerfende Tochter Friedelind erst später als rebellisch erwiesen, aber immerhin wird hier pfiffig angedeutet, dass doch nicht alle Wagners damit einverstanden waren, dass sich die Familie und die Festspiele vom NS-Regime komplett vereinnahmen ließen.
Noch ein Aperçu zum Schluss, denn einer der Hauptdarsteller steht unfreiwillig, aber beispielhaft für die lückenlose „chronique scandaleuse“ des Wagner-Clans: Der mit einer maskenbildnerisch perfekten Wagnernase ausgestattete Justus von Dohnányi ist ein Sohn des gleichnamigen Dirigenten, der unter anderem auch mit der Sängerin Anja Silja verheiratet war, deren Liaison mit Wagner-Enkel Wieland Wagner in den prüden 1960er-Jahren für einigen Rumor sorgte. Durch drei Generationen hindurch fällt also auf, dass die männlichen Wagners gerne auch Frauen hatten, die ihre Töchter hätten sein können.
Was schlagend ein Blick auf die jetzige Festspielleitung beweist: die Halbschwestern Eva (68) und Katharina Wagner (35) aus den zwei Ehen Wolfgang Wagners trennt eine Generation. Beide sind 2008 vor allem deshalb in ihre Position gekommen, weil ihr Vater in unguter Familientradition nichts ausgelassen hatte, um den Töchtern die Macht am Grünen Hügel zu sichern – und ja nicht dem verstoßenen eigenen Sohn Gottfried oder den verhassten Nichten und Neffen zu überlassen.
Der Spielfilm „Der Wagner-Clan“ wird am 23. Februar um 20.15 Uhr im ZDF gezeigt, um 22.05 Uhr folgt dazu eine gleichnamige Dokumentation, die die reale Familiengeschichte bis heute fortschreibt – mit Eva Rieger, Oliver Hilmes und Daniel Barenboim als Experten sowie Gottfried Wagner und Nike Wagner als Vertreter der skeptischen und vom Hügel vertriebenen Urenkelgeneration.
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