Es ist das reine Opernglück

Ve­re­na Use­mann als Oc­ta­vi­an im 2. Akt der Oper Der Ro­sen­ka­va­lier von Ri­chard Strauss in der Co­bur­ger Neu­in­sze­nie­rung von Ja­kob Pe­ters-Mes­ser Foto: An­drea Kremper

Es soll im­mer noch Leu­te ge­ben, die das Co­bur­ger Thea­ter mit schein­ba­rer Ken­ner­mie­ne als Pro­vinz­büh­ne se­hen, die den Ver­gleich mit gro­ßen Häu­sern scheu­en muss. Da­bei wird an­ders­rum ein Schuh draus. Denn ein klei­ne­res Haus kann, wenn al­les gut läuft – und am Lan­des­thea­ter läuft es seit ge­rau­mer Zeit ge­ra­de­zu ide­al, also ku­gel­rund –, et­was bie­ten, das man in den Groß­stadt­thea­tern eben nicht fin­det: eine un­mit­tel­ba­re Nähe zum Büh­nen­ge­sche­hen, die das Thea­ter­er­leb­nis in­ten­si­viert und ei­nem das Ge­fühl gibt, mit­ten im Klang zu sit­zen. Was umso pi­kan­ter ist, wenn es um ein Ge­sche­hen geht, das sich im ers­ten Teil in ei­nem hoch­herr­schaft­li­chen Schlaf­zim­mer abspielt.

Der Ro­sen­ka­va­lier von Ri­chard Strauss ist schon we­gen der Be­bil­de­rung des ers­tens Akts in sei­ner Mi­schung aus In­ti­mi­tät und ei­nem mitt­le­rem Mas­sen­auf­lauf in der Le­ver-Sze­ne höchst an­spruchs­voll. Die Co­bur­ger Neu­in­sze­nie­rung löst nicht nur die­ses Pro­blem, son­dern ei­gent­lich alle. Es ist das rei­ne Opern­glück. Zu­mal es Re­gis­seur Ja­kob Pe­ters-Mes­ser sou­ve­rän, ein­falls­reich und ein­fühl­sam ge­lingt, selbst jene in dem 1911 ur­auf­ge­führ­ten Stück ge­ge­be­nen Stol­per­stei­ne aus dem Weg zu räu­men, de­nen heut­zu­ta­ge der Haut­gout des po­li­tisch In­kor­rek­ten anhaftet.

Zwei sonst eher un­schein­ba­re, stum­me Rand­fi­gu­ren sei­en des­halb be­son­ders er­wähnt: Der zu­meist süße, weil klei­ne Mohr (im Li­bret­to von Hugo von Hof­manns­thal lau­tet die Rol­len­be­zeich­nung „ein klei­ner Ne­ger“) , der der Mar­schal­lin das Früh­stück ser­viert und laut Li­bret­to am Schluss der Oper So­phies fal­len­ge­las­se­nes Ta­schen­tuch su­chen und fin­den soll, ist hier kein trip­peln­des Kind, son­dern eine sehr be­weg­li­che, zu­wei­len spitz­bü­bisch lä­cheln­de alte Frau mit der pas­sen­den Kopf­be­de­ckung. Es ist ein re­gie­li­cher Ge­nie­streich, wie die­se nor­ma­ler­wei­se nur nied­li­che Fi­gur zum Be­deu­tungs­trä­ger auf­ge­wer­tet wird – wun­der­bar ver­kör­pert durch Chris­ta Fed­der, eine in Co­burg zu Recht viel be­schäf­tig­te, weil viel­sei­ti­ge und un­ge­mein büh­nen­wirk­sa­me Dar­stel­le­rin: Ihr weib­li­cher Mo­ham­med spie­gelt der Mar­schal­lin be­son­ders ein­präg­sam alle Ver­gäng­lich­keit, dass und wie die Zeit ver­geht. Ne­ben­bei zeigt er, dass auch Be­diens­te­te nicht auf den Kopf ge­fal­len sind, dass selbst eine Fürs­tin sehr für­sorg­lich sein kann – und nicht zu­letzt, dass die Über­rei­chung der Sil­ber­nen Rose nichts an­de­res als eine mi­ra­ku­lö­se Thea­ter­er­fin­dung ist.

