Beliebig, bieder und bedeutungsleer

Schluss­sze­ne mit Ste­phen Gould (Tris­tan), Chris­ta May­er (Bran­gä­ne), Pe­tra Lang (Isol­de) und René Pape (Kö­nig Mar­ke) Fo­tos: Bay­reu­ther Fest­spie­le © En­ri­co Nawrath

War­um hat ei­gent­lich noch kein Wis­sen­schaft­ler in­ten­siv un­ter­sucht, wer war­um wann bei den Bay­reu­ther Fest­spie­len buht bzw. ju­belt? Na­tür­lich wäre das ein schwie­ri­ges Un­ter­fan­gen – ar­beits- und zeit­auf­wän­dig, per­so­nal­in­ten­siv und kost­spie­lig. Aber zu ger­ne wüss­te man auf­grund von se­riö­sen, mög­lichst mehr­jäh­ri­gen re­prä­sen­ta­ti­ven Um­fra­gen, ob  das Pu­bli­kum bei der Er­öff­nung si­gni­fi­kant an­ders ist als bei den Wie­der­auf­nah­men und Re­per­toire­vor­stel­lun­gen. Und wie be­deut­sam die Mei­nungs­un­si­cher­heit der Zu­schau­er bei ei­ner Neu­in­sze­nie­rung ist.

Die Buh­ru­fer nach der „Lohengrin“-Premiere je­den­falls konn­te man an zwei Hän­den ab­zäh­len, wäh­rend im Ver­gleich zu den Vor­jah­ren die In­ten­si­tät der Ab­leh­nung von Teams, die dem spe­zi­fisch „deut­schen Re­gie­thea­ter“ zu­zu­rech­nen sind, an­schlie­ßend deut­lich zu­ge­nom­men hat. Schon nach der „Parsifal“-Wiederaufnahme wur­de viel ge­buht, erst recht nach „Tris­tan und Isol­de“ am 27. Juli 2018.

Als Re­gis­seu­rin Ka­tha­ri­na Wag­ner sich zeig­te – sie kommt üb­ri­gens nie al­lei­ne vor den Vor­hang, son­dern stellt sich dem Pu­bli­kum nur re­la­tiv kurz und ein ein­zi­ges Mal zu­sam­men mit ih­rem Team und wei­te­ren Mit­wir­ken­den, so dass es manch­mal dau­ert, bis je­der merkt, wer da al­les steht –, war der Zu­schau­er­pro­test über­ra­schend mas­siv. Wo­bei man nur ra­ten kann, ob das nur ih­rer Re­gie­ar­beit galt oder nicht auch der Fest­spiel­lei­te­rin, als die sie seit nun­mehr schon zehn Jah­ren fungiert.

Um beim klei­ne­ren Übel an­zu­fan­gen: Ihre „Tristan“-Inszenierung von 2015 hat zwar ei­ni­ge Um­be­set­zun­gen und Mo­di­fi­ka­tio­nen er­fah­ren. Aber das än­dert nichts dar­an, dass die­se Mi­schung aus nur mo­di­scher De­kon­struk­ti­on und dem Ver­such, auch kon­ser­va­ti­ven Zu­schau­ern et­was bie­ten zu wol­len, über­wie­gend in Be­lie­big­keit, Bie­der­keit und Be­deu­tungs­lee­re versinkt.

Ka­tha­ri­na Wag­ner ist ein Re­gie-Eich­hörn­chen, das Ideen – wo im­mer sie auch her­kom­men und wie sinn­voll sie auch sein mö­gen – sam­melt, in ih­ren Koch­topf wirft und ver­rührt. Wo­ge­gen im Prin­zip nichts zu sa­gen wäre, das ma­chen an­de­re Re­gis­seu­re auch. Das Pro­blem ist, dass der­lei kon­zep­tu­el­le Ein­fäl­le, ob dra­ma­tur­gisch sinn­voll ge­bün­delt oder dis­pa­rat an­ein­an­der­ge­reiht, nur et­was tau­gen, wenn sie nicht ober­fläch­lich blei­ben, son­dern von den So­lis­ten ver­stan­den, an­ge­nom­men und in­kar­niert, das heißt mit Kopf und Kör­per, See­le und Stim­me aus­ge­drückt werden.

