Bleihufe statt Leidenschaft

Plá­ci­do Dom­in­go wur­de am Diens­tag in Bay­reuth als Di­ri­gent zu Recht aus­ge­buht. Doch nicht nur sein De­büt in der „Wal­kü­re“ zum Ab­schluss des Pre­mie­ren­rei­gens der Fest­spie­le ist ein Tiefpunkt.

Dorn­rös­chen­schlaf für im­mer: Kein Sieg­fried wird die von Wo­tan (John Lund­gren) in den Schlaf ver­setz­te Brünn­hil­de aus dem Castorf-„Ring“, die oh­ne­hin nicht zwi­schen dem Feu­er­ring liegt, mehr er­we­cken. Foto: © Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath 

Nicht ge­ring wäre Ri­chard Wag­ners Grimm, hät­te er das mit­er­le­ben müs­sen: In je­nem schwer er­kämpf­ten Fest­spiel­haus zu Bay­reuth, das er ei­gens da­für bau­en ließ, da­mit sein vier­tei­li­ges  Opus ma­gnum „Der Ring des Ni­be­lun­gen“ als Gan­zes nach­ein­an­der auf­ge­führt wer­den kann, setz­te Ka­tha­ri­na Wag­ner, sei­ne Ur­en­ke­lin und Fest­spiel­lei­te­rin, „Die Wal­kü­re“ ohne den Vor­abend und die zwei wei­te­ren Tei­le drei­mal auf den Spiel­plan. Mit ei­nem ehe­ma­li­gen Star­te­nor als Dirigenten.

Wahr­schein­lich ging es da­bei um den welt­wei­ten Wer­be-Ef­fekt und letzt­lich – was sonst? – um den schnö­den Mam­mon. Denn die „Wal­kü­re“, der be­lieb­tes­te und ohne das Fest­spiel­haus als Al­lein­stel­lungs­merk­mal der am meis­ten auf­ge­führ­te Teil der Te­tra­lo­gie, konn­te für ein Gast­spiel in die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te ver­kauft wer­den: am 30. Ja­nu­ar und 1. Fe­bru­ar 2019 gas­tiert die Pro­duk­ti­on un­ter ei­nem an­de­ren Di­ri­gen­ten im Emi­ra­tes Pa­lace in Abu Dhabi.

Das bringt hof­fent­lich Geld in die Kas­se der Fest­spie­le, die nicht nur für die schon vor Jah­ren an­ge­lau­fe­ne um­fas­sen­de Sa­nie­rung und den Bau­er­halt Steu­er­mil­lio­nen er­hal­ten. Auch für den lau­fen­den Be­trieb gibt es staat­li­che Zu­schüs­se, die al­ler­dings, wenn man den Auf­marsch der Po­lit­pro­mi­nenz auf dem ro­ten Tep­pich be­denkt, über­ra­schend klein sind. Und weil zu­dem in die­ser Sai­son aus­ge­rech­net die ein­zi­ge und er­fah­rungs­ge­mäß am meis­ten ge­frag­te Neu­in­sze­nie­rung nur fünf­mal auf dem Spiel­plan steht – über die Grün­de kann man wun­der­bar spe­ku­lie­ren –, füg­te es sich gut, die „Wal­kü­re“ aus dem be­reits ab­ge­spiel­ten Castorf-„Ring“ mit ei­nem spek­ta­ku­lä­ren Hü­gel­de­büt aufzuhübschen.

Plá­ci­do Dom­in­go als Wag­ner-Di­ri­gent in Bay­reuth – das bringt Schlag­zei­len und Fans von ihm ins Fest­spiel­haus, die viel­leicht noch nie da wa­ren. Und bei dem of­fen­bar re­kord­süch­ti­gen, in­zwi­schen 77-jäh­ri­gen spa­ni­schen Sän­ger, der hier in den neun­zi­ger Jah­ren schon als Par­si­fal und 2000 als Sieg­mund auf­ge­tre­ten ist, ei­nen neu­en Ein­trag in sei­ne Lis­ten: Schließ­lich hat noch kein So­list je in Bay­reuth den Sprung in den Or­ches­ter­gra­ben gewagt.

Um es kurz zu ma­chen: Der ehe­ma­li­ge Star­te­nor, der als Ba­ri­ton nicht nur von sei­nen guss­ei­ser­nen Afi­ci­o­na­dos im­mer noch be­ju­belt wird, hat sich da­mit kei­nen Ge­fal­len ge­tan. Zwar di­ri­giert er schon seit Jahr­zehn­ten, hat da­bei aber nir­gends rich­tig auf­hor­chen las­sen – schon gar nicht mit Wag­ner. In­so­fern ist die Ent­schei­dung der Fest­spiel­lei­tung, ihn als Di­ri­gen­ten zu en­ga­gie­ren, künst­le­risch mehr als fragwürdig.

