Die „Lohengrin“-Neuinszenierung von Yuval Sharon ist regielich ein Debakel, während die malerische Ausstattung von Neo Rauch und Rosa Loy einiges Potenzial hat. Großer Jubel für die Solisten unter Christian Thielemann.
Was wurde im Vorfeld der Festspiele nicht alles hineingeheimnisst in die Tatsache, dass in der Ausstattung des Künstlerpaares Neo Rauch und Rosa Loy für Richard Wagners „Lohengrin“ die Farbe Blau bis in die Haar- und Fingerspitzen dominieren würde. Seit Mittwoch kann jeder, der Karten dafür hat, am Grünen Hügel sein blaues Wunder erleben. Was durchaus im Sinne der Redensart gemeint ist. Denn die Neuinszenierung, mit der am Mittwoch die Bayreuther Festspiele eröffnet wurden, ist eine unangenehme Überraschung.
In erster Linie liegt das daran, dass der Regisseur Yuval Sharon leider nicht in der Lage war, im vorgegebenen Setting eine sinnstiftende und überzeugende Personenführung zu etablieren. Zu seinen Gunsten kann man zwar vorbringen, dass er als Einspringer für den ursprünglich engagierten Alvis Hermanis in ein vorhandenes Konzept, in ein fast fertiges surreales Bühnenbild und Kostüme einsteigen musste. Aber das entschuldigt die eklatanten regiehandwerklichen Mängel nicht, die die Aufführung schwer erträglich machen.
Die Chorführung ist derart langatmig, statisch und unfreiwillig komisch, dass man sich in einer Opernparodie von Otto Schenk wähnt, in Inszenierungen Wolfgang Wagners oder schlimmer noch aus der Mottenkiste mit Produktionen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch die Solisten dürfen überwiegend statuarisches Rampensingen zelebrieren, wenn sie nicht gerade zu widersinnigen Positionen und Gesten genötigt werden, die eine Mischung aus Vorvorgestrigem und modischem „Regietheater“ sind.
Weder kennt Sharon Wagners letzte Bitte an seine Solisten 1876 – „Nie dem Publikum etwas sagen, sondern immer dem Anderen; in Selbstgesprächen nach unten oder nach oben blickend, nie gerad’ aus“ –, noch hat er den Mut gehabt, beispielsweise das für Auftritte und Abgänge überaus hinderlich gestaltete Bühnenbild im zweiten Teil des 2. Akts zu verwerfen. Apropos: Die wenigen Bauten sind Umspannwerke, Strommasten, Isolatoren und Trafohäuschen, greifen zurück auf die neoromantische Architektur des frühen Elektrifizierungszeitalters, während die Kostüme überwiegend die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts zitieren.
Warum die Hauptfiguren Flügel tragen – das Gottesgericht fechten Doubles von Lohengrin und Telramund fliegend so aus, dass man unwillkürlich an die Augsburger Puppenkiste denkt – erschließt sich eben so wenig wie die Visualisierung des Schwans, die Scheiterhaufen für Elsa im 1. und Ortrud im 3. Akt sowie diverse Fesselungen. Zwar kann man nachvollziehen, dass Orange als Komplementärfarbe zu Blau eine Bedeutung zukommt, aber Gottfried als grünes Ampelmännchen ist einfach nur ein schlechter Witz.
Dass Sinnbilder von Feuer, Licht und Energie durchaus Erhellendes in die „Lohengrin“-Rezeption bringen könnten, ist klar. Doch wenn sie nur behauptet und nicht begründet werden, verpufft das Gemeinte. Dass der Regisseur im Programmheft Lohengrin mit Lenin gleichsetzt und Ortrud als Freiheitskämpferin ausgibt, ist verstiegen, denn zu sehen bekommt man davon in der Aufführung natürlich nichts.
Am ehesten haben tatsächlich ausgerechnet die extrem langsam bewegten Projektionen von gemaltem dunklen Gewölk und Schilf auf den Portalschleier eine Wirkung: Das ist im Verein mit der Musik, den hin- und hergeschobenen Schilfkulissen und den mal gut herausgeleuchteten, dann wieder verschwindenden Protagonisten zumindest schön kontemplativ. Aber leider eher ein Konzert mit Bild als ein Musikdrama, das bei Wagner in größter Hoffnungslosigkeit endet. Das Premierenpublikum war trotzdem ganz aus dem Häuschen – vielleicht gerade deshalb. Und natürlich wegen der solistischen Starbesetzung.
Der relativ kurzfristig als Lohengrin eingesprungene Tenor Pjotr Beczala hat mich auf Anhieb am meisten überzeugt: Sein Timbre ist perfekt für den Schwanenritter, er meistert im Leisen wie im Lauten alle Klippen, seine Wortverständlichkeit vorbildhaft – ein großartiges Bayreuth-Debüt! Anja Harteros hingegen war bei der Premiere trotz hochprofessioneller Bewältigung leider nicht gut bei Stimme, wobei unklar ist, ob sie nur indisponiert war oder ob sie über die Partie der Elsa inzwischen hinaus ist.
Waltraud Meier wurde bei ihrer Rückkehr nach achtzehn Jahren Bayreuth-Abstinenz gleichsam für ihr Lebenswerk als Wagnerheroine stürmisch gefeiert – und weniger für ihre stimmliche Grenzen offenbarende Ortrud. Georg Zeppenfeld war und ist ein souveräner König Heinrich, während Tomasz Konieczny zu sehr auf lautstarke Klischees drückt. Was der musikalische Leiter hätte verhindern können.
Aber Christian Thielemann ist kein Dirigent, der die Sänger auf Händen trägt, sondern einer, dem vor allem das Orchester am Herzen liegt. Dass bei der Premiere manches und vor allem auch beim von Eberhard Friedrich einstudierten Chor ins Wanken kam: geschenkt! Es gab wunderbar zarte, verblüffend schnelle und Gänsehaut machende große Momente. Musikalisch wird dieser „Lohengrin“ mit jeder Aufführung wachsen und im kommenden Jahr zum erwartbaren Vorverkaufsrenner, wenn für zwei Vorstellungen Anna Netrebko die Partie der Elsa übernimmt – hoffentlich textfest.
Besuchte Premierenvorstellung vom 25. Juli 2018, Erstveröffentlichung im Feuilleton des Fränkischen Tags am 27. Juli. Weitere Vorstellungen am 29. Juli sowie am 2., 6. und 10. August, kostenlose TV-Sendung am 28. Juli um 20.15 Uhr auf 3sat.
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