Friedrich Dieckmann: Patriarchendämmerung

Beck­mes­ser mal zwei: Wolf­gang Wag­ner bei ei­ner „Meistersinger“-Probe mit Her­mann Prey 1981 – Foto: Wil­helm Rauh, Na­tio­nal­ar­chiv der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung, Zu­stif­tung Wolf­gang Wagner

Der fol­gen­de Bei­trag über Wolf­gang Wag­ner von Fried­rich Dieck­mann ist un­ter dem Ti­tel „Wag­ner-Hy­drau­lik“ zu­erst in der Sep­tem­ber/Ok­to­ber-Aus­ga­be 1999 der Fach­zeit­schrift „Thea­ter der Zeit“ er­schie­nen. Die­ser und wei­te­re Tex­te des Es­say­is­ten, Kri­ti­kers und Au­tors über die Bay­reu­ther Fest­spie­le fin­den sich in dem emp­feh­lens­wer­ten Band „Bil­der aus Bay­reuth. Fest­spiel­be­rich­te 19772006“, Ver­lag Thea­ter der Zeit, dar­un­ter die wahr­schein­lich längs­te und bes­te Be­spre­chung von Pa­tri­ce Ché­re­aus „Jahr­hun­dert-Ring“, denn sie gibt die Ein­drü­cke der Epo­che ma­chen­den In­sze­nie­rung so ge­nau, dif­fe­ren­ziert und un­mit­tel­bar wie­der, dass zu­min­dest alle, die die­sen „Ring“ von 1976 bis 1980 er­le­ben durf­ten, bei der Lek­tü­re noch­mal Gän­se­haut be­kom­men. Frie­dich Dieck­mann hat zahl­rei­che Aus­zeich­nun­gen be­kom­men, dar­un­ter 2013 den ers­ten Ri­chard-Wag­ner-Preis der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung Leipzig.

Pa­tri­ar­chen­däm­me­rung
Wolf­gang Wag­ner hat die „Meis­ter­sin­ger“ im Lauf ei­nes lan­gen In­ten­dan­ten­le­bens im­mer wie­der in­sze­niert. Sie sind sein Be­zugs-, sein Iden­ti­fi­ka­ti­ons­werk in dem Oeu­vre des Groß­va­ters, und wenn er sei­nen Sachs-Dar­stel­ler in der glei­ßen­den Schus­ter­stu­be (sie macht in Grell-Weiß nach, was Jü­gen Ro­ses Hol­län­der-Stu­be in Leuch­tend-Geld vor­macht) lär­mend los­pol­tern läßt, um die Auf­merk­sam­keit der Jun­gen auf sei­ne ei­ge­nen Pro­ble­me zu len­ken (da knallt der Fo­li­ant auf den Tisch und der Holz­ses­sel don­nert auf den Est­rich), dann ist es ganz, als ob der Fest­spiel­lei­ter sei­nem Büh­nen­hel­den auf­ge­be, sei­nen ei­ge­nen Groll über die gründ­lich ver­fah­re­nen Nach­fol­ge-Ver­hält­nis­se auf dem grü­nen Hü­gel Aus­druck zu ge­ben; das Preis­sin­gen, das hier sich an­bahnt, ist nicht nach sei­nem Gusto.

Der jün­ge­re der bei­den Wag­ner-Brü­der hat als ein Fest­spiel­lei­ter, der sei­ner ei­ge­nen künst­le­ri­schen Gren­zen bald inne wur­de, im­mer Hans Sachs sein wol­len, der Weg­be­rei­ter ei­ner Ju­gend, die je­nes schöp­fe­ri­schen Re­gel­ver­sto­ßes mäch­tig war, der sei­ne ei­ge­ne Sa­che nicht war, und in den Stern­stun­den sei­ner 48jährigen Bay­reu­ther In­ten­danz und 33jährigen Al­lein­herr­schaft ist ihm das mehr als ein­mal ex­em­pla­risch ge­glückt, nicht nur mit Pa­tri­ce Ché­reau, son­dern auch mit Re­gis­seu­ren wie Götz Fried­rich, Jean-Pierre Pon­nel­le oder Har­ry Kup­fer. Sein Blick nach je­nem Os­ten, der von Bay­reuth aus im Nor­den lag, war, wenn es sich nicht ge­ra­de um Ruth Berg­haus han­del­te, im­mer of­fen; po­li­ti­sche An­wür­fe, an de­nen es nicht fehl­te, ha­ben sein Werk­statt­pro­gramm nicht er­schüt­tern kön­nen. Doch je äl­ter er wur­de, um so mehr ent­glitt ihm die Hans-Sachs-Rol­le, und gänz­lich miß­riet sie ihm auf dem en­ge­ren wie dem wei­te­ren Fa­mi­li­en­fel­de; hier agier­te er, so scheint es, eher wie Fritz Koth­ner, der zu au­to­ri­tä­ren Ges­ten nei­gen­de In­nungs­vor­stand, als wie der ideen­reich aus­glei­chen­de Schuster-Poet.

