Was die „Meistersinger“ mit Scham zu tun haben

End­lich gibt es am Grü­nen Hü­gel wie­der eine Pro­duk­ti­on, der man be­glückt Fest­spiel­ni­veau auf al­len Ebe­nen be­schei­ni­gen kann, wo­für zu­letzt (mit wech­seln­den Di­ri­gen­ten) die „Parsifal“-Inszenierung von Ste­fan Her­heim aus dem Jahr 2008 und die „Lohengrin“-Inszenierung von Hans Neu­en­fels aus dem Jahr 2010 stan­den. Die wür­di­ge Nach­fol­ge ist Bar­rie Kos­ky und Phil­ip­pe Jor­dan ge­glückt: Es ist seit den Neu­bay­reu­ther In­ter­pre­ta­tio­nen von Wag­ne­ren­kel Wie­land Wag­ner 1956 (mit dem schwe­ben­den Ho­lun­der­ku­gel­baum) und 1963 (die auf ei­ner Shake­speare­büh­ne spiel­te) die ers­te Pro­duk­ti­on die­ses Werks im Fest­spiel­haus von thea­ter­ge­schicht­li­chem Rang. Und sie geht mehr noch erst­mals in Bay­reuth auf ernst zu neh­men­de Wei­se der be­son­ders schwie­ri­gen Re­zep­ti­ons­ge­schich­te nicht aus dem Weg. Im Ge­gen­teil: Dass „Die Meis­ter­sin­ger von Nürn­berg“ im Nazi-Deutsch­land zur Reichs­par­tei­tags­oper avan­cier­ten und als Durch­hal­te­oper bei den Fest­spie­len so­gar noch 1944 ge­ge­ben wur­den, wird hier schon durch das ge­lun­ge­ne Büh­nen­bild (Re­bec­ca Ringst) the­ma­ti­siert. Ri­chard Wag­ners ein­zi­ge, wenn auch nicht so be­zeich­ne­te ko­mi­sche Oper im Bay­reuth-Re­per­toire spielt zwar im 1. Auf­zug im Wahn­fried-Sa­lon, aber wie im Akt­schluss sicht­bar wird, auch schon da im Rah­men von je­nem Ge­richts­saal in Nürn­berg, in dem die Al­li­ier­ten nach dem Zwei­ten Welt­krieg die NS-Kriegs­ver­bre­cher­pro­zes­se durchführten.

Bar­rie Kos­ky (das Au­to­gramm oben stammt vom 27. Au­gust) hat sich vor der Pre­mie­re selbst in ei­nem In­ter­view mit der New York Times als „schwu­les jü­di­sches Kän­gu­ru“ be­zeich­net. Und er­klärt, dass er als sol­ches spe­zi­ell mit den „Meis­ter­sin­gern“, in de­nen es um deut­sche Kunst und deut­sche Iden­ti­tät geht, sei­ne Schwie­rig­kei­ten ha­ben wür­de. Dass er – auch weil Fest­spiel­in­ten­dan­tin Ka­tha­ri­na Wag­ner ihn nach sei­ner spon­ta­nen Ab­sa­ge bat, die­se zu über­den­ken – die Her­aus­for­de­rung den­noch an­nahm, liegt an sei­nem spe­zi­el­len Zu­gang: Kos­ky ent­deck­te, dass er die Oper kon­kret durch Wag­ners Au­gen se­hen konn­te, „durch den de­for­mier­ten, sich selbst wi­der­spre­chen­den, frus­trie­rend kom­ple­xen Ge­ni­us Wag­ners“. Was wört­lich zu neh­men ist: Wag­ner als Per­son ist das Zen­trum des Stücks. Und um ihn krei­sen jene, die auch real das Haus Wahn­fried mit Le­ben füll­ten: sei­ne Hun­de, Kin­der und Frau Co­si­ma, Schwie­ger­va­ter Franz Liszt, die Die­ner­schaft – und nicht zu­letzt der jü­di­sche Di­ri­gent Her­mann Levi.

Der Abend be­ginnt lau­nisch, mit ei­ni­gen wie auf ei­ner al­ten Schreib­ma­schi­ne ge­tipp­ten In­fos zu dem, was die Zu­schau­er er­war­tet. Spä­tes­tens die Tem­pe­ra­tur­an­ga­be mit 23 Grad Cel­si­us sorgt für all­ge­mei­ne Hei­ter­keit, ganz un­ab­hän­gig von der real ge­ge­be­nen Wet­ter­la­ge. Schon wäh­rend des Vor­spiels rollt eine Sze­ne ab, wie sie sich ähn­lich viel­fach in Ho­tels oder Woh­nun­gen Wag­ners ab­ge­spielt hat: Der „Meis­ter“ prä­sen­tiert im Fa­mi­li­en-, Freun­des- und Mit­ar­bei­ter­kreis ei­nes sei­ner Wer­ke, sprich: die „Meis­ter­sin­ger“, singt und spielt fast alle Rol­len – und ist als Per­son und als Sän­ger­dar­stel­ler von raum­fül­len­der Aus­strah­lung. Was sich un­ter an­de­rem da­durch aus­drückt, dass es ihn nicht nur ein­mal gibt, son­dern in ei­ni­gen Haupt- und Ne­ben­ver­sio­nen: Er ist na­tür­lich Hans Sachs, aber auch Walt­her von Stolz­ing, ist so­gar Da­vid – und wird auch noch von zwei Kna­ben ver­kör­pert, selbst­ver­ständ­lich mit Wag­ner­kap­pe und ver­früh­tem Backenbart.

