Zur Erinnerung an rosalie

Ein Nach­ruf auf die un­ver­gleich­li­che Künst­le­rin ro­sa­lie, die auch die Wag­ner­sze­ne nach­hal­tig be­rei­chert hat.

ro­sa­lie bei der Blau­en Nacht in Nürn­berg 2006 Foto: Karl­heinz Beer

Viel zu früh ist am 12. Juni 2017 im Al­ter von nur 64 Jah­ren nach kur­zer schwe­rer Krank­heit in Stutt­gart die un­ver­gleich­li­che Künst­le­rin ro­sa­lie  ge­stor­ben. Als ers­te Frau über­haupt stat­te­te sie eine Ring-In­sze­nie­rung bei den Bay­reu­ther Fest­spie­len aus und wirk­te mit ih­ren Büh­nen­bil­dern und Kos­tü­men der­art prä­gend, dass ihre Aus­stat­tung zum Schlag­wort für die ge­sam­te Pro­duk­ti­on wur­de. Da­bei stell­te der Be­griff vom »De­si­gner-Ring« ihr Licht arg un­ter den Schef­fel. Was ro­sa­lie an in der Er­in­ne­rung haf­ten­den Ring-Bil­dern schuf, war weit mehr als blo­ßes De­sign aus un­ge­wöhn­li­chen, näm­lich All­tags­ma­te­ria­li­en. Es war bild­ne­ri­sche Poe­sie, die ih­res­glei­chen such­te, es wa­ren ihre Kom­bi­na­tio­nen aus zu­wei­len durch­aus schon ge­ge­be­nen For­men, aus Far­ben, Be­we­gung und Licht, die wie die grü­nen Re­gen­schir­me des Sieg­fried-Walds im 2. Akt so­fort als ein­zig­ar­tig er­kannt wer­den konnten.

Da­bei wa­ren die Ar­bei­ten fürs Mu­sik­thea­ter und Bal­lett nur ein Teil von ro­sa­li­ens Ge­samt­kunst­werk. Als bil­den­de Künst­le­rin war sie eine Pio­nie­rin in der Ar­beit mit Licht­leit­fa­sern, die kon­kret schon mit dem Ring in Bay­reuth be­gann und kon­se­quent fort­ge­setzt wur­de. Bei­spiel­haft da­für sind ihre drei Kunst-Räu­me, die sie im Wag­ner-Ju­bi­lä­ums­jahr 2013 in der Leip­zi­ger Wel­ten­schöp­fer-Aus­stel­lung schuf. Hier dazu mein Be­richt, der un­ter dem Ti­tel »Ein uni­ver­sa­les Thea­ter des Lichts« am 3. Juli 2013 in dem Blog Mein Wag­ner-Jahr auf der Home­page des Frän­ki­schen Tags er­schie­nen ist.

Von Ro­sa­lie – ge­spro­chen: Ro­sal­je – schei­ne ich ein­fach nicht los­zu­kom­men. Mein letz­ter Blog­ein­trag han­del­te von Ri­chard Wag­ners Lieb­lings­schwes­ter, heu­te steht schon wie­der eine ro­sa­lie im Mit­tel­punkt, al­ler­dings die mit Klein­schrei­bung, die in Wahr­heit ganz schön groß ist. Um es vor­weg­zu­neh­men. Ihr Künst­ler­na­me be­zieht sich nicht auf die Schau­spie­le­rin Ro­sa­lie Mar­bach, ge­bo­re­ne Wag­ner, son­dern war un­ter an­de­rem eher eine Hom­mage an ih­ren Leh­rer und Men­tor Jür­gen Rose, von dem sie viel ge­lernt, sich aber auch früh und sou­ve­rän eman­zi­piert hat. Als Büh­nen- und Kos­tüm­bild­ne­rin – und erst recht als bil­den­de Künst­le­rin. Was man ak­tu­ell und noch bis 15. Sep­tem­ber in Leip­zig über­prü­fen kann. 

