Gleich zwei Tenöre sorgen im „Fliegenden Holländer“ für festspielreifen Stimmenglanz. Die kapitalismus- und konsumkritische Inszenierung von Jan Philipp Gloger steht heuer bei den Bayreuther Festspielen letztmalig im Programm.
„Die Frist ist um“, singt der Holländer in seiner Antrittsarie. „Und abermals verstrichen sind sieben Jahr … voll Überdruss wirft mich das Meer ans Land!“ Der Titelheld von Richard Wagners frühestem Werk im Repertoire der Festspiele trifft damit mehrfach ins Schwarze: Jan Philipp Glogers Inszenierung des „Fliegende Holländers“ wurde vor sieben Jahren erstmals gezeigt und erzeugt womöglich nur bei jenen, die ihn zum ersten Mal sehen, keinen Überdruss.
Dass die Frist dieser Inszenierung um ist, hat nicht nur damit zu tun, dass Musiktheaterproduktionen einfach schneller altern als früher. Nein, natürlich sollen die großen Werke der Opernliteratur uns Menschen von heute noch etwas sagen! Aber die üblich gewordenen, zuweilen zwanghaften Aktualisierungen bringen optische Lösungen mit sich, die einem umso unangenehmer ins Auge fallen, wenn das Konzept und/oder seine Umsetzung ohnehin holpern.
Business-Kleidung, Rollkoffer, Handys und Sonnenbrillen zählen zu derlei modischen Zutaten, nicht zu vergessen die seit Stefan Herheims „Parsifal“ von 2008 geradezu inflationäre Zunahme von geflügelten Protagonisten. Gut, Kostümbildnerin Karin Jud war mit ihren erst aus Pappe, dann aus Pseudoholz geschnitzten Flügeln für die hier als Bildhauerin dilettierende Senta eindeutig früher dran als Neo Rauch und Rosa Loy mit ihrem beflügeltem „Lohengrin“-Personal. Aber das nützt nichts, wenn das Bild schief und unglaubwürdig rüberkommt.
Regisseur Gloger – er ist übrigens der neue Schauspielchef am Staatstheater Nürnberg – versucht, mit etwas aufdringlicher Kapitalismus- und Konsumkritik (Bühne: Christof Hetzer, Video: Martin Eidenberger) die Geschichte eines nicht sterben könnenden und durch eine liebende Frau Erlösung suchenden Borderliners zu erzählen. Zu seiner Ehrenrettung sei festgestellt: Er kann Chormassen und Solisten durchaus gut führen, wenn sie denn genug darstellerisches Potenzial mitbringen.
Damit hatte er, was das Besetzungsroulette speziell bei den Hauptsolisten betrifft, teils Glück, teils Pech, wurde doch schon im Premierenjahr der Titelprotagonist wegen eines längst überstochenen Hakenkreuz-Tattoos kurzfristig ausgetauscht. Vom ursprünglichen Ensemble ist einzig Christa Mayer als Mary übrig. Seit 2013 ist Ricarda Merbeths Senta eine Herausforderung für die Abstraktionsfähigkeit des Publikums. Ihre jetzt stummfilmhafte Mimik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie auch stimmlich immer wieder einfach zu alt für die Rolle erscheint.
Greer Grimsley in der Titelpartie war bei seinem Festspieldebüt nur sängerisch eine neue Farbe; vom alternierenden John Lundgren darf man auch darstellerisch einen blutvolleren Holländer erwarten. Peter Rose ist schon der dritte Daland, singt solide, hat Drive und Witz. Richtig gut waren am Montag nur die beiden Tenöre: Tomislav Mužek singt und spielt den Eric mit Unterbrechungen seit 2013 so überzeugend, dass man sich fragt, warum er nicht längst für weitere große Partien engagiert wurde. Gleiches gilt für Neuling Rainer Trost, der dem Steuermann mit seiner Mozart-Stimme eine ungewohnte Statur gibt.
Die stets für Gelächter gute Merkel-Rauten-Geste hat der Regisseur übrigens ins nicht vorhandene Wasser fallen lassen. Überzeugend ist im 1. Akt vor allem das flackernd-düstere Szenarium des Daten- und Zahlenmeers samt surrealistischem Boot, während die mit Kartons bestückte Ventilatorenfabrik Dalands – ob statisch oder rotierend – auf die Dauer nur öde wirkte, wären da nicht die grandios singenden und sorgfältig choreografierten Chöre.
Im Graben sorgen der aus Kronach stammende Dirigent Axel Kober und das Festspielorchester bei einer Hitze, die im noch nicht klimatisierten Festspielhaus nicht nur den Menschen, sondern auch manchen Instrumenten zusetzt, wenigstens musikalisch furios für Wind-, Wasser- und Sturmgebraus. Am Ende gab es den meisten Beifall für den musikalischen Leiter und die Chöre, die Solisten wurden kurz gefeiert. Beim Solovorhang für den Regisseur fiel weder ein Buh noch ein Bravo. Was auch daran gelegen haben könnte, dass in der Inszenierung, die aktuell am längsten im Spielplan ist, die meisten Opern-, Wagner- und Festspielneulinge sitzen. Noch fünf Vorstellungen, dann ist die Frist dieser „Holländer“-Interpretation endgültig um.
Besuchte Wiederaufnahmepremiere am 30. Juli 2018, Erstveröffentlichung im Feuilleton des Fränkischen Tags, weitere Vorstellungen am 3., 7., 12. 22. und 26. August.
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