Sein ers­ter Auf­tritt über­rum­pelt das Pu­bli­kum: Wag­ner-Sachs kommt mit den Neu­fund­län­dern Mar­ke und Mol­ly in den Sa­lon ge­fegt, ge­folgt von ei­nem Dienst­mäd­chen, das hin­ter den Hun­den den Bo­den wischt. Er über­ant­wor­tet die Hun­de Levi, der ei­nen ers­ten stil­len Kampf aus­ficht zwi­schen der Ba­lan­ce sei­ner Mok­ka­tas­se und den an der Lei­ne zie­hen­den Tie­ren. Die Wahn­fried-Bur­les­ke zeigt Co­si­ma mit Mi­grä­ne und ih­ren Gat­ten glück­lich beim Aus­pa­cken di­ver­ser Pa­ke­te – als ers­tes mit den auf die kom­men­de Sachs-Rol­le wei­sen­den neu­en Schu­hen, dann mit kost­ba­ren Stof­fen und Par­fums so­wie dem be­kann­ten Len­bach-Por­trät Co­si­mas. Dass Wag­ners Schwie­ger­va­ter aus dem ge­öff­ne­ten Flü­gel steigt, wun­dert hier nie­man­den und ist nur der An­fang. Denn es fol­gen Stolz­ing, Da­vid, die Kin­der – und der Rei­he nach klet­tern oder pur­zeln in Re­nais­sance­kos­tü­men spä­ter so­gar die Meis­ter aus dem wun­der­sa­men Instrument.

Doch zu­vor ist ein ers­tes Stüh­le­rü­cken an­ge­sagt. Die han­deln­den Per­so­nen for­mie­ren sich zu ei­ner klei­nen Haus­an­dacht, die sich ge­wa­schen hat. Im über­wie­gend pro­tes­tan­ti­schen Wag­ner­haus­halt wird zum Ka­tha­ri­nen­kir­chen-Cho­ral aus dem Off brav ge­be­tet – und der kö­nig­li­che Ka­pell­meis­ter Levi, der für die zwei­ten Fest­spie­le 1882 ein Muss sein wird, weil Kö­nig Lud­wig II. nur mit ihm zu­sam­men auch das Hof­opern­or­ches­ter für Bay­reuth frei­gibt, lässt sich durch miss­bil­li­gen­de Bli­cke und Ges­ten Wag­ners und Abbé Liszts auf die Knie zwin­gen: die ers­te gro­ße Aus­gren­zung an die­sem Abend. Bar­rie Kos­ky und die zwei über­ra­gen­den Sän­ger­dar­stel­ler Mi­cha­el Vol­le (Wagner/​Sachs) und Jo­han­nes Mar­tin Kränz­le (Levi/​Beckmesser) zei­gen be­reits hier in gro­ßer Meis­ter­schaft, dass in die­ser In­sze­nie­rung bei­des un­ter ei­nen Hut ge­bracht wer­den kann: Der hei­te­re mu­si­ka­li­sche Grund­cha­rak­ter der „Meis­ter­sin­ger“ wird be­dient, aber die un­an­ge­neh­men Im­pli­ka­tio­nen, die sich um das Stück und sei­nen Kom­po­nis­ten ran­ken, sind nicht aus­ge­klam­mert, son­dern wer­den durch­aus schmerz­lich the­ma­ti­siert. Schon die­se klei­ne und doch so gro­ße Sze­ne löst et­was aus, das mir bei den »Meis­ter­sin­gern« noch nie pas­siert ist: Ich habe mich für den An­ti­se­mi­ten und Ras­sis­ten Ri­chard Wag­ner geschämt.

Wag­ner, wie Mi­cha­el Vol­le ihn auf die Büh­ne bringt, ist ein Tsu­na­mi – ein vir­tuo­ser Treib­auf, mal cha­ris­ma­tisch und bril­lie­rend, mal ner­vend und schreck­lich selbst­ge­recht, ein un­ent­weg­ter Wer­be­spot für sich selbst und sein Werk, aber im­mer wie­der auch der lie­bens­wer­te Ego­ma­ne, dem man wie nicht we­ni­ge sei­ner Zeit­ge­nos­sen ger­ne fast al­les ver­zeiht. Eine klei­ne Sze­ne mit Liszt il­lus­triert das: Wag­ner, der be­kannt­lich ein nur mä­ßi­ger Kla­vier­spie­ler war, maßt sich an, dem ihm um Licht­jah­re über­le­ge­nen Vir­tuo­sen zu zei­gen, wie er eine be­stimm­te Stel­le zu spie­len hat – und der lässt sich das ge­fal­len. Plötz­lich ver­steht man, dass Liszt nicht nur ein au­ßer­ge­wöhn­li­cher Künst­ler, son­dern auch ein au­ßer­ge­wöhn­li­cher Freund war. Um­ge­kehrt sieht man den er­fri­schend jun­gen, stets hip­pe­li­gen Lehr­bu­ben Da­vid et­was an­ders, wenn er als Lehr­meis­ter im Wag­ner­kos­tüm die Re­geln haar­klein und in al­len Duft­kom­po­nen­ten zu er­klä­ren weiß.

