Ein Nachruf auf die unvergleichliche Künstlerin rosalie, die auch die Wagnerszene nachhaltig bereichert hat.
Viel zu früh ist am 12. Juni 2017 im Alter von nur 64 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit in Stuttgart die unvergleichliche Künstlerin rosalie gestorben. Als erste Frau überhaupt stattete sie eine Ring-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen aus und wirkte mit ihren Bühnenbildern und Kostümen derart prägend, dass ihre Ausstattung zum Schlagwort für die gesamte Produktion wurde. Dabei stellte der Begriff vom »Designer-Ring« ihr Licht arg unter den Scheffel. Was rosalie an in der Erinnerung haftenden Ring-Bildern schuf, war weit mehr als bloßes Design aus ungewöhnlichen, nämlich Alltagsmaterialien. Es war bildnerische Poesie, die ihresgleichen suchte, es waren ihre Kombinationen aus zuweilen durchaus schon gegebenen Formen, aus Farben, Bewegung und Licht, die wie die grünen Regenschirme des Siegfried-Walds im 2. Akt sofort als einzigartig erkannt werden konnten.
Dabei waren die Arbeiten fürs Musiktheater und Ballett nur ein Teil von rosaliens Gesamtkunstwerk. Als bildende Künstlerin war sie eine Pionierin in der Arbeit mit Lichtleitfasern, die konkret schon mit dem Ring in Bayreuth begann und konsequent fortgesetzt wurde. Beispielhaft dafür sind ihre drei Kunst-Räume, die sie im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 in der Leipziger Weltenschöpfer-Ausstellung schuf. Hier dazu mein Bericht, der unter dem Titel »Ein universales Theater des Lichts« am 3. Juli 2013 in dem Blog Mein Wagner-Jahr auf der Homepage des Fränkischen Tags erschienen ist.
Von Rosalie – gesprochen: Rosalje – scheine ich einfach nicht loszukommen. Mein letzter Blogeintrag handelte von Richard Wagners Lieblingsschwester, heute steht schon wieder eine rosalie im Mittelpunkt, allerdings die mit Kleinschreibung, die in Wahrheit ganz schön groß ist. Um es vorwegzunehmen. Ihr Künstlername bezieht sich nicht auf die Schauspielerin Rosalie Marbach, geborene Wagner, sondern war unter anderem eher eine Hommage an ihren Lehrer und Mentor Jürgen Rose, von dem sie viel gelernt, sich aber auch früh und souverän emanzipiert hat. Als Bühnen- und Kostümbildnerin – und erst recht als bildende Künstlerin. Was man aktuell und noch bis 15. September in Leipzig überprüfen kann.
Für die Ausstellung »Weltenschöpfer« im Museum der bildenden Künste, die den drei Sachsen Richard Wagner, Max Klinger und Karl May gewidmet ist, hat sie drei überwältigende Kunst-Räume geschaffen, die ein Höhepunkt nicht nur des Wagnersjahrs, sondern des Kunstjahrs 2013 sind. Wobei es sich um eine Überwältigung handelt, die man sich gerne gefallen lässt, denn sie drängt sich nicht auf. Sie kommt eher spielerisch daher: mit elementarer Farbenpracht, mit ungemein zarten Schwarzweiß-Differenzierungen, mit Vogelsang, Wolfsgeheul, Brahms- und Wagnerklang, mit abstrakten und konkreten Sehnsuchtsräumen, mit einer Portion Ironie, viel Leichtigkeit und Lichtgeschwindigkeit. Und obwohl modernste Technik dahinter steht, ist es eine genuin weibliche Kunst, die so unmittelbar anspricht und Gefühle auslöst, dass man süchtig danach werden könnte.
