»Wenn ich nur nicht so entsetzlich viel Briefe zu schreiben hätte! Ich komme rein zu gar nichts.« So lautet eine der vielen Klagen Richard Wagners über die Nötigung zum Briefeschreiben, hier in einem Brief vom 9. Oktober 1859 an den Sänger Joseph Tichatschek. Tatsächlich hat Wagner neben seinem künstlerischen Oeuvre und seinen Schriften ungefähr 10 000 Briefe hinterlassen. Diese sind unentbehrliche Quellen für die Kenntnis von Wagners Biographie und für das Verständnis seiner Werke und darüber hinaus zentrale Dokumente der Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Die im Jahr 1967 begonnene Ausgabe Richard Wagner: Sämtliche Briefe liefert erstmals eine wissenschaftlich-kritische Edition sämtlicher erreichbarer Briefe des Komponisten. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der umfassenden Kommentierung, die nicht nur den einzelnen Briefen, sondern auch größeren thematischen Zusammenhängen gewidmet ist. Bis heute sind von dieser Briefgesamtausgabe bereits 23 Bände erschienen, die – mit einer Lücke durch Band 20, der aber in absehbarer Zeit herauskommen wird – im Jahr 1830 starten und inzwischen bis Ende 1872 reichen.
Das Jahr 1872 war im Leben Richard Wagners von entscheidenden Ereignissen geprägt, aus denen der Umzug mit der Familie an den neuen Wirkungsort Bayreuth und die effektvoll inszenierte Grundsteinlegung des Festspielhauses herausstechen. Neben der Konsolidierung des jungen Festspielunternehmens arbeitete Wagner weiter am dritten Akt der Götterdämmerung, verfasste mehrere musiktheoretische Schriften und trieb die Veröffentlichung seiner Autobiografie Mein Leben voran. Und er schrieb täglich mindestens einen Brief.
In der Summe sind es tatsächlich 401 überlieferte Briefe und Telegramme allein aus diesem Jahr, die Martin Dürrer, seit 2015 Editionsleiter der Richard-Wagner-Briefausgabe am Institut für Musikforschung der Universität Würzburg, in dem neu erschienenen Band 24 ausführlich dokumentiert. Dürrer ist seit der wissenschaftlichen Neukonzeption 1999 der Edition kontinuierlicher Mitarbeiter und Herausgeber und kommt am Dienstag, 11. Oktober um 19.30 Uhr zu einem Vortrag ins Hotel Bamberger Hof. Er wird zunächst die Geschichte der editorischen Bemühungen um Wagners Korrespondenz kurz skizzieren, um dann in lockerer Folge ausgewählte Briefe aus den bisher erschienenen Editionsbänden im jeweiligen Lebens- und Schaffenskontext zu präsentieren.
Zur Person: Martin Dürrer wurde 1962 in Dortmund geboren. Nach dem Studium der Fächer Musikwissenschaft und Romanische Philologie an der Ruhr-Universität Bochum folgte 1991 der Abschluss als Magister Artium, 1993 die Promotion bei Werner Breig. Von 1993 bis 1997 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Musikwissenschaftlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum im Projekt »Richard-Wagner-Briefeverzeichnis« und zugleich Lehrbeauftragter. 1998 bis 2008 folgte die Mitarbeit in der Arbeitsstelle »Richard-Wagner-Briefausgabe« am Institut für Musikwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2009 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Musikforschung der Universität Würzburg im DFG-Langzeitprojekt »Richard-Wagner-Briefausgabe«. Martin Dürrer ist Herausgeber der Briefbände 11 (1859), 12 (1860), 13 (1861), 16 (1864), 17 (1865), 22 (1870), 24 (1872) und legte weitere Publikationen zu Leben und Schaffen Wagners vor. Von 2007 bis 2015 war er Mitglied des Herausgeberkollegiums, seit 2015 ist er Editionsleiter der Wagner-Briefausgabe. Die Briefbände erscheinen bei Breitkopf & Härtel.
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