Im Wahn­fried-Akt tri­um­phiert das Ko­mö­di­an­ti­sche. Der Re­gis­seur macht sich zu­sam­men mit sei­nem stil­si­che­ren Kos­tüm­bild­ner (Klaus Bruns) ei­nen Spaß dar­aus, die klein­bür­ger­li­che Ge­müt­lich- und Harm­lo­sig­keit, in der sich schreck­lich vie­le „Meistersinger“-Inszenierungen ein­ge­rich­tet ha­ben, ge­konnt auf die Schip­pe zu neh­men. Was für ein wun­der­ba­rer, buch­stäb­li­cher Run­ning Gag sind die Auf­trit­te der Lehr­bu­ben, die wie ein Spuk im­mer nur in den Sa­lon her­ein­bre­chen, wenn sie et­was zu sin­gen ha­ben. Und wie herr­lich sind die in­di­vi­du­ell ge­zeich­ne­ten, ei­nem Re­nais­sance­ge­mäl­de ent­sprun­ge­nen Meis­ter, wenn sie – so viel au­then­ti­sche But­zen­schei­ben­ro­man­tik möch­te auch in Wahn­fried sein! – die Blech­schach­tel mit Leb­ku­chen her­um­ge­hen las­sen und uni­so­no mit ih­ren Löf­fel­chen an die Tas­se klop­fen, um die An­we­sen­heits­lis­te zu be­stä­ti­gen und den Re­gu­la­ri­en Tri­but zu zol­len! Wo­bei sie im All­tag er­kenn­bar mehr Frei­raum zu­las­sen, als sich das im Li­bret­to liest: Der Kup­fer­schmied Hans Folz (Timo Ri­iho­nen) ist ganz of­fen­sicht­lich schwul und pflegt Stolz­ing­wag­ner an­zu­him­meln, als wäre der ein Pop­star vom Ka­li­ber ei­nes Mi­cha­el Jackson.

Stolz­ing ist kein stol­zer, ir­gend­wie ab­ge­ho­be­ner Rit­ter, son­dern – weil hier ja auch der jun­ge, re­vo­lu­tio­nä­re Ri­chard Wag­ner in ihm steckt – ein ge­stan­de­nes Manns­bild mit Hu­mor. Bar­rie Kos­ky nutzt da­bei, was die meis­ten sei­ner Kol­le­gen lei­der brach lie­gen las­sen, näm­lich das ko­mö­di­an­ti­sche Ta­lent von Klaus Flo­ri­an Vogt, der un­ter an­de­rem ganz herr­li­che Schnu­ten und Gri­mas­sen zie­hen kann und darf. Die Par­tie kon­kur­renz­los gut sin­gen kann er oh­ne­hin. We­sent­lich di­stin­gu­ier­ter gibt sich da zu­nächst Jo­han­nes Mar­tin Kränz­le als Beck­mes­ser: Das ist ein wohl­erzo­ge­ner Mann, der selbst­ver­ständ­lich stets ein sau­be­res Ta­schen­tuch bei sich trägt, das er nach dem Be­nut­zen ak­ku­rat zu­sam­men­fal­tet, und sein But­ter­brot so isst, dass et­wa­ige Krü­mel ga­ran­tiert ins sorg­fäl­tig aus­ge­brei­te­te Pa­pier fal­len. Das tur­bu­len­te Ende des 1. Akts gip­felt dar­in, dass der Wahn­fried-Sa­lon sich plötz­lich nach hin­ten be­wegt und erst­mals er­kenn­bar wird, wo das Stück tat­säch­lich spielt: nicht um die Mit­te des 16. Jahr­hun­derts in Nürn­berg, son­dern 1945/46, im Ver­hand­lungs­saal des In­ter­na­tio­na­len Mi­li­tär­ge­richts­hofs im Nürn­ber­ger Justizpalast.

Der 2. Auf­zug be­ginnt mit ei­ner wie­der­um ge­tipp­ten Lie­bes­er­klä­rung Wag­ners an Co­si­ma – und ei­nem bild­ne­ri­schen Coup: Der mit grü­nem Kunst­ra­sen aus­ge­leg­te, lee­re Ge­richts­saal ist gleich­zei­tig eine Ro­man­tik-Idyl­le mit der Uhr als Voll­mond, eine vor­weg­ge­nom­me­ne Fest­wie­se auch, denn im 3. Akt wird es kei­ne ge­ben – und wo­mög­lich ein Sinn­bild da­für, dass man nicht nur über die Re­zep­ti­ons­ge­schich­te der »Meis­ter­sin­ger« ger­ne das Gras hat wach­sen las­sen. Zu­erst sieht man Wag­ner-Sachs und Co­si­ma-Eva beim Pick­nick, ver­mut­lich in ei­ner pa­ra­die­sisch sein sol­len­den Peg­nitz­aue, wo es kei­ne Peg­nitz gibt, da­für mit­ten­drin merk­wür­di­ger­wei­se eine Art Red­ner­pult steht – oder ist es ein Zeu­gen­stand? Spä­ter kom­men noch ein Lehn­stuhl und ein Fuß­bänk­chen dazu – und fer­tig ist die Schus­ter­stu­be. Al­les wirkt im­pro­vi­siert und be­dient doch ge­nau die Hand­lung. Aus­ge­rech­net in die­sem dop­pel­bö­di­gen Kunst­raum, des­sen tie­fe­rer Sinn sich beim ers­ten Se­hen nicht un­mit­tel­bar er­schließt, funk­tio­niert üb­ri­gens end­lich ein­mal, dass die Stim­men von Eva und Stolz­ing, wenn sie sich vor den an­de­ren vor, ne­ben und hin­ter dem Pult, in den rie­si­gen blau­en Vor­hän­gen auf der rech­ten Sei­te oder hin­ter dem Co­si­ma-Ge­mäl­de ver­ste­cken, sinn­fäl­lig und gut zu hö­ren sind. Ein Bei­spiel da­für, wie hier auch mu­si­ka­lisch un­ge­mein de­li­kat ge­ar­bei­tet wird.