Das für mich noch wich­ti­ge­re Spie­gel­bild ge­lingt dem mit gro­ßem Kör­per­ein­satz und viel Spiel­witz agie­ren­den Rus­lan Wa­cker als Leo­pold. Der Leib­la­kai vom Ba­ron Ochs auf Ler­chen­au ist ein vi­ta­ler jun­ger Mann, kaum äl­ter als der sieb­zehn Jah­re und zwei Mo­na­te alte Ti­tel­held Oc­ta­vi­an, nur eben hand­fes­ter, pro­le­ta­ri­scher. In­dem die­ser Jung­spund sich prak­tisch in je­den Rock ver­guckt, ver­steht man plötz­lich, aus wel­chem Holz sein Herr ge­schnitzt ist. Und sieht den zwei Ge­ne­ra­tio­nen äl­te­ren »Och­sen« mit mil­de­ren Au­gen – auch als Frau des 21. Jahr­hun­derts, für die so ein tes­to­ste­ro­ni­sier­ten Mit­gift- und Schür­zen­jä­ger nor­ma­ler­wei­se ein ab­so­lu­tes No-Go ist.

En­sem­ble­mit­glied Mi­cha­el Lion tut frei­lich das Sei­ni­ge, um dem ler­chenaui­schen Schwe­re­nö­ter ko­mö­di­an­ti­sche Kon­tu­ren zu ge­ben. Sein Ochs ist kein Dumm­kopf, hat durch­aus wea­ne­ri­schen Charme und Schalk – und schafft so­gar die ganz tie­fen Töne, um die sich man­cher In­ter­pret her­um­mo­gelt. Eine Glanz­rol­le für den Bas­sis­ten, der auch zu gro­ßer Form auf­läuft, wenn die Stim­me ein biss­chen an­ge­kratzt ist. Von den re­gu­lä­ren männ­li­chen Prot­ago­nis­ten sind noch her­vor­zu­he­ben der neu­rei­che Em­por­kömm­ling Fan­in­al, dem Pe­ter Schö­ne fast zu viel edle Stimm­kraft leiht, der lu­xu­riö­se Te­nor­sän­ger von Mi­len Bozhkov und der prä­gnan­te Dirk Mestma­cher als in­tri­gant her­um­wu­seln­der Valzacchi.

En­sem­ble­mit­glied Ve­re­na Use­mann ist sän­ger­dar­stel­le­risch ein Oc­ta­vi­an der Spit­zen­klas­se, und schon ihr Ro­sen­ka­va­lier-Auf­tritt hoch zu Ross ist ei­gent­lich jede Fahrt nach Co­burg wert. Ein Glücks­fall, denn ihre dop­pelt ge­for­der­te Kör­per­spra­che ist so ge­schmei­dig wie stim­mig, ihr Mez­zo­so­pran be­tö­rend schön. Zu­dem wirkt sie, ent­spre­chend ge­stylt, so, als stün­de der ephe­bi­sche Ian Bostridge auf der Büh­ne. An­ge­sichts die­ses ju­gend­li­chen Lieb­ha­bers dür­fen Frau­en und Män­ner im Pu­bli­kum gleich rei­hen­wei­se schwach werden.

Noch dazu bei ei­ner Mar­schal­lin, die Film­star Ni­co­le Kid­man ver­blüf­fend ähn­lich sieht. Das frü­he­re En­sem­ble­mit­glied Bet­sy Hor­ne ist in ei­ner be­stechen­den Form. Sie spielt und singt die­se früh in ihre Zweck­ehe ge­zwun­ge­ne, noch lan­ge nicht ver­blüh­te, im­mer noch jun­ge Frau so un­an­ge­strengt na­tür­lich und sou­ve­rän, so zu­rück­ge­nom­men, aber zwin­gend in den me­lan­cho­li­schen Mo­men­ten, dass nicht we­ni­ge Zu­schau­er mit Trä­nen zu kämp­fen ha­ben. Als ihre jün­ge­re Kon­kur­ren­tin So­phie al­ter­nie­ren Anna Güt­ter und Ana Cvet­ko­vic-Sto­j­nic, im De­tail zwei durch­aus un­ter­schied­li­che jun­ge Da­men, aber glei­cher­ma­ßen überzeugend.

Die wei­te­ren zahl­rei­chen Mit­wir­ken­den ma­chen ihre Sa­che gut. Selbst Ga­brie­la Künz­ler, die mit der er­fri­schen­den Emi­ly Lo­ri­ni als An­ni­na al­ter­niert, ist dies­mal kei­ne sän­ge­ri­sche Fehl­be­set­zung, son­dern das rol­len­ge­rech­te schril­le Aus­ru­fe­zei­chen. Das Or­ches­ter un­ter Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Ro­land Klut­tig bzw. un­ter Ro­land Fis­ter klingt zwar ein­gangs so, dass man sich für die Ou­ver­tü­re denn doch ei­nen al­ler­ers­ten gro­ßen Klang­kör­per wünsch­te (wo­bei die Ou­ver­tü­re auch für letz­te­ren eine ech­te Her­aus­for­de­rung sein dürf­te), über­zeugt dann aber umso mehr. Ein mu­tig und ho­mo­gen mu­si­zier­ter Opern­abend, den man mit kei­ner der be­rühm­ten Vor­zei­ge-Pro­duk­tio­nen tau­schen möch­te, weil das Ge­sche­hen und die schö­nen Bil­der der In­sze­nie­rung ei­nen un­mit­tel­bar in Bann schlagen.

