Wenn einem weich & weh ums Herz wird

Bet­sy Hor­ne als Elsa in der Co­bur­ger „Lohengrin“-Inszenierung Foto: An­drea Kremper

Es ist die rei­ne Über­wäl­ti­gung. Und eine gro­ße Über­ra­schung. Denn dass die „Lohengrin“-Inszenierung am Lan­des­thea­ter Co­burg auch ein al­tes Wag­ner­schlach­ten­ross wie mich so schnell und an­hal­tend pa­cken wür­de, war nicht un­be­dingt zu er­war­ten. Schließ­lich sind die Vor­be­hal­te bei die­ser gro­ßen Chor­oper nicht klein, wenn es um ein Haus die­ser Grö­ßen­ord­nung geht. Ganz zu schwei­gen von den So­lis­ten. Aber nach zwei­ma­li­gem Er­le­ben der Pro­duk­ti­on kann ich ver­si­chern: Die­ser „Lo­hen­grin“ ist ein Muss, hat mu­si­ka­lisch wie sze­nisch so viel zu sa­gen, dass mehr­fa­che Be­su­che sich lohnen.

Schon al­lein Bet­sy Hor­ne we­gen. Sie ist auf An­hieb eine idea­le Elsa. In Kör­per­spra­che und Mi­mik füllt sie die hier glaub­haft mäd­chen­haft, aber durch­aus ei­gen­sin­nig und zu­neh­mend selbst­be­wusst an­ge­leg­te Fi­gur schon dar­stel­le­risch so über­zeu­gend aus, dass ei­nem weich und weh ums Herz wird. Erst recht, wenn sie mit ih­rer in­to­na­ti­ons­rei­nen, dy­na­misch ein­fühl­sam und klug ge­führ­ten, schön auf­blü­hen­den So­pran­stim­me von all den Hoff­nun­gen, Träu­men und Wün­schen singt, die nichts zu tun ha­ben mit der Rea­li­tät, die zu­neh­mend zum Alp­traum wird.

Schlicht­weg eine sän­ger­dar­stel­le­ri­sche Wucht ist auch Rol­len­de­bü­tan­tin Mar­ti­na S. Lan­gen­bu­cher. Ihre Or­trud ist vom ers­ten Auf­tritt an ein State­ment, ein Aus­ru­fe­zei­chen, eine Fleisch ge­wor­de­ne In­tri­ge, de­ren Ein­schmei­che­lungs- und Ver­füh­rungs­kraft fast alle er­lie­gen. Wie macht­voll und ma­gisch sie im 2. Akt erst Tel­ra­mund ein­wi­ckelt, wie heuch­le­risch und ge­wis­ser­ma­ßen Kaf­fee­satz le­send sie Elsa um­garnt und da­bei be­ein­dru­ckend mit Stimm­far­ben und Stimm­kraft auf­war­tet, das sind ech­te Theatercoups.

Die männ­li­chen Haupt­fi­gu­ren sind gut bis be­frie­di­gend be­setzt, rei­chen an das sehr hohe Ni­veau ih­rer Kol­le­gin­nen je­doch nicht her­an. Am ehes­ten ge­lingt das Da­ni­el Kirch in der al­ter­nie­rend be­setz­ten Ti­tel­rol­le. Die durch­aus schwie­ri­ge schau­spie­le­ri­sche Auf­ga­be, die ihm der Re­gis­seur vor­ge­ge­ben hat, meis­tert er mit spür­ba­rem En­ga­ge­ment, sei­ne eher hel­le Te­nor­stim­me hat nicht nur Durch­schlags­kraft, son­dern auch ein zer­brech­li­ches Pia­no. Wolf­gang Schwa­nin­gers Lo­hen­grin ist als Fi­gur et­was ver­hal­te­ner, was den Re­gie­in­ten­tio­nen aber kaum Ab­bruch tut. Sein ba­ri­to­na­ler Te­nor punk­tet vor al­lem dort, wo es hel­disch klin­gen darf. Der Rest ist Ta­ges­form und Technik.

Juri Ba­tu­kow über­zeugt als Tel­ra­mund – trotz Ein­schrän­kun­gen. Wenn man be­denkt, wie vie­le hoch­ran­gi­ge In­ter­pre­ten schon an die­ser Par­tie ge­schei­tert sind, ist man ger­ne be­reit, ein paar Er­mü­dungs­er­schei­nun­gen sei­nes aus­drucks­vol­len Ba­ri­tons und sei­ne Text­un­ge­nau­ig­kei­ten zu über­hö­ren. Mi­cha­el Lion ist auch als Kö­nig Hein­rich eine Säu­le des Co­bur­ger En­sem­bles, aus dem her­aus Fal­ko Hö­nisch, Mar­tin Trepl und Ben­ja­min Werth als Heer­ru­fer alternieren.