Es ist ein Spiel im Spiel im Spiel. Stolz­ing spart sei­nen Zorn nicht und sticht mit sei­ner Waf­fe hef­tig auf ei­nen der um­her­geis­tern­den Mu­si­kan­ten ein, so dass der schein­bar töd­lich ge­trof­fen zu Bo­den sinkt, aber flugs wie­der auf­steht und ent­schwin­det. Es ge­hört zu die­sem span­nen­den Abend, dass die Spiel­ebe­nen manch­mal so ver­schwim­men, dass man nicht im­mer weiß, wann was wo pas­siert und war­um und trotz­dem den Ein­druck hat, dass al­les au­then­tisch wirkt und dra­ma­tur­gisch stimmt. Und al­les ge­schieht mit ei­ner Selbst­ver­ständ­lich­keit und »Na­tür­lich­keit«, dass man die Hand­lung trotz ih­res dop­pel­ten Bo­dens gern für bare Mün­ze nimmt. Auf den ers­ten nächt­li­chen Spuk mit den Mu­si­kan­ten folgt die Prü­gel­sze­ne – mit Bil­dern, die nie­mand ver­ges­sen kann.

Der Ra­sen, der über man­ches ge­wach­sen ist, wird hoch­ge­zo­gen und dar­un­ter tut sich der Ab­grund auf, den kei­ner von sich aus un­mit­tel­bar mit der „Meistersinge“«-Prügelszene in Ver­bin­dung brin­gen wür­de und den auch nur ein Re­gis­seur so weit öff­nen kann, der aus ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie stammt: Dass der im Wahn­fried-Pro­log als Her­mann Levi ein­ge­führ­te Beck­mes­ser ein Jude ist, wird jetzt noch schmerz­li­cher deut­lich. Plötz­lich rast die Uhr rück­wärts und Beck­mes­ser wird (de­zi­diert un­ter dem Wag­ner-Por­trät von Cä­sar Wil­lich aus der Ent­ste­hungs­zeit der „Meis­ter­sin­ger“) zu­sam­men­ge­schla­gen und ge­de­mü­tigt, wie es die Na­zis hun­dert-, tau­send- und mil­lio­nen­fach in Deutsch­land ge­tan ha­ben. Er be­kommt eine rie­si­ge Mas­ke auf­ge­setzt, die eine Ju­den­ka­ri­ta­tur zeigt, die aus dem „Stür­mer“ des frän­ki­schen NS-Gau­lei­ters Ju­li­us Strei­cher stam­men könn­te. Die Mas­ke ist so schwer, dass er sich kaum auf den Bei­nen hal­ten kann und des­halb ei­nen merk­wür­di­gen Tanz ab­sol­viert, der ihn gleich noch mehr zur Ka­ri­ka­tur macht. Der Alp­traum hat aber noch kein Ende. Über dem Pult bläht sich fast in Büh­nen­hö­he eine noch viel grö­ße­re Ju­den­frat­ze auf, un­ter der Beck­mes­ser fast ganz ver­schwin­det. Ge­spens­tisch schnell ver­flüch­tigt sich das Volk, nur Sachs bleibt hin­ten in der Ecke ste­hen und sieht be­trof­fen zu, wie der Bal­lon­kopf lang­sam in sich zu­sam­men­sinkt und sich dem Pu­bli­kum zu den zar­tes­ten Som­mer­nachts­klän­gen schließ­lich nur noch die Kip­pa mit dem Da­vid­stern zeigt.

Beim ers­ten Se­hen – nicht im Fest­spiel­haus, son­dern im Live­stream des Baye­ri­schen Rund­funks – fand ich die Ver­dop­pe­lung und Ver­grö­ße­rung der Ju­den­ka­ri­ka­tur noch über­trie­ben. Das hat sich bei mei­nen fol­gen­den fünf (!) Be­su­chen von „Meistersinger“-Vorstellungen in Bay­reuth schnell ge­än­dert. Die Wir­kung der Prü­gel­sze­ne ist rich­ti­ger­wei­se dras­tisch, wenn man den An­satz des Re­gis­seurs ernst nimmt. Hier – und nur hier – greift Bar­rie Kos­ky zum Holz­ham­mer, wählt ein Bild, das deut­lich macht, wo­hin ras­sis­ti­sche Aus­gren­zung ge­führt hat und im­mer wie­der füh­ren kann, wenn eine Ge­sell­schaft nicht auf­passt, die Warn­zei­chen über­sieht und Po­pu­lis­ten nach­läuft. Auch wäh­rend die­ser Sze­ne habe ich mich zu­tiefst ge­schämt – nicht über Wag­ner, son­dern über mei­ne Vor­fah­ren, über die Deut­schen, über mein“ Volk, das der­lei nicht nur zu­ge­las­sen, son­dern mehr­heit­lich auf al­len Ebe­nen mit­ge­tra­gen hat – wie das „Meistersinger“-Volk auf der Bühne.

