Blau bis in die Haarspitzen

Die „Lohengrin“-Neuinszenierung von Yu­val Sharon ist re­gie­lich ein De­ba­kel, wäh­rend die ma­le­ri­sche Aus­stat­tung von Neo Rauch und Rosa Loy ei­ni­ges Po­ten­zi­al hat. Gro­ßer Ju­bel für die So­lis­ten un­ter Chris­ti­an Thielemann.

Sze­ne aus dem 3. Akt der „Lohengrin“-Neuinszenierung Foto: © Bay­reu­ther Festspiele/​ En­ri­co Nawrath

Was wur­de im Vor­feld der Fest­spie­le nicht al­les hin­ein­ge­heim­nisst in die Tat­sa­che, dass in der Aus­stat­tung des Künst­ler­paa­res Neo Rauch und Rosa Loy für Ri­chard Wag­ners „Lo­hen­grin“ die Far­be Blau bis in die Haar- und Fin­ger­spit­zen do­mi­nie­ren wür­de. Seit Mitt­woch kann je­der, der Kar­ten da­für hat, am Grü­nen Hü­gel sein blau­es Wun­der er­le­ben. Was durch­aus im Sin­ne der Re­dens­art ge­meint ist. Denn die Neu­in­sze­nie­rung, mit der am Mitt­woch die Bay­reu­ther Fest­spie­le er­öff­net wur­den, ist eine un­an­ge­neh­me Überraschung.

In ers­ter Li­nie liegt das dar­an, dass der Re­gis­seur Yu­val Sharon lei­der nicht in der Lage war, im vor­ge­ge­be­nen Set­ting eine sinn­stif­ten­de und über­zeu­gen­de Per­so­nen­füh­rung zu eta­blie­ren. Zu sei­nen Guns­ten kann man zwar vor­brin­gen, dass er als Ein­sprin­ger für den ur­sprüng­lich en­ga­gier­ten Al­vis Her­ma­nis in ein vor­han­de­nes Kon­zept, in ein fast fer­ti­ges sur­rea­les Büh­nen­bild und Kos­tü­me ein­stei­gen muss­te. Aber das ent­schul­digt die ekla­tan­ten re­gie­hand­werk­li­chen Män­gel nicht, die die Auf­füh­rung  schwer er­träg­lich machen.

Die Chor­füh­rung ist der­art lang­at­mig, sta­tisch und un­frei­wil­lig ko­misch, dass man sich in ei­ner Opern­par­odie von Otto Schenk wähnt, in In­sze­nie­run­gen Wolf­gang Wag­ners oder schlim­mer noch aus der Mot­ten­kis­te mit Pro­duk­tio­nen der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts. Auch die So­lis­ten dür­fen über­wie­gend sta­tua­ri­sches Ram­pen­sin­gen ze­le­brie­ren, wenn sie nicht ge­ra­de zu wi­der­sin­ni­gen Po­si­tio­nen und Ges­ten ge­nö­tigt wer­den, die eine Mi­schung aus Vor­vor­gest­ri­gem und mo­di­schem „Re­gie­thea­ter“ sind.

We­der kennt Sharon Wag­ners letz­te Bit­te an sei­ne So­lis­ten 1876 – „Nie dem Pu­bli­kum et­was sa­gen, son­dern im­mer dem An­de­ren; in Selbst­ge­sprä­chen nach un­ten oder nach oben bli­ckend, nie ge­rad’ aus“ –, noch hat er den Mut ge­habt, bei­spiels­wei­se das für Auf­trit­te und Ab­gän­ge über­aus hin­der­lich ge­stal­te­te Büh­nen­bild im zwei­ten Teil des 2. Akts zu ver­wer­fen. Apro­pos: Die we­ni­gen Bau­ten sind Um­spann­wer­ke, Strom­mas­ten, Iso­la­to­ren und Tra­fo­häus­chen, grei­fen zu­rück auf die neo­ro­man­ti­sche Ar­chi­tek­tur des frü­hen Elek­tri­fi­zie­rungs­zeit­al­ters, wäh­rend die Kos­tü­me über­wie­gend die hol­län­di­sche Ma­le­rei des 17. Jahr­hun­derts zitieren.

War­um die Haupt­fi­gu­ren Flü­gel tra­gen – das Got­tes­ge­richt fech­ten Dou­bles von Lo­hen­grin und Tel­ra­mund flie­gend so aus, dass man un­will­kür­lich an die Augs­bur­ger Pup­pen­kis­te denkt – er­schließt sich eben so we­nig wie die Vi­sua­li­sie­rung des Schwans, die Schei­ter­hau­fen für Elsa im 1. und Or­trud im 3. Akt so­wie di­ver­se Fes­se­lun­gen. Zwar kann man nach­voll­zie­hen, dass Oran­ge als Kom­ple­men­tär­far­be zu Blau eine Be­deu­tung zu­kommt, aber Gott­fried als grü­nes Am­pel­männ­chen ist ein­fach nur ein schlech­ter Witz.