Im­mer­hin war es nicht sein al­ler­ers­tes „Walküre“-Dirigat: Va­lery Ger­giev, der 2019 den neu­en „Tann­häu­ser“ in Bay­reuth mu­si­ka­lisch lei­ten wird, ließ Dom­in­go vor­ab kon­zer­tant mit sei­nem Or­ches­ter am Ma­ri­in­ski-Thea­ter in Sankt Pe­ters­burg üben. Das sagt et­was aus über den gu­ten Wil­len von bei­den – und mehr noch über die Ver­net­zung im in­ter­na­tio­na­len Opernbusiness.

In Bay­reuth sel­ber hat­te er, wie die an­de­ren Di­ri­gen­ten der Wie­der­auf­nah­me-Pro­duk­tio­nen, ins­ge­samt drei vol­le Pro­ben­ta­ge. Das mag an­ge­hen für die­je­ni­gen, die schon Er­fah­rung mit dem akus­tisch durch­aus auch schwie­ri­gen Or­ches­ter­gra­ben ha­ben. Hät­te die Fest­spiel­lei­tung dem Neu­ling am Pult nicht mehr Pro­ben­mög­lich­kei­ten ge­ben und ihn  viel­leicht auch vor der mög­li­chen Hit­ze war­nen müs­sen? Aber si­cher hat er die­se Auf­trit­te eben­so ge­wollt, wie die Fest­spie­le sie ge­braucht haben.

Je­den­falls ge­hen die Buh­ru­fe, die dem dar­ob ver­wun­der­ten Dom­in­go am Schluss der Vor­stel­lung am Diens­tag im Fest­spiel­haus ent­ge­gen­schall­ten, völ­lig in Ord­nung. Die hat er schon al­lein für sein Di­ri­gat des 1. Akts ver­dient, der or­ches­tral der span­nungs- und lei­den­schafts­lo­ses­te war, den ich seit über vier­zig Jah­ren in Bay­reuth er­lebt habe. Selbst die hier auf­ge­bo­te­nen erst­klas­si­gen So­lis­ten hat­ten mit sei­nen zer­dehn­ten Tem­pi zu kämpfen.

Ganz zu schwei­gen da­von, dass er die Par­ti­tur hör­bar ge­wis­ser­ma­ßen nur für sich und sei­ne Sän­ge­roh­ren durch­buch­sta­biert. Er igno­riert, dass ge­ra­de das Wag­ner-Or­ches­ter un­end­lich viel mehr zu er­zäh­len hat und de­gra­diert es viel­fach zur blo­ßen Be­glei­tung. Spä­tes­tens im 3. Akt, wenn die un­ho­mo­gen be­setz­ten Wal­kü­ren los­le­gen, wäh­rend ihre Pfer­de gleich­sam Hufe aus Blei zu ha­ben schei­nen, flog dann noch mehr aus­ein­an­der. Das war und ist ein di­ri­gen­ti­scher Tief­punkt in der Festspielgeschichte.

Umso bit­te­rer für die durch die Bank groß­ar­ti­gen Haupt­so­lis­ten die­ser merk­wür­di­gen Ver­an­stal­tung:  Anja Kam­pe (Sieg­lin­de), Ma­ri­na Pru­den­ska­ja (Fri­cka), John Lund­gren (Wo­tan) und Ca­the­ri­ne Fos­ter (Brünn­hil­de) prä­sen­tier­ten sich in sän­ger­dar­stel­le­ri­scher Höchst­form. Mar­kant To­bi­as Keh­rer als Hun­ding, und selbst der als Tris­tan eher brä­si­ge Ste­phen Gould war plötz­lich auch in Kör­per­spra­che und Mi­mik ein glaub­haf­ter Siegmund.

Was da­mit zu tun hat, dass die So­lis­ten sich auf­fal­lend frei in den Res­ten der In­sze­nie­rung von Frank Cas­torf und im auch op­tisch ske­let­tiert wir­ken­den Büh­nen­bild von Al­ek­sand­ar De­nic be­we­gen. Dass die Fest­spie­le im „Walküre“-Programmheft dann noch zwei bri­ti­sche Au­toren be­grün­den las­sen wol­len, war­um es an der Zeit sei, die „Wal­kü­re“ auch in Bay­reuth iso­liert auf­zu­füh­ren, grenzt nicht nur an Ge­schichts­lo­sig­keit. Ach, Bayreuth!

Be­such­te Wie­der­auf­nah­me­pre­mie­re am 31. Juli 2018, Erst­ver­öf­fent­li­chung auf www​.in​fran​ken​.de und Erst­druck im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags vom 2. Au­gust. Wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 18. Au­gust (mit John Lund­gren als Wo­tan) so­wie am 29. Au­gust (mit Gre­er Grims­ley als Wotan).

Plá­ci­do Dom­in­go 2008 Foto: Rus­sell Hirshon/​Wikimedia commons