Be­vor der 3. Auf­zug be­ginnt, ver­passt der Re­gis­seur dem Pu­bli­kum gleich noch eine bit­te­re Pil­le. Die Text­ein­blen­dung be­rich­tet vom größ­ten bri­ti­schen Luft­an­griff auf Nürn­berg am 2. Ja­nu­ar 1945 und da­von, dass deut­sche Ab­fang­jä­ger die Bom­ber mit ei­ner neu­en Waf­fen­tech­nik mit dem Code­na­men „Schrä­ge Nacht­mu­sik“ be­kämpf­ten. Gleich noch­mals habe ich mich ge­schämt, denn die­ser Text zielt auf den Re­flex, Na­zis nur als un­ge­bil­de­te, kul­tur­lo­se Roh­lin­ge se­hen zu wol­len. Nein, die Tä­ter wa­ren auch Mu­sik-, Opern-, Thea­ter- und Kunstliebhaber.

Der Schus­ter­stu­ben- und Fest­wie­sen­akt spielt voll­ends im jetzt kom­plett mö­blier­ten Ge­richts­saal. Vor­ne links sitzt nach­denk­lich an ei­nem im­pro­vi­sier­ten Ess­tisch Sachs, der von Da­vid (sän­ger­dar­stel­le­risch sen­sa­tio­nell: Da­ni­el Beh­le), der mensch­li­chen In­kar­na­ti­on des sin­gen­den und sprin­gen­den Lö­wenecker­chens, auf­ge­schreckt wird und ei­nen trau­rig bit­te­ren und lie­be­vol­len Wahn-Mo­no­log singt, der ei­nem die Trä­nen in die Au­gen treibt. Voll­auf zu prei­sen ist auch die zwei­te Sze­ne: End­lich darf das Pu­bli­kum se­hen, dass selbst ein ge­nia­ler Dich­ter­kom­po­nist erst ein­mal nach­den­ken muss, be­vor er zu sei­ner Mor­gen­traum­deut­wei­se an­he­ben kann, darf mit­er­le­ben, dass er sie eben ge­ra­de erst er­fin­det und da­für Zeit braucht. Auch das ist ein Mus­ter­bei­spiel für die über­aus ge­lun­ge­ne und dif­fe­ren­zier­te mu­si­ka­li­sche In­ter­pre­ta­ti­on, die ohne den mit der Re­gie mit­den­ken­den und sie tra­gen­den Di­ri­gen­ten nicht mög­lich wäre.

Wie schon im 2. Auf­zug ist die Sze­ne Beck­mes­ser-Sachs ein Hö­he­punkt des an Hö­he­punk­ten weiß Gott nicht ar­men Abends. Beck­mes­ser, den ei­nen Arm in ei­ner Schlin­ge, die lä­dier­ten Fin­ger der an­de­ren Hand ver­bun­den, kommt nicht ge­bückt her­ein, son­dern quert den Saal in ta­del­lo­ser Hal­tung, ker­zen­ge­ra­de und stock­steif, wie ein ta­del­los as­si­mi­lier­ter jü­di­scher Leh­rer oder Of­fi­zier anno da­zu­mal. Die Mu­sik bringt ihn dazu, das Trau­ma der vor­an­ge­gan­ge­nen Nacht noch ein­mal zu durch­le­ben – was dies­mal die ihn be­drän­gen­den zwer­gen­haf­ten Schtetl-Ju­den nur noch ver­stär­ken. Jo­han­nes Mar­tin Kränz­le ist ein in­tel­li­gen­ter und sou­ve­rä­ner Sän­ger­dar­stel­ler, der den Mut hat, auch ein den ras­sis­ti­schen Kli­schees ent­spre­chen­der Beck­mes­ser zu sein, der sab­belt, zap­pelt, sich zu­neh­mend ver­rennt, kiekst und Kau­der­welsch von sich gibt – und sei­nen Spit­zen­ton ver­fehlt (den er selbst­ver­ständ­lich drauf hat). Ähn­lich in­ten­si­ve Sän­ger­leis­tun­gen habe ich seit dem le­gen­dä­ren Chéreau-„Ring“ in Bay­reuth nicht mehr erlebt.

Glei­ches gilt für Mi­cha­el Vol­le, der sich bei der Vor­stel­lung am 7. Au­gust vor dem 3. Auf­zug an­sa­gen las­sen muss­te und die Mam­mut­par­tie mit be­wun­derns­wer­ter Pro­fes­sio­na­li­tät öko­no­misch so ge­schickt meis­ter­te, dass das Gros des Pu­bli­kums die nicht un­er­heb­li­che In­dis­po­si­ti­on gar nicht be­merk­te. Auch in den noch fol­gen­den Vor­stel­lun­gen spar­te Vol­le an den rich­ti­gen Stel­len ein biss­chen und so ge­konnt, dass das nur sehr fei­nen Oh­ren auf­fal­len konn­te. Sein Bay­reu­ther Sachs ist phä­no­me­nal. Über­haupt ist es das gro­ße Glück die­ser Pro­duk­ti­on, dass die Haupt­rol­len Sachs, Beck­mes­ser, Stolz­ing und Da­vid mit Sän­gern be­setzt wer­den konn­ten, die im Ze­nit ih­rer gro­ßen Kunst sind, ge­ra­de auch in die­sen Par­tien. Durch den tie­fe­ren, sehr weit rei­chen­den Sinn, den die In­sze­nie­rung schafft, ist es ver­mut­lich auch für die So­lis­ten selbst eine Art Voll­endung. Bes­ser kann man das nicht ma­chen, nur an­ders. Wag­ner selbst wäre be­geis­tert ge­we­sen: Von Sän­ger­dar­stel­lern die­ses Ka­li­bers hat er sein Le­ben lang geträumt.