Ge­nau da liegt beim „Tris­tan“ und bei der Wag­ner-Ur­en­ke­lin der Hase im Pfef­fer. Wenn man zum Bei­spiel beim sze­nisch mar­kant sein wol­len­den Zer­rei­ßen des Braut­schlei­ers und spä­ter beim Zer­rei­ßen des Um­hangs ei­ner der Isol­den-Er­schei­nun­gen ge­nau­er hin­schaut, sieht man ers­tens, dass die Prot­ago­nis­ten vor al­lem die prä­pa­rier­ten Stel­len su­chen, die sich pro­blem­los rei­ßen las­sen. Und zwei­tens, dass es der Re­gis­seu­rin nicht ge­lun­gen ist, die So­lis­ten von der Rich­tig­keit und Wich­tig­keit die­ser Ak­ti­on zu überzeugen.

Ste­phen Gould und Pe­tra Lang ma­chen es nicht, weil sie von Ka­tha­ri­na Wag­ner mit ent­spre­chen­der En­er­gie auf­ge­la­den wur­den, son­dern weil sie es ma­chen sol­len. Das ist, selbst wenn die Haupt­so­lis­ten ge­sang­lich ex­trem Schwie­ri­ges zu be­wäl­ti­gen ha­ben, ein­fach zu we­nig. Wenn das Ti­tel­paar den Lie­bes­trank mit gro­ßer Ges­te weg­schüt­tet, be­kommt das eben nicht die Tie­fe, die in ein­schlä­gi­gen Ge­dan­ken Tho­mas Manns steckt, son­dern ist wie der spä­ter fol­gen­de ge­mein­sa­me Selbst­mord­ver­such und an­de­re, ver­meint­lich „un­kon­ven­tio­nel­le“ Re­gie-Ideen durch nichts be­glau­big­te Effekthascherei.

Glei­ches gilt für bild­ne­ri­sche Fin­dun­gen (Büh­ne: Frank Phil­ipp Schlöss­mann und Tho­mas Lip­pert, Kos­tü­me: Tho­mas Kai­ser) wie das Weg- und Zu­klap­pen von Trep­pen im La­by­rinth des 1. Akts und der di­ver­sen Klam­mern, Span­gen und Stan­gen im we­nig sinn­fäl­li­gen Ge­fäng­nis des 2. Akts. Im­mer­hin gibt es zu­wei­len „schö­ne“ Bil­der und dar­in die Mög­lich­keit, sich von den vor­ge­ge­be­nen Re­gie­ein­fäl­len wegzudenken.

Die So­lis­ten kön­nen in ei­nem sol­chen Rah­men im­mer noch viel, aber na­tür­lich nicht ihr Bes­tes ge­ben. Das Pu­bli­kum fei­er­te Tris­tan Ste­phen Gould und Isol­de Pe­tra Lang aus­gie­big. Bei­de sind mit ein paar dar­stel­le­ri­schen bzw. stimm­li­chen De­fi­zi­ten so­li­de Wag­ner­sän­ger, die der wun­der­ba­re Bas­sist René Pape als Kö­nig Mar­ke spie­le­risch in den Schat­ten stellt und mit dem noch tie­fer als sonst sit­zen­den gel­ben Hut viel­leicht sein Un­be­ha­gen an der ab­sur­den Fi­gu­ren­zeich­nung sei­ner Rol­le ausdrückt.

Durch­gän­gig Glanz­punk­te setz­ten für mich an die­sem Abend nur Chris­ti­an Thie­le­mann und das groß­ar­ti­ge Fest­spiel­or­ches­ter. Für so vie­le Fein­hei­ten und zeit­los schei­nen­den Schwe­be­zu­stand, für so viel ra­san­te Stei­ge­run­gen und Lei­den­schaft bei gleich­zei­tig klu­ger Über­sicht und gro­ßer Li­nie muss man schlicht­weg dank­bar sein.

Be­such­te Pre­mie­ren­vor­stel­lung vom 27.  Juli 2018, Erst­ver­öf­fent­li­chung im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags am 30. Juli. Wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 13., 16., 20., 24. und 28. August.