rosalie? Ja, natürlich. Unter Wagnerianern hat sie sich unauslöschlich in die Erinnerung eingegraben, mit ihrer farbstarken und wirkungsmächtigen Ausstattung der Bayreuther Ring-Inszenierung Alfred Kirchners von 1994 bis 1998: mit dem Rheingold-Regenbogen aus Plastikeimern, mit den skulpturalen Kostümen und den ausladend gewandeten Walküren in ihren zeitgemäßen Luftrössern aus Kunststofflaminat, mit dem sanft wogenden Regenschirmwald in Siegfried, mit der in containerhafter Machtarchitektur bedrohlich festgefahrenen Gibichungenhalle in der Götterdämmerung und und und. Die nicht nur auf der Bühne des Festspielhauses noch nie dagewesenen Bildfindungen dieser Künstlerin, ihr ganz eigener Ring-Kosmos, sind in den Köpfen derer, die sie gesehen, erlebt haben, immer noch präsent. Von Wagner ist rosalie, die der Bayreuther Tristan-Regisseur Heiner Müller seinerzeit als »Die Königin der Buntheit« bezeichnete, nicht mehr losgekommen. 2005 übernahm sie in Basel für Tristan und Isolde neben Bühnenbild und Kostümen sogar die Verantwortung für die Inszenierung, 2012/13 durften gleich zwei Wagner-Werke in rosaliens Ästhetik baden: Lohengrin in Tokio in der Regie Matthias von Stegmanns und Tannhäuser in Karlsruhe mit Aron Stiehl.
Neben zahlreichen, stets unverwechselbar herausragenden Arbeiten für die Opern- und Ballettbühne macht rosalie von je her auch freie Kunst. Seit über zwei Jahrzehnten widmet sie sich dezidiert der Lichtkunst und ist mit ihren kinetischen Lichtskulpturen, Lichtkompositionen und spartenübergreifenden Aktionen mit Licht eine wegweisende Künstlerin des 21. Jahrhunderts. »Sie hat«, schreibt Peter Weibel in rosalie Lichtkunst, dem 2010 erschienenen Katalogband, »ein universales Theater des Lichts entwickelt, eine Lumino-Sphäre. Mit ihrer umfassenden Exploration der Möglichkeiten des Lichts als Gestaltungsmittel – in Bezug auf Bühne und Bild, Bewegung und Geschwindigkeit, sowie in Bezug auf Körper und Objekte, Musik und Malerei – hat sie den Tresor des Lichts für kommende Generationen geöffnet. Ihre Lichtinszenierungen sind wie Schiffe, die erstmals Koordinaten im Meer des Lichts vermessen und auslegen, denen noch viele Schiffe folgen werden; sie sind Navigationen in einem noch zu entdeckenden künstlerischen Kosmos des Lichts.«
Die drei Kunsträume mit den kinetisch-interaktiven Licht-Klang-Skulpturen rosaliens sind zwar nur ein Teil der Leipziger Ausstellung, aber sie sind ihr Zentrum. Denn ihr Zugriff ist, anders als bei der präsentierten Landschafts- und Historienmalerei des 19. Jahrhunderts sowie den Archiv- und Biografieräumen einiger ebenfalls befragter Zeitgenossen, eben nicht nur Rückschau, Illustration und heutiger Kommentar. Sondern sie schafft, mit den drei so titulierten Weltenschöpfern als Ausgangspunkt, ihr eigenes Gesamtkunstwerk. Licht ist dabei – spirituell einleuchtend und zugleich zukunftsweisend – das zentrale Ausdrucksmittel, aber nicht nur. Für den Betrachter sind fast alle Möglichkeiten der Selbst- und Außenwahrnehmung gegeben: Es geht um Sehen und Hören, Tasten und Fühlen, Bewegung, Rhythmus und Stillstand – und darum, was Kopf, Herz und Seele alles noch aus diesen Sinneseindrücken destillieren. Nur die Düfte, die Verführungen und Anmaßungen an den Geschmackssinn fehlen. Aber das wäre an rauschhaftem Kunst-Erleben vielleicht doch zu viel.