Un­ter den wei­te­ren Haupt­so­lis­ten sind ne­ben Gün­ther Groiss­böck als Liszt und Po­gner so­wie Wieb­ke Lehm­kuhls Mag­da­le­ne her­vor­ra­gend. Dass bei den grö­ße­ren Rol­len ein­zig Anne Schwa­ne­wilms als Eva und Co­si­ma von vorn­her­ein mit Ab­stri­chen ge­wer­tet wer­den muss, hat meh­re­re Grün­de. Die ver­sier­te Wag­ner- und Strauss-Sän­ge­rin lehn­te die Par­tie zu­nächst ab, was man aus Al­ters­grün­den gut nach­voll­zie­hen kann. Wie könn­te sie auf Dau­er Eva glaub­wür­dig ver­kör­pern, wenn sie re­du­ziert wird auf ein un­ge­dul­di­ges, zapp­li­ges jun­ges Ding? Dass Bar­rie Kos­ky ge­nau das woll­te, lässt dar­auf schlie­ßen, dass er in die­sem Punkt die Fol­gen sei­nes Kon­zepts (Dra­ma­tur­gie: Ul­rich Lenz) nicht ab­se­hen konn­te oder woll­te. An­ders als die Fi­gu­ren­dop­pe­lun­gen bei den männ­li­chen Haupt­fi­gu­ren geht die Glei­chung Eva = Co­si­ma nicht so über­zeu­gend auf. Im Ge­gen­teil: Da­durch, dass Anne Schwa­ne­wilms zu­min­dest bei den ers­ten zwei Vor­stel­lun­gen nicht gut bei Stim­me war (was lei­der nicht an­ge­sagt wur­de), fühl­te die Sän­ge­rin sich dop­pelt un­si­cher und un­wohl in der Rol­le, wur­de so­gar aus­ge­buht – und das ist ein Un­ding! Wer Sän­ger buht, hat schlicht­weg kei­ne Ah­nung da­von, was Opern­ge­sang ist, näm­lich kör­per­li­ches und geis­ti­ges Mul­ti­tas­king auf höchs­tem Kon­zen­tra­ti­ons­ni­veau bei gleich­zei­tig größt­mög­li­cher Lo­cker­heit, wo­bei schon kleins­te Be­ein­träch­ti­gun­gen des Stimm­ap­pa­rats sich dra­ma­tisch aus­wir­ken können.

Der ne­ga­ti­ve Bei­geschmack bei der all­zu sche­ma­ti­schen Eva-Co­si­ma-Fi­gur bleibt, zu­mal auch der Tanz von Da­vid und den zwei Mini-Wag­ners um das Co­si­ma-Bild­nis in der Fest­wie­se auf­ge­setzt wirkt. Was soll uns das sa­gen? Dass die „hohe Frau“ sich sel­ber an­be­tungs­wür­dig fand und wo­mög­lich die schlim­me­re An­ti­se­mi­tin war? Viel­leicht war sie das, aber sie hat sehr viel län­ger ge­lebt als ihr Göt­ter­gat­te R. und hat­te das Pech, zu­letzt in Oli­ver Hil­mes ei­nen mei­nungs­bil­den­den Bio­gra­fen zu ha­ben, der lei­der nur zu ger­ne in gän­gi­ge Schub­la­den greift und die­se viel­schich­ti­ge Frau viel zu ein­sei­tig prä­sen­tiert. An Eva-Co­si­ma könn­te Bar­rie Kos­ky nach­bes­sern. Das ist er der Sän­ge­rin eben­so schul­dig wie der Fi­gur. Und der sonst so vir­tuo­se Be­leuch­ter Franck Evin darf noch das Licht kor­ri­gie­ren, das im 2. und 3. Auf­zug nicht ganz kor­rekt aus den ho­hen Fens­tern rechts fällt.

Und noch ein Werk­statt-Auf­trag: So bril­lant der Re­gis­seur sonst auch gro­ße Men­schen­men­gen zu füh­ren weiß und blitz­ar­tig auf­tau­chen und ver­schwin­den las­sen kann, für die Fest­wie­sen­sze­ne reicht es eben nicht aus, die hef­tig be­weg­ten Mas­sen im­mer wie­der ein­zu­frie­ren und dann wie­der Fah­nen schwen­kend her­um­to­ben zu las­sen. Im­mer­hin gibt es auch hier Stoff zum Nach­den­ken: Wenn die ein­zel­nen Meis­ter ein­mar­schie­ren, wer­den sie vom Volk ap­plau­diert und be­ju­belt wie in ei­ner Fern­seh­show. Nur bei Beck­mes­ser rührt sich kei­ne Hand. Die Aus­gren­zung geht wei­ter, wird von Män­nern und Frau­en glei­cher­ma­ßen gna­den­los prak­ti­ziert und wird nicht auf­ge­ho­ben. Nach sei­nem ver­patz­ten Auf­tritt wird der Mer­ker von zwei Cho­ris­ten ge­packt und ziem­lich un­freund­lich durch die klei­ne Ne­ben­tür rechts nach drau­ßen abgeschoben.