Für die Aus­stel­lung »Wel­ten­schöp­fer« im Mu­se­um der bil­den­den Küns­te, die den drei Sach­sen Ri­chard Wag­ner, Max Klin­ger und Karl May ge­wid­met ist, hat sie drei über­wäl­ti­gen­de Kunst-Räu­me ge­schaf­fen, die ein Hö­he­punkt nicht nur des Wag­ners­jahrs, son­dern des Kunst­jahrs 2013 sind. Wo­bei es sich um eine Über­wäl­ti­gung han­delt, die man sich ger­ne ge­fal­len lässt, denn sie drängt sich nicht auf. Sie kommt eher spie­le­risch da­her: mit ele­men­ta­rer Far­ben­pracht, mit un­ge­mein zar­ten Schwarz­weiß-Dif­fe­ren­zie­run­gen, mit Vo­gel­sang, Wolfs­ge­heul, Brahms- und Wag­ner­klang, mit abs­trak­ten und kon­kre­ten Sehn­suchts­räu­men, mit ei­ner Por­ti­on Iro­nie, viel Leich­tig­keit und Licht­ge­schwin­dig­keit. Und ob­wohl mo­derns­te Tech­nik da­hin­ter steht, ist es eine ge­nu­in weib­li­che Kunst, die so un­mit­tel­bar an­spricht und Ge­füh­le aus­löst, dass man süch­tig da­nach wer­den könnte.

ro­sa­lie? Ja, na­tür­lich. Un­ter Wag­ne­ria­nern hat sie sich un­aus­lösch­lich in die Er­in­ne­rung ein­ge­gra­ben, mit ih­rer farb­star­ken und wir­kungs­mäch­ti­gen Aus­stat­tung der Bay­reu­ther Ring-In­sze­nie­rung Al­fred Kirch­ners von 1994 bis 1998: mit dem Rhein­gold-Re­gen­bo­gen aus Plas­tik­ei­mern, mit den skulp­tu­ra­len Kos­tü­men und den aus­la­dend ge­wan­de­ten Wal­kü­ren in ih­ren zeit­ge­mä­ßen Luft­rös­sern aus Kunst­stoff­la­mi­nat, mit dem sanft wo­gen­den Re­gen­schirm­wald in Sieg­fried, mit der in con­tai­ner­haf­ter Macht­ar­chi­tek­tur be­droh­lich fest­ge­fah­re­nen Gi­bi­chun­gen­hal­le in der Göt­ter­däm­me­rung und und und. Die nicht nur auf der Büh­ne des Fest­spiel­hau­ses noch nie da­ge­we­se­nen Bild­fin­dun­gen die­ser Künst­le­rin, ihr ganz ei­ge­ner Ring-Kos­mos, sind in den Köp­fen de­rer, die sie ge­se­hen, er­lebt ha­ben, im­mer noch prä­sent. Von Wag­ner ist ro­sa­lie, die der Bay­reu­ther Tris­tan-Re­gis­seur Hei­ner Mül­ler sei­ner­zeit als »Die Kö­ni­gin der Bunt­heit« be­zeich­ne­te, nicht mehr los­ge­kom­men. 2005 über­nahm sie in Ba­sel für Tris­tan und Isol­de ne­ben Büh­nen­bild und Kos­tü­men so­gar die Ver­ant­wor­tung für die In­sze­nie­rung, 2012/13 durf­ten gleich zwei Wag­ner-Wer­ke in ro­sa­li­ens Äs­the­tik ba­den: Lo­hen­grin in To­kio in der Re­gie Mat­thi­as von Steg­manns und Tann­häu­ser in Karls­ru­he mit Aron Stiehl.

Ne­ben zahl­rei­chen, stets un­ver­wech­sel­bar her­aus­ra­gen­den Ar­bei­ten für die Opern- und Bal­lett­büh­ne macht ro­sa­lie von je her auch freie Kunst. Seit über zwei Jahr­zehn­ten wid­met sie sich de­zi­diert der Licht­kunst und ist mit ih­ren ki­ne­ti­schen Licht­skulp­tu­ren, Licht­kom­po­si­tio­nen und spar­ten­über­grei­fen­den Ak­tio­nen mit Licht eine weg­wei­sen­de Künst­le­rin des 21. Jahr­hun­derts. »Sie hat«, schreibt Pe­ter Wei­bel in ro­sa­lie Licht­kunst, dem 2010 er­schie­ne­nen Ka­ta­log­band, »ein uni­ver­sa­les Thea­ter des Lichts ent­wi­ckelt, eine Lu­mi­no-Sphä­re. Mit ih­rer um­fas­sen­den Ex­plo­ra­ti­on der Mög­lich­kei­ten des Lichts als Ge­stal­tungs­mit­tel – in Be­zug auf Büh­ne und Bild, Be­we­gung und Ge­schwin­dig­keit, so­wie in Be­zug auf Kör­per und Ob­jek­te, Mu­sik und Ma­le­rei – hat sie den Tre­sor des Lichts für kom­men­de Ge­ne­ra­tio­nen ge­öff­net. Ihre Licht­in­sze­nie­run­gen sind wie Schif­fe, die erst­mals Ko­or­di­na­ten im Meer des Lichts ver­mes­sen und aus­le­gen, de­nen noch vie­le Schif­fe fol­gen wer­den; sie sind Na­vi­ga­tio­nen in ei­nem noch zu ent­de­cken­den künst­le­ri­schen Kos­mos des Lichts.«