Für »May – Dead End« hat rosalie eine Schlucht, einen Canyon von 22 Metern Länge und 6,5 Metern Höhe auf schwarzem Lackgrund bauen lassen, eine zweiteilige kinetische Lichtskulptur, die sich in Form und Farbe, Licht, Bildern und Tönen ständig verändert. 136 elektronische Muskel-Aktuatoren sorgen für Bewegung, hauchen der Skulptur, die aus einem Gerüstsystem und bi-elastischem Gewebe besteht, Leben ein. 36 Beamer projizieren pausenlos monochrome und mehrfarbige Bilder, die man mit Karl May verbinden kann – Figuren, Szenerien und Reisefantasien aus den Romanen und Verfilmungen, virtuelle Landschaften mit Pflanzen, Bäumen und Bergen, Steppen, Wasserfällen und Wüsten. Dazu Sonnenaufgänge, Himmelsbläue, Sonnenuntergänge, auch abstrakte Bilder, die den Betrachter in die eigenen Fernwehträume ziehen, und akustische Idiome von Reise- und Naturgeräuschen – Regen und rieselnder Sand, Flugzeuglärm und stampfende Lokomotiven, sanftes Windrauschen, Pferdegetrampel, Kojotengeheul, Vogelrufe sowie Klänge aus zwei Karl May-Kompositionen. 21 Minuten dauert ein kompletter Loop, der aber immer wieder anders ist, weil die Besucher selbst Bewegungsmuster, Bilder- und Klangfolgen auslösen.
Während dieses virtuelle Panorama aus verwunschenen Ländern und Archipelen eine Collage von realistisch wirkenden Versatzstücken ist, erscheint der Max Klinger gewidmete Raum viel abstrakter, stiller, poetischer: »Klinger – Begehbare Landschaften der Melancholie« heißt dieser Sehnsuchtsraum in Schwarzweiß, der sich hin und wieder einen Hauch an, ein Bad in romantischem Blau gönnt. Der Boden ist bedeckt mit rund 650 großformatigen Blättern aus Filz, unter denen sich Sensoren befinden, mit denen die Besucher Klänge der Klaviersonate Nr. 3 in f-Moll auf einem automatischen Blüthnerflügel auslösen. Der dunkle Raum wird beherrscht von einem Gespinst aus 5000 Metern Lichtfasern, ein oszillierendes Lichtgewirk, eine Nervenbahn aus Licht, die sich unmerklich, in unendlicher Langsamkeit bewegt und pulsiert als wäre sie der Welt-Atem der Isolden-Verklärung.
Bleibt noch der Wagner-Raum und Höhepunkt namens »Heldendisplay«: eine kinetisch-interaktive Lichtskulptur, vor der 38 weibliche und männliche Torsi schweben, jene »Helden«, die ihre eigenen Klang haben, wenn der Besucher ihnen nahe kommt. Auf der rund siebzehn mal acht Meter großen Leuchtdiodenwand inszeniert rosalie aus Licht und Farbe Stimmungsbilder, Naturphänomene und Leitmotive, die synchron zu der von Matthias Ockert auf 21 Minuten Spielzeit komprimierten Ring-Musik laufen. Man kann dieses abstrakte, akustische, archetypische, architektonische und anarchische Wagnerwunderwerk von einer Empore aus anschauen, im Liegestuhl liegend oder unter den Figuren umherwandernd. Und indem man es plötzlich als normal empfindet, wenn hier die Flammen horizontal züngeln, begreift man auch das kritische und ironische Potenzial dieser Partitur aus Licht, Farbe und Perspektive. »Kinder! macht Neues! Neues! und abermals Neues! – hängt Ihr Euch an’s Alte, so hat euch der Teufel der Inproduktivität, und Ihr seid die traurigsten Künstler!«, schrieb Wagner am 8. September 1852 an Franz Liszt. rosalie sagt dazu lapidar: »Ich hab’s versucht.« Sie hat es nicht nur versucht. Sie hat ihn verstanden.
Im Wagner-Jahr-Blog kam rosalie ausführlicher noch zweimal vor: zu ihrem 60. Geburtstag am 24. Februar und am 11. Juli, wo ich über den von ihr ausgestatteten Tannhäuser in Karlsruhe berichtete. Mit Regisseur Aron Stiehl hat sie zuletzt erneut zusammengearbeitet: zur Salome von Richard Strauss. Die Premiere am 17. Juni 2017 an der Oper Leipzig wird jetzt ohne sie stattfinden müssen. Es ist maßlos traurig. In der Stuttgarter Zeitung hat Mirko Weber einen lesenswerten Nachruf auf sie verfasst, in der Badischen Zeitung Alexander Dick. Was für ein Verlust!
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