Dies konn­te der Fest­spiel­lei­ter so lan­ge für sei­ne Pri­vat­an­ge­le­gen­heit an­se­hen, als er die Nach­fol­ge­fra­ge von sich fern­hielt; er tat dies noch 1997 mit dem Hin­weis auf die Sat­zung der 1973 von al­len Fest­spiel­be­tei­lig­ten be­grün­de­ten Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung und wies „mit der ge­bo­te­nen Nach­drück­lich­keit“ dar­auf hin, daß „die Stif­tung nicht zu­letzt auch des­halb ge­schaf­fen“ wor­den sei, „um Fa­mi­li­en-Will­kür aus­zu­schal­ten“: „Die Bay­reu­ther Fest­spie­le sind kein Fa­mi­li­en­be­trieb der Wag­ners, ein dy­nas­ti­sches Erbrecht gibt es nicht.“

In­zwi­schen macht er Mie­ne, die Fest­spiel­lei­tung, wenn über­haupt, nur an sei­ne ihm seit lan­gem zur Sei­te ste­hen­de Frau Gud­run über­ge­ben zu wol­len, wo­mög­lich im Ver­bund mit sei­ner ein­und­zwan­zig Jah­re al­ten Toch­ter Ka­tha­ri­na: das Fest­spiel­bay­reuth als sein ei­ge­ner Fa­mi­li­en­be­trieb. Dazu muß man dann alle an­de­ren Kan­di­da­ten der jün­ge­ren Wag­ner-Ge­ne­ra­ti­on für un­kun­dig, un­fä­hig, un­er­fah­ren er­klä­ren; das Spiel ist nicht schön und pro­vo­ziert Gegenreaktionen.

Das von dem Fest­spiel­lei­ter mit­ge­schaf­fe­ne Grund­ge­setz der weit­ge­hend aus öf­fent­li­chen Haus­hal­ten fi­nan­zier­ten Bay­reu­ther Fest­spie­le ver­fügt ver­nünf­ti­ger­wei­se, daß das Fest­spiel­haus „grund­sätz­lich an ein Mit­glied, ge­ge­be­nen­falls auch an meh­re­re Mit­glie­der der Fa­mi­lie Wag­ner“ zur Ab­hal­tung der Fest­spie­le zu ver­mie­ten sei; das sol­le „nur dann nicht“ gel­ten, „wenn an­de­re, bes­ser ge­eig­ne­te Be­wer­ber auf­tre­ten“. Nach wel­chem Mo­dus sol­che au­ßer­fa­mi­liä­ren Be­wer­ber in Er­schei­nung tre­ten kön­nen, läßt die an die­ser Stel­le son­der­bar schlam­pig for­mu­lier­te Sat­zung im Dun­keln; sie ver­fügt aber (§ 8/2), daß die­se an­dern Be­wer­ber erst dann auf­tre­ten kön­nen, wenn der Stif­tungs­rat, in dem au­ßer der Fa­mi­lie die Stadt, das Land, der Bund und wei­te­re Geld­ge­ber ver­tre­ten sind, ei­nen Kan­di­da­ten zu­rück­ge­wie­sen hat, den die vier stimm­be­rech­tig­ten Sieg­fried-Wag­ner-Stäm­me zu­vor mehr­heit­lich un­ter sich aus­ge­macht ha­ben. Das letz­te­re hat sich in­zwi­schen als il­lu­so­risch erwiesen.

Hat die Stif­tung also ihre Sat­zung ge­än­dert? Sie hat dem am­tie­ren­den Fest­spiel­lei­ter im März die­ses Jah­res die Er­klä­rung ab­ge­run­gen, daß das Nach­fol­ge­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet wer­den kön­ne; das ist un­ge­fähr so, als ob der Papst dazu ver­an­laßt wür­de, das Kon­kla­ve zur Er­mitt­lung sei­nes Nach­fol­gers ein­zu­be­ru­fen. Wolf­gang Wag­ners Po­si­ti­on gleicht der des Paps­tes in­so­fern, als die Stif­tungs­grün­dung ver­säumt hat, sei­ne Amts­zeit zu be­gren­zen; wenn ihm der vom Stif­tungs­rat be­stimm­te Nach­fol­ger nicht ge­fie­le, könn­te ihn ju­ris­tisch nie­mand hin­dern, noch wei­te­re zehn Jah­re zu amtieren.