Die drei Kunst­räu­me mit den ki­ne­tisch-in­ter­ak­ti­ven Licht-Klang-Skulp­tu­ren ro­sa­li­ens sind zwar nur ein Teil der Leip­zi­ger Aus­stel­lung, aber sie sind ihr Zen­trum. Denn ihr Zu­griff ist, an­ders als bei der prä­sen­tier­ten Land­schafts- und His­to­ri­en­ma­le­rei des 19. Jahr­hun­derts so­wie den Ar­chiv- und Bio­gra­fie­räu­men ei­ni­ger eben­falls be­frag­ter Zeit­ge­nos­sen, eben nicht nur Rück­schau, Il­lus­tra­ti­on und heu­ti­ger Kom­men­tar. Son­dern sie schafft, mit den drei so ti­tu­lier­ten Wel­ten­schöp­fern als Aus­gangs­punkt, ihr ei­ge­nes Ge­samt­kunst­werk. Licht ist da­bei – spi­ri­tu­ell ein­leuch­tend und zu­gleich zu­kunfts­wei­send – das zen­tra­le Aus­drucks­mit­tel, aber nicht nur. Für den Be­trach­ter sind fast alle Mög­lich­kei­ten der Selbst- und Au­ßen­wahr­neh­mung ge­ge­ben: Es geht um Se­hen und Hö­ren, Tas­ten und Füh­len, Be­we­gung, Rhyth­mus und Still­stand – und dar­um, was Kopf, Herz und See­le al­les noch aus die­sen Sin­nes­ein­drü­cken de­stil­lie­ren. Nur die Düf­te, die Ver­füh­run­gen und An­ma­ßun­gen an den Ge­schmacks­sinn feh­len. Aber das wäre an rausch­haf­tem Kunst-Er­le­ben viel­leicht doch zu viel.

Für »May – Dead End« hat ro­sa­lie eine Schlucht, ei­nen Can­yon von 22 Me­tern Län­ge und 6,5 Me­tern Höhe auf schwar­zem Lack­grund bau­en las­sen, eine zwei­tei­li­ge ki­ne­ti­sche Licht­skulp­tur, die sich in Form und Far­be, Licht, Bil­dern und Tö­nen stän­dig ver­än­dert. 136 elek­tro­ni­sche Mus­kel-Ak­tua­to­ren sor­gen für Be­we­gung, hau­chen der Skulp­tur, die aus ei­nem Ge­rüst­sys­tem und bi-elas­ti­schem Ge­we­be be­steht, Le­ben ein. 36 Bea­mer pro­ji­zie­ren pau­sen­los mo­no­chro­me und mehr­far­bi­ge Bil­der, die man mit Karl May ver­bin­den kann – Fi­gu­ren, Sze­ne­rien und Rei­se­fan­ta­sien aus den Ro­ma­nen und Ver­fil­mun­gen, vir­tu­el­le Land­schaf­ten mit Pflan­zen, Bäu­men und Ber­gen, Step­pen, Was­ser­fäl­len und Wüs­ten. Dazu Son­nen­auf­gän­ge, Him­mels­bläue, Son­nen­un­ter­gän­ge, auch abs­trak­te Bil­der, die den Be­trach­ter in die ei­ge­nen Fern­weh­träu­me zie­hen, und akus­ti­sche Idio­me von Rei­se- und Na­tur­ge­räu­schen – Re­gen und rie­seln­der Sand, Flug­zeug­lärm und stamp­fen­de Lo­ko­mo­ti­ven, sanf­tes Wind­rau­schen, Pfer­de­ge­tram­pel, Ko­jo­ten­ge­heul, Vo­gel­ru­fe so­wie Klän­ge aus zwei Karl May-Kom­po­si­tio­nen. 21 Mi­nu­ten dau­ert ein kom­plet­ter Loop, der aber im­mer wie­der an­ders ist, weil die Be­su­cher selbst Be­we­gungs­mus­ter, Bil­der- und Klang­fol­gen auslösen.

