In der Wiederaufnahme der „Parsifal“-Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg aus dem Jahr 2016 triumphieren die Solisten, allen voran Elena Pankratova als sinnliche Kundry und Günther Groissböck als Gurnemanz.
Wer den Premierenzyklus in Bayreuth besucht, wird gewahr, dass keine Aufführung für sich alleine steht, sondern sich auf die Wahrnehmung der anderen auswirkt. Man stellt, ob man will oder nicht, Zusammenhänge her, vergleicht – und plötzlich können sich die Maßstäbe verschieben. Natürlich spielt auch der Gewöhnungsfaktor eine Rolle. Wenn man schon weiß, was einen erwartet, sieht man das zuvor Rätselhafte, Unverstandene, Fehlerhafte oder gar Abstoßende und Skandalöse in milderem Licht.
So erklärt sich, dass Inszenierungen, die im Premierenjahr heftig ausgebuht wurden, zunehmend akzeptiert werden und in ihrem letzten Aufführungsjahr sogar Begeisterungsstürme auslösen können. Das wurde und wird gerne nur damit begründet, dass Regisseure in der „Werkstatt Bayreuth“ weiter arbeiten und ändern dürfen. Aber vor allem arbeitet es auch in den scheinbar passiven Zuschauern.
Zumal Festspielinszenierungen dank der medialen Öffnung bzw. Vermarktung nicht mehr das Privileg von Kartenbesitzern sind. Man kann sie auch im Livestream, im Kino, in TV und Radio sowie auf DVD erleben. Wobei einschränkend festgestellt sei: Die Wahrnehmung einer Verfilmung ist durch die Nähe zu den Protagonisten eine völlig andere als im Festspielhaus. Die Bilder der zumeist ausschnitthaften Aufzeichnungen schaffen zwar Intimität, aber sie können Ansatz und Wirkung einer Aufführung völlig verfehlen.
Aus der 26. Parkettreihe besehen hat mich die „Parsifal“-Wiederaufnahme am Donnerstag insofern überrascht, als ich die bereits 2016 und 2017 besuchte Inszenierung erstmals überhaupt in Teilen positiv rezipieren konnte. Das liegt sicher daran, dass die regiehandwerklichen Defizite der vorangegangenen „Lohengrin“-Premiere stärker nachwirkten als die nach wie vor gegebenen großen konzeptuellen Schwächen der „Parsifal“-Umsetzung.
Hier gibt es zwar ebenfalls Probleme – nicht nur die Bühnentechnik bei den ohnehin unbefriedigend gelösten Verwandlungen knarzt immer noch bedenklich. Aber Regisseur Uwe Eric Laufenberg kann Personen und Chormassen so führen, dass sie das mich wenig überzeugende, auf Religionskritik abzielende Konzept zumindest glaubhaft umsetzen. Viel geändert hat er nicht. Anstelle des über dem Kirchenraum (Bühne: Gisbert Jäkel) sitzenden Securitymanns steht dort jetzt ein blonder Junge mit Pilgerstab (Kostüme: Jessica Karge) – vermutlich Parsifal als Knabe. Und das Blutabzapfen beim Gralsritual wird inzwischen derart zügig abgewickelt, dass kaum ein Gralsritter was davon abkriegen kann. Auch die im zweiten Verwandlungsfilm etwas unvermittelt auftauchenden und sich auflösenden Greisengesichter bzw. Totenmasken von Winifred, Wolfgang und Richard Wagner wirken aufgesetzt, passen aber irgendwie zum möchtegernkritischen Impetus des Regisseurs.
Während in den Vorjahren fast nur das Dirigat von Einspringer Hartmut Haenchen künstlerisch interessant und auf allerhöchstem Niveau war – warum diese überaus erfolgreiche Zusammenarbeit nicht fortgesetzt wurde, bleibt eine offene Frage an die Festspielleitung –, sind es diesmal die Solisten und der Chor, die dafür sorgen, dass das Bühnenweihfestspiel in Bayreuth nicht nur der Akustik wegen etwas ganz Besonderes ist.
Dass Wagners Weltabschiedswerk von der ersten bis zur letzten Note für dieses Haus komponiert wurde, war im Nachgang zum viel früher entstandenen „Lohengrin“ deutlicher als sonst zu hören, auch und gerade deshalb, weil der im Orchestergraben debütierende Semyon Bychkov in seiner Interpretation hörbar ins Opernhafte tendiert. Gefühlt deutlich langsamer als Haenchen kostet er die unterschiedlichen Tempi aus und hat dafür erfreulicherweise Gesangskünstler, die das alles nicht nur bewältigen, sondern beglückend ausfüllen.
Elena Pankratova ist seit ihrem Debüt 2016, was technische Brillanz, stimmliche Erotik und Ausdruckskraft betrifft, phänomenal in die Kundrypartie hineingewachsen. Wo sonst gibt es noch eine Kundry, die auch die extrem hohen und tiefen Noten so aussingen kann? Auf diesem Weltspitzenniveau befindet sich auch Günther Groissböcks Gurnemanz, der jede noch so leise Phrase wortverständlich singt. Andreas Schager in der Titelrolle hat hingegen kein Piano, besticht eher durch bloße tenorale Stimmkraft und die Verve, mit der er sich in seine Rollen wirft. Thomas J. Mayer als neuer Amfortas, Tobias Kehrer als neuer Titurel, Derek Welton als Klingsor und, bis auf einen Knappen, lauter vorzügliche Solisten sowie die Chöre wurden zu Recht ausgiebig gefeiert.
Besuchte Wiederaufnahmepremiere am 26. Juli 2018, Erstveröffentlichung im Feuilleton des Fränkischen Tags vom 28. Juli, weitere Vorstellungen am 1., 8.,14.,19. und 25. August.
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