Die Sänger haben Weltniveau

In der Wie­der­auf­nah­me der „Parsifal“-Inszenierung von Uwe Eric Lau­fen­berg aus dem Jahr 2016 tri­um­phie­ren die So­lis­ten, al­len vor­an Ele­na Pan­kra­to­va als sinn­li­che Kundry und Gün­ther Groiss­böck als Gurnemanz.

An­dre­as Schager als Par­si­fal und Ele­na Pan­kra­to­va als Kundry im 1. Akt „Par­si­fal“ Foto: © Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Wer den Pre­mie­ren­zy­klus in Bay­reuth be­sucht, wird ge­wahr, dass kei­ne Auf­füh­rung für sich al­lei­ne steht, son­dern sich auf die Wahr­neh­mung der an­de­ren aus­wirkt. Man stellt, ob man will oder nicht, Zu­sam­men­hän­ge her, ver­gleicht – und plötz­lich kön­nen sich die Maß­stä­be ver­schie­ben. Na­tür­lich spielt auch der Ge­wöh­nungs­fak­tor eine Rol­le. Wenn man schon weiß, was ei­nen er­war­tet, sieht man das zu­vor Rät­sel­haf­te, Un­ver­stan­de­ne, Feh­ler­haf­te oder gar Ab­sto­ßen­de und Skan­da­lö­se in mil­de­rem Licht.

So er­klärt sich, dass In­sze­nie­run­gen, die im Pre­mie­ren­jahr hef­tig aus­ge­buht wur­den, zu­neh­mend ak­zep­tiert wer­den und in ih­rem letz­ten Auf­füh­rungs­jahr so­gar Be­geis­te­rungs­stür­me aus­lö­sen kön­nen. Das wur­de und wird ger­ne nur da­mit be­grün­det, dass Re­gis­seu­re in der „Werk­statt Bay­reuth“ wei­ter ar­bei­ten und än­dern dür­fen. Aber vor al­lem ar­bei­tet es auch in den schein­bar pas­si­ven Zuschauern.

Zu­mal Fest­spiel­in­sze­nie­run­gen dank der me­dia­len Öff­nung bzw. Ver­mark­tung nicht mehr das Pri­vi­leg von Kar­ten­be­sit­zern sind. Man kann sie auch im Live­stream, im Kino, in TV und Ra­dio so­wie auf DVD er­le­ben. Wo­bei ein­schrän­kend fest­ge­stellt sei: Die Wahr­neh­mung ei­ner Ver­fil­mung ist durch die Nähe zu den Prot­ago­nis­ten eine völ­lig an­de­re als im Fest­spiel­haus. Die Bil­der der zu­meist aus­schnitt­haf­ten Auf­zeich­nun­gen schaf­fen zwar In­ti­mi­tät, aber sie kön­nen An­satz und Wir­kung ei­ner Auf­füh­rung völ­lig verfehlen.

Aus der 26. Par­kett­rei­he be­se­hen hat mich die „Parsifal“-Wiederaufnahme am Don­ners­tag in­so­fern über­rascht, als ich die be­reits 2016 und 2017 be­such­te In­sze­nie­rung erst­mals über­haupt in Tei­len po­si­tiv re­zi­pie­ren konn­te. Das liegt si­cher dar­an, dass die re­gie­hand­werk­li­chen De­fi­zi­te der vor­an­ge­gan­ge­nen „Lohengrin“-Premiere stär­ker nach­wirk­ten als die nach wie vor ge­ge­be­nen gro­ßen kon­zep­tu­el­len Schwä­chen der „Parsifal“-Umsetzung.