Statt die Sat­zung zu prä­zi­sie­ren, hat die Stif­tung (ihr Ge­schäfts­füh­rer ist der Bay­reu­ther Ober­bür­ger­meis­ter) im März 1999 er­klärt, „die von Sieg­fried Wag­ner ab­zu­lei­ten­den vier Stäm­me der Fa­mi­lie Wag­ner“ sei­en „auf ihr in der Stif­tungs­sat­zung ver­brief­tes Recht hin­ge­wie­sen“ wor­den, „ei­nen Vor­schlag für die Nach­fol­ge in der Fest­spiel­lei­tung an die Stif­tung ein­zu­rei­chen“. Das ent­spricht dem Wort­laut der Sat­zung kei­nes­wegs; es läßt über­dies of­fen, ob Wolf­gang Wag­ner für sei­nen Fa­mi­li­en­stamm das al­lei­ni­ge Vor­schlags­recht in­ne­ha­be oder ob auch sei­ne Kin­der aus ers­ter Ehe – Eva, eine in­ter­na­tio­nal er­fah­re­ne Opern­be­triebs­di­rek­to­rin, also mit ähn­li­cher Qua­li­fi­ka­ti­on wie die gleich­alt­ri­ge zwei­te Frau ih­res Va­ters, oder Gott­fried, der weit vom Va­ter ent­fern­te Sohn – ein Vor­schlags­recht aus­üben kön­nen. Al­les dies ist min­des­tens so un­klar und kom­pli­ziert wie die Thron­fol­ge­ver­hält­nis­se im Hau­se Brabant.

Brau­chen die Fest­spie­le ei­nen Grals­bo­ten, um die­se Wirr­nis zu lö­sen? Der 24köpfige Stif­tungs­rat fun­giert gleich­sam als ein kol­lek­ti­ver Schwa­nen­rit­ter. Im Ok­to­ber wird er sich zur Soit­zung ver­sam­meln und fest­stel­len mös­sen, daß die vier Fa­mi­li­en­stim­men kei­nen mehr­heit­lich fun­dier­ten Vor­schlag ein­ge­bracht ha­ben; nach § 8/3 der Sat­zung müß­te er dann ei­nen In­ten­dan­ten­rat zu­sam­men­ru­fen (die Chefs der Münch­ner, Wie­ner und der Ber­lin-Char­lot­ten­bur­ger Oper), um sich von ihm be­ra­ten zu las­sen. Da die Fest­spie­le selbst dann nicht gut von Be­triebs­di­rek­to­rin­nen künst­le­risch ge­lei­tet wer­den kön­nen, wenn die­se „Mit­glie­der der Fa­mi­lie Wag­ner“ (die Sat­zung ver­mei­det es, die­sen Sta­tus zu de­fi­nie­ren) und in ih­rem Fach be­währt sind, zwei denk­ba­re Prä­ten­den­ten, Wie­lands Sohn Wolf-Sieg­fried und Wolf­gangs Sohn Gott­fried, aber nicht als Be­wer­ber auf­tre­ten, wird sich die Auf­merk­sam­keit des Gre­mi­ums dem ein­zi­gen Mit­glied der Fa­mi­lie zu­wen­den, das nicht nur in der Lage ist, das künst­le­ri­sche Erbe der Fa­mi­lie geis­tig zu ver­tre­ten, son­dern – na­mens al­ler Wie­land-Kin­der – auch als Be­wer­be­rin auf­tritt. Das ist die Pu­bli­zis­tin und Mu­sik­wis­sen­schaft­le­rin Dr. Nike Wag­ner, Mit­glied der Deut­schen Aka­de­mie für Spra­che und Dich­tung und Au­torin zahl­rei­cher Es­says, Vor­trä­ge, Auf­sät­ze so­wie ei­nes kürz­lich preis­ge­krön­ten Wagner-Theater-Buches.

