Der Déjà-vu-„Ring“ im Passionsspielhaus Erl

Sze­ne mit Freia und den Rie­sen im „Rhein­gold“. Foto: Xio­ma­ra Bender

Es gibt gute Grün­de, wenn man sagt, dass man Bay­reuth und Erl nicht ver­glei­chen kann. Aber auch die Par­al­le­len lie­gen auf der Hand: Bei­de Orte ha­ben eine lan­ge Fest­spiel­tra­di­ti­on, au­ßer­ge­wöhn­li­che Thea­ter­bau­ten, ei­nen wa­ge­mu­ti­gen Künst­ler, ei­nen groß­zü­gi­gen Mä­zen – und Ri­chard Wag­ner als Pu­bli­kums­ma­gnet. Da lohnt sich der Vergleich.

Na­tür­lich ist Gus­tav Kuhn kein Wag­ner. Aber ein cha­ris­ma­ti­scher Wag­ner-Di­ri­gent, der 1998 im auch ar­chi­tek­to­nisch be­ein­dru­cken­den, wei­ßen Pas­si­ons­spiel­haus des ös­ter­rei­chi­schen Grenz­or­tes Erl ein Fes­ti­val eta­blier­te, das sich zu ei­nem An­zie­hungs­punkt für Wag­ne­ria­ner aus al­ler Welt ent­wi­ckelt hat und in­zwi­schen auch in­ter­na­tio­nal aus­strahlt. Im Ok­to­ber 2015 gas­tie­ren die Ti­ro­ler Fest­spie­le Erl mit dem „Ring“ und – als sze­ni­sche Erst­auf­füh­run­gen – mit „Tris­tan“ und den „Meis­ter­sin­gern“ in China.

In Shang­hai wird der bald 70-jäh­ri­ge „Erl­kö­nig“ Kuhn so­gar noch­mals den so­ge­nann­ten 24-Stunden-„Ring“ wa­gen, den zwei­fel­los für alle an­stren­gen­den Wag­ner-Ma­ra­thon. So ein Guin­ness­buch­re­kord ist zwar kei­ne Mar­ke­ting­stra­te­gie, die sich auch für Bay­reuth an­bö­te, aber die Mut­ter al­ler Fest­spie­le könn­te ei­ni­ges von Erl ler­nen: Zum Bei­spiel, dass es für Pu­bli­kum und Or­ches­ter ein schlüs­si­ges Er­leb­nis ist, sich mit den vier „Ring“-Teilen an vier Ta­gen hin­ter­ein­an­der aus­ein­an­der­zu­set­zen – ohne Pau­sen­tag, ohne ein an­de­res Wag­ner­werk dazwischen.

Das funk­tio­niert in Erl, weil es grund­sätz­lich Dop­pel­be­set­zun­gen gibt. Die si­cher nicht üp­pig be­zahl­ten So­lis­ten kom­men über­wie­gend aus Gus­tav Kuhns ei­ge­ner Ta­lent­schmie­de, der Ac­ca­de­mia di Mon­te­gral, das Or­ches­ter mit zu­meist jun­gen Mu­si­kern ist eben­so wie die (durch Sän­ger aus Minsk ver­stärk­te) Chor­aka­de­mie of­fen­sicht­lich an­ders be­last­bar als die ta­rif­ver­trag­lich pri­vi­le­gier­ten bun­des­deut­schen Kol­le­gen in Staats- und Stadttheatern.

So be­rei­chernd es sein kann, wenn die „Ring“-Hauptfiguren von je­weils nur ei­nem Prot­ago­nis­ten aus­ge­füllt wer­den, um­ge­kehrt geht es ge­nau­so. Beim ers­ten der bei­den „Ring“-Zyklen der heu­ri­gen Ti­ro­ler Som­mer-Fest­spie­le war es ein Glück, mit Mi­cha­el Kup­fer, Wla­di­mir Bay­kov und Tho­mas Gaz­he­li gleich drei hoch­klas­si­ge, gleich­wohl un­ter­schied­li­che Wo­tan/­Wan­de­rer-In­ter­pre­ten zu er­le­ben, wo­bei letz­te­rer als ma­gisch schwe­ben­der „Götterdämmerung“-Alberich noch ei­nen mar­kan­ten Schluss­punkt setzte.