Hier gibt es zwar eben­falls Pro­ble­me – nicht nur die Büh­nen­tech­nik bei den oh­ne­hin un­be­frie­di­gend ge­lös­ten Ver­wand­lun­gen knarzt im­mer noch be­denk­lich. Aber Re­gis­seur Uwe Eric Lau­fen­berg kann Per­so­nen und Chor­mas­sen so füh­ren, dass sie das mich we­nig über­zeu­gen­de, auf Re­li­gi­ons­kri­tik ab­zie­len­de Kon­zept zu­min­dest glaub­haft um­set­zen. Viel ge­än­dert hat er nicht. An­stel­le des über dem Kir­chen­raum (Büh­ne: Gis­bert Jä­kel) sit­zen­den Se­cu­ri­ty­manns steht dort jetzt ein blon­der Jun­ge mit Pil­ger­stab (Kos­tü­me: Jes­si­ca Kar­ge) – ver­mut­lich Par­si­fal als Kna­be. Und das Blut­ab­zap­fen beim Grals­ri­tu­al wird in­zwi­schen der­art zü­gig ab­ge­wi­ckelt, dass kaum ein Grals­rit­ter was da­von ab­krie­gen kann. Auch die im zwei­ten Ver­wand­lungs­film et­was un­ver­mit­telt auf­tau­chen­den und sich auf­lö­sen­den Grei­sen­ge­sich­ter bzw. To­ten­mas­ken von Wi­nif­red, Wolf­gang und Ri­chard Wag­ner wir­ken auf­ge­setzt, pas­sen aber ir­gend­wie zum möch­te­gern­kri­ti­schen Im­pe­tus des Regisseurs.

Wäh­rend in den Vor­jah­ren fast nur das Di­ri­gat von Ein­sprin­ger Hart­mut Haen­chen künst­le­risch in­ter­es­sant und auf al­ler­höchs­tem Ni­veau war – war­um die­se über­aus er­folg­rei­che Zu­sam­men­ar­beit nicht fort­ge­setzt wur­de, bleibt eine of­fe­ne Fra­ge an die Fest­spiel­lei­tung –, sind es dies­mal die So­lis­ten und der Chor, die da­für sor­gen, dass das Büh­nen­weih­fest­spiel in Bay­reuth nicht nur der Akus­tik we­gen et­was ganz Be­son­de­res ist.

Dass Wag­ners Welt­ab­schieds­werk von der ers­ten bis zur letz­ten Note für die­ses Haus kom­po­niert wur­de, war im Nach­gang zum viel frü­her ent­stan­de­nen „Lo­hen­grin“ deut­li­cher als sonst zu hö­ren, auch und ge­ra­de des­halb, weil der im Or­ches­ter­gra­ben de­bü­tie­ren­de Se­my­on Bych­kov in sei­ner In­ter­pre­ta­ti­on hör­bar ins Opern­haf­te ten­diert. Ge­fühlt deut­lich lang­sa­mer als Haen­chen kos­tet er die un­ter­schied­li­chen Tem­pi aus und hat da­für er­freu­li­cher­wei­se Ge­sangs­künst­ler, die das al­les nicht nur be­wäl­ti­gen, son­dern be­glü­ckend ausfüllen.

Ele­na Pan­kra­to­va ist seit ih­rem De­büt 2016, was tech­ni­sche Bril­lanz, stimm­li­che Ero­tik und Aus­drucks­kraft be­trifft, phä­no­me­nal in die Kundry­par­tie hin­ein­ge­wach­sen. Wo sonst gibt es noch eine Kundry, die auch die ex­trem ho­hen und tie­fen No­ten so aus­sin­gen kann? Auf die­sem Welt­spit­zen­ni­veau be­fin­det sich auch Gün­ther Groiss­böcks Gurn­emanz, der jede noch so lei­se Phra­se wort­ver­ständ­lich singt. An­dre­as Schager in der Ti­tel­rol­le hat hin­ge­gen kein Pia­no, be­sticht eher durch blo­ße te­no­ra­le Stimm­kraft und die Ver­ve, mit der er sich in sei­ne Rol­len wirft. Tho­mas J. May­er als neu­er Am­for­tas, To­bi­as Keh­rer als neu­er Ti­tu­rel, De­rek Welton als Klings­or und, bis auf ei­nen Knap­pen, lau­ter vor­züg­li­che So­lis­ten so­wie die Chö­re wur­den zu Recht aus­gie­big gefeiert.

Be­such­te Wie­der­auf­nah­me­pre­mie­re am 26. Juli 2018, Erst­ver­öf­fent­li­chung im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags vom 28. Juli, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 1., 8.,14.,19. und 25. August.