Es ist ein tol­ler Kunst­griff, dass Sach­sens Schluss­an­spra­che im lee­ren Ge­richts­saal statt­fin­det. Das Volk, die Mu­si­kan­ten und Fah­nen­trä­ger, die Meis­ter mit Po­gner und Koth­ner, Eva, Stolz­ing, Da­vid und Mag­da­le­ne: Sie sind alle weg. Was Wag­ner-Sachs zu sa­gen hat, rich­tet er, wie es der Kom­po­nist ur­sprüng­lich und in ei­ner kür­ze­ren Ver­si­on vor­ge­se­hen hat­te, di­rekt und nur ans Pu­bli­kum – zu­erst von die­sem schnör­kel­los ein­fa­chen Pult aus, das eher ein Zeu­gen­stand ist, aber auch eine An­kla­ge­bank sein kann. Wenn Bar­rie Kos­ky dann ganz real die Mu­sik spre­chen lässt, in­dem er für den dann di­ri­gie­ren­den Wag­ner ein Or­ches­ter samt Chor her­ein­fah­ren lässt, ob­liegt es den Zu­schau­ern selbst zu ur­tei­len, was sie da­von hal­ten und ob C-Dur ein­fach C-Dur ist oder nicht doch auch Er­kennt­nis­se und Ein­trü­bun­gen mit schwin­gen und hör­bar wer­den kön­nen. Wie auch im­mer: Das ist kein „Frei­spruch für Wag­ner“, wie es auf der re­launch­ten Web­site der Fest­spie­le ein Mit­ar­bei­ter des Pres­se­bü­ros am 25. Juli 2017 ti­tel­te und un­ter an­de­rem schrieb: „Auf den Ti­schen von Rich­tern, Ver­tei­di­gung und An­kla­ge tanzt sich das Volk sei­nen Wag­ner aus den An­kla­ge­ak­ten zu­rück.“ Ei­gent­lich müss­te Bar­rie Kos­ky sich von die­sem, sei­ne of­fe­ne Lö­sung des­avou­ie­ren­den Text der Fest­spie­le distanzieren.

Und die Mu­sik? Na­tür­lich ist sie atem­be­rau­bend schön, und ja: Sie kann ei­nen zwar zu­wei­len trau­rig, aber vor al­lem glück­lich ma­chen. Wo­mit noch an­ge­spro­chen sei, dass Phil­ip­pe Jor­dan, das Fest­spiel­or­ches­ter und der von Eber­hard Fried­rich ein­stu­dier­te Fest­spiel­chor schon bei der Pre­mie­re eine gute Ge­samt­leis­tung ab­ge­ge­ben ha­ben, aber mit je­der Vor­stel­lung noch ein biss­chen bes­ser ge­wor­den sind. Das ist nor­mal bei ei­ner Neu­pro­duk­ti­on, die im­mer noch ein paar Pro­ben mehr brau­chen könn­te. Der An­satz des Di­ri­gen­ten ist klar: Es geht ihm um ei­nen trans­pa­ren­ten, spie­le­risch leich­ten Klang, dar­um, dass die Sän­ger auf die­sem sehr dif­fe­ren­ziert ge­web­ten, mit­nich­ten pa­thos­schwe­ren, son­dern sei­den­leich­ten Klang­tep­pich sin­gen kön­nen, als ob sie sprä­chen. Und tat­säch­lich kom­men in die­ser In­ter­pre­ta­ti­on so­gar die klei­nen Meis­ter bes­ser über die Ram­pe als sonst, nicht nur, weil je­der dar­stel­le­risch ein aus­ge­feil­tes In­di­vi­du­um ist, son­dern auch stimm­lich – solo und in den En­sem­bles. Das Tem­po ist zü­gig, aber nir­gends zu schnell, und nur wer die Auf­füh­rung nicht sieht, dürf­te über die sze­nisch be­ding­ten, vom Kom­po­nis­ten so nicht vor­ge­se­he­nen über­lan­gen Ge­ne­ral­pau­sen ir­ri­tiert sein.

Es bleibt zu wün­schen, dass die Fest­spiel­lei­tung da­für sorgt, dass Phil­ip­pe Jor­dan und mög­lichst alle So­lis­ten der Pro­duk­ti­on so lan­ge wie mög­lich er­hal­ten blei­ben, da­mit we­nigs­tens bei den „Meis­ter­sin­gern“ auf Jah­re hin­aus das ur­sprüng­lich ein­stu­dier­te En­sem­ble zu­sam­men bleibt und sich noch kon­ti­nu­ier­lich stei­gern und ver­fei­nern kann. Ka­tha­ri­na Wag­ner soll­te sich dar­auf be­sin­nen, dass es ge­nau das war, was frü­her vie­le Fest­spiel­pro­duk­tio­nen ganz un­ab­hän­gig vom Stil der In­sze­nie­rung wirk­lich zu et­was Be­son­de­rem mach­te. Schon die Stei­ge­rung, die ich von der zwei­ten bis zur sechs­ten Vor­stel­lung er­le­ben konn­te (bei der letz­te­ren war üb­ri­gens Bar­rie Kos­ky da­bei, was sich un­mit­tel­bar auf die Spiel­freun­de der Mit­wir­ken­den aus­wirk­te), sagt mir, dass die­se „Meis­ter­sin­ger“ dem Pu­bli­kum noch vie­le be­we­gen­de, sub­li­me und un­ver­gess­li­che Mu­sik­thea­ter­er­leb­nis­se be­sche­ren könnten.