Wenn gleich nach dem Heer­ru­fer Gott­fried bzw. der Schwan auf dem Be­set­zungs­zet­tel ste­hen, be­deu­tet das et­was: Der Tän­zer Ma­ri­usz Czochrow­ski ver­kör­pert eine zen­tra­le Re­gie­idee. Der Schwan steht hier als Sym­bol für den ent­führ­ten, miss­brauch­ten und in eine Zwangs­ja­cke ge­fes­sel­ten Bru­der El­sas. Es ist, auch von Chris­tof Cremers Kos­tüm her, die wohl stärks­te Bild­fin­dung der an star­ken Bil­der rei­chen In­sze­nie­rung, weil die Äs­the­tik der an­mu­ti­gen Be­we­gun­gen durch die Zwangs­si­tua­ti­on von vorn­her­ein ge­bro­chen wird. Der Schwan Gott­fried schickt schon durch sei­nen ers­ten Auf­tritt so vie­le Fra­gen in den Raum, dass es ei­nem in ei­nem Stück, das vom Fra­ge­ver­bot do­mi­niert wird, angst und ban­ge wer­den kann.

Die Ver­or­tung der drei Akte im Ein­heits­büh­nen­bild von Rifail Aj­dar­pa­sic funk­tio­niert schla­gend gut. Der mit ei­ner Tri­bü­ne, Red­ner­pult, Re­ga­len und über 900 Ak­ten­kar­tons be­stück­te, un­ter­ir­di­sche Ar­chiv­bun­ker führt in eine be­droh­te und zer­rüt­te­te Ge­sell­schaft, die sehn­lichst auf ei­nen Ret­ter war­tet. In den Raum hin­ein ra­gen von oben die Wur­zeln der Ge­richts­ei­che, die nur noch durch ein Be­wäs­se­rungs­sys­tem am Le­ben er­hal­ten wer­den kann.

In die­ser be­drü­cken­den Un­ter­welt ent­fes­selt der aus Ca­ra­cas stam­men­de, in Lon­don aus­ge­bil­de­te Re­gis­seur Car­los Wag­ner ein prä­zi­se ein­stu­dier­tes Psy­cho­dra­ma, das das Pu­bli­kum von Be­ginn an in Bann zieht. Ihm ge­lingt, was im heu­ti­gen Re­gie­thea­ter eine Ra­ri­tät ist: Sei­ne In­ter­pre­ta­ti­on ist ent­schie­den po­li­tisch, kri­tisch, bri­sant, lässt aber so viel Luft für die Ma­gie, das Mär­chen­haf­te und vor al­lem die Mu­sik, dass die si­cher auch über­ra­schen­den, durch ei­ni­ge Stri­che un­ter­stütz­ten Bot­schaf­ten un­auf­dring­lich, gleich­sam na­tür­lich und nach­hal­tig über die Ram­pe kom­men. Mehr soll nicht ver­ra­ten wer­den. Es gibt je­den­falls viel Stoff zum Nach­den­ken über die Fi­gu­ren, über das Stück.

Wie vir­tu­os er sein Hand­werk be­herrscht, lässt sich bei­spiel­haft am ex­tra auf­ge­stock­ten Chor ab­le­sen. Die 54 Sän­ge­rin­nen und Sän­ger (Ein­stu­die­rung: Lo­ren­zo Da Rio) ge­ben nicht nur eine präch­ti­ge Klang­ku­lis­se ab, sie spie­len als Volk eine Haupt­rol­le – mal in der Be­we­gung ein­ge­fro­ren, mal sur­rea­le Rou­ti­nen ab­sol­vie­rend, mal hei­ter ge­löst, dann zu­neh­mend krie­ge­risch, die Fah­ne stets nach dem Wind, selbst wenn er schnell wech­selt. Stu­pend der sze­ni­sche Ein­falls­reich­tum, wenn es dar­um geht, Be­we­gung auf die in den Chor­sze­nen ei­gent­lich no­to­risch über­vol­le Büh­ne zu brin­gen, kost­bar in ih­rer In­ten­si­tät die Mo­men­te, wenn die So­lis­ten al­lein agieren.

Das al­les wäre schon An­lass ge­nug, um nach Co­burg zu fah­ren. Aber es kommt noch bes­ser: Die­ser „Lo­hen­grin“ ist auch ein Raum­klang­er­eig­nis. Im­mer wie­der sor­gen Ein­spie­lun­gen so­wie Trom­pe­ter im Rang und vom Foy­er her da­für, dass man im Au­di­to­ri­um das Ge­fühl hat, mit­ten in die­sem be­rau­schen­den, Gän­se­haut er­zeu­gen­den Wag­ner­klang zu sit­zen. Das auf 55 Mu­si­ker auf­ge­stock­te Or­ches­ter un­ter Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Ro­land Klut­tig hat in­zwi­schen ein Ni­veau er­reicht, das Stau­nen macht. In bei­den be­such­ten Vor­stel­lun­gen ge­lang das so hei­kel zart schwe­ben­de Vor­spiel, un­ver­ges­sen bleibt mir un­ter an­de­rem das über­hitz­te Tem­po im Vor­spiel zum 3. Akt: Der Di­ri­gent ist hör­bar ei­nig mit dem Re­gis­seur, dass in der Braut­nacht al­les an­de­re als Ro­man­tik an­ge­sagt ist, son­dern in gro­ßem Schmerz en­den muss.