Die ge­hört je­ner kri­ti­schen Nach­kriegs­ge­nera­ti­on an, die man mit der Jah­res­zahl ’68 be­legt, und war und ist als eine Durch­leuch­te­rin ge­ra­de auch des Bay­reu­ther Er­bes kei­nes­wegs be­quem. Sie ist es um so we­ni­ger, als sie seit den Ta­gen ih­res Ur­groß­va­ters das ers­te Fa­mi­li­en­mit­glied ist, das sich li­te­ra­ri­sche Kom­pe­tenz hat er­wer­ben kön­nen, ob­schon auf ganz an­dern Pfa­den als je­ner. Nicht an ihm, son­dern an ei­nem Wie­ner Meis­ter, Karl Kraus, der wuß­te, war­um er nie et­was ge­gen Wag­ner sag­te, der ihm nicht we­ni­ge Blö­ßen bot, hat sie ihre Pro­sa ge­schult: „Ein gu­ter Meis­ter!“ könn­te Hans Sachs hier zwi­schen­ru­fen. Ihr An­tritt ge­gen den au­to­kra­ti­schen On­kel gleicht ein we­nig dem Ver­hält­nis der grün-ro­ten Op­po­si­ti­on zu Hel­mut Kohl, die­sem jün­ge­ren Ur­ge­stein der al­ten BRD, das nun gute Fi­gur auf den Ab­ge­ord­ne­ten­bän­ken macht; eine Wahl gab ihm die­se Freiheit.

Daß Nike Wag­ner nicht in­sze­nie­ren oder gar Büh­nen­bil­der ent­wer­fen wer­de, ist eben­so klar, wie, daß sie al­les Prak­tisch-Or­ga­ni­sa­to­ri­sche der Fest­spiel­lei­tung in die Hän­de ei­nes er­fah­re­nen Thea­ter­man­nes le­gen wür­de; ihre Be­wer­bung, hört man, nennt ihn be­reits. Wie we­nig man än­dern kann an Bay­reuth, wird ihr im Fall ei­ner Be­ru­fung bald eben­so klar wer­den, wie es, auf an­derm Feld, der grün-ro­ten Ko­ali­ti­on klar wur­de; in In­ter­views ver­sucht sie sich ge­le­gent­lich dar­über hin­weg­zu­set­zen. Der Spiel­plan ist von der Stif­tungs­sat­zung fak­tisch bis zum Jah­re 2052 fest­ge­legt: das Fest­spiel­haus darf „ein­zig der fest­li­chen Auf­füh­rung der Wer­ke Ri­chard Wag­ners“ gel­ten. Na­tür­lich könn­te man es mal mit den „Feen“ oder dem „Lie­bes­ver­bot“ ver­su­chen, aber schon der „Hol­län­der“ paßt ja akus­tisch im Grun­de nicht un­ter den Schalldeckel.

Auch mu­si­ka­lisch gibt es nur ei­nen Spiel­raum: die best­mög­li­chen Sän­ger, Di­ri­gen­ten, Or­ches­ter­mit­glie­der her­an­zu­ho­len und zu ver­su­chen, sie zur Som­mer­ge­mein­schaft zu­sam­men­zu­fü­gen. Weit mehr als die Par­ti­tur­aus­le­gung gibt das in­sze­na­to­ri­sche Mo­ment Spiel­räu­me zeit- und werk­ge­mä­ßer Aus­le­gung. Nicht auf die Stra­pa­zie­rung, son­dern auf die An­eig­nung, die Auf­hel­lung ei­nes längst ka­no­nisch ge­wor­de­nen Oeu­vres wird es da­bei an­kom­men, so wie für Wie­land Wag­ner in den fünf­zi­ger und sech­zi­ger, wie für Pa­tri­ce Ché­reau und an­de­re in den sieb­zi­ger und acht­zi­ger Jah­ren. Wag­ners Werk in sei­ner an­ar­chi­schen Frie­dens­sehn­sucht, sei­nem ver­zwei­felt-aus­drucks­mäch­ti­gen Re­bel­len­tum zu ei­nem Ver­bün­de­ten der Zu­kunft zu ma­chen ist die ein­zi­ge Mög­lich­keit, den Fest­spie­len Zu­kunft zu ge­win­nen; dazu be­darf es der Ge­schmei­dig­keit des Geis­tes eben­so wie des Mu­tes zur Repräsentanz.