Mar­kus Mey­ers va­ria­bles und stim­mi­ges Büh­nen­bild ist eben­so se­hens­wert wie die Kos­tü­me von Sven Bind­seil, der in sei­nen his­to­ri­sie­rend-mo­der­nen Stil­mix in Schwarz­weiß mit gro­ßer Wir­kung re­stau­rier­te far­bi­ge Ein­zel­tei­le aus der Zeit der Co­bur­ger Erst­auf­füh­rung ein­ge­baut hat – Kos­tü­me, auf de­nen schon die Au­gen von Kom­po­nist Ri­chard Strauss ruh­ten, der nach ei­nem ers­ten Co­burg-Gast­spiel 1913 im Jahr 1918 höchst­per­sön­lich die 25. Ro­sen­ka­va­lier-Auf­füh­rung am da­mals noch her­zog­li­chen Co­bur­gisch-Got­hai­schen Hof­thea­ter dirigierte.

Die in­zwi­schen fünf­te Co­bur­ger Ro­sen­ka­va­lier-In­sze­nie­rung (in der Re­gie von Ja­kob Pe­ters-Mes­ser) ist – man kann es nicht an­ders sa­gen – werk­treu, hand­werk­lich bril­lant und zu­gleich zeit­ge­nös­si­sches Re­gie­thea­ter, er­zählt die Hand­lung und ihre Prot­ago­nis­ten bis in die kleins­ten Ver­äs­te­lun­gen ver­ständ­lich und ge­nau, zeigt die Ver­wechs­lungs­ko­mö­die glaub­haft und schafft es gleich­zei­tig, eine ve­ri­ta­ble heu­ti­ge In­ter­pre­ta­ti­on die­ses höchst ar­ti­fi­zi­el­len Kunst­werks zu sein, das sich zwar eine Ko­mö­die für Mu­sik nennt, aber nicht nur durch die schwar­zen Schlei­er, die sich als ro­ter Fa­den durch den Abend zie­hen, sei­ne dunk­le­ren Mo­men­te hat. „Es könn­te schei­nen“, zi­tiert denn auch das Pro­gramm­heft Hugo von Hof­manns­thal, „als wäre hier mit Fleiß und Mühe das Bild ei­ner ver­gan­ge­nen Zeit ge­malt, doch ist dies nur Täu­schung und hält nicht län­ger dran als auf den ers­ten flüch­ti­gen Blick. Die Spra­che ist in kei­nem Buch zu fin­den, sie liegt aber noch in der Luft, denn es ist mehr von der Ver­gan­gen­heit in der Ge­gen­wart als man ahnt, und we­der die Fan­in­al noch die Ro­fra­no, noch die Ler­chen­au sind aus­ge­stor­ben, nur ihre Li­vreen ge­hen heu­te nicht mehr in so präch­ti­gen Farben.“

Pre­mie­re am 6. März 2016, be­such­te Vor­stel­lun­gen am 27. März, 3. und 15. April. Wei­te­re Auf­füh­run­gen am 22. April und 11. Mai, je­weils um 18.30 Uhr. Kar­ten un­ter Te­le­fon 09561-898989.

P. S. Bet­sy Hor­ne hat am 14. und 17. April die Par­tie der Feld­mar­schal­lin – auf­grund der an­hal­ten­den Er­kran­kung von Anja Har­te­ros – die Par­tie der Feld­mar­schal­lin an der Deut­schen Oper Ber­lin ge­sun­gen. Spä­tes­tens jetzt dürf­te klar sein, in wel­cher Liga sie an­ge­kom­men ist.
P. P. S. Bet­sy Hor­nes nächs­te gro­ße Par­tie ist die Ti­tel­rol­le in der Leip­zi­ger Neu­in­sze­nie­rung der Ara­bel­la von Ri­chard Strauss. Pre­mie­re ist am 18. Juni 2016. Wei­te­re In­fos un­ter http://​www​.oper​-leip​zig​.de/​d​e​/​p​r​o​g​r​a​m​m​/​a​r​a​b​e​l​l​a​/​5​7​159