Nach­trag 1: Beim Gang durch die Dau­er­aus­stel­lung des Deut­schen His­to­ri­schen Mu­se­ums in Ber­lin Ende Au­gust sto­ße ich auf eine Pro­jek­ti­ons­wand, wo ge­ra­de ein Film ab­läuft, der un­ter an­de­rem das bom­bar­dier­te Nürn­berg zeigt. So­fort steigt in mei­ner Er­in­ne­rung der Wahn-Mo­no­log des Hans Sachs mit Mi­cha­el Vol­le vor mir auf. Zu den schreck­li­chen Bil­dern höre ich im Kopf sein „Wie fried­sam treu­er Sit­ten, ge­trost in Tat und Werk, liegt nicht in Deutsch­lands Mit­ten mein lie­bes Nü­ren­berg!“, sehe ihn die Arme aus­brei­ten und ich fan­ge an zu wei­nen. Ach, Wag­ners schön ge­dach­te Stadt- und Kunstbürger-Utopie!

Nach­trag 2: Fest­spiel­kar­ten für 2018 habe ich be­reits be­stellt. Aus Neu­gier na­tür­lich auch die „Lohengrin“-Neuinszenierung, vor al­lem aber die „Meis­ter­sin­ger“, von de­nen ich ein­fach nicht ge­nug krie­gen kann in ih­rer un­ver­gleich­li­chen Mi­schung von schmerz­li­cher Bit­ter­keit und mu­si­ka­li­scher Glück­se­lig­keit. Und weil ge­ra­de Ok­to­ber­fest ist, gebe ich schnell noch mei­nen Senf zu dem in mehr­fa­cher Hin­sicht ab­ar­ti­gen „Walküre“-Projekt der Fest­spie­le. Es ist schon des­halb ab­ar­tig, weil Ri­chard Wag­ner be­kannt­lich sei­ne Te­tra­lo­gie nur als ge­schlos­se­nes Gan­zes auf­ge­führt ha­ben woll­te und ge­gen Ein­zel­auf­füh­run­gen von „Ring“-Werken, wie sie ihr Fi­nan­zier Kö­nig Lud­wig II. durch­set­zen konn­te, aus gu­ten Grün­den Him­mel und Höl­le in Be­we­gung setz­te. Dass in sei­nem ei­gens für die „Ring“-Aufführung ge­bau­ten Fest­spiel­haus jetzt eine ein­zel­ne „Wal­kü­re“ auf den Spiel­plan kommt, soll­te ge­wich­ti­ge Grün­de ha­ben. Die Tat­sa­che, dass der ehe­ma­li­ge Star­te­nor Plá­ci­do Dom­in­go auf sei­ne al­ten Tage jetzt auch noch als Fest­spiel­di­ri­gent in die An­na­len ein­ge­hen möch­te, kann es al­lein nicht sein. Sein Ruhm als Di­ri­gent nimmt sich eher be­schei­den aus, die Ent­schei­dung für die­ses Pro­jekt kann also nicht auf künst­le­ri­schen Grün­den fu­ßen. Wor­auf dann? Wäh­rend Ma­nu­el Brug in der Ta­ges­zei­tung „Die Welt“ zu Fest­spiel­be­ginn schrieb, die­ses En­ga­ge­ment habe noch Eva Wag­ner-Pas­quier zu ver­ant­wor­ten (die von 2008 bis 2015 ge­mein­sam mit ih­rer Halb­schwes­ter Ka­tha­ri­na Wag­ner Fest­spiel­in­ten­dan­tin war), er­klär­te Horst Eg­gers, Prä­si­dent des Ri­chard-Wag­ner-Ver­bands In­ter­na­tio­nal, mir bei ei­nem Emp­fang der Fest­spiel­lei­tung für die Wag­ner­ver­bän­de am 15. Au­gust 2017, dass es noch Wag­ne­ren­kel Wolf­gang Wag­ner (1919–2010) ge­we­sen sei, der Dom­in­go ein Di­ri­gat ver­spro­chen habe. Das mag glau­ben, wer will – über­prü­fen lässt sich das so­wie­so nicht mehr. Ich ver­mu­te eher, dass es sein könn­te wie auf dem Ok­to­ber­fest, wo Möch­te­gern­di­ri­gen­ten für ih­ren gro­ßen Auf­tritt vor dem Blas­or­ches­ter eine net­te Sum­me sprin­gen las­sen. Auf der Ver­mark­tungs­schie­ne lie­ße sich das Geld dann lo­cker wie­der rein­ho­len, denn na­tür­lich wür­den all die ent­täusch­ten Dom­in­go-Fans, die ihm trotz des teu­ren Bay­reuth-Trips beim Di­ri­gie­ren eben nicht zu­schau­en kön­nen, an­schlie­ßend ger­ne die DVD mit Bil­dern aus dem Or­ches­ter­gra­ben kaufen.

Nach­trag 3: Nichts ge­gen die Ver­mark­tung von Fest­spiel­auf­füh­run­gen! Man kann die Pre­mie­ren-Vor­stel­lung noch bis Jah­res­en­de beim Baye­ri­schen Rund­funk ab­ru­fen: http://​www​.br​.de/​m​e​d​i​a​t​h​e​k​/​v​i​d​e​o​/​v​i​d​e​o​/​2​0​1​7​0​7​2​5​-​w​a​g​n​e​r​-​m​e​i​s​t​e​r​s​i​n​g​e​r​-​b​a​y​r​e​u​t​h​e​r​-​f​e​s​t​s​p​i​e​l​e​-​k​o​n​z​e​r​t​-​v​i​d​e​o​-​1​0​2​.​h​t​m​l​#​&​t​i​m​e​;​=​0​0​-​0​4​-38

Be­such­te Vor­stel­lun­gen am 31. Juli so­wie 7., 15., 19. und 27. August