So span­nend, so kon­flikt­reich geht es der­zeit zu hin­ter und vor den hy­drau­li­schen Ku­lis­sen von Bay­reuth; mit Rüh­rung aber sieht der „Meistersinger“-Zuschauer am Ende ei­ner be­ju­bel­ten Auf­füh­rung den schloh­wei­ßen Prin­zi­pal sich un­ter die Sän­ger­schar mi­schen; noch im Au­gust fei­ert er sei­nen acht­zigs­ten Ge­burts­tag. Längst ist er der Nes­tor sei­nes Me­tiers, eine In­ten­dan­ten­spe­zi­es ver­kör­pernd, die in der ver­wal­te­ten Welt nicht nach­wach­sen kann; dies gibt sei­ner Ge­stalt ei­nen Hauch von Tra­gik. Nach Pa­tri­ar­chen­wei­se er­klärt er sich gern für un­er­setz­bar, aber na­tür­lich weiß er, daß er das Maß sei­ner Ver­diens­te längst er­füllt hat. Eins der größ­ten liegt dar­in, daß Bay­reuth un­ter sei­ner ge­schäfts­kun­di­gen Lei­tung nie­mals zum High-So­cie­ty-Fes­ti­val wur­de. Kraft re­la­tiv nied­rig ge­hal­te­ner Ein­tritts­prei­se blieb es of­fen für alle die, wel­che statt Ja­gu­ar und Mer­ce­des Volks­wa­gen und Peu­geot fah­ren oder wohl gar mit der Ei­sen­bahn kom­men. Nicht zu­letzt des­halb ist die­ses ein­zig­ar­ti­ge Fes­ti­val auf Jah­re hin aus­ver­kauft: ein Opern­fest der Lieb­ha­ber, nicht der An­ge­ber. Aber es wäre ver­lo­ren ohne den per­ma­nen­ten An­stoß zu in­ne­rer Erneuerung.

Mit wah­rem Kamp­fes­mut ist Wolf­gang Wag­ner im­mer wie­der den Schwarz­händ­lern von Fest­spiel­kar­ten in den Arm ge­fal­len; was er hier ver­tei­dig­te, war die Sub­stanz sei­nes Le­bens­werks. Wie fern er da­mit ei­nem neo­li­be­ra­len Zeit­geist steht, be­schei­ni­gen ihm zu­wei­len die Ken­ner. Erst  kürz­lich ließ ein Frank­fur­ter Leit­ar­tik­ler durch­bli­cken, daß der Fest­spiel­lei­ter heu­te ohne wei­te­res sei­ne Frau als Nach­fol­ge­rin ein­set­zen könn­te, wenn er we­ni­ger links ge­dacht und Bay­reuth, ohne Rück­sicht auf die dann nicht mehr ge­stütz­ten Kar­ten­prei­se, als rei­nes Pri­vat­thea­ter auf­recht­erhal­ten hät­te; „die Nich­te Nike“, so Ros­win Fin­ken­zel­ler, könn­te ihm dann nicht in die Que­re kom­men. Hier wal­tet ein Trug­schluß, denn nicht, um sei­ne Voll­mach­ten zu be­schnei­den, son­dern um sie si­cher­zu­stel­len, hat Wolf­gang Wag­ner die Ei­gen­tü­me­rin des Fest­spiel- und Wahn­fried­hau­ses, sei­ne Mut­ter Wi­nif­red, vor ei­nem Vier­tel­jahr­hun­dert dazu be­wo­gen, die­ses Grund­ver­mö­gen der Ge­samt­fa­mi­lie in eine Stif­tung ein­zu­brin­gen. Im üb­ri­gen ist es die Fra­ge, ob Leu­te, die sie­ben­hun­dert Mark für ei­nen mitt­le­ren Platz aus­ge­ben könn­ten, ein Werk wie den „Ring“ wirk­lich zu Tau­sen­den hö­ren woll­ten; sie wür­den be­stimmt bes­se­re Stüh­le verlangen.

Im Kul­tur­teil der­sel­ben F.A.Z.-Ausgabe (7. Au­gust 1999) be­kun­det Nike Wag­ner mit ei­nem Es­say über Ri­chard Wag­ners Fol­gen und Wir­kun­gen in der eu­ro­päi­schen Kunst, wie sehr sie der Last wie der Lust der Auf­ga­be be­wußt ist. Mit Sym­pa­thie zi­tiert sie Mall­ar­mé, der Bay­reuth eine „hei­li­ge Stät­te ge­gen das Un­ge­nü­gen am ei­ge­nen Selbst und ge­gen die Mit­tel­mä­ßig­keit der Va­ter­län­der“ ge­nannt hat, und för­dert bei­läu­fig zu­ta­ge, daß die „Meis­ter­sin­ger“ die Lieb­lings­oper von Ja­mes Joy­ce ge­we­sen sei­en. Am Ende sind On­kel und Nich­te nä­her bei­ein­an­der, als sie ah­nen und ver­mei­nen. Ihr mit ei­ner In­brunst, wie nur Ver­wand­te sie auf­brin­gen, aus­ge­tra­ge­ner Streit nützt auf die Dau­er we­der Bay­reuth noch der Wag­ner-Fa­mi­lie; spä­tes­tens, wenn das kol­lek­ti­ve Vo­tum ge­fal­len ist, soll­ten sie auf­ein­an­der zugehen.