Wäh­rend die­ses vir­tu­el­le Pan­ora­ma aus ver­wun­sche­nen Län­dern und Ar­chi­pe­len eine Col­la­ge von rea­lis­tisch wir­ken­den Ver­satz­stü­cken ist, er­scheint der Max Klin­ger ge­wid­me­te Raum viel abs­trak­ter, stil­ler, poe­ti­scher: »Klin­ger – Be­geh­ba­re Land­schaf­ten der Me­lan­cho­lie« heißt die­ser Sehn­suchts­raum in Schwarz­weiß, der sich hin und wie­der ei­nen Hauch an, ein Bad in ro­man­ti­schem Blau gönnt. Der Bo­den ist be­deckt mit rund 650 groß­for­ma­ti­gen Blät­tern aus Filz, un­ter de­nen sich Sen­so­ren be­fin­den, mit de­nen die Be­su­cher Klän­ge der Kla­vier­so­na­te Nr. 3 in f-Moll auf ei­nem au­to­ma­ti­schen Blüth­ner­flü­gel aus­lö­sen. Der dunk­le Raum wird be­herrscht von ei­nem Ge­spinst aus 5000 Me­tern Licht­fa­sern, ein os­zil­lie­ren­des Licht­ge­wirk, eine Ner­ven­bahn aus Licht, die sich un­merk­lich, in un­end­li­cher Lang­sam­keit be­wegt und pul­siert als wäre sie der Welt-Atem der Isolden-Verklärung.

Bleibt noch der Wag­ner-Raum und Hö­he­punkt na­mens »Hel­den­dis­play«: eine ki­ne­tisch-in­ter­ak­ti­ve Licht­skulp­tur, vor der 38 weib­li­che und männ­li­che Tor­si schwe­ben, jene »Hel­den«, die ihre ei­ge­nen Klang ha­ben, wenn der Be­su­cher ih­nen nahe kommt. Auf der rund sieb­zehn mal acht Me­ter gro­ßen Leucht­di­oden­wand in­sze­niert ro­sa­lie aus Licht und Far­be Stim­mungs­bil­der, Na­tur­phä­no­me­ne und Leit­mo­ti­ve, die syn­chron zu der von Mat­thi­as Ockert auf 21 Mi­nu­ten Spiel­zeit kom­pri­mier­ten Ring-Mu­sik lau­fen. Man kann die­ses abs­trak­te, akus­ti­sche, ar­che­ty­pi­sche, ar­chi­tek­to­ni­sche und an­ar­chi­sche Wag­ner­wun­der­werk von ei­ner Em­po­re aus an­schau­en, im Lie­ge­stuhl lie­gend oder un­ter den Fi­gu­ren um­her­wan­dernd. Und in­dem man es plötz­lich als nor­mal emp­fin­det, wenn hier die Flam­men ho­ri­zon­tal zün­geln, be­greift man auch das kri­ti­sche und iro­ni­sche Po­ten­zi­al die­ser Par­ti­tur aus Licht, Far­be und Per­spek­ti­ve. »Kin­der! macht Neu­es! Neu­es! und aber­mals Neu­es! – hängt Ihr Euch an’s Alte, so hat euch der Teu­fel der In­pro­duk­ti­vi­tät, und Ihr seid die trau­rigs­ten Künst­ler!«, schrieb Wag­ner am 8. Sep­tem­ber 1852 an Franz Liszt. ro­sa­lie sagt dazu la­pi­dar: »Ich hab’s ver­sucht.« Sie hat es nicht nur ver­sucht. Sie hat ihn verstanden.

ro­sa­lie Foto: Da­ni­el Mayer

Im Wag­ner-Jahr-Blog kam ro­sa­lie aus­führ­li­cher noch zwei­mal vor: zu ih­rem 60. Ge­burts­tag am 24. Fe­bru­ar und am 11. Juli, wo ich über den von ihr aus­ge­stat­te­ten Tann­häu­ser in Karls­ru­he be­rich­te­te. Mit Re­gis­seur Aron Stiehl hat sie zu­letzt er­neut zu­sam­men­ge­ar­bei­tet: zur Sa­lo­me von Ri­chard Strauss. Die Pre­mie­re am 17. Juni 2017 an der Oper Leip­zig wird jetzt ohne sie statt­fin­den müs­sen. Es ist maß­los trau­rig. In der Stutt­gar­ter Zei­tung hat Mir­ko We­ber ei­nen le­sens­wer­ten Nach­ruf auf sie ver­fasst, in der Ba­di­schen Zei­tung Alex­an­der Dick. Was für ein Verlust!