Die Wag­ner­auf­füh­run­gen im Pas­si­ons­spiel­haus sind grund­sätz­lich halb­sze­nisch. Weil es kei­nen gro­ßen Or­ches­ter­gra­ben gibt, sit­zen die Mu­si­ker hin­ter ei­nem Ga­ze­schlei­er in be­ein­dru­cken­der Staf­fe­lung und stim­mi­ger Hin­ter­grund­be­leuch­tung auf der Büh­ne, die sechs Har­fen ganz oben. Dar­über gibt es selbst­ver­ständ­lich Über­ti­tel - al­ler­dings nur in eng­li­scher Spra­che. Das sze­ni­sche Ge­sche­hen fin­det vor dem Or­ches­ter statt, im vor­de­ren Be­reich der stol­ze 25 Me­ter brei­ten Büh­ne, wo im­mer­hin so viel Platz ist, dass die Wal­kü­ren auf ih­ren Stahl­rös­sern dort her­um­ra­deln kön­nen, ohne zwangs­läu­fig zu stürzen.

Es ist also kein Ram­pen­thea­ter. Da­für sor­gen Büh­nen­bild (Jan Hax Ha­la­ma), Kos­tü­me (Len­ka Ra­de­cky) und die auf Re­gie­thea­ter­mätz­chen über­wie­gend ver­zich­ten­de In­sze­nie­rung (Gus­tav Kuhn). Es ist ge­wis­ser­ma­ßen ein Déjà-vu-„Ring“, der ak­tua­li­sie­rend mit Fan­ta­sy-Ele­men­ten und Ori­ga­mi-Tier­fi­gu­ren die Re­zep­ti­ons­ge­schich­te der letz­ten Jahr­zehn­te durch­de­kli­niert, aber auch star­ke ei­ge­ne Mo­men­te fin­det. So bleibt mir Brünn­hil­des Er­wa­chen in „Sieg­fried“ nicht nur we­gen der sän­ge­risch groß­ar­ti­gen Nan­cy Weiß­bach in Er­in­ne­rung, son­dern weil in die­ser Sze­ne end­lich wie­der spür­bar wird, dass das auch eine my­thi­sche Fi­gur ist.

Dass der „Ring“ in Erl akus­tisch ein be­son­de­res Er­leb­nis ist, liegt auf der Hand. Man hört kei­nen Misch­klang, son­dern nimmt di­rekt und stär­ker als sonst die ver­schie­de­nen In­stru­men­ten­grup­pen wahr, wäh­rend die Sän­ger – ähn­lich wie in Bay­reuth – fein dif­fe­ren­zie­ren kön­nen und kei­nes­falls so her­aus­röh­ren müs­sen, wie es lei­der Faf­ner und Ha­gen An­drea Sil­vest­rel­li trotz­dem ge­tan hat. Am Ende dank­ba­rer Ju­bel für die So­lis­ten, Chor, Or­ches­ter, die feu­ri­gen Kin­der­sta­tis­ten und den eben­so feu­ri­gen Di­ri­gen­ten Gus­tav Kuhn.

Bleibt noch Hans Pe­ter Ha­sel­stei­ner zu lo­ben, vor­mals ein Bay­reuth-Mä­zen, in­zwi­schen Prä­si­dent der Ti­ro­ler Fest­spie­le. Er hat nicht nur das ar­chi­tek­to­nisch und akus­tisch hin­rei­ßen­de neue schwar­ze Fest­spiel­haus fi­nan­ziert, das mit ei­nem at­trak­ti­ven Kon­zert­pro­gramm und Win­ter-Fest­spie­len – heu­er mit Ver­dis „Na­buc­co“ und Ros­si­nis „Bar­bier von Se­vil­la – auf­war­ten kann. Son­dern er ließ ein kos­ten­lo­ses Park­haus bau­en und hat un­ter an­de­rem da­für ge­sorgt hat, dass auch das Ende der fünf­zi­ger Jah­re er­bau­te Pas­si­ons­spiel­haus über zeit­ge­mä­ße Ser­vice- und Re­stau­ra­ti­ons­räum­lich­kei­ten ver­fügt, die in so groß­zü­gi­gen Toi­let­ten­an­la­gen gip­feln, dass Schlan­gen­bil­dung kurz vor Vor­stel­lungs­be­ginn dort end­lich ein Fremd­wort ist. Wo gibt es das sonst?

Be­such­te Vor­stel­lun­gen des ers­ten „Ring-Zy­klus 2015 von 23. bis 26. Juli. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen zu den Win­ter- und Som­mer-Fest­spie­len und dem Zwi­schen­zeit-Pro­gramm auf der Home­page der Ti­ro­ler Festspiele

Gleich zwei küh­ne Thea­ter­bau­ten: Links das wei­ße, nur im Som­mer be­spiel­ba­re Pas­si­ons­spiel­haus von 1959, rechts das neue dunk­le, 2012 er­öff­ne­te Fest­spiel­haus Foto: Pe­ter Kitzbichler