Dass Sinn­bil­der von Feu­er, Licht und En­er­gie durch­aus Er­hel­len­des in die „Lohengrin“-Rezeption brin­gen könn­ten, ist klar. Doch wenn sie nur be­haup­tet und nicht be­grün­det wer­den, ver­pufft das Ge­mein­te. Dass der Re­gis­seur im Pro­gramm­heft Lo­hen­grin mit Le­nin gleich­setzt und Or­trud als Frei­heits­kämp­fe­rin aus­gibt, ist ver­stie­gen, denn zu se­hen be­kommt man da­von in der Auf­füh­rung na­tür­lich nichts.

Am ehes­ten ha­ben tat­säch­lich aus­ge­rech­net die ex­trem lang­sam be­weg­ten Pro­jek­tio­nen von ge­mal­tem dunk­len Ge­wölk und Schilf auf den Por­tal­schlei­er eine Wir­kung: Das ist im Ver­ein mit der Mu­sik, den hin- und her­ge­scho­be­nen Schilf­ku­lis­sen und den mal gut her­aus­ge­leuch­te­ten, dann wie­der ver­schwin­den­den Prot­ago­nis­ten zu­min­dest schön kon­tem­pla­tiv. Aber lei­der eher ein Kon­zert mit Bild als ein Mu­sik­dra­ma, das bei Wag­ner in größ­ter Hoff­nungs­lo­sig­keit en­det. Das Pre­mie­ren­pu­bli­kum war trotz­dem ganz aus dem Häus­chen – viel­leicht ge­ra­de des­halb. Und na­tür­lich we­gen der so­lis­ti­schen Starbesetzung.

Der re­la­tiv kurz­fris­tig als Lo­hen­grin ein­ge­sprun­ge­ne Te­nor Pjotr Be­c­za­la hat mich auf An­hieb am meis­ten über­zeugt: Sein Tim­bre ist per­fekt für den Schwa­nen­rit­ter, er meis­tert im Lei­sen wie im Lau­ten alle Klip­pen, sei­ne Wort­ver­ständ­lich­keit vor­bild­haft – ein groß­ar­ti­ges Bay­reuth-De­büt! Anja Har­te­ros hin­ge­gen war bei der Pre­mie­re trotz hoch­pro­fes­sio­nel­ler Be­wäl­ti­gung lei­der nicht gut bei Stim­me, wo­bei un­klar ist, ob sie nur in­dis­po­niert war oder ob sie über die Par­tie der Elsa in­zwi­schen hin­aus ist.

Wal­traud Mei­er wur­de bei ih­rer Rück­kehr nach acht­zehn Jah­ren Bay­reuth-Abs­ti­nenz gleich­sam für ihr Le­bens­werk als Wag­ner­he­roi­ne stür­misch ge­fei­ert – und we­ni­ger für ihre stimm­li­che Gren­zen of­fen­ba­ren­de Or­trud. Ge­org Zep­pe­n­feld war und ist ein sou­ve­rä­ner Kö­nig Hein­rich, wäh­rend To­masz Ko­niecz­ny zu sehr auf laut­star­ke Kli­schees drückt. Was der mu­si­ka­li­sche Lei­ter hät­te ver­hin­dern können.

Aber Chris­ti­an Thie­le­mann ist kein Di­ri­gent, der die Sän­ger auf Hän­den trägt, son­dern ei­ner, dem vor al­lem das Or­ches­ter am Her­zen liegt. Dass bei der Pre­mie­re man­ches und vor al­lem auch beim von Eber­hard Fried­rich ein­stu­dier­ten Chor ins Wan­ken kam: ge­schenkt! Es gab wun­der­bar zar­te, ver­blüf­fend schnel­le und Gän­se­haut ma­chen­de gro­ße Mo­men­te. Mu­si­ka­lisch wird die­ser „Lo­hen­grin“ mit je­der Auf­füh­rung wach­sen und im kom­men­den Jahr zum er­wart­ba­ren Vor­ver­kaufs­ren­ner, wenn für zwei Vor­stel­lun­gen Anna Netreb­ko die Par­tie der Elsa über­nimmt – hof­fent­lich textfest.

Be­such­te Pre­mie­ren­vor­stel­lung vom 25. Juli 2018, Erst­ver­öf­fent­li­chung im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags am 27. Juli. Wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 29. Juli so­wie am 2., 6. und 10. Au­gust, kos­ten­lo­se TV-Sen­dung am 28. Juli um 20.15 Uhr auf 3sat.

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