Alpträume im Irrenhaus

Bir­ger Rad­de als Woz­zeck und Ma­thi­as Frey als And­res Foto: SFF Fo­to­de­sign Hof

Egal ob ge­sell­schaft­li­cher Un­der­dog oder nicht: Heu­te weiß fast je­der, wie pre­kä­re Ar­beits­ver­hält­nis­se aus­se­hen und wie schnell ei­ner in den Wahn­sinn ge­trie­ben wer­den kann. So ge­se­hen müss­te Al­ban Bergs „Woz­zeck“ ein leich­tes Spiel für je­den Re­gis­seur sein, der auf Ver­ge­gen­wär­ti­gung aus ist. Doch Chris­ti­an Tom­beil hebt für sei­ne Neu­in­sze­nie­rung am Thea­ter Hof lei­der nur im Pro­gramm­heft auf die Ak­tua­li­tät des Werks ab. In sei­ner In­sze­nie­rung hin­ge­gen ver­rennt er sich mit sei­ner Aus­stat­te­rin Ga­brie­le Was­muth in ein ab­we­gi­ges Kon­zept, das die­sem Mei­len­stein des Mu­sik­thea­ters im 20. Jahr­hun­dert viel, aber glück­li­cher­wei­se nicht die gan­ze Spreng­kraft nimmt.

Der Re­gie­an­satz geht fehl, weil er die Hand­lung von vorn­her­ein in eine Art Ir­ren­haus ver­legt, in ei­nen wie ein ge­leer­tes Schwimm­bad wir­ken­den, weiß ge­ka­chel­ten Raum mit ei­nem schma­len Um­lauf und spo­ra­di­schen Öff­nun­gen. Dort er­lebt Pa­ti­ent Woz­zeck sein Le­ben als Alp­traum qua­si noch ein­mal – und ist wie­der­um Teil ei­nes Ex­pe­ri­ments. Sprich: Rea­le Fi­gu­ren sind nur er, der Dok­tor und die hin­zu­er­fun­de­ne As­sis­ten­tin, die sich per Papp­na­se in den Nar­ren ver­wan­delt. Alle an­de­ren sind ge­wis­ser­ma­ßen aus der Zeit ge­fal­le­ne Traum­ge­stal­ten zwi­schen Ge­org Büch­ner, Al­ban Berg und der abs­tra­hier­ten Jetzt­zeit, die der psy­chisch Kran­ke imaginiert.

Das klingt auf dem Pa­pier zu­nächst ein­mal gar nicht so ab­we­gig, in der Büh­nen­rea­li­tät je­doch ist viel zu viel um die Ecke ge­dacht. Mit schwer wie­gen­den Fol­gen: Es gibt auch an ent­schei­den­den Stel­len zu we­nig In­ter­ak­ti­on, Zwi­schen­mensch­li­ches, Be­rüh­run­gen – der Hand­lung und den Fi­gu­ren wird da­durch im­mer wie­der die dra­ma­tur­gi­sche Plau­si­bi­li­tät ge­nom­men. Der Abend be­ginnt mit ei­nem zu­sätz­li­chen Pro­log, in dem die frat­zen­haft mas­kier­te Groß­mutter Ma­ries Kind das Mär­chen vom ein­sa­men Kind er­zäh­len lässt.

Das et­was groß ge­ra­te­ne Drei­rad über­nimmt Woz­zeck, der zu­nächst ge­fühl­te Stun­den nur im Kreis her­um­ra­deln darf, da­mit auch der letz­te ka­piert hat, dass er jetzt un­be­dingt an ein Hams­ter­rad zu den­ken hat, wäh­rend der Haupt­mann und die an­de­ren dazu ver­dammt sind, auf dem schma­len Steg un­mo­ti­viert hin- und her zu ren­nen und die Hän­de zu rin­gen. Es gibt ziem­lich pe­ne­tran­te Pro­jek­tio­nen, sur­rea­le Sze­nen vor al­lem mit dem in die kli­ni­sche Woz­zeck-Welt ein­bre­chen­den Chor und das pas­sen­de Licht zum Mord an Ma­rie. Der Kna­be trägt üb­ri­gens den glei­chen An­zug wie sein Va­ter und darf für sein Hopp­hopp auf dem im­mer noch le­ben­di­gen Ti­tel­hel­den rei­ten, der zum Ende hin im sehr er­wart­bar sich ver­klei­nern­den Spiel­raum üb­rig bleibt.

Trotz­dem ist es kein ver­lo­re­ner Abend, denn ers­tens ist Bergs Oper selbst bei ei­nem ver­fehl­ten Re­gie­kon­zept wir­kungs­mäch­tig ge­nug, um das Pu­bli­kum in Bann zu zie­hen. Un­ter dem dy­na­misch klug und sän­ger­freund­lich do­sie­ren­den Arn Goer­ke ent­wi­ckeln die Ho­fer Sym­pho­ni­ker – ge­spielt wird die re­du­zier­te Or­ches­ter­fas­sung – ei­nen Sog, der selbst jene über­zeugt, die neun­zig Jah­re nach der Ur­auf­füh­rung im­mer noch skep­tisch sind ob der Zwölf­ton­mu­sik. Un­ter den So­lis­ten glänz­ten bei der Pre­mie­re vor al­lem die Ein­sprin­ge­rin Ya­mi­na Maa­mar als lo­dern­de Ma­rie, Kars­ten Jes­g­arz als schnei­den­der Haupt­mann und Bir­ger Rad­de in der Ti­tel­rol­le, der re­gie­lich be­dingt eher auf­tritt wie ein de­pres­si­ver Ro­man­ti­ker, der sel­ber am meis­ten er­schrickt über sei­ne Mordtat.

Be­such­te Pre­mie­re am 18. Sep­tem­ber 2015, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 7., 9., 11. und 25. Ok­to­ber; Kar­ten und In­fos auf der Home­page des Thea­ters Hof

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